Öffentliches Statistikwesen muss grundlegend verbessert werden
- Bundesweit könnten das für amtliche Statistiken eingesetzte Personal von rd. 9.000 Mitarbeitern erheblich verringert und mehr als 100 Mio. € jährlich eingespart werden
- Bundesweiter Vergleich der Statistischen Landesämter bringt weitere Rationalisierungsmöglich-keiten: Um über weitere 100 Stellen kann allein das Personal beim Statistischen Landesamt Baden-Württemberg vermindert werden; insgesamt nunmehr 200 Stellen, also rd. 1/3, weniger
- Viele Statistiken überflüssig: Erfassung von Ernteerträgen bei Obstbäumen heute nicht mehr erforderlich
- Abbau von überflüssigen Statistiken führt zu "Schlankem Staat", der Bürger und Wirtschaft finanziell entlastet
Karlsruhe/Stuttgart. Im öffentlichen Statistikwesen sollten Bund und Länder verstärkt nach gemeinsamen Lösungen suchen. Hierdurch könnten die Kosten der staatlichen Statistischen Ämter um mehr als 100 Mio. € gesenkt werden. Allein das Statistische Landesamt Baden-Württemberg könne insgesamt nunmehr über 200 Stellen einsparen. Das Statistikwesen sollte nachhaltig rationalisiert werden. So sollten die Zahl der Statistiken reduziert, ihre elektronische Bearbeitung intensiviert und die Nutzer der Statistiken nach dem Prinzip "Wer bestellt, der bezahlt" an den Kosten beteiligt werden. Zu diesen Ergebnissen kommt der Rechnungshof Baden-Württemberg in einer weiteren Untersuchung, die jetzt dem Landtag als Beratende Äußerung zum Abschluss der zweiten Prüfungsstufe vorgelegt wurde. In einem zweigestuften Verfahren hatte die Karlsruher Kontrollbehörde einerseits die Rationalisierungspotentiale im Statistischen Landesamt geprüft und andererseits zusätzliche Optimierungsmöglichkeiten aufgrund eines bundesweiten Vergleichs ermittelt. Ein solcher Vergleich war dadurch möglich geworden, dass das öffentliche Statistikwesen bundesweit erstmals zusammen mit anderen Rechnungshöfen des Bundes und der Länder abgestimmt geprüft worden war.
Das öffentliche Statistikwesen muss nach Auffassung der Rechnungshöfe grundlegend verbessert werden. Bundesweit könnten über 100 Mio. € eingespart werden, wenn gemeinsame Empfehlungen der Finanzkontrolleure von Bund und Ländern umgesetzt werden. Das aufgezeigte Einsparpotential ist allerdings nur erreichbar, wenn der Bund und die Länder gemeinsam Lösungen erarbeiten. So sollten nach Auffassung der Rechnungshöfe die statistischen Aufgaben in größeren Einheiten, also bei weniger Ämtern gebündelt werden. Dies würde den Steuerzahler am deutlichsten entlasten.
Eine arbeitsteilige Kooperation zwischen den einzelnen Ämtern wäre zunächst ein Schritt in die richtige Richtung. So sollten beispielsweise die IuK-Aktivitäten wesentlich stärker als bisher länderübergreifend abgestimmt und in länderübergreifendem Kompetenzzentren zusammengeführt werden. Derzeit arbeiten für die amtliche Statistik 17 Softwareentwicklungsstellen und 16 Produktionsrechenzentren. Diese Strukturen führen zu Reibungsverlusten und erheblichem Mehraufwand.
Besondere Potenziale zur Verbesserung des öffentlichen Statistikwesens stellten die Rechnungshöfe bei den recht unterschiedlichen Arbeitsabläufen der statistischen Ämter fest. So weichen in den Statistischen Landesämtern die Ausgestaltung der Abläufe und der Personaleinsatz z. T. erheblich voneinander ab, obwohl für alle Bundesländer im Wesentlichen einheitliche Rechtsgrundlagen mit exakten Bestimmungen zu den statistischen Erhebungsmerkmalen bestehen. Auf Grund eines Vergleichs der Kosten- und Leistungswerte (sog. Benchmarking), die die einzelnen Statistischen Landesämter bei der Erstellung bestimmter Statistiken aufweisen, konnten die Finanzkontrolleure deutliche Unterschiede im Arbeitsaufwand ausfindig machen. Auch weisen größere Ämter aus Synergien günstige Kosten je Statistik aus. Diese Effekte haben letztlich zur Folge, dass Nordrhein-Westfalen 2,64 €, kleinere Länder hingegen bis zu 6,54 € je Einwohner für Statistik ausgeben. Das Zahlenwerk zeigt es also deutlich: Größere Strukturen nützen dem Steuerzahler. Aufgrund dieser Unter-suchungsergebnisse plädieren die Finanzkontrolleure an die Statistischen Ämter, das Benchmarking aufzugreifen und in einem dynamischen Veränderungsprozess vom „Besten zu lernen“.
Mit erheblichen Einsparungen rechnen die Rechnungshöfe auch, wenn die Statistischen Ämter ihre Geschäftsprozesse weiter automatisieren würden. So könnten diese von der Erhebung bis zur Auswertung der Statistiken nahezu vollständig automatisiert ablaufen, wenn die Erhebungsdaten in elektronischer Form zur Verfügung stünden. Nach den Empfehlungen der Rechnungshöfe sollten deshalb soweit wie möglich die Auskunftspflichtigen zu einer elektronischen Datenanlieferung gebracht werden. Hierdurch werden sog. Medienbrüche vermieden. Somit kann die manuelle Dateneingabe mit der Folge reduziert werden, dass das bisher hierfür notwendige Personal freisetzbar wird.
Beim Statistischen Landesamt Baden-Württemberg könnten nach der Untersuchung des Rechnungshofs Baden-Württemberg insgesamt rd. 200 Stellen eingespart werden, wenn die bundesweit ermittelten Ergebnisse auf das Amt vollständig übertragen würden. Deutliche Kritik übten die Finanzkontrolleure auch an der Vielzahl von Statistiken, die das Amt durchführen muss.
Bei mancher Statistik hat der Rechnungshof Zweifel, ob sie auch heute noch notwendig ist und sinnvoll genutzt wird. Der "Schlanke Staat" könnte im Statistikwesen durch einen nachhaltigen Abbau von überflüssigen Statistiken erreicht werden. Bürger und Wirtschaft könnten nach Einschätzung der Finanzkontrolleure durch einen solchen Abbau erheblich finanziell entlastet und von "Frondiensten" für die amtliche Statistik befreit werden.
Wenig Verständnis haben die Finanzkontrolleure beispielsweise dafür, dass Metzgereien wie zu Notzeiten immer noch regelmäßig melden müssen, wieviele Kochwürste, wie viele Brühwürste und wie viele Lebern, zubereitet oder haltbar gemacht, sie für ihre Kundschaft bereit halten.
Kritisch betrachtet der Rechnungshof auch die 45 statistischen Erhebungen, die allein für die Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei durchgeführt werden. Für sie muss das Land jährlich rd. 4,3 Mio. € aufwenden. Nach Einschätzung des Rechnungshofs sind diese Statistiken vielfach nur wenig aussagefähig und überwiegend historisch bedingt. Sie dienten früher zur Planung der Ernährungssicherung.
So betrachten die Finanzkontrolleure die Statisitik zur Ernteermittlung im Streuobst- und Marktobstanbau als nicht mehr zeitgemäß. Danach haben 657 als sog. „Erntemesser“ eingesetzte Personen den voraussichtlichen Ertrag von 1.752 Bäumen zu erfassen. Durchschnittlich entfallen auf jeden Erntemesser 2,57 Bäume, die in einem Abstand von 10 Kilometer voneinander stehen. Pro Baum wird eine Entschädigung von rd. 19 € ausbezahlt. Für den Marktobstanbau werden 807 Apfelintensivanlagen statistisch ausgewertet. In Baden-Württemberg sind allein für diese Statistik im Jahr 2000 Herstellkosten in Höhe von rd. 115.000 € angefallen. Die Herstellkosten dieser landwirtschaftlichen Statistik stehen damit in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zum angestrebten Nutzen.
Die Aufgaben für die Bundesstatistiken sind im Wesentlichen auf das Statistische Bundesamt in Wiesbaden und die 16 Statistischen Landesämter aufgeteilt. Die Landesämter erheben nach gemeinsamen Festlegungen die Daten für das jeweilige Land und geben sie in aufbereiteter Form an das Statistische Bundesamt weiter. Das Statistische Bundesamt bereitet die angelieferten Daten auf und veröffentlicht sie. Die Landesämter werten die Statistiken ebenfalls aus und veröffentlichen sie auf Landesebene häufig nach einer regionalen Gliederung (z. B. auf Kreis- und Gemeindeebene).
Für die Statistikaufgaben kommen beim Statistischen Bundesamt rd. 2.700 und bei den Landesämtern rd. 6.300 Stellen zum Einsatz. Die jährlichen Gesamtkosten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Personal- und Sachkosten) liegen bei mehr als 500 Mio. €. Allein das Statistische Landesamt Baden-Württemberg verfügte im Jahr 2000 über 689 Personalstellen. Seine Ausgaben beliefen sich auf rd. 31,4 Mio. €.
Der Rechnungshof Baden-Württemberg hat das Statistische Landesamt Baden-Württemberg erstmals nach einem Konzept geprüft, das zuvor gemeinsam mit anderen Rechnungshöfen des Bundes und der Länder entwickelt worden war. Ein solches Vorgehen war von der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder angeregt worden. Der Bundesrechnungshof sowie die Rechnungshöfe von elf Ländern haben sich entsprechend dem gemeinsam entwickelten Konzept mit unterschiedlichen Schwerpunkten an der Prüfung beteiligt.
Ein bundesweiter Vergleich bringt als zweite Prüfungsstufe nach Auffassung der Karlsruher Kontrollbehörde zusätzliche Möglichkeiten an Rationalisierungen mit weiteren erheblichen Stelleneinsparungen beim Statistischen Landesamt. Über die Ergebnisse der ersten Stufe seiner Prüfung vor Ort beim Statistischen Landesamt Baden-Württemberg hatte der Rechnungshof bereits in der Denkschrift 2002 (Beitrag Nr. 13 und 14) berichtet. Dem Landtag und der Regierung sollte damit die Möglichkeit gegeben werden, Konsequenzen daraus zeitnah zu ziehen. So hat der Finanzausschuss des Landtags von Baden-Württemberg die erste Forderung des Rechnungshofs aufgegriffen, die Stellen des Statistischen Landesamtes um 15 % zu verringern. In seiner Sitzung vom 21.11.2002 hat der Ausschuss dem Statistischen Landesamt Baden-Württemberg aufgegeben,
- seinen Personalbestand im mittleren Dienst um 105 Stellen zu reduzieren,
- entsprechende Einsparungen im gehobenen und höheren Dienst zu erbringen,
- den Aufbau der Fachabteilungen zu straffen,
- den Statistikerstellungsprozess mit Hilfe von Controlling-Kennzahlen wirksamer zu steuern und
- die Effizienz der Datenverarbeitung, insbesondere der Softwareentwicklung, zu erhöhen.
In der nunmehr zum Abschluss der zweiten Stufe seiner Prüfung vorgelegten Beratenden Äußerung rechnet der Rechnungshof vor, dass das Statistische Landesamt auf weitere 15 % seines Personals verzichten kann, ohne die Serviceleistungen gegenüber seinen Kunden einzuschränken. Hierzu sei es notwendig, dass das Amt die veralteten DV-Verfahren modernisiert und für durchgehende Datenflüsse zwischen den Bürgern und der Wirtschaft einerseits und den Statistikern andererseits sorgt. Die Finanzkontrolleure erwarten, dass das Finanzministerium und das Statistische Landesamt mit Nachdruck hieran arbeiten und die anderen Ministerien mitziehen, denn auch diese müssen ihre DV-Abläufe z.T. anpassen. Darüber hinaus halten sie es für erforderlich, dass das Land aktiv an den Bestrebungen auf Bundesebene mitwirkt, das öffentliche Statistikwesen weiter zu optimieren und gleichzeitig zu rationalisieren.