1 Schuldenbremse des Grundgesetzes - bundesweite Geltung und Überwachung ab 2020
Die Schuldenbremse des Grundgesetzes ist seit dem Jahr 2020 auch von den Ländern verbindlich einzuhalten. Sie regelt, dass deren Haushalte grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Wie der Bund können auch die Länder Regelungen zur symmetrischen Berücksichtigung konjunktureller Schwankungen und für die Bereinigung um finanzielle Transaktionen treffen. Außerdem können Ausnahmen für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen normiert werden.
Der Stabilitätsrat wurde beauftragt, ab 2020 zu überwachen, ob Bund und Länder die Schuldenbremse einhalten. Dies erfolgt zum einen auf Basis der bundes- bzw. jeweiligen landesrechtlichen Regelungen zur Einhaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremse. Zwischen den Ländern gibt es hier durchaus Unterschiede.
Zum anderen überprüft der Stabilitätsrat anhand eines einheitlichen, harmonisierten Analysesystems, ob Auffälligkeiten bestehen. Vereinfacht gesagt werden bei diesem System die Haushalte von Bund und allen Ländern nach übereinstimmenden Regeln zur Schuldenbremse gemessen.
2 Umsetzung der Schuldenbremse in Baden-Württemberg ab 2020
Mit dem Ziel, den Landeshaushalt spätestens bis 2020 strukturell auszugleichen, hatte Baden-Württemberg zwischen 2013 und Ende 2019 eine Übergangsregelung zur Schuldenbremse etabliert.
Die dauerhafte Verankerung der Schuldenbremse im Landesrecht ab 2020 erfolgte in zwei Schritten:
Im ersten Schritt wurde § 18 Landeshaushaltsordnung durch das Haushaltsbegleitgesetz 2020/2021 zum 1. Januar 2020 neu gefasst. Damit wurden die einfachgesetzlichen Regelungen zur Umsetzung der Schuldenbremse im Landesrecht verankert.
Im zweiten Schritt wurden durch Beschluss des Landtags vom 20. Mai 2020 die Grundsätze der Schuldenbremse in Artikel 84 der Landesverfassung und somit auf Verfassungsebene geregelt.
Die Neuregelung der Schuldenbremse in der Landesverfassung und der Landeshaushaltsordnung hat folgenden Inhalt:
- Kreditaufnahmen zum Ausgleich des Haushalts sind grundsätzlich verboten;
- in die Landes-Schuldenbremse werden auch Kreditaufnahmen und Tilgungen bestimmter Extrahaushalte einbezogen, sofern der Schuldendienst aus dem Landeshaushalt zu erbringen ist;
- eine symmetrische Konjunkturkomponente auf Basis der Produktionslückenmethode des Bundes (ex-ante und ex-post);
- eine Finanztransaktionskomponente;
- eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen mit Tilgungsplan;
- die Einrichtung eines Kontrollkontos und eines Symmetriekontos.
Die Regelungen in der Landesverfassung und der Landeshaushaltsordnung erlauben Kreditaufnahmen nur noch konjunkturbedingt, bei finanziellen Transaktionen, Tilgung von Schulden in Extrahaushalten oder bei bestimmten Ausnahmesituationen.
Für konjunkturbedingte Schuldenaufnahmen gilt, dass sie symmetrisch ausgeglichen werden müssen. Das heißt, in schwachen Konjunkturphasen aufgenommene Kredite müssen bei gegenläufiger Entwicklung wieder getilgt werden. Dies kann anhand des Symmetriekontos überprüft werden. Im Ergebnis dürfen sich die Landesschulden durch konjunkturbedingte Kredite nicht strukturell, sondern nur temporär erhöhen.
Auch bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Landes entziehen und die Finanzlage von Baden-Württemberg erheblich beeinträchtigen, können Kredite aufgenommen werden. Allerdings sind diese Schulden innerhalb eines angemessenen Zeitraums wieder zu tilgen. Hierzu ist nach den rechtlichen Vorgaben ein Tilgungsplan zu erstellen.
3 Aktuelle Entwicklungen im Jahr 2020
Die haushaltsmäßige Verschuldung des Landes betrug zum Jahresende 2019 insgesamt 45,0 Mrd. Euro. Dieser Wert stellt damit den Ausgangspunkt für die dauerhaft wirkende Schuldenbremse für Baden-Württemberg dar.
3.1 Urhaushalt 2020/2021 - Keine Neuverschuldung geplant
Die landesrechtliche Regelung zur Schuldenbremse hätte es Baden-Württemberg schon im Urhaushalt erlaubt, aufgrund der Konjunktur- und der Finanztransaktionskomponente für 2020 neue Kredite von 179,7 Mio. Euro aufzunehmen. Für 2021 wäre eine Nettoneuverschuldung von 249,7 Mio. Euro möglich gewesen.
Im Urhaushalt 2020/2021 wurden jedoch keine Einnahmen aus Krediten veranschlagt. Vielmehr wurde im Hinblick auf die Übergangsregelung zur Schuldenbremse sogar eine Tilgung von Kreditmarktschulden vorgesehen.
3.2 Nachtragshaushalt 2020/2021 vom März 2020 - Kreditermächtigung von 5 Mrd. Euro geschaffen
Die Corona-Pandemie erfordert auch in Baden-Württemberg in erheblichem Umfang finanzwirksame Maßnahmen. Zu deren Finanzierung beschloss der Landtag am 19. März 2020 das „Gesetz zur Feststellung einer Naturkatastrophe, der Höhe der Ausnahmekomponente und zur Festlegung eines Tilgungsplans nach § 18 Absatz 6 der Landeshaushaltsordnung für Baden-Württemberg“ und einen Nachtrag zum Staatshaushaltsplan 2020/2021 .
Mit diesem Gesetzespaket wurde
- die Corona-Pandemie als Naturkatastrophe und somit als Ausnahmefall für eine Kreditaufnahme festgestellt;
- die Höhe der Nettokreditaufnahme auf bis zu 5 Mrd. Euro festgelegt;
- ein Tilgungsplan für die Rückführung dieser Schulden ab 2024 in jährlichen Raten von je 500 Mio. Euro beschlossen.
3.3 Mai-Steuerschätzung 2020 - In 2020/2021 Steuerausfälle von 6,8 Mrd. Euro erwartet und neue Konjunkturkomponenten von minus 7,2 Mrd. Euro
Die Steuerschätzung vom Mai 2020 prognostiziert Netto-Steuermindereinnahmen im Landeshaushalt von 3,3 Mrd. Euro für 2020 sowie 3,5 Mrd. Euro für 2021 gegenüber dem Urhaushalt. Ursache ist der erwartete krisenbedingt deutliche Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Vergleich zur Projektion zum Zeitpunkt der Aufstellung des Haushalts.
Für den unterstellten Fall eines weiteren Nachtragshaushalts auf der Grundlage der aktuellen Frühjahrsprojektion der Bundesregierung (Stand Mai 2020) würde eine Neuberechnung der Konjunkturkomponente nach § 18 Landeshaushaltsordnung dem Land ermöglichen, konjunkturbedingt 4,5 Mrd. Euro für 2020 bzw. 2,7 Mrd. Euro für 2021 an neuen Krediten aufzunehmen. Somit könnten rechnerisch nicht nur die aktuell prognostizierten Steuerausfälle in 2020 und 2021 durch neue Kredite gedeckt werden, sondern es bliebe darüber hinaus noch ein Spielraum für eine weitere Nettokreditaufnahme von 0,4 Mrd. Euro.
Aufgrund der Unsicherheiten der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Corona-Pandemie soll im September 2020 eine Interims-Steuerschätzung stattfinden. Für einen weiteren Nachtrag zum Haushalt für die Jahre 2020 und 2021 liegt dann eine insgesamt verlässlichere Planungsgrundlage vor.
3.4 Fazit
Mit der zur Bewältigung der Naturkatastrophe beschlossenen Kreditermächtigung von 5 Mrd. Euro und der nach aktueller Konjunkturprognose rechnerisch möglichen Kreditaufnahme von weiteren 7,2 Mrd. Euro ergäbe sich für die Jahre 2020/2021 eine maximale Nettokreditaufnahme von 12,2 Mrd. Euro. Das wären mehr als 27 Prozent der bisherigen haushaltsmäßigen Verschuldung des Landes von 45 Mrd. Euro.
Der Rechnungshof anerkennt, dass zur Bekämpfung der Folgen der Krise frühzeitig ein Volumen von 5 Mrd. Euro an Krediten bereitgestellt wurde.
Gleichzeitig warnt er davor, die sich jetzt aus der aktuellen BIP-Prognose ergebenden weiteren Kreditaufnahmemöglichkeiten für 2020, soweit diese betragsmäßig die Steuerausfälle übersteigen, unmittelbar für neue laufende Ausgaben zu nutzen. Zunächst sollte die weitere Steuerschätzung im September abgewartet werden.
4 Behandlung von Darlehen aufgrund des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bei der Berechnung der Kreditaufnahmemöglichkeit
4.1 Finanztransaktionskomponente
Die Länder haben bei der Umsetzung der Schuldenbremse im Landesrecht die Möglichkeit, finanzielle Transaktionen durch eine Finanztransaktionskomponente zu berücksichtigen.
Auch bei der ab 2020 neu eingeführten Überwachung der Einhaltung der Schuldenbremse beim Bund und den Ländern durch den Stabilitätsrat findet die Finanztransaktionskomponente im harmonisierten Analysesystem Anwendung.
Gemäß der Definition des Rates sind finanzielle Transaktionen finanzvermögensneutrale Vorgänge. Das heißt, mit den Kassenbewegungen gehen ausgleichende Gegenbuchungen bei Forderungen bzw. Verbindlichkeiten einher.
Durch die Neufassung des § 18 Absatz 3 Landeshaushaltsordnung werden finanzielle Transaktionen bei der ab 2020 geltenden Schuldenbremse in Baden-Württemberg berücksichtigt. Einnahmen aus der Veräußerung von Beteiligungen, aus Kreditaufnahmen beim öffentlichen Bereich und aus Darlehensrückflüssen verringern die Kreditaufnahmemöglichkeit bzw. erhöhen die Tilgungsverpflichtung. Umgekehrt führen Ausgaben für einen Beteiligungserwerb, für Rückzahlungen von Krediten an den öffentlichen Bereich und für Darlehensvergaben zu einer Erhöhung der Kreditaufnahmemöglichkeit bzw. einer Verringerung der Tilgungsverpflichtung.
4.2 Sonderfall Darlehen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)
Für die Berechnung der zulässigen Kreditaufnahme für den Urhaushalt 2020/2021 hat sich das Finanzministerium an dem der bundesweit vereinheitlichten Haushaltssystematik folgenden Berechnungsschema des Stabilitätsrats orientiert. Deshalb wurden die Ausgaben für die Vergabe von BAföG-Darlehen als die Kreditaufnahmemöglichkeit erhöhende Transaktionen berücksichtigt. Es handelt sich dabei um einen Betrag von rund 122 Mio. Euro je Haushaltsjahr.
Der Rechnungshof erachtet dies nicht als sachgerecht:
- Seit 2015 trägt der Bund die Ausgaben für die Ausbildungsförderung zu 100 Prozent. Die Zuschüsse und Darlehen für die Studierenden werden zwar als Ausgaben über die Länderhaushalte abgewickelt, wofür die Länder entsprechende Zahlungen vom Bund in Form durchlaufender Mittel erhalten. Die konkrete Darlehensvergabe an die Studierenden erfolgt somit über die Länderhaushalte.
- Die Länder erwerben jedoch keinen Rückzahlungsanspruch. Die Rückzahlungsverpflichtungen der Studierenden bestehen vielmehr gegenüber dem Bund. Und anders als die Darlehensauszahlungen fließen die Rückzahlungen auch nicht durch den Landeshaushalt, sondern direkt dem Bund zu.
- Den Ausgaben für die BAföG-Darlehen im Landeshaushalt steht keine finanzvermögensneutrale Gegenbuchung in Form eines Rückzahlungsanspruchs gegenüber. Die materielle Voraussetzung für eine finanzielle Transaktion liegt damit nicht vor. Zudem geht es um Darlehen, die der Bund finanziert. Nach Sinn und Zweck der Schuldenbremse besteht somit keine Rechtfertigung, aufgrund dieser Ausgaben die Kreditaufnahmemöglichkeit zu erhöhen oder die Tilgungsverpflichtung zu senken.
Das Finanzministerium Baden-Württemberg schließt sich der Auffassung des Rechnungshofs an. Es wird BAföG-Darlehen bei der Aufstellung künftiger (Nachtrags-)Haushalte nicht mehr als finanzielle Transaktion berücksichtigen. Somit wird eine entsprechende Neuberechnung bereits mit dem für 2020 zu erwartenden Nachtrag erfolgen.