Einnahmen im Nachlassbereich (Beitrag Nr. 12)

Die badischen Amtsnotare verzichten im Rahmen ihrer nachlassrichterlichen Unabhängigkeit regelmäßig auf die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinverfahren. Diese bundesweit einmalige Verfahrensweise lässt Einnahmemöglichkeiten von jährlich etwa 4 Mio. € ungenutzt. Darüber hinaus führt die Festsetzung zu niedriger Geschäftswerte im Nachlassbereich durch die württembergischen Amtsnotariate zu jährlichen Mindereinnahmen von 1,6 Mio. €.

1 Ausgangslage

Der RH hat zusammen mit dem StRPA Freiburg in einer Querschnittsuntersuchung die Abwicklung des Nachlassbereichs bei den Amtsnotariaten geprüft. Hierbei wurden insbesondere die Verfahrensabläufe und die Einnahmesituation im badischen und im württembergischen Rechtsgebiet verglichen.

Die Nachlassgerichte sind u. a. zuständig für Nachlass- und Teilungssachen sowie für die besondere Verwahrung von Verfügungen von Todes wegen (Testamentsverwahrung). Diese Zuständigkeit ist in Baden-Württemberg auf die staatlichen Notariate übertragen. Im übrigen Bundesgebiet sind die Amtsgerichte Nachlassgerichte.

Die Aufgaben im Nachlassbereich werden von 64 Amtsnotariaten badischen Rechts und von 234 Amtsnotariaten württembergischen Rechts wahrgenommen. Die Nachlasstätigkeiten können im Wesentlichen in zwei Bereiche gegliedert werden:

  • die Testamentsverwahrung und
  • die Sterbefallbearbeitung, insbesondere mit der Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen (Testamentseröffnung), der Erbenermittlung oder der Erteilung eines Erbscheins.

Die Sterbefallbearbeitung weist in den beiden Rechtsgebieten vor allem folgende Verfahrensunterschiede auf:

  • Bei den badischen Amtsnotariaten wird das Verfahren regelmäßig schriftlich durchgeführt. Eine persönliche Ladung erfolgt - auch für die Testamentseröffnung - nicht. Die eidesstattliche Versicherung durch die Erben zur Bestätigung der Richtigkeit ihrer Angaben im Erbscheinverfahren wird in der Regel nicht abgenommen.
  • Im württembergischen Rechtsgebiet werden die Beteiligten weit überwiegend zur weiteren Behandlung des Sterbefalls durch das Nachlassgericht persönlich geladen. Im Termin werden die vorhandenen Verfügungen von Todes wegen eröffnet, evtl. notwendige Erklärungen entgegengenommen oder weitere Anträge, wie z. B. Grundbuchberichtigungsanträge, gestellt. Im Erbscheinverfahren wird dem Antragsteller zum Nachweis der Richtigkeit seiner Angaben regelmäßig die eidesstattliche Versicherung abgenommen.

Der Geschäftsanfall im Nachlassbereich für das Jahr 2002 ergibt sich aus Übersicht 1.

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Die Übersicht 1 verdeutlicht die unterschiedliche Verfahrensweise bei der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinverfahren in den beiden Rechtsgebieten. In Relation zur Zahl der Erbscheine wurde im badischen Rechtsgebiet nur in 8 %, im württembergischen Rechtsgebiet dagegen in 91 % der Fälle eine eidesstattliche Versicherung abgenommen.

2 Finanzsituation im Nachlassbereich

2.1 Einnahmen und betriebswirtschaftliche Kennzahlen

Die nach einer Berechnung des RH in den beiden Rechtsgebieten im Jahr 2002 angefallenen Nachlasseinnahmen sind in Übersicht 2 dargestellt.

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Während die badischen Amtsnotariate aus der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nur Einnahmen in Höhe von 0,3 Mio. € erzielt haben, entfallen im württembergischen Rechtsgebiet auf diesen Gebührentatbestand Einnahmen in Höhe von 5,1 Mio. €.

Der RH hatte bereits in Pkt. 16.5 seiner Beratenden Äußerung über die Notariatsreform in Baden-Württemberg vom Mai 2000 (Drs. 12/5154) auf die Notwendigkeit betriebswirtschaftlicher Kennzahlen für die einzelnen Aufgabenbereiche der Amtsnotariate hingewiesen. Das JuM hat im Zuge der Einführung der neuen Steuerungselemente damit begonnen, eine entsprechende Datenbasis zu erstellen. Die in der Kosten- und Leistungsrechnung derzeit für die Personalausgaben eingesetzten, veralteten und nicht analytisch ermittelten Kennzahlen können dabei jedoch keine hinreichend genauen Ergebnisse liefern. Ein im Jahr 2003 angedachtes Projekt zur analytischen Ermittlung geeigneter Kennzahlen im Amtsnotariat wurde bislang nicht umgesetzt.

2.2 Abnahme der eidesstattlichen Versicherung

Das BGB sieht die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zum Nachweis der Richtigkeit der im Erbscheinverfahren gemachten Angaben als gesetzlichen Regelfall vor. Das Nachlassgericht kann die Versicherung nach § 2356 Abs. 2 S. 2 BGB ausnahmsweise erlassen, wenn es sie für nicht erforderlich hält. Die Entscheidung, ob eine eidesstattliche Versicherung erforderlich ist oder nicht, trifft der Notar regelmäßig in seiner Funktion als Nachlassrichter. Sie unterliegt damit der richterlichen Unabhängigkeit.

Eine Umfrage bei den Rechnungshöfen der anderen Bundesländer ergab, dass in allen anderen Ländern im Erbscheinverfahren die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung entsprechend dem gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 2356 Abs. 2 BGB grundsätzlich verlangt wird. Nur ausnahmsweise wird auf die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung verzichtet. Die eidesstattliche Versicherung kann vor dem Nachlassgericht oder den Notaren abgegeben werden. Dies wird in den Ländern unterschiedlich gehandhabt. Die Vorgehensweise der Notariate im badischen Rechtsgebiet, nur in 8 % der Erbscheinverfahren eidesstattliche Versicherungen abzunehmen, ist bundesweit einmalig.

Durch den regelmäßigen Verzicht auf die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung gehen dem Landeshaushalt rein rechnerisch Bruttoeinnahmen in Höhe von 4,6 Mio. € verloren. Diese Berechnung basiert auf der für das württembergische Rechtsgebiet festgestellten Verfahrenspraxis. Dort wurde in 91 % aller Erbscheinverfahren eine eidesstattliche Versicherung abgenommen.

Auch wenn man von einem personellen Mehrbedarf für die regelmäßige Abnahme der eidesstattlichen Versicherung im badischen Rechtsgebiet ausgeht, könnten bei einer Angleichung an die bundesweit übliche Verfahrensweise Netto-Mehreinnahmen von 4 Mio. € jährlich erzielt werden.

2.3 Festsetzung der Geschäftswerte

Nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften wird als Geschäftswert für die Testamentseröffnung das nach Abzug der Erblasserschulden verbleibende reine Nachlassvermögen zugrunde gelegt. Als Geschäftswert für die Erteilung eines Erbscheines und für eine evtl. Abnahme der eidesstattlichen Versicherung wird der Wert des Nachlasses nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten angesetzt.

Der Geschäftswert wird von Amts wegen nach dem Untersuchungsgrundsatz ermittelt. Die Beteiligten sind zur Mitwirkung und zur Wahrheit verpflichtet. Im Fall der Verletzung der Mitwirkungs- und Wahrheitspflicht und einer Weigerung ist das Nachlassgericht zu einer Schätzung berechtigt. Für eine sachgerechte Festsetzung der Geschäftswerte ist die vollständige Angabe des Nachlassvermögens durch die Beteiligten von elementarer Bedeutung.

Im badischen Rechtsgebiet werden die für die Erstellung der Kostenrechnung benötigten Geschäftswerte durch die Beamten des mittleren Dienstes ermittelt. Nur in Ausnahmefällen wird der Notar beteiligt. Im württembergischen Rechtsgebiet ermitteln überwiegend die Notare selbst die Werte. Im Gegensatz zu den Festsetzungen der badischen Amtsnotariate waren bei den württembergischen Amtsnotariaten folgende Verfahrensweisen festzustellen:

  • Die württembergischen Notariate verzichteten weitgehend auf schriftliche Nachlassverzeichnisse der Beteiligten.
  • Bei der Grundstücksbewertung wurden im württembergischen Rechtsgebiet häufiger Schätzwerte und Erbenangaben angesetzt.
  • Die Nachlasswerte wurden in den Akten der Amtsnotariate württembergischen Rechts oftmals unzureichend dokumentiert.

Die unterschiedliche Verfahrensweise bei der Festsetzung der Geschäftswerte hat Auswirkungen auf die Nachlasseinnahmen. In Übersicht 3 sind die durchschnittlichen Einnahmen für einzelne Gebührentatbestände in den beiden Rechtsgebieten dargestellt. Rund 97 % der Gesamteinnahmen entfallen im Nachlassbereich auf die Gebührentatbestände Testamentsverwahrung, Testamentseröffnung, Erteilung eines Erbscheins und Abnahme der eidesstattlichen Versicherung.

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Die durchschnittlichen Einnahmen bei den finanziell bedeutsamen Gebührentatbeständen liegen im badischen Rechtsgebiet zwischen 6 % und 15 % über denen des württembergischen Rechtsgebiets.

Der RH sieht in der unzureichenden Festsetzung der Geschäftswerte im württembergischen Rechtsgebiet die Ursache für die vergleichsweise niedrigen durchschnittlichen Gebühreneinnahmen. Er hat keine Anhaltspunkte für generell höhere Nachlasswerte im badischen Rechtsgebiet. Wenn man die für das badische Rechtsgebiet ermittelten durchschnittlichen Gebühren zugrunde legt, können nach einer Modellrechnung des RH im württembergischen Rechtsgebiet Mehreinnahmen in Höhe von 1,6 Mio. € erzielt werden.

2.4 Folgerungen des Rechnungshofs

Nach dem Erhebungsergebnis werden die Einnahmepotenziale im Nachlassbereich nicht ausgeschöpft. Die badischen Amtsnotare könnten ihre bundesweit einmalige Praxis überdenken, im Rahmen ihrer richterlichen Unabhängigkeit als Nachlassrichter auf die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung regelmäßig zu verzichten.

Die vor allem im württembergischen Rechtsgebiet unzureichende Ermittlung der Geschäftswerte sollte nach Auffassung des RH optimiert werden. Im Einzelnen sollten insbesondere

  • vollständig ausgefüllte und von den Beteiligten unterschriebene Nachlassverzeichnisse verlangt werden,
  • zumindest bei bebauten Grundstücken schriftlich dokumentierte Wertermittlungen durchgeführt werden und
  • die festgesetzten Nachlasswerte in den Akten nachvollziehbar dokumentiert werden.

3 Kostenrechtsreform

Auf Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 12.06.1997 beschäftigen sich zwei Arbeitsgruppen der Kostenrechtsreferentenkommission mit der Modernisierung des Kostenrechts in der Justiz. Eine Arbeitsgruppe bereitet unter Federführung des Landes Baden-Württemberg eine Novellierung der Kostenordnung vor. Die Reform soll das Kostenrecht grundlegend vereinfachen und zumindest aufkommensneutral umgesetzt werden.

Im Nachlassbereich gibt es Überlegungen, für einzelne Gebührentatbestände, wie Testamentsverwahrung und Testamentseröffnung, anstelle der derzeitigen Wertgebühren künftig Festgebühren festzusetzen. Nachdem dem JuM keine aktuellen Durchschnittswerte über die Einnahmen aus diesen Gebührentatbeständen vorlagen, hat der RH entsprechende Werte ermittelt. Die durchschnittlichen Einnahmen aus Wertgebühren lagen im Jahr 2002 erheblich über den in Rede stehenden Festgebühren. Nach einer Hochrechnung würde die Einführung der vorläufig angesetzten Festgebühren zu landesweiten Mindereinnahmen von jährlich mehr als 4 Mio. € führen.

Angesichts der prekären Finanzlage der Länder muss nach Auffassung des RH bei einer Novellierung des Kostenrechts im Nachlassbereich mindestens das bisherige Einnahmeniveau gehalten werden. Im Falle der Einführung von Festgebühren darf es nicht zu Mindereinnahmen kommen.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das JuM stimmt dem Prüfungsziel einer Einnahmeerhöhung für den Landeshaushalt grundsätzlich zu. Es weist aber darauf hin, dass die Hauptaufgabe der Justiz, die in der Rechtsgewährung bestehe, nicht vernachlässigt werden dürfe.

Hinsichtlich der Abnahme eidesstattlicher Versicherungen im Erbscheinverfahren sieht das JuM wegen der sachlichen Unabhängigkeit der badischen Amtsnotare keine Möglichkeit, deren derzeitige Handhabung zu beeinflussen. Jegliches Hinwirken auf eine Änderung der bestehenden Praxis wäre rechtswidrig, da die Grenzen der sachlichen Unabhängigkeit bei der vom RH geschilderten Verfahrensweise nicht überschritten seien. Aus der gesetzestechnischen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Abnahme der eidesstattlichen Versicherung und Verzicht auf diese als Regel-Ausnahme-Verhältnis könne nicht gefolgert werden, in der Rechtspraxis müsse (statistisch) in der Mehrzahl der Fälle die eidesstattliche Versicherung abgenommen werden.

Der Kostenansatz könne bei starker Arbeitsbelastung nur im Rahmen der üblichen Geschäftsabwicklung erledigt werden. Bei der Festsetzung der Geschäftswerte im württembergischen Rechtsgebiet rät das JuM angesichts der geringen Personalausstattung von überzogenen Anforderungen ab. Aufwand und Ertrag müssten in einem angemessenen Verhältnis stehen. Das JuM hat die Amtsnotariate aber in Reaktion auf die Prüfungsfeststellungen auf Folgendes hingewiesen:

  • Die Nachlasswerte sollen in einfacher, nachprüfbarer Form in den Akten dokumentiert werden. Hierbei wurde empfohlen, Nachlassverzeichnisse zu verwenden. Es wird geprüft, ob das DV-Programm „NOAH“ um ein Nachlassverzeichnis ergänzt werden soll.
  • Für die Grundstücksbewertung können im Internet verfügbare, aktuelle Werte und das im DV-Programm „NOAH“ enthaltene Wertberechnungsmodul eingesetzt werden.

Das Ministerium führt zur Ermittlung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen aus, dass die Nachlasseinnahmen 2003 nach seiner Hochrechnung aus Daten der Kosten- und Leistungsrechnung 24,1 Mio. € betragen hätten und damit um 3,1 Mio. € unter dem vom RH für das Jahr 2002 ermittelten Wert lagen. Die wegen der Diskussion über die Notariatsreform im Vorjahr vorläufig eingestellten Aktivitäten zur Ermittlung von Arbeits-Pensen im Notariat seien wieder aufgenommen worden.

Zur Novellierung des Kostenrechts hat das JuM dargelegt, dass es sich bei den bislang diskutierten Festgebühren um vorläufige Werte handele. Es will die Vorstellungen des RH im weiteren Verfahren zur Diskussion stellen. Die vorgesehene Aufkommensneutralität müsse nicht bei jedem einzelnen Gebührentatbestand gewährleistet sein, sondern könne durch Mehreinnahmen bei anderen Tatbeständen kompensiert werden.

5 Schlussbemerkung

Der RH erwartet vom JuM weitere Aktivitäten, um die vorhandenen Einnahmepotenziale im Nachlassbereich zu erschließen. Es erscheint auch unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit geboten, die badischen Amtsnotare über ihre bundesweit einmalige Praxis bei Abnahme der eidesstattlichen Versicherung im Erbscheinverfahren zu informieren und ihnen die sich daraus ergebenden finanziellen Konsequenzen aufzuzeigen.

Bei der Festsetzung der Geschäftswerte im württembergischen Amtsnotariat hält der RH eine Erhöhung der Einnahmen auch bei der derzeitigen Personalausstattung für möglich. Dieses Ziel kann erreicht werden, wenn die Hinweise des JuM von den Amtsnotariaten konsequent umgesetzt werden.

Das JuM sollte sich im weiteren Verfahren zur Neuregelung des Kostenrechts mit Nachdruck gegen Einnahmeausfälle im Nachlassbereich aussprechen.