1 Ausgangslage
Der Rechnungshof und die Staatlichen Rechnungsprüfungsämter untersuchen seit Jahren die Arbeit der Finanzämter im Land. Im Fokus der Prüfung steht dabei regelmäßig die Frage, ob die Steuern rechtzeitig und vollständig erhoben wurden. Schwerpunkt entsprechender Erhebungen waren in den letzten Jahren die Veranlagungsstellen als Kernbereich der Finanzämter.
Zum einen wurden dabei potenzielle Fehlerschwerpunkte vertieft untersucht. Daraus leitete der Rechnungshof Vorschläge ab, wie die Arbeitsqualität verbessert werden kann. Diese sind teilweise auf den Weg gebracht, einige bereits umgesetzt worden. So wurden beispielsweise die Empfehlungen des Rechnungshofs zu den elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen weitgehend umgesetzt. Ebenso ist die Landesregierung den Vorschlägen des Rechnungshofs zum Umgang mit den Rentenbezugsmitteilungen gefolgt. Auch beim Thema „Kirchenabgeltungsteuer“ hat die Landesregierung, soweit sie allein tätig werden konnte, den Empfehlungen des Rechnungshofs entsprochen.
Zum anderen wurden ganz überwiegend bedeutsame Steuerfälle mit hohen Einkünften und mehreren Einkunftsarten in ihrer ganzen Breite geprüft. Diese wurden nach Risikokriterien gezielt ausgewählt. 2011 bis 2017 wurden solche bedeutsamen Steuerfälle bei insgesamt 57 Finanzämtern untersucht. Die Ergebnisse sind nachfolgend zusammengefasst dargestellt.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Geprüfte und beanstandete Steuerbescheide, Fehlerquote
In Tabelle 1 sind - aufgegliedert nach den unterschiedlichen Fallarten - die Zahl der geprüften und der beanstandeten Steuerbescheide sowie die Fehlerquote dargestellt.
In den untersuchten Finanzämtern haben wir insgesamt 29.006 Steuerbescheide vollumfänglich geprüft. In 13.007 Fällen ergaben sich Beanstandungen. Die durchschnittliche Fehlerquote beträgt damit 45 Prozent. Die höchste Fehlerquote - 48,6 Prozent - ergab sich bei den Einkommensteuerfällen.
Zudem wurden 3.616 Steuerbescheide hinsichtlich unterschiedlicher Themen punktuell geprüft. Davon wurden 1.764 Bescheide (48,8 Prozent) beanstandet.
2.2 Einkommensteuerfälle
2.2.1 Fehlerquoten nach Verantwortungsbereichen
Die Finanzverwaltung führte 2008 ein Risikomanagementsystem ein. Dieses zeigt mittels Hinweisen die mutmaßlich risikobehafteten Teilbereiche der Steuererklärung auf. Bei jeder erstmaligen Veranlagung sind grundsätzlich nur diese Bereiche vom Bearbeiter zu prüfen. Dadurch können zwei Verantwortungsbereiche innerhalb eines Einkommensteuerfalls entstehen: Der Verantwortungsbereich des Risikomanagementsystems und der des Bearbeiters.
In Tabelle 2 sind für die geprüften Einkommensteuerfälle (ohne Arbeitnehmerfälle) die Fehlerquoten nach Verantwortungsbereichen aufgeführt. Fälle, für die sowohl die Bearbeiter als auch das Risikomanagementsystem verantwortlich sind, enthalten zwei Verantwortungsbereiche und werden daher in beiden Bereichen gezählt.
Die wesentlich geringere Fehlerquote im Verantwortungsbereich des Risikomanagementsystems dürfte hauptsächlich durch die Auswahl unserer Prüffälle beeinflusst sein. Bei diesen bedeutsamen Steuerfällen steuert das Risikomanagementsystem die meisten Sachverhalte aufgrund ihres Risikogehalts regelmäßig zur personellen Bearbeitung aus. Sachverhalte mit geringem Risiko kommen in diesen Fällen zum einen also nur recht selten vor. Zum anderen beschränken sie sich dann zumeist auf sehr einfache Problemstellungen.
2.2.2 Fehlerquoten nach Veranlagungszeiträumen
Tabelle 3 zeigt auf, wie sich die Fehlerquote bei den Einkommensteuerfällen (ohne Arbeitnehmerfälle) zeitlich entwickelt hat. Die beiden Verantwortungsbereiche „Bearbeiter“ und „Risikomanagementsystem“ werden dabei gesondert dargestellt.
Im Verantwortungsbereich der Bearbeiter verringerte sich die Fehlerquote in den Veranlagungszeiträumen 2013 und 2014 im Vergleich zum Vorjahr 2012. Gleichwohl liegt sie noch deutlich über den Werten der früheren Jahre. Im Gegensatz dazu zeigt die Beanstandungsquote im Verantwortungsbereich des Risikomanagementsystems bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2014 eine steigende Tendenz.
Für 2015 waren die Steuerfälle zum Zeitpunkt unserer Prüfungen vielfach noch nicht veranlagt. Den Fehlerquoten liegen daher deutlich weniger geprüfte Fälle zugrunde. Eine abschließende Bewertung für 2015 ist deshalb noch nicht möglich.
2.3 Fehler im Verantwortungsbereich des Risikomanagementsystems
Die Prüfungen bei den Veranlagungsstellen führten zu insgesamt 22.640 Beanstandungen. Davon waren 3.105 vom Risikomanagementsystem zu verantworten. Die besonders fehleranfälligen Bereiche sind in Tabelle 4 dargestellt.
Den Schwerpunkt bei den Sonderausgaben bildete mit 511 Feststellungen der unzutreffende Ansatz der Kirchensteuer. Bei den Werbungskosten der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit waren am häufigsten die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu beanstanden (126).
2.4 Fehler im Verantwortungsbereich der Bearbeiter
19.535 der im Veranlagungsbereich getroffenen 22.640 Feststellungen waren von den Bearbeitern zu verantworten. Die besonders fehleranfälligen Bereiche sind in Tabelle 5 dargestellt.
Die bei den Sonderausgaben festgestellten Fehler und deren finanzielles Volumen entfallen zu mehr als der Hälfte (1.862) bzw. zu knapp zwei Drittel (4,6 Mio. Euro) auf den unzutreffenden Ansatz der Kirchensteuer. Ein Drittel der Fehler (1.183) und ein Viertel des Fehlervolumens beim Sonderausgabenabzug (2 Mio. Euro) resultieren aus dem unzutreffenden Ansatz von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Von den Fehlern bei den Werbungskosten aus nichtselbstständiger Arbeit entfallen zwei Drittel (686) auf den Ansatz von Aufwendungen für einen doppelten Haushalt. Mit 0,9 Mio. Euro (71 Prozent) ist diesem Bereich auch ein entsprechend hoher Anteil am Fehlervolumen zuzuordnen.
2.5 Finanzielles Ergebnis
Das finanzielle Volumen der vom Rechnungshof und den Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern festgestellten Fehler beträgt nahezu 140 Mio. Euro. Die fehlerhaften Steuerbescheide konnten vielfach noch geändert werden. Deshalb war es möglich, aufgrund unserer Prüfung ein Fehlervolumen von mehr als 95 Mio. Euro zu korrigieren. Dadurch wurden für die öffentlichen Haushalte im Saldo Mehreinnahmen von 54 Mio. Euro realisiert.
Vom gesamten Fehlervolumen entfallen 135 Mio. Euro auf den Verantwortungsbereich der Bearbeiter, 5 Mio. Euro auf jenen des Risikomanagementsystems. Zudem haben sich die Prüfungsfeststellungen mit knapp 70 Mio. Euro auf festgestellte Verlustabzüge ausgewirkt.
Mehr als 126 Mio. Euro entfallen auf 2.829 Prüfungsfeststellungen, bei denen sich ein Fehlervolumen von jeweils mehr als 5.000 Euro ergab. Tabelle 6 zeigt, in welchen Bereichen solche gewichtigen Fehler häufig vorkamen.
Fehler mit erheblichen finanziellen Auswirkungen haben wir am häufigsten bei der Auswertung von Grundlagenbescheiden festgestellt. Das große Fehlervolumen in diesem Bereich ist zum einen durch die Häufigkeit der Fehler bedingt, zum anderen aber auch auf die hohe finanzielle Auswirkung einzelner Fälle zurückzuführen.
Beispiel 1:
Entgegen der Erklärung eines Steuerbürgers hat das Finanzamt dessen Beteiligungsgewinn um rund 21 Mio. Euro zu niedrig erfasst. Allein diese Prüfungsfeststellung führte zu Mehrsteuern von nahezu 10 Mio. Euro.
Dass sich auch in anderen Bereichen bisweilen Prüfungsfeststellungen mit hohem Fehlervolumen ergeben, zeigt folgender Beispielsfall:
Beispiel 2:
Das Finanzamt hatte für zahlreiche Vermietungsobjekte eines Steuerbürgers die jeweilige Gebäudeabschreibung zu ermitteln. Dabei legte es jeweils eine zu kurze Nutzungsdauer zugrunde, sodass die Abschreibungsbeträge zu hoch angesetzt wurden. Diese Prüfungsfeststellung hat ein Fehlervolumen von nahezu 2 Mio. Euro.
2.6 Bewertung
Den Veranlagungsstellen ist es bislang nicht gelungen, die Arbeitsqualität bei den bedeutsamen Steuerfällen zu verbessern. Vielmehr liegen die oben dargestellten Fehlerquoten höher als die entsprechenden Ergebnisse unserer Prüfungen aus den Jahren 2000 bis 2004. Es treten weiterhin hohe Steuerausfälle ein.
Einer der Hauptgründe für die unzureichende Arbeitsqualität ist nach wie vor das komplizierte und sich ständig ändernde Steuerrecht. Der Rechnungshof hat das anwendungsfeindliche Steuerrecht als eine der Hauptursachen für die unzureichende Besteuerungssituation bereits mehrfach benannt.
Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Grund für die vorgefundene Arbeitsqualität ist die noch immer unzureichende IT-Unterstützung. Insbesondere könnte der hohe Anteil von Fehlern bei der Auswertung von Grundlagenbescheiden durch eine bessere IT-Unterstützung reduziert werden. Die in Grundlagenbescheiden festgestellten Werte sollten maschinell übermittelt und ausgewertet werden. Eine entsprechende Empfehlung war bereits in der Denkschrift 2006 enthalten. Sie wurde 2014 wiederholt und ist bis heute nicht umgesetzt. Im Zeitalter der Digitalisierung sollte es selbstverständlich sein, dass Grundlagenbescheide elektronisch übermittelt und ausgewertet werden.
3 Empfehlungen
3.1 Steuerrecht vereinfachen
Die Prüfungsergebnisse zeigen eindeutig, dass die Steuervereinfachung eine Daueraufgabe ist. Durch einfachere Steuergesetze ließe sich auch der Anteil der Steuerfälle deutlich erhöhen, bei denen der Steuerbescheid - nach einer IT-gestützten Risikoprüfung der Steuererklärung - vollautomatisch erstellt werden könnte.
3.2 IT-Unterstützung weiter verbessern
Die IT-Unterstützung muss weiter verbessert werden. Dies gilt insbesondere für die elektronische Auswertung von Grundlagenbescheiden. Dadurch könnten Ressourcen freigesetzt werden, die für eine Qualitätssteigerung bei der Bearbeitung der bedeutsamen Steuerfälle einsetzbar wären.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Ministerium für Finanzen erhebt gegen die Feststellungen und Empfehlungen des Rechnungshofs keine Bedenken.
Es teilt mit, auch aus seiner Sicht sei die Bearbeitungsqualität bei den Steuerfällen mit hohen Einkünften noch nicht zufriedenstellend. Allerdings habe die Steuerverwaltung die Arbeitsqualität insoweit bereits in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückt. Neben unterschiedlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen habe das Ministerium einen Lenkungsausschuss zur Verbesserung der Qualität in der Veranlagung eingerichtet. Seine Arbeit beruhe auf den beiden Säulen „Zeit verschaffen“ und „Fähigkeiten stärken“. Zur Qualitätsverbesserung seien zudem in bestimmten Bereichen - wie z. B. bei Auslandssachverhalten oder Insolvenzfällen - Zentralisierungen erfolgt. Soweit verschiedene Fehlerquellen Gegenstand früherer Denkschriftbeiträge waren, habe das Ministerium sich auf Bundesebene und in Zusammenarbeit mit der Oberfinanzdirektion für eine Verbesserung der Bearbeitungsqualität eingesetzt. Den aktuellen Denkschriftbeitrag werde es zum Anlass nehmen, die Finanzämter nochmals daran zu erinnern, die bedeutenden Steuerfälle besonders sorgfältig zu bearbeiten.
Die Vereinfachung des Steuerrechts sieht das Ministerium als Daueraufgabe. Es teilt zudem die Auffassung des Rechnungshofs, dass die IT-Unterstützung weiter verbessert werden muss. Dies gelte insbesondere bei der Auswertung von Grundlagenbescheiden. Hinsichtlich der maschinellen Übermittlung der entsprechenden Daten zeichne sich im Vorhaben KONSENS ein Einsatz ab dem Veranlagungszeitraum 2019 ab. Um die Bearbeiter beim Erfassen der Daten zu unterstützen, sei hier inzwischen die sogenannte Schnellerfassungsmaske im Einsatz.