Rechnungshof fordert: Europäische Landwirtschaftsförderung vereinfachen
- Beratende Äußerung des Rechnungshofs zu Kontrollsystem und Verwaltungskosten bei EU-Förderverfahren im Landwirtschaftsbereich vorgelegt
- Von der EU vorgeschriebenes Kontrollsystem ist zu aufwendig und zu teuer
- Zusammenarbeit zwischen EU und Verwaltungen der Mitgliedstaaten verbessern
Karlsruhe/Stuttgart: „Der Rechnungshof Baden-Württemberg fordert, dass die EU-Förderungen im Landwirtschaftsbereich wesentlich vereinfacht werden. Dies würde Landwirte und Verwaltung entlasten.“ Dieses Fazit zieht Max Munding, Präsident des Rechnungshofs, anlässlich der Veröffentlichung einer Beratenden Äußerung. „Das von der EU geforderte Kontrollsystem ist unter Berücksichtigung der geringen Fehlerzahl in Baden-Württemberg viel zu aufwendig und absolut unwirtschaftlich“, so Munding weiter.
Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union werden den Mitgliedstaaten europäische Finanzmittel zugewiesen. Diese sind gegenüber der Europäischen Union dafür verantwortlich, dass die Fördermittel entsprechend den europäischen Vorschriften verwendet werden („geteilte Mittelverwaltung“). In Deutschland sind dafür die Länder zuständig. Der Rechnungshof hat für das Jahr 2013 untersucht, mit welchem Aufwand die EU-Fördermittel an die Landwirte ausgezahlt wurden.
Wieviel Geld gab es und wie hoch sind die Verwaltungskosten?
Die Landwirte erhielten in Baden-Württemberg insgesamt 574 Mio. Euro Fördermittel. Davon stammen 495 Mio. Euro aus EU-Fonds. Förderungen aus dem sogenannten Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) werden ausschließlich von der EU gezahlt. Im Bereich des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Ländlichen Raums (ELER) trägt die EU die Hälfte. Hinzukommen Bundesmittel (fast 30 Mio. Euro) sowie Landesmittel (50 Mio. Euro).
Der Rechnungshof hat die Abläufe analysiert und festgestellt, dass im Land und den Kreisen nahezu 800 Bedienstete damit beschäftigt sind, die Verfahren abzuwickeln. Die knapp 76 Mio. Euro Verwaltungskosten entsprechen durchschnittlich 13 Prozent der gesamten Förderung. In einzelnen Förderbereichen fallen bis zu 32 Prozent Verwaltungskosten an.
Was macht es so teuer, europäische Mittel zu verwalten?
Die hohen Kosten sind vor allem durch europäische Vorgaben bedingt. Die EU bestimmt äußerst detailliert, wie die Mitgliedstaaten die Förderung verwalten müssen. Sie hat dazu ein komplexes, mehrstufiges Kontrollsystem entwickelt. Pro Mitgliedstaat wird eine Obergrenze für die Ausgaben festgelegt. Wenn die Anträge der Landwirte fehlerhaft sind, drohen ihnen über die Korrektur des Antrags hinaus weitergehende finanzielle Sanktionen. Die Entscheidungen der Förderbehörden im Land müssen durch eine unabhängige Stelle kontrolliert werden. Wenn die Landesverwaltung Fehler macht, die über einer festgelegten Schwelle liegen, drohen gegebenenfalls hohe Strafzahlungen. Die Vorschriften für die Verwaltung wurden im Laufe der Jahre immer formalisierter, kleinteiliger und strenger. Die EU verschärft ihre Regelungen jeweils für alle Mitgliedstaaten unabhängig davon, wie gut der einzelne Mitgliedstaat gearbeitet hat. Dies führt zu einer Kaskade von Dokumentations-, Kontroll- und Beratungspflichten.
In welchem Verhältnis standen Kontrollen und gefundene Fehler?
Der Verwaltungsaufwand für die von der EU geforderten Kontrollen steht in Baden-Württemberg nach Überzeugung des Rechnungshofs im Missverhältnis zu den dabei gefundenen Fehlern. Insgesamt waren nur 0,6 Prozent der Auszahlungen zu korrigieren. Die Verwaltungskosten für die Kontrollen waren zwanzig Mal so hoch.
In dem gestuften Kontrollsystem werden 80 Prozent aller Fehler bei der Antragsbearbeitung anhand von Verwaltungsdaten, Kataster und Luftbildauswertungen gefunden und korrigiert. Die trotzdem notwendige Vor-Ort-Kontrolle bei 5 Prozent der Anträge betraf mehr als 280.000 Flurstücke. Mit einem Verwaltungsaufwand von 15,9 Mio. Euro wurden dabei in den Förderbescheiden lediglich 200.000 Euro korrigiert. Das sind bezogen auf alle kontrollierten Flurstücke durchschnittlich 85 Cent.
Der vorgeschriebene Mindestumfang der Vor-Ort-Kontrollen ist zu hoch. Dies veranschaulicht nachfolgende Tabelle zu Kosten und Ergebnissen der Kontrollbesuche:
Die zusätzlich noch erforderlichen Stichproben-Kontrollen durch die unabhängige Stelle im Land zeigten nur noch eine Fehlerhäufigkeit zwischen 0,08 und 0,3 Prozent. Trotzdem war in einem Bereich eine Strafzahlung fällig.
Wie kann das Verfahren verbessert werden?
Die Regelungen müssen die Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis stärker berücksichtigen. Dazu sind die Verwaltungen der Mitgliedstaaten und - im föderalen System - die Bundesländer intensiver einzubeziehen, wenn Regelungen erarbeitet werden. Auch wäre es wünschenswert, wenn die EU-Beamten Verwaltungserfahrung vor Ort in den Mitgliedstaaten sammeln könnten.
Der Rechnungshof schlägt vor, das Verfahren folgendermaßen zu vereinfachen:
Das gesamte Verwaltungs- und Kontrollsystem sollte überarbeitet werden. Solange Mitgliedstaaten die finanziellen Fehler unter einer Wesentlichkeitsschwelle halten, sollten die Organisation und die Leitung ihrer Verwaltung ihnen überlassen bleiben. Für Einzelförderungen sollten Verbesserungen eingeführt werden wie zum Beispiel Toleranzgrenzen für Einzelflächen, Kleinbagatellen und Begrenzung der rückwirkenden Überprüfungen. Zusätzlich sollten die Mitgliedstaaten Pauschalierungen festlegen können. Rechnungshofpräsident Munding kommt zu dem Ergebnis: „Genauigkeit darf nicht um ihrer selbst willen verlangt werden, sondern muss angemessen und verhältnismäßig sein.“
Auch das Land sollte noch einzelne Vereinfachungen im bestehenden System umsetzen.
Was soll jetzt passieren?
Für die aktuelle Förderperiode 2014 bis 2020 hat die Europäische Union zusätzliche Kontrollen und Detailvorgaben eingeführt. Die EU sollte einen Systemwechsel einleiten. Agrarkommissar Hogan hat eine umfassende Überprüfung des Systems angekündigt und dafür um Vorschläge gebeten. Die Beratende Äußerung leistet dazu einen Beitrag aus der Prüfungspraxis des Rechnungshofs Baden-Württemberg.