Rechnungshof: Trendwende in der Haushaltspolitik einleiten
- Gesamtausgaben für Personal und Versorgungsempfänger begrenzen
- Risiken aus Bürgschaften und Gewährleistungen mehr als ein Merkposten
- Landesbank: Vom Juwel zum Risiko
Karlsruhe/Stuttgart: „Die haushaltspolitisch guten Jahre sprudelnder Steuereinnahmen, die dem Land sogar das Erreichen der Netto-Nullverschuldung ermöglichten, sind bis auf weiteres vorbei. Das Land muss sich wieder der Kärrnerarbeit der Haushaltskonsolidierung zuwenden, wenn eine Chance bestehen soll, dauerhaft nicht mehr auszugeben als eingenommen wird.“ Dies erklärte der Präsident des Rechnungshofs Max Munding bei der Vorstellung der Denkschrift 2010 in Stuttgart.
Spätestens mit dem nächsten Doppelhaushalt 2012/2013 muss das Land die haushaltspolitische Trendwende einleiten. Im laufenden Doppelhaushalt werden die Landesschulden von 41,7 auf 46,5 Milliarden Euro ansteigen. In der Mittelfristigen Finanzplanung sind in den Folgejahren 2012/2013 zusätzlich neue Schulden zwischen 1,6 und 2,3 Milliarden Euro eingeplant. Trotzdem verbleibt danach noch eine Deckungslücke von rund 2,5 Milliarden Euro je Jahr. Bei einem geplanten Haushaltsvolumen von 34 Milliarden Euro klafft in den künftigen Haushalten eine Lücke von über 10 Prozent, die geschlossen werden muss. Gleichzeitig steigt die Gesamtverschuldung fast auf das Eineinhalbfache eines Jahresetats.
Die Konsolidierung des Landeshaushalts erfordert in den nächsten zwei Legislaturperioden eine gewaltige Kraftanstrengung. Bis 2020 soll nicht nur das Ziel erreicht werden, ohne neue Schulden auszukommen, es müssen auch die ab 2010 zusätzlich aufgenommenen Schulden wieder zurück gezahlt werden.
Wirtschaftswachstum hilft bei der Konsolidierung, es kann aber die Hauptprobleme des Haushalts nicht lösen. Denn ein 1 Prozent Wachstum führt nur zu knapp 200 Millionen Euro zusätzlichen Einnahmen. Ein dauerhafter und stringenter Kurs der Haushaltskonsolidierung ist daher unerlässlich. Die Konsolidierung endet in der Haushaltsaufstellung, sie beginnt aber bei der Fachpolitik. Gesamtpolitisch muss jetzt die Verantwortung für den Haushalt in den Mittelpunkt rücken. „Haushaltsaufstellung und Mittelfristige Finanzplanung müssen sich an der Konsolidierungsperspektive 2020 ausrichten“, so Max Munding. Der nächste Doppelhaushalt werde zur Bewährungsprobe für diesen Konsolidierungskurs.
Bei den Personalausgaben, die den Löwenanteil des Haushalts ausmachen, schlägt der Rechnungshof in seiner aktuellen Denkschrift neue und stringente Wege vor. Nachdem sich gezeigt habe, dass das Gebot der Netto-Nullverschuldung in der Haushaltspraxis nicht ausreiche, müsse ein weiterer Schritt gegangen werden: Die gesamten Personalausgaben des Landes (einschließlich der Bezüge für Versorgungsempfänger und Beihilfen) dürften künftig nicht stärker wachsen als die Steuereinnahmen. Dadurch werde erreicht, dass die sogenannte interne Verschuldung des Landes, nämlich die Vorbelastungen durch Pensionszahlungsverpflichtungen, ebenso wie die steigenden Beihilfeaufwendungen „systemisch“ verarbeitet werden. Um die strikte Ausgabengrenze einhalten zu können, müssen Aufgaben abgebaut und Personalstellen gestrichen oder die Ausgaben für Personal auf andere Weise reduziert werden. Das Land werde so auch gezwungen, aus der demografischen Entwicklung resultierende Einsparmöglichkeiten (Beispiel: Weniger Schüler, weniger Studenten, weniger Einwohner) kostensparend zu nutzen.
Nach den Überlegungen des Rechnungshofs sollen die Ausgaben für das aktive Personal durch ein Gesamtbudget gesteuert werden, das die Gesamtausgaben begrenzt und auf die Ressorts herunter gebrochen wird. Dadurch haben die Ressorts einerseits eine Verantwortung für das Ganze, aber anderseits die Freiheit, die nötigen Sparmaßnahmen selbst zu kreieren und durchzusetzen.
Dieser vom Rechnungshof vorgeschlagene systemische Ansatz werde sich als sehr einschneidend, aber auch als effektiv erweisen, erklärte Munding. Das Ausklammern bestimmter Bereiche werde wegen der Dimension der zu erwartenden Haushaltsprobleme dauerhaft nicht möglich sein.
Der Rechnungshof habe in seiner diesjährigen Denkschrift seine Aussagen zum Haushalt erstmals eine Darstellung über Vorbelastungen und Risiken des Landeshaushalts hinzugefügt, aus der diese Forderung nach einer systematischen Konsolidierung der Personalausgaben abgeleitet werde. Unter anderem nennt der Rechnungshof dort die hohe Zahl von - allerdings grob geschätzten - 70 Milliarden Euro, die das Land als Rückstellung in eine Bilanz einstellen müsste, wenn es wie ein Unternehmen doppisch buchen und bilanzieren würde.
Aber auch die weiteren Risiken und Vorbelastungen des Haushalts, die in den jährlichen Plänen nicht unmittelbar Niederschlag als Ausgaben finden, müssen künftig viel stärker beachtet werden, sagte Munding weiter.
Dazu gehören
- die Kreditmarktzinsen: Das gegenwärtige historische Zinstief werde nicht ewig währen; schon ein - in der Langzeitbetrachtung nicht außergewöhnlicher - Zinssatz von 6 Prozent würde zu einer jährlichen Haushaltsmehrbelastung von 900 Millionen Euro führen.
- die laufenden Aufwendungen für Gebäude: Immer werthaltigere und technisch besser ausgestattete Gebande erfordern einen hohen laufenden Aufwand. Das wird bisher unterschätzt, es wird nicht gezielt vorgesorgt.
- die laufenden Aufwendungen für Straßen: Um sie zu erhalten, sind jährlich 100 Millionen Euro nötig.
- rechtliche Verpflichtungen (Miet- und Leasingverträge, ÖPP-Modelle, hochwasserschutzrechtliche Verträge): Allein für das integrierte Rheinprogramm sind bis 2028 450 Mio. Landesmittel nötig. Näheres dazu hat der Rechnungshof in seiner Beratenden Äußerung gesagt.
Auch die vom Land übernommenen Bürgschaften und Gewährleistungen verdienen mehr Aufmerksamkeit als bisher. Dies sei bei der Finanz- und Wirtschaftskrise allgemein deutlich geworden, habe aber in Baden-Württemberg - wie in anderen Bundesländern mit Landesbanken - eine neue Dimension: Das einstige Juwel Landesbank Baden-Württemberg sei in kurzer Zeit zum Risiko für den Landeshaushalt geworden. Die Gewährleistungsverpflichtungen hätten mehr als verdoppelt werden müssen und lägen jetzt bei 25 Milliarden Euro.
„Landesregierung und Landtag“, fasst Max Munding zusammen, „müssen künftig der langfristigen Finanzpolitik deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken.“