Rechnungshof nach der Durchsicht von über 22.000 Steuerbescheiden über-zeugt: Höhere Steuereinnahmen bei besserer Bearbeitung der Steuererklärungen möglich

  • Landesweit jährlich bis zu 362 Mio. € (708 Mio. DM) rechnerisch mehr an Steuern erhebbar.
  • Arbeitsergebnisse der Finanzämter bei der Steuerveranlagung müssen verbessert werden.
  • Kompliziertes Steuerrecht und zu wenig Zeit für die Bearbeitung im Einzelfall als Ursachen für die Defizite ausgemacht.
  • Weiterer Personalabbau bei den Veranlagungsstellen derzeit nicht vertretbar Jeder Beschäftigte im Veranlagungsbereich - selbst bei der aktuell schlechten Ausschöpfungsquote - bringt den öffentlichen Haushalten mehr als das Doppelte des Betrags ein, den er kostet.
  • Effektives Qualitätsmanagement bei der Steuerveranlagung eingefordert.
  • Arbeitsabläufe und Personaleinsatz sollten optimiert werden.


Karlsruhe/Stuttgart. Mehr Steuern könnten im Land eingenommen werden, wenn die Finanzämter die Steuerklärungen besser und gründlicher überprüfen würden. Die Qualität der Arbeitsergebnisse der Finanzämter im Bereich der Veranlagung von Steuern ist unbefriedigend und muss verbessert werden. Zu diesem Ergebnis kommt der Rechnungshof Baden-Württemberg auf der Basis einer breit angelegten, bundesweit erstmals durchgeführten Untersuchung der sog. Veranlagungsstellen bei den Finanzämtern. Danach wären bei richtiger Bearbeitung der eingereichten Steuererklärungen landesweit rechnerisch bis zu 362 Mio. € (708 Mio. DM) mehr an Steuern je Jahr erhebbar. Die Karlsruhe Behörde empfiehlt daher, in diesem Bereich kein weiteres Personal abzubauen sowie ein Instrumentarium zu entwickeln, mit dem ein effektives Qualitätsmanagement bei der Steuerveranlagung realisiert wird. Das Finanzministerium hat Umfang und Ausmaß der festgestellten Defizite nicht bestritten.

Der Rechnungshof hält das festgestellte Qualitätsniveau und die Tendenz zur weiteren Verschlechterung für nicht hinnehmbar. Wie es in den anderen Bundesländern aussieht, konnten die Finanzkontrolleure in ihrem vorgelegten Bericht mangels entsprechender Untersuchungen nicht darstellen. Die unbefriedigende Arbeitsqualität führe nicht nur zu Steuermindereinnahmen, sondern münde auf mittlere Sicht auch in einer weiter fallenden Akzeptanz der Steuerpflicht und in einer Zunahme steuerunehrlichen Verhaltens. Das Wissen um eine Steuerverwaltung, die nicht in der Lage sei, Steuererklärungen in ausreichendem Maße auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen, so der Rechnungshof weiter, führe außerdem zur verbreiteten Befürchtung, man gehöre noch zu den wenigen, die ihrer Steuerpflicht in ehrlicher Weise nachkommen.

Jährlich wären hochgerechnet auf alle Veranlagungsfälle in Baden-Württemberg Steuermehreinnahmen von insgesamt bis zu 362 Mio. € (708 Mio. DM) dann möglich, wenn die Finanzämter den Sachverhalt gründlicher aufklären und die maßgebenden Steuergesetze zutreffend anwenden würden. Bei richtiger Bearbeitung der Steuererklärungen wären, wie die Untersuchung zeigt, landesweit je Steuerfall durchschnittlich Mehreinnahmen von 237 € (463 DM) erzielbar. Hiervon realisieren die Finanzämter aufgrund der Tätigkeit ihrer Veranlagungsstellen im Schnitt nur 144 € (281 DM). 40 % der erzielbaren Mehrergebnisse werden somit nicht erhoben.

Das festgestellte Berichtigungspotential wird sich nach übereinstimmender Einschätzung von Rechnungshof und Finanzministerium zwar nicht zu 100 % ausschöpfen lassen, da die unzureichende Bearbeitungsqualität hauptsächlich auf das komplizierte, wenig handhabbare und häufig geänderte Steuerrecht zurückzuführen ist. Daher hält der Rechnungshof eine durchgreifende Vereinfachung des Steuerrechts für dringend geboten. Er empfiehlt der Landesregierung, alle diesbezüglichen Bemühungen zu unterstützen und, wo immer möglich, hierfür einzutreten.

Das komplizierte Steuerrecht ist nach der Untersuchung des Rechnungshofs allerdings nicht die einzige Ursache für die schlechten Arbeitsergebnisse. Sie sind nach den Erkenntnissen der Karlsruher Behörde auch darauf zurückzuführen, dass man sich in der Finanzverwaltung bisher zu einseitig an der Schnelligkeit der Fallbearbeitung orientiert habe.

Ferner komme hinzu, dass in den letzten Jahren die Zahl der Fälle, die ein Steuerbeamter zu bewältigen hat, zugenommen habe, deshalb fehle in den Finanzämtern einfach die Zeit für eine gründliche und genaue Bearbeitung. So hat der Rechnungshof festgestellt, dass den Veranlagungsstellen im Durchschnitt nur rund ein Drittel ihrer Zeit für die eigentliche Steuerfestsetzung verbleibt. 64,3 % der Arbeitszeit werde hingegen für einen bunten Flickenteppich der übrige Tätigkeiten verwendet, wie z. B. Postbearbeitung, Publikumsverkehr, Bearbeitung von Rechtsbehelfen, Ablagetätigkeit und vieles andere mehr. Demzufolge sieht der Rechnungshof in der Optimierung der übrigen Tätigkeiten eine weitere Verbesserungsmöglichkeit, wodurch deutlich mehr Zeit als bisher auf die eigentliche Steuerfestsetzung verwendet werden könnte. Für eine bessere Veranlagung sollte die Finanzverwaltung vordringlich abklären, mit welchem Instrumentarium ein effektives Qualitätsmanagement realisiert werden kann. Außerdem sollte ein flexibles, risikoorientiertes und erheblich differenzierteres System zur Auswahl der prüfungswürdigen Fällen eingeführt werden. Trotz kontinuierlicher Verbesserungen im Bereich der DV-Unterstützung seien auch hier weitere Optimierungen vordringlich. Weitere Ansätze sieht der Rechnungshof in einer verbesserten Qualifikation und Motivation der Bediensteten, z.B. durch praxisorientiertere Aus- und Fortbildung oder flexiblere Arbeitszeitgestaltung.

Einen weiteren Abbau von Personal bei den Veranlagungsstellen hält der Rechnungshof zum derzeitigen Zeitpunkt für nicht vertretbar. Zum einen könne die Qualität der Steuerveranlagung kurzfristig kaum durch andere Maßnahmen nachweisbar verbessert werden. Zum anderen bringe jeder Beschäftigte im Veranlagungsbereich - selbst bei der aktuell schlechten Ausschöpfungsquote - den öffentlichen Haushalten mehr als das Doppelte des Betrags ein, den er kostet. So stehen im Untersuchungszeitraum je Bearbeiter und Jahr den Personal- und Sachkosten von 52.500 € (102.682 DM) Erträge von 106.054 € (207.423 DM) gegenüber. Insgesamt stehen jährlich den Personal- und Sachkosten der Veranlagungsstellen von rd. 277,4 Mio € (542,5 Mio DM) – über die bereits erklärten Steuern hinaus - Erlöse in Höhe von 560,3 Mio € (1.095,9 Mio DM) gegenüber.

Vor dem Hintergrund der unbefriedigenden Arbeitsqualität und deren Ursachen weist der Rechnungshof darauf hin, dass das Funktionieren der Einnahmeverwaltung erst die Grundlagen für ein Funktionieren des Staatswesens in anderen Politikfeldern garantiere, die stärker im Blickfeld großer Interessengruppen stehen und deren Vertreter Forderungen auch im Hinblick auf Personal- und Stellenausstattung wirkungsvoller durchsetzen können.

Gemeinsam mit den vier Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern hatte der Rechnungshof die Organisation und die Arbeitsweise der Veranlagungsstellen untersucht.

Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, wurden in die Erhebungen landesweit die Veranlagungsstellen von 17 Finanzämtern einbezogen, bei denen - nach dem Zufallprinzip ausgewählt - insgesamt mehr als 22.300 Steuerbescheide der Jahre 1996 bis 1998 überprüft wurden. Danach führt die Arbeit der Veranlagungsstellen bereits zu Steuermehreinnahmen von 560,3 Mio € (1.095,9 Mio DM). Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie in 31,2% aller Fälle zu einem finanziellen Ergebnis, d.h. zu einer Abweichung von den Steuererklärungen, kommen. Aus diesen Abweichungen - zu Gunsten wie zu Ungunsten der Steuerbürger - resultieren Mehrergebnisse von 460 € (900 DM) je Abweichungsfall oder 144 € (281 DM) bezogen auf alle Steuerfälle. Für bedenklich halten die Finanzkontrolleure die Tendenz, dass die Veranlagungsstellen seit 1996 bis zum Ende der Untersuchung in immer weniger Fällen von den vorgelegten Steuererklärungen abwichen und das Volumen der erzielten Mehrsteuer je Fall weiter abnahm.

Die Überprüfung durch die Finanzkontrolle hat ergeben, dass sich über das bereits von den Veranlagungsstellen erreichte Ergebnis hinaus rechnerisch bis zu 362 Mio. € (708 Mio. DM) an Steuern mehr erzielen ließen. In 3.961 (17,2 %) der untersuchten Steuerfälle ergaben sich weitere Beanstandungen. Danach hätten die Steuerklärungen vielfach mit der Folge weiter korrigiert werden können, dass noch mehr Steuern erhebbar sind. Somit würde das mögliche Steueraufkommen um 93 € (182 DM) im Durchschnitt aller Fälle höher liegen, als es jeweils durch die Veranlagungsstellen ermittelt worden war. Einschließlich der von den Veranlagungsstellen bereits erzielten Ergebnisse von 144 € (281 DM) ergibt sich damit im Durchschnitt aller Fälle ein Korrekturbedarf von insgesamt 237 € (463 DM).

Die Veranlagungsstellen bilden mit knapp 5.300 Personalstellen den Kernbereich der Finanzämter. Ihre Arbeitsweise hat unmittelbare und erhebliche Auswirkungen auf die Steuereinnahmen. Sie sind im Wesentlichen zuständig für die Verwaltung der Einkommensteuer, Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer und der Eigenheimzulage. Sie prüfen die für diese Steuern vom Steuerpflichtigen abgegebenen Erklärungen und setzten danach die Steuer im Einzelfall fest. Ihr Aufgabenbereich umfasst weiterhin die Durchführung von Verlustfeststellungen, die Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrages nach dem Gewerbeertrag und die Festsetzung der Investitionszulagen. Darüber hinaus sind den Veranlagungsstellen alle mit diesen Kernaufgaben zusammenhängenden Arbeiten übertragen.