1 Ausgangslage
Die Landesregierung hat sich das Ziel gesetzt, Baden-Württemberg zu einer „Leitregion des digitalen Wandels“ zu entwickeln. Hierzu hat sie 2017 die Digitalisierungsstrategie „digital@bw“ gestartet.
Von 2017 bis 2019 wurden insgesamt 78 Digitalisierungsprojekte mit einem Gesamtvolumen von 323,3 Mio. Euro in den Landeshaushalt aufgenommen, die in einem Zeithorizont von 5 Jahren von den Ressorts umgesetzt werden sollen. Das Innenministerium steuerte 14 Projekte mit einem Gesamtvolumen von rund 30,5 Mio. Euro zur Digitalisierungsstrategie bei.
Das Förderprogramm „Future Communities 4.0“ ist eines dieser Projekte. Ziel des Programms ist es, die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit der Städte, Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg durch Förderung kommunaler Digitalisierungsprojekte zu sichern. Adressaten des Förderprogramms sind ausschließlich Kommunen.
Für das Programm standen von 2017 bis 2019 insgesamt 2,8 Mio. Euro zur Verfügung. Diese Mittel sind weitgehend verbraucht bzw. gebunden. Eine Fortführung des zunächst auf 3 Jahre angelegten Förderprogramms ist nach Auskunft des Innenministeriums jedenfalls in der bisherigen Form nicht vorgesehen.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Inhaltliche Vorgaben und Ziele des Förderprogramms
Die Förderung wurde in den Jahren 2017 bis 2019 jährlich neu ausgeschrieben. Die Ausschreibung war auch die Grundlage für die Förderung; eine eigene Verwaltungsvorschrift wurde nicht erlassen.
In der Ausschreibung für 2017 wurde als übergeordnetes Ziel die „Sicherung der Zukunftsfähigkeit“ der Gemeinden und Städte in Baden-Württemberg festgelegt. Konkret sollte die Sicherung und Weiterentwicklung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der wohnortnahen Versorgung insbesondere im ländlichen Raum im Mittelpunkt stehen. Als Themenschwerpunkte waren beispielsweise die Bereitstellung und Vernetzung kommunaler Informationen, Energiewende und Klimaschutz, Aufbau und Vernetzung lokaler Marktstrukturen und Mobilität definiert.
Die Ausschreibungen 2018 und 2019 stellten pauschal auf die Ziele der zwischenzeitlich veröffentlichten Digitalisierungsstrategie „digital@bw“ ab. Zu fördernde Maßnahmen mussten sich zumindest einem, bestenfalls mehreren Schwerpunkt- oder Querschnittsbereichen der Digitalisierungsstrategie zuordnen lassen.
Bewertungskriterien für die Förderung sollten z. B. der Grad der Innovation und Umsetzbarkeit (2017 bis 2019), die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse auf andere Kommunen (2017), die öffentliche Sichtbarkeit des Modellvorhabens (2018) und der erlebbare Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger sowie Alltagstauglichkeit und Attraktivität (2018, 2019) sein.
Insgesamt waren die Ausschreibungen sowohl in der Zielformulierung als auch in der Beschreibung des Fördergegenstands nicht hinreichend konkret. Die gewählten Formulierungen eröffneten allen Beteiligten erhebliche Auslegungsspielräume. Dies ermöglichte eine niederschwellige und breit gestreute Förderung, barg aber das Risiko der Beliebigkeit. Gleichzeitig erschweren unkonkrete Ziele die sachlich gebotene und haushaltsrechtlich erforderliche Erfolgskontrolle.
2.2 Geförderte Maßnahmen
Insgesamt wurden 159 Maßnahmen gefördert. Davon entfallen 85 auf das Jahr 2017; in diesem Jahr wurden alle Förderanträge auch bewilligt. Die durchschnittliche Fördersumme lag bei 8.700 Euro. In den Folgejahren wurden nur noch jeweils etwa 60 Prozent der Förderanträge bewilligt. Die Fördersummen lagen nun im Durchschnitt bei etwa 24.000 bzw. 32.000 Euro.
Insgesamt 84 der 159 geförderten Projekte waren Apps; dies entspricht einem Anteil von rund 53 Prozent. Das Bewilligungsvolumen für diesen Bereich lag bei rund 651 Tsd. Euro. Das sind rund 23 Prozent des Gesamtfördervolumens von 2,8 Mio. Euro. 2017 standen sogenannte „Bürger-/City-Apps“ sogar für rund 80 Prozent der geförderten Maßnahmen und 42 Prozent des Fördervolumens.
Auch in den beiden Folgejahren ergaben sich aufgrund inhaltlich vergleichbarer Förderanträge mehrerer Kommunen thematische Schwerpunkte der Förderung. 2018 waren dies neben Apps zur Jugendbeteiligung vor allem Projekte zur Straßenzustandserkennung mittels künstlicher Intelligenz. 2019 lag der Schwerpunkt der Förderung auf Online-Bürgerdiensten für Familien und kommunalen Digitalisierungsstrategien.
2.3 Förderschwerpunkt „Bürger-/City-Apps“
Das Förderprogramm wurde vor allem 2017 überwiegend für Kleinprojekte in Anspruch genommen. Dies belegen die in Relation zum Fördervolumen hohen Zahlen von Förderbescheiden und das geringe durchschnittliche Bewilligungsvolumen. Für den Bereich der sogenannten „Bürger-/City-Apps“ gilt dies in besonderem Maße.
Die Förderbeträge für Apps reichten 2017 von 750 Euro bis 72.206 Euro. Die Mehrzahl der Maßnahmen wurde mit Beträgen von weniger als 5.000 Euro gefördert. Im Durchschnitt waren es 4.814 Euro je App.
2018 wurden nur noch wenige „Bürger-/City-Apps“ bewilligt, allerdings mit deutlich höheren Beträgen. 2019 wurden sie explizit von der Förderung ausgenommen.
Bis dahin wurde eine Vielzahl nahezu identischer Apps von hauptsächlich drei Anbietern gefördert. Aus Sicht des Rechnungshofs besteht bei der Förderung von Standardprodukten ein hohes Risiko von Mitnahmeeffekten. Zudem entspricht die Förderung des Erwerbs kommerziell vertriebener Apps jedenfalls nicht dem übergeordneten Ziel der Digitalisierungsstrategie des Landes, ein „Innovations- und Nachhaltigkeitsmotor“ zu sein.
Die Gewährung von Fördermitteln für Kleinprojekte mag dazu geeignet gewesen sein, die Fördermittel möglichst niederschwellig und breit gestreut auf die Kommunen zu verteilen. Nachhaltige Effekte im Sinne des - ohnehin sehr vage definierten - Förderziels sind bei dieser Vorgehensweise jedoch nicht zu erwarten.
Gleichzeitig ist fraglich, ob die Förderung einer großen Zahl an kleineren Projekten mit teils geringen Förderbeträgen mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz vereinbar ist. Der Aufwand für das Förderverfahren muss in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Zuwendung stehen. Bei Förderbeträgen, die überwiegend im unteren einstelligen Tausenderbereich liegen, ist dies zweifelhaft. Dies gilt erst recht, wenn zusätzlich der kommunale Aufwand für die Antragstellung und Förderabwicklung berücksichtigt wird.
2.4 Abwicklung des Förderprogramms
Für die Abwicklung von Förderprogrammen steht den Ressorts das Programm Fördermittelbearbeitungs- und -informationssystem (FöBIS) zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um eine Softwarelösung auf SAP-Basis, die eine einheitliche Bearbeitung aller Prozessschritte der Fördermittelverwaltung ermöglicht.
Beim Förderprogramm „Future Communities 4.0“ wurde FöBIS im Wesentlichen nur für die Buchung der Zahlungen genutzt. Für die Antragsbearbeitung wurde weder FöBIS noch eine andere Softwarelösung eingesetzt. Die - ausschreibungsgemäß - in Papierform oder elektronischer Form (als pdf-Datei) eingehenden Anträge mussten manuell erfasst werden. Auch wenn die durchschnittliche Bearbeitungszeit im Verlauf des Programmzeitraums deutlich zurückging, so war sie unter Berücksichtigung der geringen Komplexität und Vielfalt der Projektanträge mit durchschnittlich 178 Tagen dennoch zu lang. Eine wesentliche Ursache hierfür war, dass die Anträge häufig unvollständig waren und nicht medienbruchfrei übernommen werden konnten.
Die gesamte Antragsbearbeitung war gerade für ein Förderprogramm der Digitalisierungsstrategie nicht zeitgemäß. Durch den Einsatz von FöBIS hätte sie deutlich einfacher gestaltet werden können. Das Ministerium führte hierzu an, der finanzielle Aufwand für die Anpassung von FöBIS hätte in keinem Verhältnis zur Erleichterung bei der Antragsbearbeitung gestanden. Dies ist angesichts des Anpassungsbedarfs infolge der jährlichen Ausschreibungen sowie des insgesamt eher geringen Fördervolumens zwar nachvollziehbar, spricht aber aus Sicht des Rechnungshofs in erster Linie gegen das Förderkonzept.
Angesichts der geringen Komplexität wäre zudem eine Abwicklung des Förderprogramms unterhalb der ministeriellen Ebene in Frage gekommen.
3 Empfehlungen
3.1 Ziele und Gegenstand von Förderprogrammen konkreter beschreiben
Förderprogramme sollten hinsichtlich Ziel und Gegenstand der Förderung so konkret wie möglich beschrieben werden. Die Zielbeschreibung muss eine sachgerechte inhaltliche Erfolgskontrolle ermöglichen.
3.2 Förderverfahren digitalisieren
Förderprogramme der Digitalisierungsstrategie sollten digital abgewickelt werden. Hierfür sollte die Software FöBIS genutzt werden.
Die Förderanträge sollten ohne Medienbrüche bearbeitet werden können. Hierzu sollte für die Antragstellung ein elektronischer Vordruck verwendet werden, in den alle erforderlichen Angaben einzutragen und dem die erforderlichen Anlagen in elektronischer Form beizufügen sind, bevor der Antrag eingereicht werden kann. Dies könnte über eine Plausibilitätsprüfung im System gesteuert werden. Die Antragsdaten sollten mittels einer Schnittstelle automatisiert nach FöBIS übertragen werden.
3.3 Förderung auf innovative Maßnahmen fokussieren
Auf Innovation ausgerichtete Förderprogramme sollten so gestaltet sein, dass nicht der Erwerb von Standardprodukten gefördert wird. Die Förderung einer Vielzahl gleichförmiger Projekte sollte vermieden werden.
3.4 Kleinförderungen vermeiden
Förderverfahren sind so zu gestalten, dass der Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Zuwendung steht. Kleinförderungen sind mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht vereinbar und deshalb zu vermeiden.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Innenministerium äußerte, die Anforderungen an die Neuartigkeit von Projekten und Produkten seien zunächst absichtlich niedrig gesteckt worden. Das Ministerium habe die Ideenvielfalt nicht einschränken und niederschwellig möglichst viele Kommunen an das Thema Digitalisierung heranführen wollen.
Die Förderbewilligungen im Rahmen einer medienwirksamen Preisverleihung mit Herrn Minister Strobl hätten eine positive Veränderung der Einstellung zur Digitalisierung in den Kommunen und eine erhöhte Wahrnehmung der Maßnahmen durch die Bürgerinnen und Bürger bewirkt. So sei auch das Ziel erreicht worden, konkrete Mehrwerte zu schaffen. Beispielhaft weist das Ministerium auf die Vorteile der Apps als schnelles Informationsmedium über lokale Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hin.
Die Kleinstförderungen seien sinnvoll gewesen, um eine wirtschaftlich günstige Relation zwischen den zur Verfügung stehenden Förderressourcen und dem verfolgten Zweck zu erreichen. Die Digitalisierung des Förderverfahrens selbst sei auf Basisfunktionen beschränkt worden, damit der Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zum Fördervolumen steht.