Rechnungshof legt dem Landtag das Gutachten zum Ankauf der EnBW-Anteile durch das Land vor

Der Rechnungshof hat am 26. Juni 2012 sein Gutachten zum „Ankauf der EnBW-Anteile durch das Land“ an Landtag und Landesregierung übergeben. Das Gutachten ist in seiner Langfassung zur Wahrung der Rechte der beteiligten Unternehmen vertraulich. Für die Presse steht eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse als Anlage zur Pressemitteilung zur Verfügung.

Karlsruhe/Stuttgart: Der Rechnungshof hat heute das Gutachten „Ankauf der EnBW-Anteile durch das Land“ an Landtag und Landesregierung übergeben. Auf 80 Seiten äußert sich der Rechnungshof zum Ablauf des Erwerbs der EnBW-Anteile und nimmt zu der Frage Stellung, ob ein rechtlich ordnungsgemäßes und wirtschaftlich fundiertes Bewertungsverfahren für die Anteile durchgeführt wurde.

Hierzu hat der Rechnungshof die maßgeblich beteiligten Akteure seitens der damaligen Landesregierung sowie der Morgan Stanley Bank AG und der Kanzlei Gleiss Lutz Hootz Hirsch befragt. Die Akten des Staatsministeriums und des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft wurden eingesehen. Zusätzlich wurden Informationsgespräche mit der EnBW AG und der Neckarpri GmbH geführt. Der Rechnungshof hat auch die von Morgan Stanley in einem Datenraum zur Verfügung gestellten Dokumente sowie die dem Untersuchungsausschuss von Ministerpräsident a. D. Stefan Mappus zugeleiteten Unterlagen ausgewertet. Die bis Ende Mai vor dem Untersuchungsausschuss getätigten Aussagen wurden berücksichtigt.

Der Untersuchungsausschuss des Landtags hat beschlossen, das Gutachten des Rechnungshofs beizuziehen.

Das Gutachten ist in seiner Langfassung zur Wahrung der Rechte der beteiligten Unternehmen vertraulich. Für die Presse steht eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse auf Seiten 3 bis 7 dieser Pressemitteilung zur Verfügung. Um der Behandlung im Untersuchungsausschuss nicht vorzugreifen und um die Vertraulichkeit zu wahren, wird der Rechnungshof bis zu diesem Zeitpunkt keine über diese Pressemitteilung hinausgehenden Statements zum Inhalt des Gutachtens abgeben.

Wesentliche Ergebnisse

Der Rechnungshof hat die Frage geprüft, ob vor dem Ankauf der EnBW-Anteile durch das Land ein rechtlich ordnungsgemäßes und wirtschaftlich fundiertes Bewertungsverfahren durchgeführt wurde. Im Kontext dieser Fragestellung haben wir das gesamte Verfahren betrachtet, das dem am 06.12.2010 zwischen der Électricité de France International S.A. (EDFI), der Beteiligungsgesellschaft Neckarpri GmbH und dem Land Baden-Württemberg abgeschlossenen Kaufvertrag über den Erwerb der Unternehmensanteile an der EnBW Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) voraus ging.

Um Verfahren und Vertragsinhalt zu beurteilen, hat der Rechnungshof die von der Landesregierung zu beachtenden Rechtsnormen (insbesondere Landesverfassung und Landeshaushaltsordnung) und die Maxime der Wirtschaftlichkeit als Maßstab herangezogen. Aus diesen Normen lassen sich konkrete Vorgaben sowohl für den Inhalt des Vertrags als auch für das Vorgehen der Landesregierung ableiten.

Die Prüfung hat ergeben, dass das Verfahren im Vorfeld des Vertragsabschlusses in wesentlichen Teilen nicht den Anforderungen genügt, die aus der Landesverfassung und der Landeshaushaltsordnung folgen. Auch bei der Ausgestaltung des Aktienkaufvertrags ist es nicht in ausreichendem Maße gelungen, Regelungen zu vermeiden, die für das Land wirtschaftlich nachteilig sind.

1. Fehlende haushaltsrechtliche Grundlage für die übernommenen Verpflichtungen

Das Land Baden-Württemberg hat in dem am 06.12.2010 abgeschlossenen Vertrag eine gesamtschuldnerische Haftung für die Erfüllung der Kaufpreisverpflichtung der Neckarpri GmbH übernommen. Um diese Verpflichtung eingehen zu können, hätte die Landesregierung nach der Landesverfassung zuvor durch Gesetz in Gestalt eines Nachtragshaushalts ermächtigt werden müssen. Die vom Finanzminister am 06.12.2010 erklärte Notbewilligung reichte als haushaltsrechtliche Grundlage für den Vertragsabschluss nicht aus, da die Voraussetzungen für das Notbewilligungsrecht nicht vorlagen. Statt der vorherigen Ermächtigung wäre auch möglich gewesen, in den Vertrag einen Parlamentsvorbehalt aufzunehmen.

Der Rechnungshof verweist insoweit auf das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 06.10.2011 (GR 2/11).

2. Kein wichtiges Landesinteresse im Sinne des § 65 Abs. 1 LHO

Nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 LHO soll sich das Land an Unternehmen in der Rechtsform des privaten Rechts nur beteiligen, wenn ein wichtiges Interesse des Landes vorliegt und sich der vom Land angestrebte Zweck nicht auf andere Weise besser und wirtschaftlicher erreichen lässt. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall nicht hinreichend dargetan.

Die Landesregierung hat das wichtige Landesinteresse im Sinne des § 65 Abs. 1 LHO weder ausreichend geprüft noch überzeugend begründet. Die gegenüber Landtag und Öffentlichkeit im Dezember 2010 vorgebrachten Argumente für das Landesinteresse erweisen sich entweder als nicht tragfähig oder haben nicht das von der Landeshaushaltsordnung geforderte besondere Gewicht. Eine konkrete Gefahr für die Versorgungssicherheit ist nicht dargelegt worden. Die Argumentation, für kurze Zeit als Anteilseigner einsteigen und die Anteile bald danach veräußern oder an die Börse bringen zu wollen, kann kein Landesinteresse begründen.

3. Defizite bei der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und der Kaufpreisfindung

Nach § 7 LHO ist die Landesregierung verpflichtet, bei einem Anteilserwerb in der Größenordnung von 4,7 Mrd. Euro die Wirtschaftlichkeit sehr sorgfältig zu untersuchen. Dies erfordert ausreichend Zeit für fundierte Beratung und Prüfung aller maßgebenden Sach- und Rechtsfragen. Außerdem sind die Prüfungsergebnisse nachvollziehbar abzuwägen.

Dazu wäre es notwendig gewesen, alle mit vertretbarem Aufwand verfügbaren Informationen über das Unternehmen zu beschaffen und für die an der Entscheidung verantwortlich Beteiligten zu dokumentieren. Das Land hätte sich nachhaltig um eine Due Diligence bemühen müssen.

Für eine Wirtschaftlichkeitsberechnung wäre es darüber hinaus erforderlich gewesen, die mit dem Kauf verbundenen Ertragserwartungen kritisch zu überprüfen. Die schlichte Fortschreibung der in den letzten 5 Jahren gezahlten Dividenden, die Morgan Stanley geliefert haben, genügt diesen Ansprüchen nicht. Vielmehr hätten alle damals erkennbaren Risiken der Unternehmensentwicklung in den Fokus genommen werden müssen. Wesentliche Risiken der künftigen Unternehmensentwicklung der EnBW wurden bei der Entscheidung im Dezember 2010 nicht berücksichtigt oder jedenfalls nicht mit konkreten Risikobewertungen unterlegt.

Für den Erwerb eines Unternehmens durch das Land in einer solchen Größenordnung ergeben sich aus § 7 LHO nach Auffassung des Rechnungshofs hohe Anforderungen, denen das Vorgehen in diesem Fall nicht entsprochen hat. Über das „Ob“ der Kaufentscheidung hätte auf der Basis besserer Informationen (Einblick ins Unternehmen) und eingehender Einschätzung und Bewertung nicht nur der Chancen, sondern auch der Risiken entschieden werden müssen.

Die von Morgan Stanley vorgelegte Fairness Opinion reicht als Grundlage für einen Unternehmenserwerb dieser Größenordnung nicht aus. Denn sie hatte nicht die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit des gesamten Erwerbsgeschäfts zum Gegenstand. Bei der Fairness Opinion handelt es sich nicht um ein Bewertungsgutachten im engeren Sinne, sondern um eine reputations- und informationsgestützte Auskunft. Danach ist der gefundene Preis fair, wenn er innerhalb des ermittelten Korridors unterschiedlicher marktgerichteter Bewertungsmethoden liegt. Für die Einhaltung der Maßgaben des § 7 LHO bietet eine Fairness Opinion allenfalls eine Teilinformation.

4. Angemessenheit des vereinbarten Kaufpreises bleibt offen

Der Rechnungshof trifft keine Aussage darüber, ob der vereinbarte Kaufpreis von 41,50 Euro je Aktie angesichts des Unternehmenswertes der EnBW angemessen oder zu hoch und deshalb möglicherweise mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (§ 7 LHO) nicht zu vereinbaren ist. Dies kann mit den uns zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht valide beurteilt werden. Ausdrücklich offen lässt der Rechnungshof, ob die Frage nach einem angemessenen Kaufpreis, wie sie sich im November/Dezember 2010 stellte, ex post objektiv beantwortet werden kann.

5. Defizite des Verfahrens im Vorfeld des Unternehmenserwerbs

Das von der Landesregierung gewählte Verfahren, das schließlich zum Abschluss des Kaufvertrags führte, war von dem Bemühen geprägt, die Verhandlungen um jeden Preis geheim zu halten und binnen kürzester Frist abzuschließen. Der Rechnungshof kritisiert, dass die Landesregierung Vorgaben für ein rechtlich einwandfreies und wirtschaftlich interessengerechtes Vorgehen diesen selbst gesetzten Zielen untergeordnet hat. Insbesondere der ohne Not geschaffene Zeitdruck hat verhindert, dass ein solch bedeutendes Rechtsgeschäft mit der gebotenen Sorgfalt vorbereitet wurde.

6. Keine rechtzeitige Beteiligung des Finanzministers an den Verhandlungen

Der Ministerpräsident hätte auch den zuständigen Finanzminister rechtzeitig beteiligen müssen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus dem in Art. 49 der Landesverfassung normierten Ressortprinzip und aus § 38 Abs. 3 LHO. Den Finanzminister erst am späten Abend des 05.12.2010 zu unterrichten, genügte den genannten Rechtsnormen nicht.

7. Einschaltung der Erwerbsgesellschaft Neckarpri GmbH

Die Beteiligungsgesellschaft Neckarpri GmbH, die die EnBW-Anteile im Auftrag des Landes erwerben sollte, wurde gegründet und eingesetzt, ohne naheliegende Alternativen geprüft zu haben. Zu untersuchen gewesen wäre, ob die Anteile unmittelbar durch das Land oder durch die bestehende Beteiligungsgesellschaft des Landes hätten erworben werden können.

8. Defizite bei der Beauftragung externer Berater

Die Morgan Stanley Bank AG (Morgan Stanley) wurde im November 2010 ohne haushaltsrechtliche Ermächtigung beauftragt. Im Haushaltsplan 2010 waren für diesen Zweck keine Mittel bereitgestellt. Angesichts der Höhe des Honorars in zweistelliger Millionenhöhe, zu dessen Zahlung sich neben der Neckarpri GmbH auch das Land gegenüber der Investmentbank verpflichtete, wären ein entsprechender Haushaltsansatz oder eine Verpflichtungsermächtigung (z. B. in einem Nachtragshaushalt) erforderlich gewesen. Für Rechtsberatung gibt es zwar Haushaltsmittel, aber im konkreten Fall hätten überplanmäßige Mittel beantragt werden müssen.

Weiterhin ist zweifelhaft, ob die vereinbarte Bemessung des Honorars der Investmentbank (als prozentualer Anteil des Kaufpreises) wirtschaftlich ist. Zumindest hätten Vereinbarungen in Betracht gezogen werden müssen, die nicht zu einem derart massiven objektiven Interesse der Investmentbank am Zustandekommen des Kaufvertrags und an einem hohen Preis geführt hätten (z. B. Honorardeckelung; Aufwandsentschädigung bei Nichtzustandekommen des Vertrags; Kombination von Alternativen).

Nicht nachvollziehbar ist für den Rechnungshof, dass die Prüfung der aufgeworfenen öffentlich-rechtlichen Fragen des Erwerbsgeschäfts (insbesondere der verfassungsrechtlichen Vorfragen) nicht durch die in diesen Fragen erfahrenen Experten der zuständigen Ministerien, sondern durch eine externe Rechtsanwaltskanzlei erfolgte.

9. Inhaltliche Defizite des Kaufvertrags

Die Landesregierung wäre verpflichtet gewesen, beim Abschluss eines Kaufvertrags nicht nur die Höhe des Kaufpreises entsprechend den wirtschaftlichen Interessen des Landes zu vereinbaren. Auch bei der Ausgestaltung des Kaufvertrags gilt es, Regelungen zu vermeiden, die für das Land wirtschaftlich nachteilig sind. Vor diesem Hintergrund kritisiert der Rechnungshof neben der fehlenden Berücksichtigung des Parlamentsvorbehalts die Regelungen des Kaufvertrags für den Fall einer Weiterveräußerung, zur Fälligkeit des Kaufpreises und zu Gewährleistungsansprüchen.

10. Kommunikationsmängel

Das Verfahren litt insgesamt unter Kommunikationsdefiziten, weil der damalige Ministerpräsident nicht hinreichend intensiv und umfassend mit den Rechtsberatern kommunizierte. Deren Informationen sind ihm stattdessen vielfach über den Filter der Investmentbank zugegangen.