Rechnungshof fordert Ausgabensenkung bei der Prozesskostenhilfe

  • Der Rechnungshof hat eine bundesweite Kostenexplosion verhindert, welche die Länderhaushalte mit jährlich bis zu 540 Mio. € zu belasten drohte
  • Im Jahr 2003 hat das Land insgesamt 57 Mio. €   für Prozesskostenhilfe aufgewendet und war an über der Hälfte aller Ehescheidungen finanziell beteiligt
  • Die Bewilligungspraxis weist Mängel auf, eine intensivere Überprüfung der Bedürftigkeit ist geboten
  • Der Rechnungshof fordert eine stärkere   Kostenbeteiligung der Parteien durch einen Systemwechsel vom Zuschuss- zum Darlehensprinzip

Karlsruhe/Stuttgart. „Unsere Prüfung der Prozesskostenhilfe kam genau zur rechten Zeit, um eine bundesweite Kostenexplosion zu verhindern. Durch ein Versehen bei der Änderung der Zivilprozessordnung zum 01.01.2005 wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Prozesskostenhilfe derart ausgeweitet, dass eine jährliche Mehrbelastung für sämtliche Länderhaushalte von bis zu 540 Mio. € drohte. Der Hinweis des Rechnungshofs auf diese gravierenden Kostenfolgen führte zu einer Gesetzeskorrektur, die zum 01.04.2005 in Kraft trat. Die drohende Kostenexplosion konnte durch die enge Kooperation von Rechnungshof und Justizministerium Baden-Württemberg verhindert werden. Gleichwohl führt der jetzige Rechtsstand im Vergleich zur Rechtslage 2004 zu Mehrausgaben des Landes Baden-Württemberg in Höhe von 3,7 Mio. €. In Anbetracht der angespannten Haushaltslage bleibt die Kostenreduzierung weiterhin das Gebot der Stunde“, so Rechnungshofpräsident Martin Frank und Rechnungshofdirektor Dr. Martin Willke, bei der Vorstellung der Beratenden Äußerung vor der Landespressekonferenz in Stuttgart.

Die Untersuchung der Finanzkontrolleure liefert eine verlässliche Datenbasis, zeigt Schwachstellen bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe im Land auf und macht konkrete Vorschläge zur Ausgabenreduzierung. Es wurden verschiedene Gerichtszweige und Instanzen betrachtet, wobei die Familiensachen bei den Amtsgerichten einen Schwerpunkt der Prüfung bildeten. Nahezu ¾ aller Prozesskostenhilfe-Bewilligungen fallen in diesen Bereich.

Wer die Kosten einer Erfolg versprechenden Prozessführung nicht selbst tragen kann, erhält vom Land Prozesskostenhilfe. Je nach Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Antragstellers gewährt das Gericht Prozesskostenhilfe mit einer Rückzahlungspflicht in Raten oder das Land muss vollständig für die Prozesskosten aufkommen. Die Einkommensgrenzen der Prozesskostenhilfe liegen nach verschiedenen Rechtsänderungen inzwischen deutlich über den Regelsätzen in der Sozialhilfe.

Allein die Ausgaben für beigeordnete Rechtsanwälte als wichtigster Kostenfaktor der Prozesskostenhilfe haben sich in der Ordentlichen Gerichtsbarkeit von 1981 bis 2004 auf 43,5 Mio. € fast verfünffacht. Im Jahr 2003 betrug der Nettoaufwand des Landes Baden-Württemberg für die Prozesskostenhilfe insgesamt 57 Mio. €. Der Löwenanteil entfällt damit auf die Anwaltskosten, weitere Bestandteile sind die Gerichtskosten, sonstige Ausgaben und der Verwaltungsaufwand für die Abwicklung. Die Rückflüsse der Prozesskostenhilfe von rund 11 Mio. € sind hierbei schon gegengerechnet. Etwa 40 Mio. € des Gesamtaufwands von 57 Mio. € entfielen auf Familiensachen vor den Amtsgerichten, wobei in 77 % dieser Bewilligungsfälle keine Rückzahlungspflicht in Raten angeordnet wurde und das Land damit die Kosten ganz zu tragen hatte. In 53 % der Scheidungsverfahren als dem häufigsten Fall in Familiensachen trug das Land mindestens für eine Partei die Gerichts- und Anwaltskosten. Dabei waren nahezu alle Empfänger von Prozesskostenhilfe anwaltlich vertreten. Dagegen leisteten sich nur zwei von drei „Selbstzahlern“ einen Anwalt.

Neben der Kritik an den neuen bundesgesetzlichen Regelungen, die sich für das Land Kosten steigernd auswirken, rügt der Rechnungshof, dass Prozesskostenhilfe von den Gerichten teilweise zu großzügig bewilligt wird. Die Untersuchung zeigte, dass die Richter die Bedürftigkeit der Antragsteller oft unzureichend prüfen. Dies muss aber, so der Rechnungshof, stringenter geschehen, weil dadurch eine deutliche Ausgabensenkung erreicht werden kann. Eine Übertragung dieser Aufgabe auf die Rechtspfleger scheint sinnvoll. Auch weitere Verfahrensschritte, wie die Überprüfung, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Empfänger von Prozesskostenhilfe nachträglich verbessert haben, und die Ausübung des Beschwerderechts durch die Bezirksrevisoren wiesen Mängel auf.

Letztlich fordert der Rechnungshof einen Systemwechsel vom Zuschuss- zum Darlehensprinzip und damit eine stärkere Kostenbeteiligung der Parteien. Er hält eine Beschränkung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Raten auf Sozialhilfeempfänger und vergleichbare Personengruppen für geboten. Parteien mit höherem Einkommen müssten bei Einführung einer Mindestrate die Prozesskostenhilfe zurückzahlen. So könnten zwischen 9 Mio. € und 19 Mio. € jährlich eingespart werden. Alternativ hierzu wären die Einkommensgrenzen in der Prozesskostenhilfe an die Sozialhilferegelsätze anzupassen und der Erwerbsfreibetrag auf den Stand von 2004 abzusenken. Dies würde zu Einsparungen in Höhe von 7 Mio. € pro Jahr führen. Darüber hinaus schlägt der Rechnungshof vor, in Scheidungsverfahren eine gesamtschuldnerische Haftung der Ehegatten für die Prozesskosten beider Parteien einzuführen. So könnten jährlich 6 Mio. € eingespart werden.

Die sehr fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Rechnungshof und dem Justizministerium Baden-Württemberg ist ausdrücklich hervorzuheben: Sie führte zu der notwendigen Reparatur der missglückten Novelle, auch flossen die Prüfungsergebnisse des Rechnungshofs in die Beratungen einer Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz zur Senkung der Prozesskostenhilfe ein. In den 14 Vorschlägen der Arbeitsgruppe finden eine Reihe von Anregungen des Rechnungshofs ihren Niederschlag. Nach Modellrechnungen des Rechnungshofs führen die Vorschläge der Arbeitsgruppe in Baden-Württemberg zu bezifferbaren Einsparungen von jährlich 6,8 Mio. €. Auf der Basis dieser Vorschläge soll nach einem Beschluss der Justizministerkonferenz vom 30.06.2005 im Herbst 2005 ein Gesetzentwurf zur Absenkung des Aufwands für die Prozesskostenhilfe im Bundesrat eingebracht werden.

Das Justizministerium Baden-Württemberg und der Rechnungshof unterstützen die Vorschläge der Arbeitsgruppe. In Anbetracht der prekären Situation der Länderhaushalte hält der Rechnungshof darüber hinaus eine Diskussion seiner weiter gehenden Vorschläge für geboten. Hier sollte ein Ergebnis gefunden werden, das rechtliche, finanzielle und sozialpolitische Aspekte in ein ausgewogenes Verhältnis bringt. Bestärkt sieht sich der Rechnungshof dabei durch die Justizministerkonferenz, die nochmals die Einführung einer Mindestbeteiligung der Parteien prüfen lässt.