IT-Unterstützung im Flüchtlingsmanagement: Zuständigkeit bei der Entwicklung und Pflege von Fachverfahren [Beitrag Nr. 7]

Aufgrund gesetzlicher Vorgaben wird die Landesoberbehörde IT Baden-Württemberg (BITBW) bis 2021 die Entwicklung und Pflege von Fachverfahren übernehmen. Erfahrungen beim Fachverfahren Migranten-Verwaltungs-Informations-System (MigVIS) zeigen, dass Aufgabenübergänge sorgfältiger vorbereitet werden müssen. Das Innenministerium und die BITBW sollten dafür frühzeitig einheitliche Zuständigkeiten und standardisierte Abläufe festlegen.

1 Ausgangslage

1.1 Zuständigkeiten bei der Entwicklung und Pflege von Fachverfahren

Die Landesregierung verfolgt das Ziel, die Informationstechnik zu zentralisieren und zu professionalisieren. Dadurch sollen Synergien geschaffen, die Wirtschaftlichkeit verbessert und die Informationssicherheit erhöht werden.

Hierzu wurde zum 1. Juli 2015 die BITBW gegründet. Nach dem Errichtungsgesetz (BITBW-Gesetz) sind die Dienststellen und Einrichtungen der Landesverwaltung verpflichtet, die Dienstleistungen der BITBW zu nutzen. Zu diesen Dienstleistungen gehört auch die technische Entwicklung und Pflege von Fachverfahren, was bislang Aufgabe der Ressorts war.

Die Nutzungspflicht hinsichtlich der Entwicklung und Pflege der Fachverfahren gilt ab 1. Juli 2021. Spätestens zu diesem Zeitpunkt geht die Zuständigkeit auf die BITBW über; diese kann bei Bedarf Unterauftragnehmer hinzuziehen.

Von der Nutzungspflicht ausgenommen sind die Fachverfahren der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Notariate sowie die steuerrechtlichen Fachverfahren.

1.2 Prüfung der IT-Unterstützung im Flüchtlingsmanagement

Für das Flüchtlingsmanagement setzen Bund, Länder und Kommunen eine Vielzahl unterschiedlicher IT-Verfahren ein. In Baden-Württemberg spielt das Fachverfahren Migranten-Verwaltungs-Informations-System (MigVIS) eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Aufgaben.

Die Finanzkontrolle hat 2017 die IT-Unterstützung im Flüchtlingsmanagement geprüft. Ein Teil der Prüfungsergebnisse hat bereits in der Beratenden Äußerung „Flüchtlingsaufnahme in Baden-Württemberg“ (Landtagsdrucksache 16/3311) ihren Niederschlag gefunden.

2 Prüfungsergebnisse

2.1 IT-Unterstützung im Flüchtlingsmanagement in Baden-Württemberg

MigVIS wurde von der Datenzentrale Baden-Württemberg im Auftrag des Innenministeriums entwickelt und ist seit 2008 im Einsatz. Durch eine im Juni 2003 geschlossene Vereinbarung zwischen dem Innenministerium und den Stadt- und Landkreisen sind die unteren Aufnahmebehörden verpflichtet, dieses Verfahren zu nutzen.

MigVIS bietet den unteren Aufnahmebehörden jedoch nicht den Funktionsumfang, den diese zur umfassenden Wahrnehmung ihrer Aufgaben benötigen. Dies macht den Einsatz weiterer IT-Verfahren erforderlich. Für die Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz setzen die Stadt- und Landkreise beispielsweise Programme kommerzieller Anbieter ein.

Seit Anfang 2016 werden die Stammdaten von Flüchtlingen in einem Kerndatensystem des Bundes erfasst, das Bestandteil des Ausländerzentralregisters (AZR) ist. Auf die Kerndaten sollen alle am Asylverfahren beteiligten Behörden zugreifen können. In MigVIS können die Kerndaten aus dem AZR seit Anfang 2017 bei der Erstaufnahme einmalig übernommen werden. Zum Zeitpunkt der Prüfung bestand aber noch nicht die Möglichkeit, Datenänderungen in MigVIS elektronisch in den Kerndatensatz des Bundes zurück zu spiegeln. Eine bidirektionale Schnittstelle war jedoch in Planung.

Auch zwischen MigVIS und den Fachverfahren der Landkreise und Kommunen bestehen allenfalls Schnittstellen zum einmaligen Import von Daten in die kommunalen Systeme.

Änderungen an den Stammdaten von Flüchtlingen müssen daher in mehreren Systemen vorgenommen werden. Auch die Daten über den Verfahrensstand des Asylverfahrens müssen anhand der schriftlichen Mitteilungen oder Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) manuell in MigVIS und in kommunale IT-Verfahren eingepflegt werden. Dies verursacht unnötigen Aufwand und birgt die Gefahr von Inkonsistenzen.

Die Stadt- und Landkreise als untere Aufnahmebehörden kommen ihrer Verpflichtung, die Daten in MigVIS zu pflegen, nicht einheitlich und nicht vollumfänglich nach. Dies betrifft insbesondere den Unterbringungsstatus der Flüchtlinge. Die Regierungspräsidien und das Ministerium haben sich verschiedentlich bemüht, diesen Zustand zu verbessern, blieben aber erfolglos.

Wegen der mangelhaften Datenqualität in MigVIS können steuerungsrelevante Informationen - etwa zur Belegungssituation - aus dem Verfahren nur bedingt gewonnen werden. Dies führt dazu, dass notwendige Angaben außerhalb des Verfahrens erhoben werden. Dieser Aufwand könnte vermieden werden, wenn die Stadt- und Landkreise ihre Daten laufend aktualisieren würden.

Aufgrund der stärkeren Nutzung von MigVIS infolge der Zugangssituation 2015 traten zudem Stabilitätsprobleme auf. Diese konnten zunächst durch Maßnahmen einer dafür gebildeten Taskforce reduziert werden. Ein noch stabilerer Betrieb kann nach Einschätzung von Experten mit dem bestehenden System nicht erreicht werden. Das Innenministerium bereitet deshalb eine Neuentwicklung vor. Dabei sollen mit externer Hilfe zunächst die Geschäftsprozesse erhoben und optimiert werden.

2.2 Zuständigkeiten für das Fachverfahren MigVIS

An der Konzeption, Entwicklung und dem Betrieb von MigVIS waren und sind verschiedene Organisationseinheiten beteiligt. Die fachliche Federführung für das IT-Verfahren MigVIS liegt beim Innenministerium. Dort sind zwei Fachabteilungen sowie die IT-Leitstelle beteiligt. Das Regierungspräsidium Karlsruhe bringt die Anforderungen der Fachanwender ein und ist für die Abnahme neuer Programmversionen zuständig. Die Nutzer des Verfahrens werden bei Problemen durch Anwendungsbetreuer in den vier Regierungspräsidien unterstützt.

Mit der Entwicklung und Pflege der Software wurde die Datenzentrale betraut. Die Entwicklung kostete 1,5 Mio. Euro und dauerte vier Jahre, doppelt so lange wie ursprünglich geplant. Danach wurde die Datenzentrale mit Anpassungen und Beseitigungen von Mängeln der Software beauftragt. Zwischen 2008 und 2016 hat das Land dafür weitere 2,2 Mio. Euro aufgewandt.

Die Betriebsaufgaben werden von der Datenzentrale und der BITBW arbeitsteilig wahrgenommen. Die BITBW betreibt die Hardware und die Betriebssysteme für das Verfahren MigVIS, die Datenzentrale ist für den Betrieb der Fachanwendung und für Teile des Supports zuständig. Diese Arbeitsteilung zwischen Datenzentrale und BITBW beim Betrieb von MigVIS hat in der Vergangenheit mehrfach zu Unstimmigkeiten geführt.

Die Datenzentrale erhielt für ihre betrieblichen Leistungen das volle vereinbarte jährliche Entgelt, obwohl einige im Vertrag enthaltene Leistungen - beispielsweise die Berechtigungsverwaltung - von der Datenzentrale gar nicht erbracht wurden.

Bis Anfang 2015 hat das Innenministerium die Leistungserbringung der beiden Dienstleister koordiniert. Danach hat es die Verfahrenskoordination und sogar die fachliche Vertretung auf Bundesebene auf das Informatikzentrum Landesverwaltung Baden-Württemberg (IZLBW), den Vorgänger der BITBW, übertragen. Die Datenzentrale wurde Unterauftragnehmer.

Das Innenministerium hat es jedoch versäumt, die im Rahmen der Verfahrenskoordination vom IZLBW bzw. der BITBW zu erbringenden Leistungen konkret festzulegen. Weder die Details zu diesem Aufgabenübergang noch mögliche Konsequenzen hinsichtlich Vertragslage, Auftragsmanagement, Abnahmeverfahren und Rechnungsstellung wurden schriftlich fixiert. Auch die Aufgabenverteilung innerhalb des Innenministeriums war nicht eindeutig geregelt.

In der Folge sind bei allen Beteiligten Unsicherheiten bezüglich der Zuständigkeiten entstanden. So ging beispielsweise der Überblick über die an die Datenzentrale erteilten Aufträge verloren. Außerdem konnten Rechnungen nicht mehr den Aufträgen zugeordnet werden. Teilweise wurden Rechnungen bezahlt, obwohl deren sachliche und rechnerische Richtigkeit noch nicht festgestellt worden war.

3 Empfehlungen

3.1 IT-Unterstützung im Flüchtlingsmanagement verbessern

Das Innenministerium sollte als Akteur im Projekt „Digitalisierung des Asylverfahrens“ und in Zusammenarbeit mit den Regierungspräsidien, den unteren Aufnahmebehörden und allen weiteren beteiligten Stellen das Ziel einer medienbruchfreien Kommunikation mit Nachdruck weiterverfolgen.

Bei der geplanten Neuentwicklung eines Nachfolgeverfahrens für MigVIS sollten insbesondere folgende Punkte beachtet werden:

  • Für das Projekt ist eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchzuführen. Projektbegleitend und nach Abschluss des Projekts sollte durch kontinuierliche Erfolgskontrollen überprüft werden, ob die Ziele erreicht wurden.
  • Bei der geplanten Geschäftsprozessanalyse sollten nicht nur die bestehenden Prozesse erhoben, sondern auch mögliche Optimierungen identifiziert werden.
  • Der Leistungsumfang des Verfahrens und die notwendigen Schnittstellen sollten basierend auf der Geschäftsprozessanalyse festgelegt werden. Das Innenministerium sollte prüfen, ob für den geplanten Leistungsumfang Verfahren anderer Länder übernommen werden können oder ob eine länderübergreifende Vorgehensweise in Frage kommt.
  • Das neue Verfahren sollte flexibel, modular und erweiterbar sein.
  • Auf das Thema Informationssicherheit sollte bei der Neuentwicklung von Anfang an ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Dabei sollte nach den Vorgaben des IT-Grundschutzes des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik vorgegangen werden.

3.2 Zuständigkeiten für MigVIS und das Nachfolgeverfahren festlegen und dokumentieren

Das Innenministerium muss seiner Gesamtverantwortung gerecht werden und Steuerungsaufgaben - auch länderübergreifend - stärker wahrnehmen. Aufgaben und Rollen aller Beteiligten müssen festgelegt und dokumentiert werden.

Innenministerium und BITBW sollten prüfen, ob die Betriebsaufgaben vollständig von der BITBW übernommen werden können.

Die Supportstrukturen sollten optimiert werden. Spätestens bei der Einführung eines Nachfolgesystems sollte geprüft werden, ob ein zentraler Support durch die BITBW wirtschaftlicher ist als ein dezentraler Support bei allen vier Regierungspräsidien.

Für den Aufgabenübergang sollten Innenministerium und BITBW - wie nach dem BITBW-Gesetz vorgesehen - ein Feinkonzept erstellen. Darin sind die Zuständigkeiten und Abläufe bei der Entwicklung und Pflege von MigVIS und dem geplanten Nachfolgesystem eindeutig festzulegen. Die von der BITBW zu erbringenden Leistungen sollten in einer mit dem Innenministerium getroffenen Vereinbarung beschrieben und auf dieser Basis abgerechnet werden.

3.3 Übergang der Fachverfahren zur BITBW gestalten

Die BITBW wird künftig immer stärker die technische Entwicklung und Pflege von Fachverfahren aus allen Ressortbereichen übernehmen. Um wirtschaftliche Abläufe zu sichern und Synergien aus der Bündelung erzielen zu können, müssen die eingesetzte Technik, aber auch Zuständigkeiten und Prozesse bei Fachverfahren standardisiert werden. Dies betrifft

  • die Definition fachlicher und nicht fachlicher Anforderungen,
  • die Vergabe und den Abschluss von Verträgen sowie das Vertragsmanagement,
  • die Einholung von Aufwandsschätzungen und Angeboten im Rahmen der Softwarepflege,
  • die Entscheidung über deren Realisierung, die Auftragserteilung, -priorisierung und -überwachung,
  • den Test,
  • die Abnahme und
  • die Rechnungsstellung.

Die jetzt für MigVIS bzw. das Nachfolgeverfahren zu treffenden Festlegungen könnten als Vorlage für weitere Fachverfahren dienen. Dabei sollten die Erfahrungen beim Aufgabenübergang von MigVIS zu einer optimierten Vorgehensweise beitragen.

Der Beauftragte der Landesregierung für Informationstechnologie (CIO), die Stelle für IT-Koordination im Innenministerium und die BITBW sollten diese Festlegungen gemeinsam mit den Ressorts treffen und sich dabei auf eine möglichst einheitliche Vorgehensweise verständigen. Dabei ist das Zusammenspiel aller Beteiligten (Fachseite des Ressorts, IT-Leit¬stelle des Ressorts, BITBW sowie etwaige Unterauftragnehmer der BITBW) zu regeln.

Mit den Zuständigkeiten müssen auch die dafür erforderlichen Ressourcen von den Ressorts zur BITBW übergehen.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Innenministerium stimmt den Prüfungsfeststellungen und den daraus abgeleiteten Empfehlungen im Wesentlichen zu. Erste Schritte zur Optimierung seien bereits ergriffen und umgesetzt worden. So plane es unter dem Projektnamen „Digitalisierung in der Migrantenverwaltung“ die Einführung eines stabilen zukunftsfähigen IT-Verfahrens. Die Projektsteuerung sowie die Vertretung im länderübergreifenden Projekt „Digitalisierung des Asylverfahrens“ liege nun im Innenministerium. Die Zuständigkeiten zwischen BITBW und den beteiligten Abteilungen des Innenministeriums seien angepasst worden. Administration und Support für die Nachfolgeanwendung von MigVIS sollen von der BITBW übernommen werden.

Zur künftigen Rolle der BITBW bei Fachverfahren teilt das Ministerium mit, dass mit der Installation einer Fachkoordination in der BITBW Neuland betreten worden sei. Der weitere Aufbau erfolge auf der Grundlage wachsender Erkenntnisse. Der bereits vollzogene Übergang verschiedener Fachverfahren von anderen Ressorts an die BITBW mache deutlich, dass die zur Integration und Standardisierung notwendigen Maßnahmen bereits in die Wege geleitet wurden.

5 Schlussbemerkung

Der Rechnungshof anerkennt die zwischenzeitlich eingeleiteten Schritte in Folge seiner Prüfung des IT-Verfahrens MigVIS.

Dennoch besteht weiterer Handlungsbedarf, um den anstehenden Übergang der Entwicklung und Pflege von Fachverfahren auf die BITBW vorzubereiten und Verzögerungen zu vermeiden.