Sonderpädagogische Bildungs-und Beratungszentren mit dem Förderschwerpunkt Lernen
Das Bildungssystem im Bereich des Sonder- bzw. Förderschulwesens in Baden-Württemberg wurde 2015 grundlegend umgestaltet. Seitdem ist die Sonderschulpflicht für behinderte Kinder und Jugendliche entfallen. Das Wahlrecht der Erziehungsberechtigten über die Form der Beschulung sowie die Inklusion als Aufgabe aller Schulen wurden wesentliche Eckpfeiler der neuen Regelungen. Die bisherigen Sonder-/Förderschulen wurden in Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren umgewandelt. Der Rechnungshof untersuchte 2019 hierzu den Förderschwerpunkt „Lernen“ mit Blick auf folgende Aspekte:
1. Die sonderpädagogische Diagnostik, die bisher in einem zeitaufwendigen Verfahren mit vielen Dokumentationen stattfand, könnte durch stärkere Nutzung eines vereinfachten Verfahrens künftig Lehrkräfteressourcen für Unterricht und andere sonderpädagogische Aufgaben freisetzen.
2. Das Verfahren zur Lehrkräftebemessung wurde seit dem Schuljahr 2004/05 angewendet und war nicht mehr zeitgemäß.
3. Aufgrund der steigenden Schülerzahlen im Förderschwerpunkt Lernen leitete das Kultusministerium ein Monitoring-Verfahren auf Schulamtsebene ein. Während Untersuchung des Rechnungshofs veranlasste das Ministerium, dass die Regierungspräsidien für Ihren Bereich die Erkenntnisse und Maßnahmen dieses Verfahrens an das Ministerium berichten.
4. Ein einheitliches IT-gestütztes Qualitätsmanagement mit Steuerungskennzahlen existierte nicht. Das Ministerium setzte auf eine einzelfallbezogene individuelle Lern- und Entwicklungsbegleitung. Vorhandene IT-Instrumente wurden nicht flächendeckend eingesetzt.
5. Das Schulgesetz forderte bei zieldifferent zu beschulenden Schülerinnen und Schülern, dass inklusive Bildungsangebote gruppenbezogen zu organisieren sind. Dies war in der Primarstufe nur zu rund einem Drittel und in der Sekundarstufe zur Hälfte realisiert.
Parlamentarische Behandlung
Der Landtag hat die Landesregierung gebeten, bei der sonderpädagogischen Bildung im Förderschwerpunkt Lernen
1. für die Feststellung des Anspruches auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot
a) die Möglichkeiten des vereinfachten Verfahrens konsequent zu nutzen und zu dokumentieren, wie sich der Anteil von vereinfachten Verfahren in den Feststellungsverfahren insgesamt zahlenmäßig entwickelt;
b) für den Fall, dass es zu keiner erheblichen Erhöhung des Anteils der vereinfachten Verfahren kommt, die Zentralisierung der sonderpädagogischen Diagnostik in einem Schulamtsbezirk pilotweise zu erproben und zu evaluieren bzw. zu prüfen, welche Maßnahmen erforderlich sind, um eine Reduktion des Ressourcenaufwands im Bereich der Feststellungsverfahren zu erreichen;
2. den Organisationserlass mit Blick auf eine Ressourcenberechnung im Förderschwerpunkt Lernen zu überarbeiten, welche die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot in diesem Förderschwerpunkt berücksichtigt;
3. das Monitoring-Verfahren wie geplant flächendeckend durchzuführen und die Wirkung der vereinbarten schulamtsbezogenen Steuerungsmaßnahmen zu überprüfen;
4. im Rahmen der Entwicklung von IT-gestützten Datenblättern Indikatoren in Bezug auf die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren und die inklusiven Bildungsangebote aufzunehmen und zu prüfen, inwieweit das IT-Verfahren Sonderpädagogische Fallarbeit zu einer elektronischen und datenschutzkonformen Schülerakte weiterentwickelt werden kann;
5. die im Schulgesetz als Grundsatz festgelegten Gruppenlösungen bei inklusiver, zieldifferenter Beschulung bei der Einrichtung von neuen inklusiven Bildungsangeboten umzusetzen.
Reaktion der Landesregierung
Die Landesregierung hat Folgendes berichtet:
Zu Ziffer 1. a):
Im Förderschwerpunkt Lernen lägen im Unterschied zu den übrigen Förderschwerpunkten keine vergleichbaren gutachterlichen Stellungnahmen vor. Für die Durchführung des vereinfachten Verfahrens stünden deshalb häufig nur die pädagogischen Berichte der Kindertagesstätten und der allgemeinen Schulen, jedoch nicht die erforderlichen Beiträge von sonderpädagogischen Lehrkräften zur Verfügung. Voraussetzung für ein vereinfachtes Verfahren müsse aber sein, dass die Entscheidungsgrundlagen zweifelsfrei eine Bewertung des Entwicklungsstandes des Kindes zulassen und daraus ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot begründet werden könne. Eine grundsätzliche Ausweitung des vereinfachten Verfahrens auf den Förderschwerpunkt Lernen sei deshalb aus Sicht des Kultusministeriums nicht möglich.
Zu Ziffer 1. b):
Die Organisation der sonderpädagogischen Gutachtenerstellung rein über Diagnose-Teams führe zu keinen Ressourceneinsparungen. Die Zentralisierung der Aufgabe führe an anderen Stellen zu enormen zeitlichen Belastungen (u.a. Schulorganisation, weite Anfahrtswege, häufige Besprechungen etc.).
Zu Ziffer 2:
Dem Auftrag des Rechnungshofes folgend werde ein neues Zuweisungsmodell für die SBBZ mit Förderschwerpunkt Lernen entwickelt, das explizit die Zahl der Schülerinnen und Schüler an einem SBBZ mit dem Förderschwerpunkt Lernen berücksichtige. Derzeit sei dieses Modell in der Abstimmung. Geplant sei die Einführung zum Schuljahr 2023/2024.
Zu Ziffer 3:
Das Monitoringverfahren werde seit dem Schuljahr 2020/2021 flächendeckend durchgeführt. Im Rahmen der datengestützten Qualitätsentwicklung würden zentrale Daten zukünftig erfasst und in einem schulbezogenen Datenblatt abgebildet (vgl. Ziffer 4.).
Zu Ziffer 4:
Mit der Entwicklung des sog. „schulbezogenen Datenblatts“ arbeite das Institut für Bildungsanalysen BW (IBBW) daran, ein zentrales Instrument für die datengestützte Qualitätsentwicklung sowohl für die einzelnen Schulen als auch für die Schulaufsicht bereitzustellen. Das Datenblatt solle in hochkomprimierter Form und als Gesamtüberblick qualitätsrelevante Daten auf Einzelschulebene darstellen und gleichzeitig auch einen Blick auf die Verhältnisse auf Ebene des Staatlichen Schulamtes zulassen. Eine Einführung sei nach aktuellem Stand zum Schuljahr 2023/2024 geplant.
Das Tool Sonderpädagogische Fallarbeit (SpFa) werde mittlerweile landesweit genutzt und stetig weiterentwickelt. Als nächster Entwicklungsschritt sei geplant zu prüfen, ob das Tool SpFa in die E-Akte des Landes integriert werden könne und welche Anpassungen hierfür vorzunehmen seien.
Zu Ziffer 5:
Von rund 1.050 Schulstandorten mit inklusiven Bildungsangeboten in Baden-Württemberg würden lediglich an 181 Standorten nur ein oder zwei Schülerinnen und Schüler zieldifferent inklusiv unterrichtet. Bei einem überwiegenden Teil dieser Standorte handele es sich um kleinere Schulen im ländlichen Raum. Die Planungsprozesse der Staatlichen Schulämter seien auch weiterhin stringent darauf ausgerichtet, zieldifferente inklusive Bildungsangebote - dort wo irgendwie möglich - gruppenbezogen zu organisieren.
Parlamentarische Erledigung
Der Landtag hat den Bericht der Landesregierung zur Kenntnis genommen und das parlamentarische Verfahren am 10.11.2022 beendet.
Bewertung Zielerreichung
Das Kultusministerium folgt im Wesentlichen den Empfehlungen des Rechnungshofs. Mit der Entwicklung eines neuen Zuweisungsmodells, das die Anzahl der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, der flächendeckenden Durchführung des Monitoring-Verfahrens, der Entwicklung eines „schulbezogenen Datenblatts“ sowie der Weiterentwicklung des Tools Sonderpädagogische Fallarbeit (SpFa) hat es wichtige Empfehlungen des Denkschriftbeitrages aufgegriffen.