Personelle Reserven von bis zu 870 Stellen bei den Gymnasien für die Unterrichtsversorgung nutzbar machen
- Organisation des Lehrkräfteeinsatzes sollte künftig am tatsächlich gehaltenen Unterricht orientiert werden
- Einsatz der Lehrkräfte könnte wirtschaftlicher erfolgen, wenn die Schulleitung über ein geeignetes Instrumentarium für eine effiziente Steuerung des Einsatzes der Personalressourcen verfügen würde
- Arbeitszeiten/Ausfallzeiten durch "elektronisches" Klassenbuch besser steuerbar
- Einführung des Schuljahres-Deputats anstelle wochenbezogener Deputatsstunden und der Test seines Handlings in einem Pilotversuch an einigen Schulen aller Schularten gefordert
Karlsruhe/Stuttgart. Eine personelle Reserve von rechnerisch bis zu 870 Stellen bei den allgemein bildenden Gymnasien hat der Rechnungshof ermittelt. "Mit der Untersuchung sollten Erkenntnisse darüber gewonnen werden, inwieweit die Lehrerdeputate tatsächlich erfüllt werden und in welcher Größenordnung personelle Reserven für die Unterrichterteilung verfügbar gemacht werden können. Ziel war es also nicht, den Unterrichtsausfall aus der Sicht des Schülers zu erheben," betont Martin Frank, der Präsident des Rechnungshofs Baden-Württemberg, bei der Vorstellung der Denkschrift 2002 vor Journalisten in Stuttgart.
Der Rechnungshof hat im Bereich der allgemein bildenden Gymnasien untersucht, ob zwischen dem von den Lehrkräften stundenplanmäßig zu erteilenden Unterricht und dem tatsächlich in einem ganzen Schuljahr erteilten Unterricht eine Differenz besteht und auf welchen Gründen diese beruht. Für die Beurteilung der Effizienz des Lehrkräfteeinsatzes an Schulen wurde nicht von der Soll-Größe des Lehrauftrages, sondern vom Unterrichts-Ist ausgegangen. Hierbei hat die Karlsruhe Behörde festgestellt, dass die von der einzelnen Lehrkraft tatsächlich gehaltenen Unterrichtsstunden bisher weder systematisch noch umfassend dokumentiert sind. Für die Untersuchung wurden daher Klassen- und Kurstagebücher ausgewertet. Diese sind bei allen Schulen die einzigen verfügbaren, grundsätzlich in gleicher Form vorliegenden Unterlagen, aus denen sich die tatsächliche Unterrichtserteilung insgesamt ableiten lässt. Andere von den Schulleitungen geführten Listen und Aufzeichnungen über den Lehrereinsatz ließen nur eine punktuelle Informationsgewinnung zu, da sie nicht überall vorhanden sind und im Übrigen unterschiedlich geführt werden.
Für eine hinreichend aussagekräftige Stichprobe wurden über 1.300 Klassen- und Kurstagebücher von 18 Gymnasien - dies entspricht etwa 5 % der Gymnasien in Baden-Württemberg - ausgewertet. Insgesamt wurden mehr als 64.000 stundenplanmäßig vorgesehene Unterrichtsstunden festgestellt, für die keine Unterrichtserteilung dokumentiert war. In den dargestellten Fällen wird Unterricht vor allem deshalb nicht erteilt, weil die Schüler aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Schule anwesend sind. So müssen z. B. Lehrkräfte in der Klassenstufe 13 nicht das gesamte Schuljahr unterrichten, da der Unterricht für die Abiturienten bereits nach den Pfingstferien endet. Landesweit hochgerechnet ergibt sich für die Gymnasien ein Volumen von rd. 1,46 Mio. Unterrichtsstunden. Das entspricht einem Durchschnitt von 13,2 % des Unterrichts-Solls. Lässt man die wegen Krankheit und Fortbildung nicht gehaltenen Stunden außer Betracht, ergibt sich ein Anteil von 10,6 %.
Bei der Bewertung des nicht erteilten Unterrichts von rd. 1,46 Mio. Stunden ist allerdings zu beachten, dass ein Teil auf Gründen beruht, die zu einer Befreiung von der Pflicht zur planmäßigen Unterrichtserteilung führen. Zu diesen Gründen gehören nicht nur Erkrankung der Lehrkraft und die dienstliche Fortbildung, sondern selbstverständlich auch sonstige dienstliche Beanspruchungen wie Aufsicht bei Prüfungen, Begleitung der Schüler bei Wanderungen, Schullandheimaufenthalten, Betriebserkundungen, Teilnahme an Konferenzen usw. Unterstellt man, dass insgesamt etwa die Hälfte des nicht erteilten Unterrichts nicht dienstlich oder durch Krankheit bedingt ist, entspräche diese einem verfügbaren Personalpotenzial von 870 Vollzeitstellen an den allgemein bildenden Gymnasien.
Um diese personelle Reserve für die Unterrichtsversorgung verfügbar zu machen, hat der Rechnungshof empfohlen, den Schulleitungen ein geeignetes Instrumentarium für eine effiziente Steuerung des Einsatzes der Personalressourcen zur Verfügung zu stellen. So sollte künftig der tatsächlich erteilte Unterricht für jede Lehrkraft erfasst und für jedes Schuljahr ein Abgleich mit der Unterrichtsverpflichtung vorgenommen werden.
Der Rechnungshof hat ferner empfohlen, die persönliche Unterrichtsverpflichtung in Form eines Schuljahres-Deputats statt des bisherigen Wochenstunden-Deputats festzulegen und die Übertragung etwaiger Über- oder Unterschreitungen der Unterrichtsverpflichtung in das nächste (ggf. auch weitere) Schuljahr vorzusehen. Dieses Verfahren sollte in einem Pilotversuch an einigen Schulen aller Schularten getestet werden.
Schließlich hat der Rechnungshof angeregt, Art und Umfang der Führung der Klassen- und Kurstagebücher zu überprüfen mit dem Ziel, den konkreten Nutzen der schon bisher geforderten Eintragungen zu hinterfragen, ggf. den Umfang auf das zwingend Erforderliche zu reduzieren und IuK-Technik einzusetzen. Dabei sollte also auch die Einführung eines "elektronischen" Klassenbuchs überlegt werden.
Mit ihren Empfehlungen wollen die Finanzkontrolleure einen Anstoß dafür geben, den Lehrereinsatz effizienter zu gestalten und die verfügbaren Potenziale für die Unterrichtserteilung zu mobilisieren. Dieses sollte angesichts der schwierigen Haushaltslage des Landes einerseits und dem wichtigen Anliegen einer ausreichenden Unterrichtsversorgung andererseits unter Einbindung aller Beteiligten auch umgesetzt werden.