Rechnungshof moniert erneut deutliche Defizite bei der Besteuerung von Erb- und Schenkungsfällen
- Fehlerhafte und verspätete Bearbeitung führt zu Steuerausfällen von 5,7 Mio. € sowie zu Zinsverlusten von rd. 6 Mio. €
- Prüfung der Finanzkontrolle bringt noch zusätzliche Steuereinnahmen von rd. 6,1 Mio. €
- Arbeitsergebnisse bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer müssen dringend verbessert werden; die elektronische Sachbearbeitung muss weiter entwickelt und die Mitarbeiter müssen entsprechend geschult werden
- Weitere Steuerausfälle von rd. 600.000 € infolge fehlerhafter Grundstücksbewertung
- Die Bewertung von Grundbesitz im Zusammenhang mit Erbfällen muss in einer besseren Qualität erfolgen
Karlsruhe/Stuttgart: Erhebliche Defizite zeigt der Rechnungshof Baden-Württemberg bei der Besteuerung von Erb- und Schenkungsfällen auf. Allein die fehlerhafte und verspätete Bearbeitung führte bei gut 2000 geprüften Fällen zu Steuerausfällen von 5,7 Mio. € sowie zu Zinsverlusten von 6 Mio. €. „Wir haben es hier mit einem Steuergebiet zu tun, das man nicht vernachlässigen darf. Schon heute ist die Erbschaftsteuer eine der drei großen Landessteuern. Sie wird im Hinblick auf die heutige „Generation der Erben“, die nach Schätzungen bundesweit in den nächsten zehn Jahren mit einem Erbe von 2,5 Billionen € rechnen kann, weiter an Bedeutung gewinnen,“ mahnte Martin Frank, der Chef des Karlsruher Rechnungshofs bei der Vorstellung einer Untersuchung seiner Behörde. Nach Angaben der Finanzkontrolleure hat ihre Prüfung auch dazu beigetragen, dass das Land zusätzlich Steuern von 6,1 Mio. € einnimmt. Um zukünftig bedeutende Steuerausfälle zu vermeiden, schlagen die Finanzkontrolleure in ihrer Beratenden Äußerung verschiedene Maßnahmen vor, mit denen die Arbeitsabläufe, der Personaleinsatz und die Arbeitsweise bei der Verwaltung der Erbschaft- und Schenkungsteuer erheblich verbessert werden sollten.
Die Erbschaftsteuer, die neben dem Erbfall (Erwerb von Todes wegen) auch Schenkungen erfasst (sog. Schenkungsteuer), ist eine reine Landessteuer. Ihr Aufkommen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und betrug im Jahr 2004 rd. 556 Mio. €. Mit einem Anteil an den Landessteuern von mehr als 20 % ist sie eine bedeutende Einnahmequelle des Landes.
In der jetzt vorgestellten Beratenden Äußerung stellen die Finanzkontrolleure die Ergebnisse ihrer Prüfung vor, die sie mit Blick auf die Ertragskraft der Erbschaftsteuer im Vergleich zu früheren Untersuchungen breiter anlegten. Gemeinsam mit den vier Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern hatte der Rechnungshof die Organisation und Arbeitsweise der Erbschaftsteuerstellen bei sieben der insgesamt neun Finanzämter des Landes untersucht, die für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zentral zuständig sind. Zu Beginn des Jahres 2005 waren in den Erbschaftsteuerstellen landesweit etwa 161 Arbeitskräfte beschäftigt.
Organisation und Arbeitsweise vieler Erbschaftsteuerstellen sind nach der Aussage des zuständigen Rechnungshofdirektors und künftigen Vizepräsidenten, Günter Kunz, immer noch unzureichend. Daher legen die Finanzkontrolleure in ihrer Beratenden Äußerung eine Reihe von Vorschlägen vor, die darauf abzielen, den Personaleinsatz, die Arbeitsabläufe und die DV-Unterstützung zu verbessern, die Arbeitsgebiete neu zu strukturieren, die Fallbearbeitung auf bedeutende Steuerfälle zu konzentrieren und nicht zuletzt die bessere Wahrnehmung der Aufsichts- und Kontrollpflichten der Sachgebietsleiter sicherzustellen. Auch sollte die elektronische Sachbearbeitung weiter entwickelt werden. Das hierbei eingesetzte Verfahren habe sich zwar grundsätzlich bewährt, ist aber nach Auffassung der Karlsruher Kontrollbehörde noch zu optimieren. Nicht befriedigend war oftmals die Anwendung dieses DV-Verfahrens durch die Beschäftigten. Daher schlagen die Finanzkontrolleure eine regelmäßigere Schulung der Mitarbeiter der Erbschaftsteuerstellen vor.
Die Bearbeitung der einzelnen Steuerfälle offenbarte zum Teil erhebliche Mängel. Von insgesamt 2.023 geprüften Erb- und Schenkungsfällen wurden 678 Fälle, also rund ein Drittel, von den Finanzkontrolleuren beanstandet. Dabei stellten sie entweder eine fehlerhafte oder eine verspätete Bearbeitung fest.
Die fehlerhafte Bearbeitung führte zu unwiederbringlichen Steuerausfällen von knapp 5,7 Mio. €. Durch die Prüfung wurde in einigen Fällen eine neue Festsetzung der Steuern ausgelöst, in deren Folge das Land rd. 6,1 Mio. € zusätzlich einnimmt. Bei bedeutenden Steuerfällen, also bei solchen, in denen das Land mit einer Steuereinnahme von mehr als 15.000 € rechnen kann, stellten die Finanzkontrolleure besonders oft Bearbeitungsmängel fest. „Dies wiegt umso schwerer, als die Untersuchung gezeigt hat, dass die Zahl solcher Steuerfälle in den letzten Jahren signifikant zugenommen hat“, so Günter Kunz vor der Presse.
Als besonders fehlerträchtig erwiesen sich der Ansatz von Betriebsvermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften einschließlich der hierfür im Erbschaftsteuergesetz vorgesehenen Begünstigungen, der Ansatz von Grundbesitz und Kapitalvermögen sowie der Steuerschulden und -erstattungsansprüche. Defizite stellten die Rechnungsprüfer auch bei der Behandlung des steuerfreien Zugewinnausgleichs und des Versorgungsfreibetrags einschließlich der Beurteilung von steuerpflichtigen Versorgungsbezügen fest.
Bei vielen Fällen monierte die Karlsruher Kontrollbehörde eine verspätete Bearbeitung, die in der Summe zu Zinsverlusten beim Land von rd. 6 Mio. € führte. Die Prüfer des Rechnungshofs hatten Bearbeitungspausen in allen Phasen des Besteuerungsverfahrens festgestellt. Der Eingang angeforderter Steuererklärungen wurde nicht überwacht, vielfach wurden Fristverlängerungen - in einem Einzelfall zwanzigmal - gewährt, obwohl die entsprechenden Anträge oftmals nicht ausreichend begründet waren. Eingegangene Steuererklärungen blieben selbst dann lange Zeit unbearbeitet, wenn aus den Angaben ohne Weiteres erkennbar war, dass erhebliches Vermögen übertragen worden war. Erfolgten die Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung, weil weitere - zum Teil umfangreiche - Ermittlungen notwendig waren, so unterblieben diese Ermittlungen vielfach so lange, dass die Verjährung drohte und daher ein Zeitdruck entstand, der letztlich fehlerhafte Steuerfestsetzungen zur Folge hatte. In einigen Fällen trat die Verjährung ein, ohne dass eine abschließende Bearbeitung erfolgte.
Zur Verdeutlichung der aufgezeigten Problematik verwies der Chef der Finanzkontrolleure auf einen besonders gravierenden Einzelfall: Eine Erbin hatte im Jahr 1998 den Tod ihrer im Ausland ansässigen Mutter angezeigt, die ein Millionenvermögen hinterließ. Im Juli 2002 und damit wenige Monate vor Eintritt der Verjährung musste die Erbin regelrecht um die Steuerfestsetzung betteln. Obwohl sie einen Termin mit dem zuständigen Erbschaftsteuerbezirk vereinbart hatte, waren die Bearbeiter an diesem Tag in Urlaub und deren Vertreter nicht informiert. Die Erbin musste sich daher Hilfe suchend an den Sachgebietsleiter wenden, der letztlich für die Bearbeitung sorgte. Das Land erhielt so zwar die ihm zustehende Erbschaft-steuer; infolge der Untätigkeit des Finanzamts aber so spät, dass ein Zinsschaden von 330.000 € entstand.
Weitere Steuerausfälle von rd. 600.000 € stellten die Finanzkontrolleure infolge fehlerhafter Grundstücksbewertungen fest. Bei neun Finanzämtern überprüften sie in 620 Fällen die Feststellung der Bedarfswerte für den Grundbesitz. Die Bedarfswerte sind Grundlage für den Ansatz des Grundbesitzes bei der Erbschaftsteuer. 93 Fälle, also 15 %, wiesen Bearbeitungsfehler auf. Die Überprüfung der Bedarfswerte zeigt nach Auffassung der Finanzkontrolleure auch, dass die Sondervorschrift des § 147 Bewertungsgesetzes für die Bewertung bestimmter Arten von Grundstücken (z. B. Produktions- und Werkstattgebäude, Kliniken, Lichtspieltheater) zu Wertansätzen führt, die den tatsächlichen Wert vielfach nicht einmal ansatzweise abbilden. Diese Vorschrift ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung bedenklich und sollte nach Auffassung des Rechnungshofs geändert werden.
Stichwort: Beratende Äußerung
Neben Prüfungsmitteilungen und der Denkschrift kann der Rechnungshof Baden-Württemberg seine Untersuchungsergebnisse bei umfangreicheren Prüfungen in Form einer „Beratenden Äußerung“ nach § 88 Abs. 2 LHO darstellen. Sie wird dem Landtag und der Regierung vorgelegt, um diesen eine Informationsbasis für deren Entscheidungen im dargestellten Bereich zu geben. Über eine Beratende Äußerung beschließen alle Mitglieder des Rechnungshofs gemeinschaftlich.