Rechnungshof rät, neue Verschuldungsmöglichkeit nicht auszunutzen
„Baden-Württemberg steht vor enormen strukturellen Herausforderungen. Gerade deshalb muss es unser Anspruch sein, generationengerecht mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu haushalten“, betonte Dr. Cornelia Ruppert, Präsidentin des Rechnungshofs, anlässlich der Vorstellung des Jahresberichts.
Karlsruhe/Stuttgart: Die Eckwerte des abgelaufenen Haushaltsjahres 2024 sehen auf den ersten Blick gut aus: Die Gesamteinnahmen des Landes sind gegenüber dem Vorjahr um 0,4 Milliarden auf 68,8 Milliarden Euro gestiegen. Die Steuereinnahmen legten gar um 1,9 Milliarden Euro zu. Baden-Württemberg hat knapp 200 Millionen Euro an Schulden zurückgezahlt und ist damit planmäßig in die Tilgung der Corona-Notkredite eingestiegen. Am Jahresende steht ein Kassenüberschuss von 2,2 Milliarden Euro.
Der zweite Blick zeigt aber: Die laufenden Einnahmen haben 2024 nicht ausgereicht, um die laufenden Ausgaben zu decken. Der sogenannte Finanzierungssaldo ist erstmals nach dem Corona-Jahr 2020 mit minus 1,1 Milliarden Euro wieder negativ. Das Land hat zur Gegenfinanzierung seiner Ausgaben deutlich mehr Geld aus Überschüssen, Rücklagen und dergleichen entnommen, als es 2024 zuführte. Mit anderen Worten: „Das Land musste letztes Jahr an das Ersparte gehen“, erklärte Dr. Ruppert.
Und auch der Blick in die Zukunft ist kein Grund für Euphorie: Zwar prognostizierte die aktuelle Steuerschätzung im Mai dem Land 2025 gegenüber der bisherigen Planung Mehreinnahmen von netto 143 Millionen Euro. Diese werden aber durch Mindereinnahmen in nahezu gleicher Höhe in 2026 pariert. Die mittelfristige Planung der Landesregierung offenbart für 2027 gar eine Deckungslücke von 5 Milliarden Euro. 2028 wird die Lücke nur unwesentlich kleiner ausfallen.
Die im März dieses Jahres auf Bundesebene modifizierte Schuldenbremse ermöglicht es den Ländern künftig, jährlich bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes an neuen Schulden aufzunehmen. Eine Verpflichtung zum Abbau der Verbindlichkeiten, wie etwa bei den Corona-Notkrediten oder bei Konjunkturkrediten, ist indes nicht vorgesehen. Allein für Baden-Württemberg ergäben sich daraus jährlich neue Schuldenoptionen von derzeit etwa 2 Milliarden Euro pro Jahr. Ausgehend von einem Schuldenstand von 60 Milliarden Euro am Ende 2024 steht zu befürchten, dass der Schuldenberg rasant und deutlich anwachsen könnte. Die bisherigen Bemühungen um einen strukturell ausgeglichenen Haushalt wären dahin.
Zwar sieht der Rechnungshof die Herausforderungen, vor denen das Land angesichts multipler Krisen, der geopolitischen Lage und des Strukturwandels steht. Gerade deshalb plädiert er aber dafür, heute keine Ausgaben über neue Schulden zu finanzieren. Denn diese belasten die nachfolgenden Generationen in Form von Zinszahlungspflichten. „Damit würden wir Herausforderungen, für die es heute Lösungen bedarf, in die Zukunft verschieben. Ziel muss es sein, den Landeshaushalt zukunftsfähig auf solide Beine zu stellen und ihn dauerhaft aus sich heraus – ohne neue Schulden – auszugleichen“, unterstrich Dr. Ruppert. Ein Indiz dafür, dass es schon heute nicht an Finanzmitteln mangelt, sind die seit Jahren steigenden Ausgabereste. Diese nicht verbrauchten Haushaltsmittel summieren sich mittlerweile auf etwa 10 Milliarden Euro.
In den nächsten Jahren wird das Land aus dem im Frühjahr 2025 auf Bundesebene beschlossenen Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität voraussichtlich weitere Gelder erhalten. Insgesamt sollen den Ländern 100 Milliarden Euro aus diesem Sondervermögen zukommen. Einzelheiten zu Art und Umfang der Verteilung befinden sich aktuell in einem entsprechenden Gesetzgebungsverfahren des Bundes. Einen Teil der auf Baden-Württemberg entfallenden Mittel des Sondervermögens sollen die Kommunen erhalten. Daneben lässt die neue Schuldenbremse des Bundes den Ländern auch Möglichkeiten zur strukturellen Verschuldung. Detailregelungen zu dieser strukturellen Neuverschuldungsmöglichkeit der Länder stehen aber noch aus. Der Rechnungshof wirbt dafür, diese neue Verschuldungsoption jedenfalls nicht oder nur insoweit zu ziehen, als sie nachhaltige und überprüfbare Wertsteigerungseffekte generiert.
„Bevor wir neue Schulden aufnehmen, müssen wir unsere Hausaufgaben machen und bereits finanzierte Projekte abwickeln, Ausgaben priorisieren und Effizienzsteigerungen in den Fokus nehmen“, sagte Dr. Ruppert abschließend.