„Jahrhundertreform“ durch Neue Steuerungsinstrumente (NSI) entfaltet bisher wenig Wirkung

  • Keine Refinanzierung der bis Ende 2005 angefallenen Einführungskosten in Höhe von 220 Mio. €
  • Rechnungshof: NSI nur in ausgewählten Bereichen und in optimierter Form fortführen
  • Allein das Haushaltsmanagementsystem und die Anlagenbuchhaltung haben sich bewährt; die dezentrale Budgetierung ist weiter auszubauen

Karlsruhe/Stuttgart: Der Rechnungshof hat heute (29.03.2007) dem Landtag und der Landesregierung seine Beratende Äußerung zur Wirtschaftlichkeit des Projekts NSI in der Landesverwaltung vorgelegt. Darin unterrichtet er die politischen Entscheidungsträger über die Defizite des millionenschweren Projekts NSI, das mit Instrumentarien aus der freien Wirtschaft die Landesverwaltung wirtschaftlicher und effizienter gestalten sollte. Die bis Ende 2005 angefallenen Projektkosten für die flächendeckende Einführung der NSI in Höhe von 220 Mio. € haben sich bisher nicht annähernd amortisiert. Bislang ist es nicht einmal gelungen die laufenden Betriebskosten von 30 Mio. € jährlich mit entsprechenden Einsparungen gegen zu finanzieren. Der Rechnungshof plädiert daher für eine pragmatische Neuausrichtung der NSI. Nur dadurch lassen sich die bereits aufgewendeten Mittel noch sinnvoll nutzen.

Die NSI wurden ab dem Jahr 1999 mit dem Ziel eingeführt, die Leistungen der Landesverwaltung besser und kostengünstiger zu erbringen. Kernelemente der NSI sind das automatisierte Haushaltsmanagementsystem mit der dezentralen Budgetverantwortung, die Kosten- und Leistungsrechnung, die kostenträgerbezogene Zeit- und Mengenerfassung, die Anlagenbuchhaltung, das Controlling sowie das Führungsinformationssystem. Der Rechnungshof Baden-Württemberg prüfte nun, ob das Projekt NSI seine Ziele, Verwaltungsleistung sowohl effektiver als auch effizienter zu gestalten, erreicht hat. Hierzu wurde untersucht, ob durch die NSI fundiertere Informationen für die Verwaltung bereitgestellt und genutzt werden, um deren Leistungen besser und kostengünstiger erbringen zu können. Außerdem wurde der Frage nachgegangen, ob auf Basis der NSI eine stärker ziel- und ergebnisorientierte Planung und Steuerung in der Verwaltung möglich ist. Zwei Fragebogenaktionen lieferten Antworten auf diese Fragen. In einem Fragebogen wurden die Aufgaben der rund 400 Controller des Landes analysiert, der andere, mit dem Finanz- und dem Innenministerium abgestimmte Fragebogen erbat bei allen Abteilungen der Ministerien, der Regierungspräsidien und der Oberfinanzdirektion sowie bei rund 200 sonstigen Behörden und Dienststellen des Landes deren detaillierte Einschätzung zur Wirksamkeit der NSI. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Die NSI haben keines ihrer Ziele umfassend erreicht. Obwohl sie inzwischen weitgehend eingeführt sind, haben sie abgesehen vom Haushaltsmanagementsystem bisher kaum positive Wirkungen in Bezug auf die Effizienz und die Effektivität der Landesverwaltung entfaltet. Positive Erfahrungen konnte man lediglich im Ressort Justiz machen, das allerdings auch einen Sonderweg einschlug und die NSI seinen Bedürfnissen anpasste. Damit gelang - verbunden mit einer hohen Akzeptanz bei den Mitarbeitern - die Steuerung des Personaleinsatzes und der Aufgabenerledigung. In allen anderen Bereichen blieben die Erfolge weit hinter den Erwartungen zurück.

So konnte bislang weder der Einführungsaufwand für die NSI, der sich bis Ende 2005 auf insgesamt rund 220 Mio. € belief, refinanziert werden noch sind die Kosten des laufenden Betriebs von rund 30 Mio. € je Jahr gedeckt. In diesen Betriebskosten sind 17 Mio. € allein für den Betrieb der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) enthalten. Dabei entfallen auf das für die Zeiterfassung verwendete Programm, das von den Mitarbeitern als nicht ergonomisch empfunden und daher kaum akzeptiert wird, 1,8 Mio. € im Jahr. Zu den laufenden Betriebskosten gehören auch die Ausgaben für externe Dauerberater in Höhe von 5 Mio. € jährlich. Obwohl deren Beratungstätigkeit deutlich geringer als geplant ausfällt, wurde deren Honorar bislang nicht angepasst.

Nach Berechnungen externer Gutachter im Vorfeld des Projekts sollte sich dieser finanzielle Aufwand in wenigen Jahren amortisieren. Bisher stehen dem Einführungsaufwand jedoch keine nennenswerten Einsparungen an Personal- und Sachkosten gegenüber. Für die Einführung der NSI mussten vorübergehend sogar 257 Stellen neu geschaffen werden. Nach den Erhebungen des Rechnungshofs können durch NSI derzeit rund 51 Stellen, das heißt, jährliche Personalkosten von rund 2 Mio. €, eingespart werden. Auf dieser Grundlage ist eine Amortisation der Projektkosten nicht erreichbar. Eine teilweise Finanzierung der Projektkosten erfolgt nun aus dem allgemeinen Stellenabbauprogramm des Landes. Diese Einsparungen, die sich u. a. aus der Einführung der 41-Stunden-Woche für Landesbeamte ergeben, können dadurch nicht wie vorgesehen und erforderlich zur Entlastung des Landeshaushalts und zur Reduzierung der Schuldenlast eingesetzt werden.

Neben der mangelnden Effizienz der NSI ist aber auch die fehlende Effektivität zu beklagen. Die aus der Kosten- und Leistungsrechnung gewonnen Daten werden für eine bessere Steuerung der Verwaltung bisher kaum genutzt. Ein Ziel führendes Berichtswesen ist nur in Ansätzen erkennbar. Auch das mit hohem Aufwand betriebene Controlling, das allein Personalkosten von 15 Mio. € jährlich verursacht, zeigt noch wenig Wirkungen. Nach eigenen Angaben fehlt es den Controllern im Land an eindeutigen Vorgaben der Entscheidungsträger und ausreichender Unterstützung, um zu einer erfolgreichen Steuerung beizutragen.

Für die bisherige Wirkungslosigkeit der NSI nennt der Rechnungshof zahlreiche Gründe: Als grundsätzliches Problem, auf welches der Rechnungshof auch bereits zu Beginn des Projektes hinwies, sieht er die flächendeckende und gleichzeitige Einführung der NSI in 1.200 Dienststellen mit mehr als 110.000 Mitarbeitern an. Bei diesem Ansatz wurden die unterschiedlichen Anforderungen an Informationen und der unterschiedliche Steuerungsbedarf der Dienststellen vor Ort völlig außer Acht gelassen. Andererseits wurden wesentliche Elemente der NSI, wie beispielsweise die dezentrale Budgetierung, nur zögerlich und unzureichend eingeführt. Als kontraproduktiv im Hinblick auf die NSI erwies sich auch die - in sich durchaus schlüssig begründete - Verwaltungsstrukturreform, die durch die Übertragung von zahlreichen Aufgaben an Städte und Landkreise eine Gesamtsteuerung staatlicher Aufgaben durch das Land unmöglich machte. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Mitarbeiter die NSI, insbesondere die kostenträgerorientierte Zeit- und Mengenerfassung und das Controlling, nicht akzeptieren. Dies mag zum einen daran liegen, dass die Vorteile einer „konzernorientierten“ Gesamtsteuerung nicht ersichtlich sind, zum anderen ist bislang nicht erkennbar, dass die Zeiterfassung sich in nachvollziehbaren Führungsentscheidungen niederschlagen würde. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Mitarbeiterschulungen nach Ansicht des Rechnungshofs an den Bedürfnissen der Landesverwaltung vorbei gingen. Der bisher geringe Erfolg der NSI lässt sich auch darauf zurückführen, dass ihre Umsetzung in vielen Bereichen nicht als Führungsaufgabe verstanden wurde und sie daher eher zurückhaltend gefördert wurden. Eine Hauptursache hierfür dürfte in dem Umstand liegen, dass die erhobenen Daten und Informationen am jeweiligen Bedarf der Führungskräfte vorbei gehen. Eine gewisse Rolle spielte insoweit aber sicher auch eine zu geringe Veränderungsbereitschaft in der Verwaltung, die mit manchmal übertriebener Skepsis gegenüber Neuerungen einhergeht.

Nach diesen Ergebnissen hält der Rechnungshof eine unveränderte Weiterführung des Projektes NSI für nicht vertretbar. In der Praxis bewähren konnte sich bislang lediglich das Haushaltsmanagementsystem und die Anlagenbuchhaltung. Vorteilhaft ist nach Ansicht der Finanzkontrolleure auch die dezentrale Budgetierung, die allerdings noch konsequent ausgebaut werden müsste. Im Hinblick auf die nötige Personalausgabenbudgetierung harren aus der Sicht des Rechnungshofs allerdings noch entscheidende strukturelle Fragestellungen schlüssiger Antworten. Auf der Basis dieser drei genannten Elemente könnte das Projekt nach Einschätzung der Karlsruher Kontrollbehörde in modifizierter Form fortgeführt werden. Dabei favorisiert der Rechnungshof eine teilweise abgespeckte Version. Eine umfassende Fortführung des Projektes solle nur noch in den Ressorts Innen, Justiz und Finanzen stattfinden. In diesen Bereichen gibt es auch nach der Verwaltungsstrukturreform noch Verwaltungszweige mit einer durchgängigen Behördenstruktur. Dringend geboten sei aber auch an diesen Stellen eine Optimierung der Kosten- und Leistungsrechnung und des Controllings. Bei den Regierungspräsidien müsse das Kennzahlensystem ggf. auf reduzierter Basis vereinheitlicht werden, sodass Benchmarkingprozesse möglich würden. In den übrigen Ressorts biete sich lediglich eine reduzierte Fortführung im Bereich der Querschnittsaufgaben und geeigneter Fachaufgaben an. Dabei sollten die Kosten- und Leistungsrechnung, das Controlling und das Führungsinformationssystem auf die jeweiligen Anforderungen zugeschnitten und weiterentwickelt werden. Ergänzend oder alternativ hierzu könnten die NSI auf freiwilliger Basis in Dienststellen und Einrichtungen mit betriebswirtschaftlichen Strukturen bzw. geeigneten Aufgabenfeldern in einem jeweils angemessenen Umfang weitergeführt werden. Der Einsatz der Instrumente sollte insgesamt konsequenter, koordinierter und stringenter erfolgen. Ein erneuter und besserer Abgleich zwischen Informationsbedarf der Führung einerseits und der Bereitstellung von Informationen andererseits sei geboten. In jedem Fall sei es aber unerlässlich, dass sich zumindest die Kosten des laufenden Betriebs in Bälde durch konkrete Einsparungen und Personalabbau refinanzieren lassen. Auf Dauer sollte auch eine Refinanzierung der Projektkosten angestrebt werden.

Flexibilität hält der Rechnungshof im Hinblick auf die Erfassung der Arbeitszeit der Mitarbeiter für geboten. Die durchgängigen, ständigen Aufschriebe könnten dort verzichtbar sein, wo Typisierungen, Schätzungen und Pensen zu nicht weniger genauen Ergebnissen führen und am Ende den gleichen Zweck mit weniger Aufwand erfüllen.

Die Kritik des Rechnungshofs wird an vielen Stellen vom Finanzministerium nicht geteilt. Es zweifelt bereits die angewandte Analysemethode an, da die Untersuchung von einem regulären Einsatz aller Instrumente ausging, der aber zum Untersuchungszeitpunkt noch nicht gegeben war. Auch könne es die Kritik an der Einführungsstrategie nicht nachvollziehen, da die Kosten- und Leistungsrechnung nicht gleichzeitig in allen Behörden eingeführt worden sei. Das Finanzministerium habe stets größten Wert auf ein ausgewogenes Aufwand-Nutzen-Verhältnis gelegt und könne daher ein wirtschaftliches Missverhältnis nicht erkennen. Nach Auffassung des Finanzministeriums wird es auch in Zukunft nicht feststellbar sein, worauf Stelleneinsparungen konkret zurück zu führen sind, sodass weiterhin die pauschale Vorgabe, Stellen einzusparen genügen muss. Auch nach der Verwaltungsstrukturreform sei eine fachliche Steuerung der unteren Verwaltungsbehörden durch NSI möglich, sodass sich diese auf keinen Fall negativ ausgewirkt hätte. Das Führungsinformationssystem sei inzwischen im Einsatz. Das Finanzministerium werde aber bei seinen Überlegungen zur konzeptionellen Neufassung der NSI die Anregungen des Rechnungshofs berücksichtigen.

Der Rechnungshof unterstützt nach wie vor die Bemühungen der Landesregierung, die Leistungen der Landesverwaltung mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten effektiver und effizienter zu gestalten. Statt kritikloser Übernahme modernistisch formulierter Beraterklischees sei aber handfestes, solides Ermitteln des tatsächlichen Bedarfs an Steuerungskennzahlen angesagt. Mehr denn je sollten hierbei auch die Unterschiede zur freien Wirtschaft berücksichtigt werden. Das Rechtsstaatsprinzip, das Ressortprinzip und das öffentliche Dienstrecht erschweren eine konzernähnliche Steuerung der Verwaltung. Im Übrigen müsse man zur Kenntnis nehmen, dass die Marktmechanismen, die in der freien Wirtschaft als entscheidender Katalysator wirken, in weiten Teilen der Verwaltung nicht vorhanden seien und bei gegebener Rechtslage auch nicht vorhanden sein können, sodass bessere Kennzahlensysteme und Finanzzahlen von vornherein nur begrenzt Wirkung entfalten würden.