Die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens bei der Besteuerung natürlicher Personen (Beitrag Nr. 20)

Das Halbeinkünfteverfahren wurde von den Finanzämtern vielfach unzutreffend angewendet. Allein durch zu Unrecht anerkannte Spekulationsverluste in Höhe von mehr als 60 Mio. € entstehen Steuermindereinnahmen in Millionenhöhe.

1 Vorbemerkung

Mit der Einführung des sog. Halbeinkünfteverfahrens wurde insbesondere die Besteuerung von laufenden Erträgen und Veräußerungserlösen im Zusammenhang mit Aktien durchgreifend geändert. In der Folge waren Steuererklärungsvordrucke und DV-Systeme anzupassen sowie die Bediensteten der Finanzämter im neuen Recht umfassend zu schulen. Die komplizierte Neuregelung ist in einer Vielzahl von Steuerfällen und auf Besteuerungsgrundlagen mit Beträgen in Milliardenhöhe anzuwenden. Daher hat die Finanzkontrolle die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens landesweit untersucht.

2 Ausgangslage

2.1 Rechtslage und Begriffsbestimmungen

Bei Dividenden wird nach neuer Rechtslage die von der Gesellschaft bereits bezahlte Körperschaftsteuer nicht mehr auf die Einkommensteuer des Gesellschafters angerechnet. Zum Ausgleich der damit geschaffenen Doppelbelastung hat der Gesetzgeber die Hälfte der Dividenden von der Einkommensteuer befreit (§ 3 Nr. 40 Einkommensteuergesetz) und den Abzug von damit in Zusammenhang stehenden Ausgaben auf die Hälfte begrenzt (§ 3c Abs. 2 Einkommensteuergesetz). Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ergeben sich dadurch beim Gesellschafter per saldo lediglich halb so hohe steuerpflichtige Einkünfte. Die Berechnungsmethode wird daher als Halbeinkünfteverfahren bezeichnet.

Der Geltungsbereich des Halbeinkünfteverfahrens erstreckt sich nicht nur auf Dividenden, sondern z. B. auch auf Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 23 Einkommensteuergesetz) mit Aktien. Letztere werden nachfolgend vereinfacht als Einkünfte aus Spekulationsgeschäften bezeichnet. Für die erstmalige Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens ist nach inländischen und ausländischen Aktien zu unterscheiden: Bei ausländischen Aktien unterliegen Dividenden und Spekulationseinkünfte bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2001 dem Halbeinkünfteverfahren. Bei inländischen Aktien findet es dagegen in der Regel erst ab dem Veranlagungszeitraum 2002 Anwendung.

2.2 Fiskalische Bedeutung des Halbeinkünfteverfahrens

Dem Halbeinkünfteverfahren kommt eine erhebliche fiskalische Bedeutung zu. Allein die bei unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen berücksichtigten Verluste aus Spekulationsgeschäften betrugen in den Veranlagungszeiträumen 2001 bis 2003 landesweit bisher mehr als 1.374 Mio. €. Davon wurden rd. 490 Mio. € (36 %) im Halbeinkünfteverfahren steuerlich angesetzt. Die Übersicht zeigt die Höhe der in Baden-Württemberg bisher dem Halbeinkünfteverfahren unterworfenen Besteuerungsgrundlagen für die insoweit bedeutendsten Einkunftsarten.

2005-B020-Übersicht

3 Prüfungsablauf, Prüfungsumfang

Die Untersuchung wurde vom RH gemeinsam mit den vier StRPÄ durchgeführt. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, wurden insgesamt zwölf Finanzämter in die Erhebungen einbezogen. Außer der Größe der Finanzämter war insbesondere deren Lage im städtischen oder ländlichen Bereich für die Auswahl maßgebend. Geprüft wurden die Steuerakten von 1.225 unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen. Die Prüfung erstreckte sich hierbei auf 1.851 Steuerbescheide und insgesamt 2.361 Einkunftsarten. Neben der materiell-rechtlichen Fallprüfung wurden auch die jeweiligen Arbeitsabläufe analysiert sowie Mitarbeiterbefragungen in den geprüften Finanzämtern durchgeführt.

4 Materiell-rechtliche Prüfungsfeststellungen

4.1 Beanstandungsquote

Die Prüfung von 1.851 Steuerbescheiden führte zu insgesamt 541 Beanstandungen und somit zu einer Fehlerquote von 29,23 %. Bezogen auf die Zahl der den Steuerbescheiden zugrunde liegenden 2.361 Einkunftsarten ergaben sich 567 Beanstandungen. Dies entspricht einer Fehlerquote von 24,02 %.

4.2 Volumen der Beanstandungen

Das finanzielle Ergebnis der Untersuchung beläuft sich bei rein wirtschaftlicher Betrachtungsweise, d. h. im Saldo von Mehr- und Mindersteuern, auf 1,9 Mio. € zugunsten des Fiskus. Unter den Aspekten der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung der Steuerbürger ergibt sich in der Summe dieser Beträge ein nicht saldiertes Fehlervolumen von 3,1 Mio. €. Je geprüftem Steuerbescheid beträgt das durchschnittliche Fehlervolumen 1.695 €. Die finanziellen Ergebnisse stellen Mindestwerte dar, weil sämtliche Fälle, die mangels unzureichender Sachverhaltsangaben im Nachhinein nicht mehr überprüfbar waren, von der Finanzkontrolle statistisch als fehlerfrei erfasst wurden.

Die Beanstandungen hatten nicht nur insgesamt, sondern auch in Einzelfällen beträchtliche steuerliche Auswirkungen: In 13 der 1.225 geprüften Steuerakten wurde ein Fehlervolumen von mehr als 40.000 € festgestellt. In einem dieser Fälle führte der Aufgriff durch die Finanzkontrolle zu Mehrsteuern von 180.000 €.

4.3 Struktur der Beanstandungen

Mit einer Beanstandungsquote von 41,57 % erwiesen sich die Einkünfte aus Spekulationsgeschäften als besonders fehleranfällig. Selbst bei der Bearbeitung von Fällen, die nach den einschlägigen Verwaltungsanweisungen intensiv zu prüfen waren, ergab sich dort keine grundlegend bessere Arbeitsqualität. Das gesamte Fehlervolumen der untersuchten Spekulationsfälle beträgt rd. 1,9 Mio. €. Es wurde mit 30 % des unzutreffenden Verlustbetrags geschätzt, soweit sich die Spekulationsverluste nicht unmittelbar steuermindernd auswirkten, sondern nur mit künftigen Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechenbar waren. Weitere wesentliche Feststellungen betrafen die Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Hier waren 25,36 % der untersuchten Fälle mit einem Fehlervolumen von insgesamt rd. 1 Mio. € zu beanstanden. Im Gegensatz zu den vorgenannten Einkunftsarten erwiesen sich die Einkünfte aus Kapitalvermögen als deutlich weniger fehleranfällig: Die Beanstandungsquote betrug 11,23 %, das Fehlervolumen belief sich auf mehr als 200.000 €.

Bereits die grundsätzliche Frage, ob das Halbeinkünfteverfahren in den entsprechenden Steuerfällen überhaupt anzuwenden ist, wurde von den Finanzämtern vielfach unzutreffend entschieden. Knapp 80 % der beanstandeten Spekulationsfälle wiesen diese Fehlerursache auf. Dabei wurden insbesondere Verluste aus dem Verkauf von (ausländischen) Aktien nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterworfen.

5 Organisatorische Prüfungsfeststellungen

5.1 Schulung der Bediensteten

Um die Finanzämter auf die Umsetzung des Halbeinkünfteverfahrens vorzubereiten, wurden die Bediensteten mehrfach geschult. So wurde das Halbeinkünfteverfahren insbesondere anlässlich der Fortbildungen zum Auftakt der Veranlagungskampagnen 2001 und 2002 als Schwerpunktthema behandelt. Wichtigste Aspekte der Fortbildungsveranstaltungen und -manuskripte waren dabei die Dividendenbesteuerung sowie der Anwendungsbereich des Halbeinkünfteverfahrens bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb. Demgegenüber wurde der Besteuerung von Spekulationsgeschäften lediglich untergeordnete Bedeutung beigemessen.

5.2 Bearbeitungsschwerpunkt bei der Veranlagung

Bei der Veranlagung 2001 sollte dem Halbeinkünfteverfahren erklärtermaßen sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht besonderes Augenmerk geschenkt werden. Daher wurde die Dividendenbesteuerung im Halbeinkünfteverfahren zum landesweiten Bearbeitungsschwerpunkt für den Veranlagungszeitraum 2001 bestimmt. In der Folge waren die rd. 4.000 Bediensteten der Veranlagungsstellen aufgefordert, die Steuererklärungen hinsichtlich dieses Bearbeitungsschwerpunkts intensiv zu überprüfen. Auch für den Veranlagungszeitraum 2002 wurde das Halbeinkünfteverfahren weiterhin als besonders prüfungswürdig eingestuft. Folglich wurde der Bearbeitungsschwerpunkt auch für diesen Zeitraum beibehalten und zudem ausdrücklich um die Besteuerung von Spekulationsgeschäften ergänzt.

5.3 Arbeitsmittel

Der Geltungsbereich des Halbeinkünfteverfahrens (s. Pkt. 2.1) bedingt, dass bei der Besteuerung zwingend nach Aktien und anderen Wertpapieren sowie - in einer Übergangsphase - nach inländischen und ausländischen Aktien zu unterscheiden war. Entsprechende Ermittlungs- und Entscheidungshilfen waren bei den geprüften Finanzämtern nach den Erkenntnissen des RH jedoch nicht bzw. nur in unzureichendem Umfang vorhanden. So gab es keine standardisierten Anschreiben zur Sachverhaltsermittlung. Außerdem war lediglich im Bereich der Oberfinanzdirektion Stuttgart eine Aufstellung über die inländischen Unternehmen, deren Aktien an einer deutschen Börse gehandelt wurden, als Entscheidungshilfe vorhanden. Diese Aufstellung wurde den Finanzämtern als Ergänzung der Schulungsmanuskripte in zehnfacher Auflage überlassen. Als Ergebnis einer Vielzahl von Gesprächen hat der RH festgestellt, dass die Verfügung - wohl wegen der geringen Auflage - den Bediensteten zumeist nicht gegenwärtig war.

5.4 DV-Unterstützung

Nach den Feststellungen des RH wurden die Bediensteten nicht programmgestützt auf risikobehaftete Fallkonstellationen hingewiesen: Wurde der Besteuerung per saldo ein Verlust aus Spekulationsgeschäften zugrunde gelegt und wurde dieser zudem ausschließlich in voller Höhe angesetzt, erging kein maschineller Prüfhinweis. Gleiches gilt bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn neben Dividenden, die zur Hälfte steuerbefreit waren, nur voll abzugsfähige Werbungskosten erklärt wurden. Insbesondere diese beiden Risikoprofile wurden von der Finanzkontrolle zur Fallauswahl eingesetzt.

6 Landesweite finanzielle Auswirkungen (Hochrechnung)

Die finanziellen Auswirkungen der festgestellten Bearbeitungsdefizite werden nachfolgend in einer Hochrechnung aufgezeigt. Diese beschränkt sich auf die Auswirkungen bei den Einkünften aus Spekulationsgeschäften, da hier das größte Fehlervolumen - das nach Auffassung des RH durch frühzeitige Controllingmaßnahmen wohl deutlich hätte verringert werden können - festgestellt wurde.

Die Hochrechnung basiert auf sämtlichen Steuerfällen mit Spekulationsverlusten von mehr als 2.500 €, die von der Steuerverwaltung ausschließlich als nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegend angesehen wurden. Zur Auswahl dieser Fälle wurde das vom RH zu den Spekulationsverlusten entwickelte Risikoprofil (s. Pkt. 5.4) herangezogen. Von den untersuchten 866 Fällen mit Einkünften aus Spekulationsgeschäften wiesen 489 Fälle mit Verlusten von insgesamt 40.059.113 € dieses Risikoprofil auf. Nach den Feststellungen der Finanzkontrolle waren davon Verluste in Höhe von 7.336.526 € dem Halbeinkünfteverfahren zu unterwerfen. Im Ergebnis wurden damit allein bei diesen Fällen Verluste von 3.668.263 € zu Unrecht anerkannt.

Nach einer Auswertung der vom Rechenzentrum der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellten Daten (Stand Juni 2004) durch den RH wurden für die Veranlagungszeiträume 2001 bis 2003 landesweit bisher 25.289 Veranlagungen durchgeführt, bei denen das Risikoprofil vorlag. Dabei wurden Verluste in Höhe von 661.736.459 € ausschließlich als nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegend berücksichtigt. Bei Übertragung des Prüfungsergebnisses auf die Gesamtheit der bisher veranlagten Fälle können die landesweit zu Unrecht anerkannten Spekulationsverluste daher wie folgt berechnet werden:

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Selbst unter Berücksichtigung der vom RH gewählten Aufgriffsgrenze von 2.500 € wurden bei den Einkünften aus Spekulationsgeschäften somit landesweit bisher Verluste von mehr als 60.000.000 € zu Unrecht anerkannt. Der RH verkennt nicht, dass sich diese Verluste durch die gesetzliche Abzugsbeschränkung in der Regel nur bei entsprechenden Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften in den Folgejahren steuerlich auswirken werden. Angesichts der aufgezeigten Größenordnung, der zeitlich unbegrenzten und vererbbaren Verlustvorträge und der tendenziell zunehmenden Gewinne aus Spekulationsgeschäften (s. Pkt. 2.2) geht der RH jedoch davon aus, dass den öffentlichen Haushalten dadurch im Laufe der Zeit Einnahmen in Millionenhöhe entgehen.

7 Bewertung und Empfehlungen

Mit dem Halbeinkünfteverfahren war eine durchgreifende Rechtsänderung umzusetzen, die in einer Vielzahl von Steuerfällen relevant ist. Die Untersuchung belegt, dass trotz der ergriffenen Maßnahmen der Verwaltung erhebliche Bearbeitungsdefizite bestehen. Die folgenden Empfehlungen sollen dazu dienen, bereits eingetretene Fehler - soweit möglich - zu beseitigen und für die Zukunft die Bearbeitungsqualität von Fällen mit Halbeinkünften zu erhöhen. In einem weiteren Schritt werden Überlegungen zur künftigen Umsetzung durchgreifender Rechtsänderungen sowie zur Abwicklung landesweiter Bearbeitungsschwerpunkte angestellt. Vor dem Hintergrund des aktuellen Untersuchungsergebnisses sieht der RH in diesen Bereichen einen generellen Handlungsbedarf.

7.1 Arbeitsmittel und Aufarbeitung bereits veranlagter Steuerfälle

Die Besteuerung der Spekulationsgeschäfte, denen bei den Schulungsmaßnahmen nur untergeordnete Bedeutung beigemessen wurde, war besonders häufig zu beanstanden (s. Pkt. 4.3). Dies auch deshalb, weil der RH die geprüften Spekulationsfälle gezielt mittels eines selbst entwickelten Risikoprofils ausgewählt hat. In Anbetracht des dort festgestellten Fehlervolumens empfiehlt der RH, alle unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden, und damit änderbaren, Risikofälle aufzugreifen. Dazu sollten den Bediensteten entsprechende Arbeitslisten und die notwendigen Ermittlungs- und Entscheidungshilfen (s. Pkt. 5.3) zur Verfügung gestellt werden. Die Arbeitsmittel könnten dann auch im aktuellen Veranlagungsgeschehen eingesetzt werden.

7.2 DV-gestütztes Aufzeigen von Risikopotenzialen

Der Fallauswahl des RH lagen insbesondere die unter Pkt. 5.4 dargestellten Risikoprofile zugrunde. Diese basieren ausschließlich auf Daten, die im Rahmen der maschinellen Fallbearbeitung von den Bediensteten in das DV-System eingegeben werden. DV-technisch stehen damit alle Daten zur Verfügung, um die Bearbeiter frühzeitig auf risikobehaftete Fallkonstellationen hinzuweisen. Der RH empfiehlt deshalb, vorhandene Risikopotenziale bereits bei der Falleingabe durch entsprechende Bildschirmhinweise aufzuzeigen.

7.3 Jahresbescheinigungen der Kreditinstitute ab Veranlagungszeitraum 2004

Als Mittel zur Qualitätsverbesserung in Fällen mit Halbeinkünften können ab dem Veranlagungszeitraum 2004 die von den Kreditinstituten zu erstellenden Jahresbescheinigungen über Kapitalerträge und Spekulationseinkünfte dienen. Aus diesen Bescheinigungen geht auch die Zuordnung der Einkünfte zu den in vollem Umfang oder nur zur Hälfte zu besteuernden Einkünften hervor. Der RH empfiehlt, diese Bescheinigungen im Rahmen der Veranlagungsarbeiten regelmäßig von den Steuerbürgern anzufordern.

7.4 Evaluation des Fortbildungserfolgs

Der RH verkennt nicht, dass bei Schulungsmaßnahmen im Vorfeld der Rechtsanwendung die bei der späteren Veranlagung auftretenden Fehlerschwerpunkte nicht immer vorhersehbar sind. Dies wird gerade am Beispiel der Spekulationsgeschäfte deutlich, da entsprechende Einkünfte in der Vergangenheit kaum erklärt wurden. Ist es damit schwierig, Fehlerschwerpunkte zu prognostizieren, stellt sich jedoch die Frage, warum die Qualitätsstörungen dann nicht im Stadium der Besteuerung frühzeitig aufgedeckt wurden. Der RH sieht als eine der Ursachen hierfür die bisher fehlende Evaluation des Fortbildungserfolgs. Er empfiehlt daher, zumindest bei durchgreifenden Rechtsänderungen den Fortbildungserfolg künftig zeitnah durch ein Feedback der Finanzämter zu evaluieren. Dieses Feedback sollte sich aus den allgemeinen Erfahrungen der Praxis bei der Umsetzung der neuen Rechtsmaterie sowie aus der materiell-rechtlichen Überprüfung bereits veranlagter Fälle zusammensetzen.

7.5 Controlling bei landesweiten Bearbeitungsschwerpunkten

Das Ergebnis der Untersuchung zeigt auch, dass das vielfach eingesetzte Instrument des landesweiten Bearbeitungsschwerpunkts zu keiner befriedigenden Arbeitsqualität geführt hat. Obwohl landesweit die rd. 4.000 Veranlagungsbediensteten beauftragt waren, Fälle mit Halbeinkünften intensiv zu prüfen, wurden die Qualitätsstörungen nicht erkannt. Zur Optimierung der Vorgehensweise der Verwaltung bei landesweiten Bearbeitungsschwerpunkten regt der RH daher an, auch hier künftig zeitnah ein Feedback der Finanzämter einzuholen. Daneben sollte generell die fiskalische Ergiebigkeit erhoben und damit im Ergebnis für landesweite Bearbeitungsschwerpunkte ein Qualitätscontrolling eingeführt werden. Dadurch dürften Qualitätsstörungen frühzeitig erkennbar werden. Zudem könnte die fiskalische Rentabilität Grundlage für eine Entscheidung sein, ob und in welcher Intensität der Bearbeitungsschwerpunkt weiter verfolgt wird.

8 Stellungnahme des Ministeriums

8.1 Rahmenbedingungen bei der Umsetzung des Halbeinkünfteverfahrens

Das FM weist auf die schwierigen Rahmenbedingungen bei der Umsetzung des Halbeinkünfteverfahrens hin. So sei insbesondere der bei in- und ausländischen Aktien unterschiedliche Anwendungszeitpunkt für die Bearbeitungsdefizite bei den Spekulationsgeschäften ursächlich. Im Gegensatz zu den Prüfern des RH hätten die Bearbeiter in den Finanzämtern in Anbetracht des hohen Arbeitsdrucks nicht die Zeit, langwierige Ermittlungen anzustellen. Sie seien mit der Problematik bei der Veranlagung 2001 schlicht überfordert gewesen und hätten die festgestellten Fehler daher praktisch kaum vermeiden können. Die vom RH - nach Auffassung des FM - pauschal geübte Kritik an der Arbeit der Finanzämter setze sich mit diesen Schwierigkeiten nicht hinreichend auseinander.

8.2 Schulung der Bediensteten

Hinsichtlich der Schulung der Bediensteten räumt das FM ein, den Schwerpunkt in den Veranlagungsfortbildungen 2001 auf die Dividendenbesteuerung gelegt zu haben. Bei den Fortbildungen 2002 sei der Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften jedoch ausführlich behandelt worden.

8.3 Bearbeitungshinweise

Zum technisch gestützten Aufzeigen von Risikopotenzialen teilt das FM mit, dass inzwischen ein Prüfhinweis ergehe, wenn (neben zur Hälfte steuerbefreiten Dividenden) lediglich voll abzugsfähige Werbungskosten erklärt werden. Bei den Spekulationseinkünften sei ein solcher zielgenauer Bearbeitungshinweis nicht ohne weiteres möglich. Ein weniger zielgerichteter Hinweis würde jedoch die Arbeit der Finanzämter erschweren und zudem Akzeptanzprobleme mit sich bringen.

8.4 Vorbehalt der Nachprüfung

Den Aufgriff der unter Vorbehalt der Nachprüfung veranlagten - und damit noch korrekturfähigen - Fälle mittels gezielter Bearbeitungslisten hält das FM für nicht erforderlich. Bei der abschließenden Prüfung dieser Fälle hätten die Bearbeiter ohnehin auch die Spekulationseinkünfte zu überprüfen. Im Übrigen sei nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs die Besteuerung der Spekulationseinkünfte ab dem Veranlagungszeitraum 1999 mutmaßlich verfassungswidrig; damit könnten die in Änderungsbescheiden festgesetzten Mehrsteuern nicht realisiert werden. Auch deshalb erscheine eine Listenaktion nicht angebracht.

8.5 Evaluation des Fortbildungserfolgs

Das FM teilt die Auffassung des RH, wonach bei umfassenden Rechtsänderungen künftig der Fortbildungserfolg zeitnah evaluiert werden sollte. Es habe insoweit auch bereits erste punktuelle Geschäftsprüfungen durch die Oberfinanzdirektion gegeben.

8.6 Controlling

Zusätzlich werde, wie vom RH empfohlen, das Mehrergebnis der Veranlagungsstellen beim aktuellen landesweiten Bearbeitungsschwerpunkt, den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, bereits erhoben. Dies soll auch bei künftigen Bearbeitungsschwerpunkten fortgeführt werden. Das vom RH darüber hinaus geforderte Qualitätscontrolling lasse sich jedoch erst verwirklichen, wenn das Verfahren zur Erfassung von Mehrergebnissen voraussichtlich im Februar 2005 hinsichtlich sämtlicher Veranlagungsdaten im Einsatz sei.

9 Schlussbemerkung

9.1 Rahmenbedingungen

Der RH verkennt nicht die schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen die Bearbeiter in den Finanzämtern das Halbeinkünfteverfahren umzusetzen hatten. Vielmehr hat er die fehlenden Arbeitsmittel und Entscheidungshilfen sowie eine mangelhafte DV-Unterstützung gerade als Beleg dafür aufgeführt. Die objektive Darstellung der festgestellten Bearbeitungsdefizite und deren Ursachen ist nach Auffassung des RH unabdingbar notwendig und darf keinesfalls als pauschale Kritik an den Bearbeitern der Finanzämter gewertet werden.

9.2 Schulung der Bediensteten

Die Besteuerung von Spekulationsgeschäften wurde in den Fortbildungsmanuskripten zur Veranlagung 2002 auf einer einzigen Seite abgehandelt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom FM dargelegte ausführliche Behandlung im Rahmen der Vorträge erfolgte. Festzuhalten ist jedoch das Ergebnis: Die Beanstandungsquote bei den Spekulationsgeschäften im Veranlagungszeitraum 2002 betrug, wie dem FM aus der Prüfungsmitteilung des RH bekannt ist, immer noch mehr als 35 %. Dieses Ergebnis unterstreicht die Forderung des RH nach einer Evaluation des Fortbildungserfolgs und zeigt zudem auf, dass nicht nur die Unterscheidung zwischen in- und ausländischen Aktien im Veranlagungszeitraum 2001 problematisch war, sondern in gleicher Weise auch die Differenzierung zwischen Aktien und anderen Wertpapieren ab dem Veranlagungszeitraum 2002.

9.3 Bearbeitungshinweise

Den inzwischen eingeführten Bearbeitungshinweis bei den Einkünften aus Kapitalvermögen hält der RH für sinnvoll. Bei diesem Hinweis werden die Eingaben zweier Kennzahlen verknüpft und auf Plausibilität untersucht. Vor diesem Hintergrund erschließt es sich dem RH jedoch nicht, warum seine weiter gehende, unter Pkt. 5.4 und 7.2 beschriebene, Forderung technisch nicht realisierbar sein soll. Auch insoweit wären lediglich die Eingaben zweier Kennzahlen zu verknüpfen.

9.4 Vorbehalt der Nachprüfung

Steuerfälle werden in der Regel aus einem bestimmten Grund unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt. Dieser Grund dürfte nur in Ausnahmefällen in erklärten Spekulationsverlusten liegen. Die langjährigen Erfahrungen der Finanzkontrolle zeigen, dass die abschließende Prüfung solcher Fälle zumeist auf die Gründe für den Vorbehalt beschränkt wird oder - nicht selten - ganz unterbleibt. Der RH hält daher an seiner Forderung fest, die Bediensteten mittels Arbeitslisten auf die risikobehafteten Fälle hinzuweisen.

Der weitere Einwand, die bei Änderungen festgesetzten Mehrsteuern könnten wegen der mutmaßlichen Verfassungswidrigkeit nicht realisiert werden, dürfte bei den dargestellten Risikofällen (s. Pkt. 5.4) nur ausnahmsweise greifen. In der Regel wird sich lediglich eine Verringerung der festgestellten Verluste auf den materiell-rechtlich zutreffenden Wert ergeben. Dadurch werden die Steuerbürger in diesen Fällen jedoch keinesfalls veranlasst, die potenzielle Verfassungswidrigkeit im Rechtsbehelfsverfahren geltend zu machen, weil eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts allenfalls nachteilig für sie wäre.

9.5 Evaluation des Fortbildungserfolgs

Hinsichtlich der Evaluation des Fortbildungserfolgs im Wege von Geschäftsprüfungen durch die Oberfinanzdirektion gibt der RH zu bedenken, dass die Überprüfung bereits veranlagter Fälle durch besonders qualifizierte Bedienstete der Finanzämter landesweit zeitnäher als durch Geschäftsprüfungen vorgenommen werden könnte. Zudem könnte so eine größere Fallzahl überprüft werden und damit eine breitere Datenbasis als Bewertungsgrundlage zur Verfügung stehen.

9.6 Controlling

Die Ankündigung des FM, künftig - wie bereits erprobt - das Mehrergebnis der Veranlagungsstellen bei landesweiten Bearbeitungsschwerpunkten generell zu erheben, entspricht der Forderung des RH. Dieses Mehrergebnis lässt jedoch nur bedingt Rückschlüsse auf die tatsächliche Bearbeitungsqualität zu. Erhoben wird insoweit nur das aus der Veranlagung resultierende Mehrergebnis, nicht jedoch, was bei zutreffender Bearbeitung hätte erhoben werden können. Somit ist das Mehrergebnis allein nicht geeignet, Qualitätsstörungen erkennen zu lassen. Der RH hält daher an seinem Vorschlag fest, auch bei landesweiten Bearbeitungsschwerpunkten veranlagte Fälle zeitnah zu überprüfen und ein Feedback der Finanzämter einzuholen.