Flüchtlingsaufnahme in Baden-Württemberg
„Management Summary“
Der Umgang mit Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, ist für den Staat eine vielschichtige Aufgabe, die Fragen des Ausländerrechts, der Unterbringung, der Sozialleistungen sowie der Integration miteinander verknüpft. Im föderalen Staatsaufbau werden diese Aufgaben auf Behörden aller staatlichen Ebenen - Bund, Länder, Kreise und Gemeinden - verteilt.
Der Rechnungshof Baden-Württemberg hat 2016 und 2017 eine Prüfungsreihe zur Flüchtlingsaufnahme in Baden-Württemberg durchgeführt. Ein Schwerpunkt der Prüfungsreihe waren die Strukturen der Flüchtlingsaufnahme und das Zusammenwirken der beteiligten Stellen bei der Erfüllung der staatlichen Aufgaben. Der andere Schwerpunkt war die Ausgabenerstattung des Landes für die vorläufige Unterbringung bei den Stadt- und Landkreisen. Aus seinen Prüfungserkenntnissen leitet der Rechnungshof Vorschläge für ein optimiertes Flüchtlingsmanagement ab.
Flüchtlingsmanagement in der Praxis
Für ein gutes Flüchtlingsmanagement, also eine zielgerichtete, effektive und effiziente Bewältigung der Aufgaben im Zusammenhang mit der Flüchtlingsaufnahme, müssen die Behörden der beteiligten staatlichen Ebenen Informationen austauschen und in abgestimmter Form zusammenwirken. Ein Beispiel für gutes Flüchtlingsmanagement ist das Ankunftszentrum in Heidelberg. In dieser Einrichtung werden alle notwendigen Schritte nach Einreise eines Flüchtlings gebündelt an einem Ort innerhalb weniger Werktage durchgeführt. Hierzu wirken Bundes- und Landesbehörden kooperativ zusammen.
Bei seiner Prüfung ist der Rechnungshof auch auf Defizite in der Praxis des Flüchtlingsmanagements gestoßen. Häufig beruhten diese Defizite auf einem mangelhaften Informationsaustausch. Zu Problemen führte vor allem, dass die Weitergabe von Informationen derzeit an vielen Stellen noch nicht automatisiert und medienbruchfrei erfolgt. Die Auswirkungen zeigten sich insbesondere an den Schnittstellen der Verwaltungsverfahren sowie der Kostentragung, also immer dann, wenn ein Flüchtling von der Zuständigkeit einer staatlichen Ebene oder Behörde in die Zuständigkeit einer anderen staatlichen Ebene oder Behörde wechselt.
Beispielhaft hierfür ist der Übergang von Flüchtlingen aus der vorläufigen Unterbringung in die Anschlussunterbringung. Der damit einhergehende Wechsel aus der staatlichen Unterbringung bei den Stadt- und Landkreisen in Unterkünfte der Gemeinden erfolgte in zahlreichen Fällen mit erheblichem Zeitverzug. Gleiches gilt für die zum gleichen Zeitpunkt erforderlichen Umstellungen bei den Sozialleistungen.
Nachlaufende Abrechnung der Ausgaben für die vorläufige Unterbringung
Der mehrstufige Staatsaufbau bewirkt, dass - zeitlich abgestuft - alle staatlichen Ebenen in Baden-Württemberg infolge der Flüchtlingslage 2015 investieren und Kapazitäten aufbauen mussten. Während das Land und die Kreise ihre Kapazitäten nun bereits wieder abbauen bzw. den Abbau planen, steigt der Bedarf auf Gemeindeebene noch an. Aus Sicht des Rechnungshofs ist eine aufeinander abgestimmte bzw. verzahnte Nutzung der Kapazitäten - wie dies etwa bei sog. „Kombi-Modellen“ der Fall ist - sinnvoll. Diese Modelle dürfen aber nicht dazu führen, dass Ausgaben auf das Land verschoben werden, die rechtlich von den Gemeinden zu tragen sind.
Die Aufgaben- und Ausgabenverflechtung kann zu Abgrenzungsproblemen und Fehlanreizen führen, insbesondere dort, wo Aufgaben- und Ausgabenträgerschaft auseinanderfallen.
Beispielhaft hierfür ist die Ausgabenerstattung des Landes für die vorläufige Unterbringung bei den Stadt- und Landkreisen: Weder das Land noch die Kreise waren auf das Ende 2015 vereinbarte Verfahren zur Abrechnung der Ausgaben („Spitzabrechnung“) vorbereitet. Es fehlten klare inhaltliche Vorgaben, Verfahrensabläufe und Kontrollmechanismen seitens des Landes. Aufseiten der Kreise fehlte häufig die für eine verlässliche Abrechnung und Kontrolle notwendige Datenbasis.
Der Rechnungshof hält dieses Verfahren der Ausgabenerstattung für aufwendig, fehleranfällig und unter Anreizaspekten für problematisch. Seine Prüfungen ergaben unter anderem
- Fehler bei der Ermittlung des abrechenbaren Personenkreises,
- eine Vernachlässigung möglicher Gebühreneinnahmen,
- zu kurze und uneinheitliche Abschreibungszeiträume für Liegenschaften,
- Fälle einer Abrechnung kalkulatorischer Mieten und Pachten sowie
- Mängel bei der Dokumentation und Abgrenzung der Aufwendungen.
Der Rechnungshof empfiehlt daher, möglichst bald zu einer Ausgabenerstattung mittels Pauschale zurückzukehren. Für die vereinbarten Zeiträume einer nachlaufenden Spitzabrechnung müssen zur Sicherstellung einer sachgerechten Erstattung, aber auch zur Vermeidung finanzieller Nachteile für das Land, eindeutige und überprüfbare Vorgaben (Regelungen) definiert und Kontrollmechanismen etabliert werden.
Vorschläge für ein optimiertes Flüchtlingsmanagement
Die Rahmenbedingungen für eine Optimierung des Flüchtlingsmanagements sind derzeit infolge der gesunkenen Zugangszahlen, der angestrebten Verkürzung der Asylverfahren und der vorhandenen Unterbringungskapazitäten günstig. Dreh- und Angelpunkt hierbei ist das dreistufige Verfahren der Unterbringung von Flüchtlingen: Erstaufnahme, vorläufige Unterbringung und Anschlussunterbringung. Alle weiteren Zuständigkeiten und Verfahren knüpfen hieran an.
Nach aktuellen Angaben benötigt das BAMF für Neuanträge derzeit durchschnittlich weniger als 3 Monate. Es erscheint wenig sinnvoll, für diesen überschaubaren Zeitraum sowohl einen Aufenthalt in der LEA als auch einen Aufenthalt in der vorläufigen Unterbringung vorzusehen.
Eine bloße Abschaffung der vorläufigen Unterbringung zugunsten einer reinen Zweistufigkeit des Unterbringungsverfahrens mit Erstaufnahme und Anschlussunterbringung wäre demnach naheliegend, würde aber auch neue Probleme schaffen. Dies beträfe insbesondere den Übergang in die Anschlussunterbringung.
Das Verfahren der Unterbringung sollte dafür Sorge tragen, dass kommunale Integrationsmaßnahmen möglichst schnell auf Personen mit hoher Bleibeperspektive gerichtet werden können und bei ausreisepflichtigen Personen keine Ausreisehindernisse entstehen. Dazu wäre ein stärker differenziertes System notwendig, das sich bis zum Abschluss des Asylverfahrens an der individuellen Bleibeperspektive und nach Abschluss des Asylverfahrens an der Art des jeweiligen Aufenthaltstitels - also an den Weichenstellungen des Asyl- und Ausländerrechts - orientiert.
Der Rechnungshof empfiehlt daher:
- Während der Dauer des Asylverfahrens sollte das Land sich an den Cluster-Gruppen orientieren, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für die Abläufe im Ankunftszentrum gebildet hat. Personengruppen, die eine sehr hohe Bleibeperspektive haben, sollten bis zur möglichst schnellen Entscheidung des BAMF in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) bleiben. Im Falle einer positiven BAMF-Entscheidung sollten sie von dort - im Sinne einer Integration - zügig und direkt in die Anschlussunterbringung wechseln.
- Die vorläufige Unterbringung sollte demgegenüber Personengruppen mit offener Bleibeperspektive (Cluster C) oder aus anderen Gründen langwierigen Asylverfahren (z. B. wegen Klageverfahren) vorbehalten sein. Für die vorläufige Unterbringung sollten vorrangig Gemeinschaftsunterkünfte genutzt werden.
- Personen, die nach rechtskräftigem Abschluss des BAMF-Verfahrens keine Aufenthaltserlaubnis bzw. nur eine Duldung erhalten, sollten entgegen der bisherigen Vorgaben des Flüchtlings-aufnahmegesetzes (FlüAG) nicht in die Anschlussunterbringung wechseln. Aufgrund des neu eingeführten § 47 Absatz 1 b AsylG steht es dem Land offen, Personen ohne Bleibeperspektive bis zu 24 Monate in der Erstaufnahme zu belassen. Der Rechnungshof empfiehlt, diese Öffnungsklausel umzusetzen.
- Die mit einer Reform einhergehenden Verschiebungen der finanziellen Lasten zwischen dem Land und den Kommunen sollten analysiert werden und in einen Lasten- und Interessenausgleich münden.
Link https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/3000/16_3311_D.pdf