Nachtragsmanagement im Staatlichen Hochbau [Beitrag Nr. 17]

Der Landesbetrieb Vermögen und Bau realisiert jedes Jahr mit einem Budget von über 800 Mio. Euro etwa 75 große und viele kleine Baumaßnahmen. Die Mehrheit der Baumaßnahmen hielt den geplanten Kosten- und Zeitrahmen ein. Erhebliche Nachträge entstanden zumeist durch Leistungs- oder Planungsänderungen bei Sanierungen. Das Nachtragsmanagement sollte optimiert und für Top-Projekte ein umfassendes Risikomanagement etabliert werden.

1 Ausgangslage

Der Rechnungshof prüfte das Nachtragsmanagement beim Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg. Er untersuchte 48 im Jahr 2017 fertiggestellte große Baumaßnahmen (Gesamtbaukosten über 2 Mio. Euro). Dabei wurde insbesondere der Umgang mit Nachträgen, Mehr- und Minderkosten, Änderungen sowie Behinderungen im Bauprozess und die Kostenentwicklung untersucht. Neben den einschlägigen Vorschriften des öffentlichen und privaten Baurechts wirken sich die Vergabeverordnung, die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) sowie das Vergabehandbuch des Bundes (VHB) mit den landesspezifischen Ergänzungen auf das Nachtragsmanagement und das Handeln des Landesbetriebs aus.

Die VOB Teil B definiert unterschiedliche Arten bzw. Änderungen des bauvertraglich vereinbarten Leistungssolls, die regelmäßig zu Nachträgen führen:

  • Mengenänderung (Quantität),
  • Leistungsänderung oder -entfall (Qualität),
  • Leistung ohne Auftrag (nicht beschrieben),
  • Zusätzliche Leistung (Unvorhersehbares),
  • Erschwernisse und Behinderungen.

Das VHB enthält in Teil 5 - Nachtragsmanagement - einen Leitfaden zur Vergütung bei Nachträgen. Der Leitfaden befasst sich mit dem Vertragsinhalt, den Leistungspflichten des Auftragnehmers und den Befugnissen des Auftraggebers nach § 1 und § 2 VOB Teil B. Hierbei wird insbesondere auf die Kooperationspflicht der Vertragsparteien hingewiesen. Diese sind u. a. verpflichtet, durch Verhandlungen Meinungsverschiedenheiten beizulegen.

2 Prüfungsergebnisse

2.1 Erhebliche Mehrkosten sind die Ausnahme

Die Bauverwaltung kann in Bezug auf die Kostensicherheit bei den geprüften Baumaßnahmen gute Ergebnisse vorweisen. Der überwiegende Teil der geprüften Maßnahmen hielt den Kostenrahmen ein, obwohl der Baupreisindex im Betrachtungszeitraum im Mittel um 2,5 Prozentpunkte je Jahr stieg.

Zwei Drittel der Baumaßnahmen mit einem Auftragswert von 160 Mio. Euro wurden mit weniger als 10 Prozent Mehrkosten abgerechnet. Alle 48 geprüften Baumaßnahmen mit einem Gesamtwert von 292 Mio. Euro wurden mit etwa 11 Prozent (30 Mio. Euro) über den erstmalig veranschlagten Haushaltsmitteln abgerechnet.

Beitrag 17 Abbildung 1

2.2 Bei Sanierungen deutlich mehr Nachträge

Bei Sanierungs- und Umbaumaßnahmen sind die Bauzeit und die Leistungen weit weniger vorhersehbar als bei Neubaumaßnahmen. Bezogen auf die genehmigten Gesamtbaukosten der Bauunterlage wurden bei Sanierungen im Mittel 17 Prozent und bei Neubaumaßnahmen 6 Prozent Nachträge notwendig.

Exemplarisch für überdurchschnittliche Nachträge sind die Sanierungs- und Umbaumaßnahmen von 2016 bis 2019 am Gebäude des Innenministeriums in der Stuttgarter Innenstadt. Das 2013 errichtete Gebäude wurde vom Land angemietet. Der Mietvertrag sieht vor, dass der gesamte Bauunterhalt dem Mieter obliegt. Die Bauunterlage von 2016 sah zunächst u. a. für folgende Maßnahmen Kosten von 1,8 Mio. Euro vor:

  • Anbau eines Windfangs,
  • Einbau Revisionsklappen zur Wartung der Technik,
  • Nachrüsten von Wärme- und Kältemengenzählern,
  • Zusätzliche Fahrradabstellplätze.

Die Maßnahme wurde 2019 mit 2,8 Mio. Euro abgerechnet. Erhebliche Nachträge entstanden beispielsweise beim Einbau der Revisionsöffnungen in den Fluren. Der freihändig vergebene Auftrag über 50.000 Euro für zunächst rund 200 Revisionsklappen wurde durch fünf Nachträge auf knapp 600.000 Euro für 588 Revisionsklappen aufgestockt.

Beitrag 17 Abbildung 2

2.3 Häufigste Ursachen für Nachträge waren Änderungen

Auch die beste Planung kann keine Nachträge ausschließen. Allerdings kann mit einer abgeschlossenen Planung, einer sorgfältigen Grundlagenermittlung und einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung das Risiko von Nachträgen erheblich reduziert werden.

Lücken im Leistungsverzeichnis eröffnen nach der Auftragserteilung Raum für Nachträge. Werden sie von einzelnen Bietern erkannt, bieten sie Spielraum für strategische Angebotspreise, die sich wettbewerbsverzerrend auswirken können.

Der Landesbetrieb hat eine Qualitätserklärung zum Leistungsverzeichnis für freiberuflich Tätige sowie einen Gesprächsleitfaden zur Einweisung der freiberuflich Tätigen zu den Themen Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung eingeführt.

Der Rechnungshof stellte fest, dass die häufigsten Ursachen für Nachträge Leistungs- oder Planungsänderungen mit 45 bzw. 32 Prozent waren. Ungenügende Vorbereitung, nicht ausgereifte Planungen sowie mangelhafte Ausschreibungen hatten Änderungen und Nachträge zur Folge.

Beitrag 17 Abbildung 3

Weitere Ursachen (9 Prozent) waren Mängel im Leistungsverzeichnis, beispielsweise durch fehlende, unvollständige oder falsche Beschreibungen. Änderungen oder besondere Auflagen aus dem Bauordnungsrecht waren in 7 Prozent der Nachträge ursächlich.

Zudem stellte der Rechnungshof Nachträge durch spätere Nutzerwünsche, Behinderungen, Verzögerungen oder Witterungseinflüsse fest.

Mehr als die Hälfte der Nachträge wären durch eine vollständige bzw. sorgfältigere Grundlagenermittlung und Planung vermeidbar gewesen.

Der Landesbetrieb Vermögen und Bau hat die Plausibilitätsprüfung der Leistungsbeschriebe bzw. -verzeichnisse vor der Veröffentlichung nicht ausreichend stringent verfolgt. Ungenügende Planungsleistungen bzw. Ausschreibungen hätten häufiger beanstandet bzw. mit einer Fristsetzung zurückgewiesen werden müssen.

2.4 Dauer der Nachtragsprüfung durch die freiberuflich Tätigen und die Bauverwaltung

Die Phasen der Nachtragsprüfung beinhalten die Wertung, die notwendige Klärung von Änderungen, die Kalkulation der Leistung sowie die Begründung. Das Nachtragsangebot ist unverzüglich nach Vorlage der Nachweise zu prüfen, damit die notwendige Nachtragsvereinbarung vor der Ausführung getroffen werden kann (§ 2 Absatz 5 VOB Teil B).

Die Bearbeitung der Nachträge durch die freiberuflich Tätigen und den Landesbetrieb dauerte häufig zu lange. In Einzelfällen nahm dieser Vorgang weit mehr als 100 Kalendertage in Anspruch. Bei mehr als 100 geprüften Einzelfällen betrug die mittlere Dauer vom Tag des Angebots bis zur schriftlichen Beauftragung 63 Kalendertage (ohne die vorgenannten Ausreißer).

Die Nachträge wurden nicht durchweg zeitnah und konsequent bearbeitet sowie vereinbart. Damit wurden weitere potenzielle Behinderungen im Bauprozess oder Mehrkosten in Kauf genommen.

Bei 18 Prozent der Nachträge wurden keine neuen Vertragsfristen vereinbart, obwohl dies erforderlich gewesen wäre. 15 Prozent der Nachtragsvereinbarungen wurden erst nach Fertigstellung der Leistung abgeschlossen. Nach Fertigstellung ist eine ordnungsgemäße Prüfung nicht mehr sinnvoll möglich.

2.5 Ungenügende Dokumentation

Bei der Mehrheit der Maßnahmen fehlten wesentliche Teile der Dokumentation, wie die Preiskalkulation oder die stichhaltige Begründung der Mehr- bzw. Minderkosten. Somit waren die Nachträge im Einzelfall nicht prüfbar.

§ 2 VOB Teil B beschreibt u. a., wie bei Änderungen der beauftragten Menge anhand der 10-Prozent-Regelung die Einheitspreise zu vereinbaren bzw. zu vergüten sind. Die Prüfung aller sonstigen Bedingungen, die zu Nachträgen führen, sind in der landesspezifischen Ergänzung zum VHB zu Teil 5 in einem Leitfaden genannt. Jedoch wurde dieser vom Land nicht verbindlich eingeführt. Er dient somit nur zu Informationszwecken. Weitere Regelungen des Bundes hat das Land bewusst außer Kraft gesetzt. Der Rechnungshof sieht hier Regelungsbedarf, wie die Prüfung von Nachträgen konkret durchzuführen ist.

2.6 Risikomanagement

Ein Risikomanagement erkennt, bewertet und aktualisiert Risiken während des gesamten Bauprozesses. Es weist den Projektverantwortlichen monetär bewertete Risiken inklusive ihrer Eintrittswahrscheinlichkeiten nach Phasen getrennt zu und sollte von Personen wahrgenommen werden, die nicht mit der Planung oder Projektleitung betraut sind.

Beitrag 17 Abbildung 4

Der Landesbetrieb führt zwar regelmäßig interne Risikomanagementbesprechungen für Projekte mit mehr als 15 Mio. Euro Gesamtbaukosten durch. Diese fokussieren indes lediglich auf Kosten und Termine bei grober Unterteilung nach Baugrund-, Bausubstanz-, Genehmigungs- und Baupreisrisiken. Es fehlt eine fortlaufende monetäre Bewertung von Einzelrisiken und die Zuweisung an die jeweiligen Projektverantwortlichen. Insoweit sieht der Rechnungshof Verbesserungspotenzial hin zu einem detaillierten Risikomanagement. Ein solches könnte das Nachtragsvolumen wesentlich reduzieren. Der Rechnungshof sieht insbesondere bei sogenannten Top-Projekten die Notwendigkeit, ein Risikomanagement zu etablieren.

3 Empfehlungen

3.1 Qualität der Leistungsbeschriebe verbessern

Die Mengenangaben und Qualitäten der Leistungsbeschriebe sollten verbessert werden. Der Landesbetrieb sollte die freiberuflich Tätigen zu mehr Sorgfalt bei der Planung anhalten und überwachen. Die Plausibilitätsprüfung durch die Bediensteten des Landesbetriebs sollte intensiviert werden.

3.2 Risikomanagement einführen

Das Land sollte insbesondere bei besonders großen Bauprojekten ein Risikomanagement etablieren, das die Vielzahl der Einzelrisiken benennt, bewertet und verantwortlichen Personen zuweist.

3.3 Landeseigenen Leitfaden einführen

Der „Leitfaden zur Vergütung von Nachträgen“ des Vergabehandbuchs des Bundes sollte nicht nur Informationszwecken dienen. Das Land sollte hierfür verbindliche Regeln einführen.

3.4 Vereinbarung von Nachträgen beschleunigen

Sind Nachträge erforderlich, sind diese technisch sowie wirtschaftlich zu prüfen und hierüber unverzüglich schriftliche Nachtragsvereinbarungen abzuschließen. Mit den Vertragspartnern sind dabei grundsätzlich neue Vertragsfristen zu vereinbaren. Der Landesbetrieb sollte sicherstellen, dass die Verfahren beschleunigt werden.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Finanzministerium bestätigt, dass das Nachtragsmanagement ein wichtiges Instrument zum rechtssicheren Umgang mit nachträglichen Änderungen des vertraglich geschuldeten Bausolls sei. Dies erfordere fundierte rechtliche und betriebswirtschaftliche Kenntnisse sowie ein breit gefächertes Wissen in vielen Bereichen. Insbesondere die Qualitätssicherung beim Nachtragsmanagement werde kontinuierlich verbessert und die Betriebsleitung des Landesbetriebs personell verstärkt. Darüber hinaus würden auch Schulungen und Fortbildungen verstärkt durchgeführt.

Zur Qualitätssteigerung habe der Landesbetrieb einen Gesprächsleitfaden zur Einweisung der freiberuflich Tätigen eingeführt. Er enthalte Hinweise und Vorgaben in Form von Checklisten zur Erstellung von VOB-konformen Ausschreibungs- und Vergabeunterlagen.

Der Landesbetrieb habe 2012 ein Risikomanagement eingeführt, das 2015 umfassend überarbeitet worden sei. Es sei beabsichtigt, das Verfahren in Anlehnung an die Empfehlungen des Rechnungshofs punktuell weiterzuentwickeln.

Das Ministerium sagte zu, den „Leitfaden zur Vergütung bei Nachträgen“ des Vergabehandbuchs des Bundes künftig verbindlich vorzugeben.

Die Zeitdauer sowie die Dokumentation der Vereinbarung von Nachträgen sollen durch eine IT-Unterstützung und die Einrichtung einer Kompetenzstelle verbessert werden.