Beschaffung von Schienenfahrzeugen durch das Land [Beitrag Nr. 19]

Das Ministerium für Umwelt und Verkehr bestellte freihändig 20 Schienenfahrzeuge zu einem Gesamtpreis von über 53 Mio. DM, ohne dass konkrete Nutzer sowie klar definierte Einsatzgebiete feststanden. Die spätere Verwendung dieser Fahrzeuge bereitete erhebliche Schwierigkeiten. Die Ziele des Ministeriums, wirtschaftlich zu handeln und kleinere Verkehrsunternehmen zu stärken, wurden nicht erreicht.

1 Vorbemerkung

Im Jahre 1997 gab das UVM die Beschaffung von 20 Schienenfahrzeugen vom Typ RegioShuttle (RS 1) in Auftrag. Das Land trat hier zum ersten Mal - wenn auch nur mittelbar - als Käufer von Schienenfahrzeugen auf; Betreiber und Einsatzgebiet waren zum Zeitpunkt der Auftragserteilung nicht bekannt. Der Wert der Bestellung betrug über 53 Mio. DM. Die Landeszuwendungen beliefen sich auf über 26 Mio. DM. Zusätzlich wurden über 9 Mio. DM für die kommunale Seite vorfinanziert.

Der RH untersuchte, ob Grundlage für die Fahrzeugzuwendungen eine markt- und streckenbedarfsgerechte sowie wirtschaftliche Beschaffung war und ob dieses Verfahren den geltenden Vergaberichtlinien entsprach. Weiterhin wurde untersucht, ob das Ziel des UVM erreicht wurde, durch eine solche zentrale „Vorbeschaffung“ die Wettbewerbsfähigkeit von nichtbundeseigenen Eisenbahnen (NE) zu stärken.

2 Ausgangspunkt

UVM und Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg mbH (NVBW) stellten seit 1997 Überlegungen an, die Position kleiner Schienenverkehrsunternehmen gegenüber der Deutschen Bahn AG (DB) im Sinne des Wettbewerbsgedankens im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) zu verbessern. Um die NE zu echten Konkurrenten der DB aufzubauen, sollten sie sich auf die im Land vorhandenen Dieselstrecken konzentrieren. Auf diesen Strecken werden jährlich rd. 15 Mio. Zugkm an Schienenverkehrsleistungen erbracht. Vor diesem Hintergrund entstand beim UVM die Idee einer zentralen Beschaffung von Dieselleichttriebwagen, welche die Kooperation der NE bei Fahrzeugeinsatz und Wartung unterstützen sollte. Dadurch sollten die NE bei der Fahrzeugbeschaffung mit der DB vergleichbare Bestell- und Finanzierungskonditionen erhalten.

3 Realisierung der zentralen Fahrzeugbeschaffung

Im November 1997 entschied sich das UVM ohne Ausschreibung für die zentrale Beschaffung von 20 Schienenfahrzeugen des Typs RegioShuttle (RS 1). Am 10.12.1997 lag das Angebot des Fahrzeugherstellers für den Kauf von 20 RS 1 zum Preis von über 53 Mio. DM vor; hierauf wurde ein Nachlass von knapp 500 000 DM eingeräumt. Dem Angebot stimmte das UVM bereits wenige Tage später zu. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch weder ein potenzielles Verkehrsunternehmen noch ein klar definiertes Einsatzgebiet für die Schienenfahrzeuge bekannt.

Das UVM beauftragte eine Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft, die Schienenfahrzeuge beim Hersteller in Auftrag zu geben. Diese Gesellschaft war 1996 von einer landesbeteiligten NE und dem Hersteller des RS 1 gegründet worden. Das UVM finanzierte zunächst die Fahrzeuge vor; bis Dezember 1998 wurden rd. 32 Mio. DM an Abschlagszahlungen geleistet.

Ende Juni 1998 teilte der Hersteller über die Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft dem UVM mit, dass der „Customer Design Freeze“ erreicht sei. Das bedeutet, dass Änderungen von nun an vom Hersteller zu bezahlen seien. Sie könnten zu Verzögerungen in der Auslieferung führen. Im November 1998 wurde angekündigt, dass die Fahrzeuge nicht fristgerecht und außerdem ungespritzt in „grau“ ausgeliefert würden, da die notwendigen Festlegungen nicht erfolgt seien. Bis dahin hatte sich das UVM bemüht, für die RS 1 mit entsprechenden Sonderausstattungen, zu denen z.B. eine Fahrerstands- und Fahrgastraumkühlanlage zählt, im Land Abnehmer zu finden. Eine Entscheidung konnte jedoch über ein Jahr lang nicht herbeigeführt werden.

Kurz nach der erwähnten Ankündigung vergab das UVM in einem Anfrageverfahren Verkehrsleistungen für einen Nahverkehrsraum, sodass erst dadurch Abnehmer und Einsatzgebiet der bestellten Schienenfahrzeuge feststanden. Anschließend beauftragte es die Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft, die Fahrzeuge an den Betreiber - eine Tochter der DB - zu verkaufen. Der neue Eigentümer der 20 Schienenfahrzeuge ließ Änderungen und Ergänzungen an der Ausstattung durchführen, was inzwischen zu Mehrkosten von über 1,7 Mio. DM führte, also rd. 86 000 DM/Fahrzeug, die zunächst vom Verkehrsunternehmen aufgebracht werden mussten.

4 Verfahren bei der Realisierung der Fahrzeugbeschaffung

Zur Förderung von Schienenfahrzeugen durch das Land können sowohl Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) als auch - nach einem Ministerratsbeschluss von 1996 - freie Regionalisierungsmittel zur Aufstockung der GVFG-Zuwendungen herangezogen werden.

4.1 Beachtung der Zuwendungsrichtlinie

Die Gewährung von GVFG-Zuwendungen für Schienenfahrzeuge richtet sich nach der Verwaltungsvorschrift des Verkehrsministeriums (VwV) vom 21.10.1993. Danach können nur Betreiber von Eisenbahnen Zuwendungen erhalten. Voraussetzung für die Förderung von bis zu 50 % der zuwendungsfähigen Kosten sind sowohl die Aufnahme in das jährlich vom UVM zur Fahrzeugförderung aufzustellende Programm als auch der entsprechende Antrag eines Verkehrsunternehmens. Eine solche Aufnahme zur Förderung der Ende 1997 bestellten 20 Schienenfahrzeuge erfolgte jedoch erst im Programm für die Jahre 1998 bis 2002. Dieses Vorgehen wirft folgende Probleme auf:

  • Da eine Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft keine Verkehrsleistungen im SPNV erbringt, sind Zuwendungen an sie nicht zulässig; sie widersprechen auch der bisherigen Förderpraxis des Landes. Der RH hält Zuwendungen an Dritte für die Weiterveräußerung von Fahrzeugen an Eisenbahnbetreiber auch für bedenklich, weil eine Weitergabeverpflichtung und deren Überprüfung nicht geregelt sind. Er hat bereits in der Denkschrift 1996 Nr. 26 auf diese Schwierigkeiten hingewiesen.
  • Freie Regionalisierungsmittel können kurz- und mittelfristig für investive Zwecke im SPNV eingesetzt werden. GVFG-Bundes- und komplementäre Landesmittel können so jährlich bis auf 200 Mio. DM „aufgestockt“ werden. Hieraus folgt, dass die mit Regionalisierungsmitteln finanzierten 20 RS 1 der Zuwendungsrichtlinie nach GVFG unterlagen. Diese wurde jedoch nicht beachtet, da die Bewilligung u.a. zwingend den Antrag eines Verkehrsunternehmens voraussetzt. Ein solches Unternehmen war bei Aufnahme der Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft in das Förderprogramm aber nachweislich nicht bekannt.

4.2 Ausschreibung der Fahrzeugbeschaffung

Das UVM beauftragte die Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft, beim Fahrzeughersteller 20 RS 1 zu bestellen. Der Bestellung lag lediglich ein Angebot des Fahrzeugherstellers zu Grunde; eine Ausschreibung war diesem Auftrag also nicht vorgeschaltet. Die Produktion von Schienenfahrzeugen beschränkt sich zwar weltweit auf wenige Hersteller. Ungeachtet einer gewissen Konzentration herrschen aber auch in diesem Geschäftsbereich die Gesetze des Marktes. Es wäre u.U. also möglich gewesen, für ein spezifisches Einsatzfeld geeignete Schienenfahrzeuge preisgünstiger einzukaufen. Für eine Ausschreibung durch das UVM fehlten aber genau diese spezifischen Festlegungen. Auch die Begründung, dass 1997 ohnehin kein anderer fahrtauglicher Dieselleichttriebwagen auf dem Markt gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar. Für das UVM bestand nämlich keine zwingende Notwendigkeit, zu eben dieser Zeit 20 Schienenfahrzeuge ohne konkreten Abnehmer und Einsatzgebiet zu beschaffen.

5 Problematik des Einsatzes der Fahrzeuge

Dem UVM musste bewusst sein, dass bis zu der vom Hersteller angekündigten Auslieferung der 20 RS 1 im Herbst 1998 bei keiner zur Vergabe anstehenden SPNV-Leistung eine Entscheidung über den Betreiber gefällt werden konnte. So wurde auch das schon länger laufende Preisanfrageverfahren für den SPNV eines Nahverkehrsraums erst spät als potenzielles Einsatzfeld für alle 20 RS 1 erkannt. Über rd. 15 Monate (vom Juli 1997 bis zum Oktober 1998) wurden drei Preisanfrageverfahren zur Vergabe dieses regionalen SPNV durchgeführt. Erst im August 1998 wurde ein „modifiziertes Preisanfrageverfahren“ aufgebaut, das den Einsatz aller 20 RS 1 aus dem Fahrzeugpool für einen Zwischeneinsatz von rd. 3 Jahren in diesem Nahverkehrsraum fest definierte.

Über die zunächst gekauften 20 Fahrzeuge hinaus, sieht der Verkehrsvertrag den Einsatz von insgesamt 30 RS 1 vor. Lediglich 7 Fahrzeuge sollen dort dauerhaft im Einsatz verbleiben. Für die weiteren Fahrzeuge soll dann nach etwa 3 Jahren der Wechsel auf größere Fahrzeuge erfolgen, wodurch für diesen Nahverkehrsraum weitere Neubeschaffungen von Schienenfahrzeugen notwendig werden. Nach dem Kosten- und Sachstand vom Oktober 1998 verursacht ein solcher „Wechsel“ weitere Investition in Höhe von rd. 70 Mio. DM und hat erneut Landeszuwendungen von über 40 Mio. DM zur Folge. Für die anschließend nicht mehr benötigten 23 Fahrzeuge muss dann ein anderes Einsatzgebiet in Baden-Württemberg gefunden werden.

6 Empfehlungen des Rechnungshofs

Bei der Auftragserteilung an die Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft für die 20 RS 1 wandte das UVM Elemente der Praxis der Fahrzeugförderung an. Gravierend ist in diesem Zusammenhang die Nichtbeachtung der eigenen Förderrichtlinie und der Umstand, dass der Kauf der 20 RS 1 ohne Ausschreibung erfolgte. Außerdem bereitete es dem UVM und der NVBW erhebliche Mühe, Einsatzfelder für die 20 Fahrzeuge zu finden.

Der RH empfiehlt daher, dass der einzusetzende Fahrzeugtyp aus dem entwickelten Verkehrskonzept und den daraus abzuleitenden Anforderungen an die einzusetzenden Fahrzeuge (z.B. Beschleunigungswerte und Fahrgastaufkommen) ermittelt wird. Im Rahmen einer darauf aufbauenden Ausschreibung ist dann das kostengünstigste Fahrzeug zu wählen. Im Übrigen muss sich die Förderung der Fahrzeuge an der geltenden Richtlinie orientieren. Eine evtl. Aufstockung der investiven Zuwendungen durch Regionalisierungsmittel kann den Verstoß gegen die Verwaltungsvorschrift nicht rechtfertigen. Vor einer Bestellung sind zwingend Betreiber und Einsatzgebiet der Fahrzeuge zu benennen.

7 Stellungnahme des Ministeriums

Das UVM bestätigt, dass im Rahmen der Aufgabenträgerschaft für den SPNV auch Überlegungen angestellt worden seien, wie die Wirtschaftlichkeit der Verkehre und Innovationen gefördert werden könnten. Die Bereitstellung von Fahrzeugen durch das Land sei jedoch nicht weiter verfolgt worden, weil eine Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft bereits wichtige Unterstützungsleistungen für NE anbiete; daher sei weder ein Landesfahrzeugpool eingerichtet worden noch sei das Land als Käufer der Schienenfahrzeuge aufgetreten. Vielmehr sei für das Vorgehen von UVM und NVBW die besondere Gelegenheit ausschlaggebend gewesen, relativ kurzfristig und kostengünstig eine Fahrzeugserie erwerben zu können, um damit für die in Baden-Württemberg konkret geplanten neuen Konzeptionen im SPNV Fahrzeuge eines in der Praxis bereits hinreichend erprobten Typs ohne die sonst üblichen Lieferzeiten von rd. 2 Jahren erwerben zu können. Die kurzfristigen Bereitstellungen sollten kleinere Betreiber in die Lage versetzen, Wettbewerbsnachteile zu kompensieren, dadurch einen echten Wettbewerb zu schaffen sowie im Übrigen zeitnah die geforderten Verkehrsleistungen erbringen zu können.

Außerdem sei bereits im Januar 1998 erkennbar gewesen, dass mindestens 7 der 20 Fahrzeuge in einem bestimmten Nahverkehrsraum zum Einsatz kommen sollten, wenngleich der konkrete Betreiber noch nicht feststand. Zur Verplanung der weiteren 13 Fahrzeuge habe noch keine Veranlassung bestanden, weil der Hersteller die Lieferung aller RS 1 erst für Mai 1999 angekündigt habe. Aus der Sicht des UVM müsse außerdem berücksichtigt werden, dass bei einer Bestellung nach Abschluss eines Preisanfrageverfahrens ein höherer Preis hätte bezahlt werden müssen.

Das UVM sieht in der Förderung der 20 RS 1 einen atypischen Fall, dessen fördertechnische Abwicklung nicht von der VwV-Fahrzeuge erfasst werde. Regelungsgehalt und Zweck der Förderrichtlinie schlössen eine Förderung in besonders gelagerten Einzelfällen jedoch nicht aus.

Da zum Zeitpunkt der Bestellung für den vom Land verfolgten Zweck keine Alternativen auf dem Fahrzeugmarkt verfügbar gewesen seien und der RS 1 als einziges Fahrzeug die Gewähr geboten habe, das in Rede stehende Verkehrskonzept dieses Raumes ohne erhebliche „Kinderkrankheiten“ zeitgerecht zu verwirklichen, habe nach Ansicht des UVM auf eine Ausschreibung verzichtet werden können.

8 Schlussbemerkung

Die Argumente des UVM für die gewählte Vorgehensweise überzeugen nicht, da seine Absicht, die NE im Wettbewerb zu stärken, nicht umgesetzt wurde. Durch die Veräußerung der 20 Fahrzeuge an eine Tochter der DB wurden diese Überlegungen konterkariert.

Das RH hält auch an seiner Auffassung fest, dass das UVM wie ein Käufer oder Eigentümer handelte. So bestand zwischen UVM und Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft eine vollständige Weisungsabhängigkeit, weil sich das Ministerium das Recht vorbehielt, über die Fahrzeuge ohne Einschränkung verfügen zu können. Auch sollten die Verträge zwischen der Fahrzeugbereitstellungs-Gesellschaft und den künftigen, vom Ministerium bestimmten Betreibern im Einvernehmen mit dem Ressort konzipiert und abgeschlossen werden.

Das weitere Ziel des UVM, auf diese Art und Weise schneller Verbesserungen im SPNV zu realisieren, wurde nur bedingt erreicht. Seit 1999 sind die ersten 7 Einheiten im Einsatz. Die Auslieferung der weiteren 13 Fahrzeuge verzögerte sich; die letzten Fahrzeuge wurden erst Ende Februar 2000 ausgeliefert. Diese kommen nach einer Probephase erstmals zum Sommerfahrplan 2000 regulär zum Einsatz. Somit liegen zwischen der Auftragserteilung durch das Land und dem regulären Einsatz der 13 weiteren Fahrzeuge aus der Landesbestellung 2½ Jahre. Einen „außerordentlichen Termindruck“ vermag der RH nicht zu erkennen.

Nahezu zeitgleich mit diesen Fahrzeugen werden im Laufes des Frühjahres 2000 die vom Verkehrsunternehmen nachbestellten 10 RS 1 ausgeliefert, die für die Umsetzung der zweiten Stufe des Verkehrskonzeptes benötigt werden.

Im Übrigen wurde der gewährte Herstellerrabatt durch die Kosten der Vorfinanzierung durch das Land mehr als aufgezehrt. Auch aus diesem Grunde kann man hier nicht, wie das UVM, von einem „Schnäppchen“ sprechen.

Die vom UVM geltend gemachte Einzelfallregelung, die von der VwV-Fahrzeuge abweicht und eine durch die LHO zwingend vorgegebene Ausschreibung außer acht lässt, hält der RH ebenfalls für nicht gerechtfertigt, zumal früheren Beschaffungen Ausschreibungen vorausgingen.

Der Einsatz der zentral beschafften Fahrzeuge auf anderen Schienenstrecken wurde nicht realisiert. Dies war auch kaum möglich, weil entsprechende Verkehrskonzepte im umsetzungsreifen Stadium nicht vorlagen. Bei der Fahrzeugförderung im SPNV sollte entsprechend der Richtlinie die Initiative von den Betreibern der Verkehre ausgehen. Dadurch wäre gewährleistet, dass der Zeitpunkt der Umsetzung von Verkehrskonzepten hinreichend bestimmt ist und Klarheit über die Anforderungen an die Fahrzeuge und die benötigte Anzahl besteht. Nur bei einer solchen Vorgehensweise ist sichergestellt, dass sowohl die GVFG-Mittel als auch die Regionalisierungsmittel so effektiv wie möglich eingesetzt werden.