1 Ausgangslage
Baden-Württemberg stellte Polizisten bis 1992 ausschließlich im mittleren Dienst als Polizeimeisteranwärter ein. Diese konnten - und können noch heute - bei dienstlicher Befähigung über zwei Laufbahngruppenwechsel hinweg bis in höchste Führungspositionen aufsteigen. Seit 1993 gibt es zusätzlich den Direkteinstieg in den gehobenen Dienst als Polizeikommissaranwärter. Diese Möglichkeit richtet sich speziell an Abiturienten.
Entsprechend beruht die Polizeiausbildung heute auf zwei Säulen. Die Polizeimeisteranwärter werden praxisorientiert in zweieinhalb Jahren ausgebildet. Die Polizeikommissaranwärter durchlaufen ein dreijähriges Bachelorstudium, dem eine neunmonatige Vorausbildung vorgeschaltet ist. Diejenigen, die im mittleren Dienst begonnen haben, können über ein zweieinhalbjähriges Studium in den gehobenen Dienst aufsteigen. Dieses Aufstiegsstudium entspricht dem Bachelorstudium der Polizeikommissaranwärter gekürzt um das sechsmonatige Grundpraktikum.
Aktuell werden zwei Drittel der Anwärter für den mittleren und ein Drittel für den gehobenen Polizeivollzugsdienst eingestellt. Dem steht eine Stellenstruktur gegenüber, die 60 Prozent Stellen im gehobenen Dienst ausweist.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Profil der Polizeianwärter
Letztmalig 2007 wurden überwiegend Bewerber mit mittlerer Reife für den mittleren Polizeivollzugsdienst rekrutiert. In den vergangenen zehn Jahren verfügten bis zu 85 Prozent aller Anwärter eines Jahrgangs über Abitur oder einen vergleichbaren Schulabschluss. Jedoch wurde in diesem Zeitraum nur gut ein Viertel der Anwärter in den gehobenen Dienst eingestellt, für den das Abitur Einstellungsvoraussetzung ist. Viele Abiturienten werden als Polizeimeisteranwärter eingestellt, obwohl für diese Laufbahn ein mittlerer Bildungsabschluss genügt.
Hierfür gibt es zwei Hauptgründe. Einigen Abiturienten bleibt der Direkteinstieg von vornherein verwehrt, weil sie den von der Polizei geforderten Notendurchschnitt von mindestens 3,0 nicht erreicht haben. Diese Bewerber können ihre Polizeikarriere nur im mittleren Dienst beginnen, obwohl sie die Bildungsvoraussetzungen für den gehobenen Dienst erfüllen.
Vor allem aber haben sich Änderungen in der Stellenstruktur nicht auf das Einstellungsverhältnis zwischen Anwärtern für den mittleren und gehobenen Dienst niedergeschlagen. In den vergangenen Jahren wurde der Anteil des gehobenen Dienstes im Polizeivollzugsdienst deutlich ausgebaut. Die hierzu vorgenommenen Stellenhebungen vom mittleren Dienst in den gehobenen Dienst wurden jedoch für Entwicklungsmöglichkeiten des Bestandspersonals genutzt und nicht, um mehr Polizeikommissaranwärter einzustellen. Bei den Anwärterstellen überwiegt nach wie vor der mittlere Dienst.
2.2 Profil der Aufstiegsbeamten
Polizisten, die über das Studium an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg vom mittleren in den gehobenen Dienst aufsteigen wollen, benötigen eine Hochschulzulassungsberechtigung. Unsere Prüfung ergab, dass jene Polizisten, die bereits mit Abitur eingestellt wurden, den Aufstieg deutlich schneller anstrebten als andere. Dabei leistete eine Mehrheit von ihnen durchschnittlich nur zweieinhalb Jahre aktiven Polizeidienst, bevor sie mit der zweiten Ausbildung begannen.
Die Gesamtdauer der Ausbildungen für den mittleren und den gehobenen Dienst steht zumindest für diese „Schnellaufsteiger“ in keinem Verhältnis zur aktiven Dienstzeit, die sie zwischen den Ausbildungen erbracht haben. Da Polizeimeister zudem grundsätzlich zuerst in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt werden, dürften die regionalen Polizeipräsidien von diesem Personenkreis nur in geringem Umfang profitieren.
2.3 Kosten der Polizeiausbildungen
Für die verschiedenen Ausbildungen entstehen folgende Kosten:
Bezogen auf ein Ausbildungsjahr verursachen Aufstiegsbeamte nahezu doppelt so hohe Kosten wie Direkteinsteiger in den gehobenen Dienst. Maßgeblich dafür sind die Personalkosten. Während Direkteinsteiger lediglich Anwärterbezüge erhalten, absolvieren Aufstiegsbeamte ihr Studium unter Fortzahlung der vollen Bezüge, nicht selten auch schon im Status eines Polizeihauptmeisters.
Dementsprechend variieren die Kosten des Aufstiegsstudiums je nach Dienstgrad des Beamten. Die Wirtschaftlichkeit bemisst sich dagegen auch an der Anzahl der geleisteten Dienstjahre im mittleren Dienst. Dies ist nachfolgendem Kostenvergleich typischer Karrierewege von Aufstiegsbeamten mit Direkteinsteigern zu entnehmen:
Insgesamt befinden sich Aufstiegsbeamte deutlich länger „in Ausbildung“ als Direkteinsteiger in den gehobenen Dienst. Eine Karriere über den mittleren Dienst bindet Polizisten zusätzliche 15 Monate. Noch deutlicher werden die Unterschiede bei den Ausbildungskosten: Aufstiegsbeamte verursachen durchschnittlich über 100.000 Euro mehr Ausbildungskosten je Personalfall als Direkteinsteiger.
Es ist ineffizient, Bewerber mit Abitur in großer Zahl in den mittleren Dienst mit dem Ziel einzustellen, sie später über ein Studium an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg in den gehobenen Dienst aufsteigen zu lassen.
Die Analyse der Werdegänge von Aufstiegsbeamten zeigt, dass insbesondere ein Aufstieg nach nur wenigen Dienstjahren unwirtschaftlich ist. Zwar sind spät aufsteigende Polizeihauptmeister bei einem auf die reinen Ausbildungskosten reduzierten Vergleich am teuersten. Eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung muss aber auch die im mittleren Dienst geleistete Dienstzeit berücksichtigen. Der Kostennachteil der späten Aufsteiger wird mit der Anzahl der Jahre, in denen vollwertiger praktischer Dienst verrichtet wird, zunehmend aufgewogen.
Setzt man die aktiven Dienstjahre im mittleren Dienst ins Verhältnis zu den Gesamtausbildungskosten, ergeben sich für den Aufsteiger mit längerer Verweildauer im mittleren Dienst Ausbildungskosten von 37.225 Euro je Dienstjahr. Für den bereits nach kurzer Dienstzeit aufsteigenden Polizeimeister liegen die Ausbildungskosten mit 79.053 Euro je Dienstjahr mehr als doppelt so hoch.
Die in der Polizei-Laufbahnverordnung festgeschriebene Mindestverweildauer im mittleren Dienst ist ausschlaggebend für das Verhältnis von aktiver Dienstzeit zur Ausbildungszeit. Sie beträgt derzeit fünf Jahre, schließt aber die Ausbildungszeit für den mittleren Dienst ein. Demnach muss nur zweieinhalb Jahre aktiver Dienst geleistet worden sein, bis eine Zulassung zum Aufstiegsstudium möglich ist. Dies ist im Vergleich zum Direkteinstieg unwirtschaftlich.
2.3.1 Studium der Polizeikommissaranwärter
Ein Vergleich zeigt, dass alle Länder Direkteinsteiger in den gehobenen Dienst in einem dreijährigen Bachelorstudiengang ausbilden. Nur Baden-Württemberg schaltet dem Studium eine neunmonatige Vorausbildung vor. Diese dient dazu, die Ungleichheit hinsichtlich des berufsspezifischen Wissens zwischen Aufstiegsbeamten und Direkteinsteigern, die bislang gemeinsam studieren, zu minimieren. Die Vorausbildung wird also auch durch die bislang praktizierte Verknüpfung der Studiengänge erforderlich. Das fehlende Erfahrungswissen der Direkteinsteiger soll durch eine spezielle Ausbildung beim Institut für Ausbildung und Training sowie durch selbstverantwortliches Eigenstudium weitestgehend kompensiert werden. Dies verursachte 2016 Ausbildungskosten von 6,1 Mio. Euro, 2017 wegen gestiegener Einstellungszahlen 7,7 Mio. Euro.
Auch wenn die Vorausbildung für junge Polizisten hilfreich sein kann, stellt sich die Frage, ob sie für ein erfolgreiches Studium erforderlich ist. Der Rechnungshof hält es bei einer Entkoppelung der Studiengänge für Aufstiegsbeamte und Direkteinsteiger für möglich, die Themen der Vorausbildung nach dem Vorbild anderer Länder in das Bachelorstudium selbst zu integrieren und die Polizeikommissaranwärter damit neun Monate früher dem aktiven Dienst zur Verfügung zu stellen.
2.3.2 Studium der Aufstiegsbeamten
Die Dauer des Studiums der Aufstiegsbeamten stellt sich im Ländervergleich wie folgt dar:
Die Mehrheit der Länder sieht für ein Aufstiegsstudium 24 Monate bzw. 18 Monate vor. Würde Baden-Württemberg diesen Beispielen folgen und das Studium um bis zu zwölf Monate straffen, könnten die Ausbildungskosten für jährlich 200 Aufstiegsbeamte um bis zu 11,5 Mio. Euro reduziert werden. Zugleich könnte diese Maßnahme dazu beitragen, die Polizeipräsenz in den Dienststellen „vor Ort“ zu erhöhen.
Ausschlaggebend für die Anzahl der Aufstiegsbeamten sind auch die zur Verfügung stehenden Studienplätze an der Hochschule für Polizei. Dort sollen angesichts des hohen Einstellungsbedarfs, der auf die hohen Pensionierungszahlen und auf den Stellenzuwachs zurückzuführen ist, gegenwärtig viele Polizeikommissaranwärter ausgebildet werden. Für Aufstiegsbeamte sind derzeit nur 200 Studienplätze reserviert. Diesen stehen mehr als 4.000 Beamte gegenüber, die schon aufgrund ihrer schulischen Qualifikation potenzielle Aufstiegskandidaten sind. Bei einer Straffung der Ausbildung könnten mehr Personen aus diesem Kreis an den vorhandenen Studienplätzen partizipieren.
2.3.3 Polizeiärztliche Auswahluntersuchung
Alle Bewerber, die den Auswahltest für den mittleren oder gehobenen Polizeivollzugsdienst bestanden haben, werden dem polizeiärztlichen Dienst zur Beurteilung der Diensttauglichkeit vorgestellt. Beispielsweise wurden für zwei der drei Einstellungstermine 2017 insgesamt 1.846 Bewerber polizeiärztlich untersucht. Davon waren 1.527 Bewerber polizeidiensttauglich. Letztlich wurden aber nur 1.009 Bewerber eingestellt. Allein für diese beiden Einstellungstermine hat der polizeiärztliche Dienst somit 518 polizeidiensttaugliche Bewerber mehr untersucht als eingestellt werden konnten.
3 Empfehlungen
3.1 Polizeianwärter bedarfs- und eignungsgerecht einstellen
Das Einstellungsverhältnis zwischen Anwärtern für den mittleren und gehobenen Dienst sollte - unter Wahrung einer angemessenen Aufstiegsperspektive - stärker an der Stellenstruktur im Polizeivollzugsdienst ausgerichtet werden. Dort überwiegen die Stellen des gehobenen Dienstes.
Die Bewerber für den Polizeivollzugsdienst sollten stets eignungsgerecht eingestellt werden. Dann könnten Bewerber mit herausragendem Testergebnis unabhängig vom Notendurchschnitt im Abitur direkt in den gehobenen Dienst eingestellt werden und müssten nicht den Umweg über den mittleren Dienst nehmen.
Eine polizeiärztliche Auswahluntersuchung sollte nur für jene Bewerber veranlasst werden, die durch ihren erreichten Testwert eine realistische Chance auf Einstellung haben.
3.2 Polizeikommissaranwärter schneller qualifizieren
Auf die Vorausbildung für die Polizeikommissaranwärter sollte zukünftig verzichtet werden. Die wesentlichen Ausbildungsinhalte könnten in das Bachelorstudium integriert werden.
3.3 Studium der Aufstiegsbeamten straffen
Das Studium der Aufstiegsbeamten sollte von dem der Polizeikommissaranwärter abgekoppelt werden. Gleichzeitig sollte die zeitliche Beanspruchung durch das Ausbildungsstudium deutlich reduziert werden. Denkbar wäre eine Straffung um bis zu zwei Semester.
Entsprechend dem Leistungsgedanken sollen nur besonders bewährte Polizisten in den gehobenen Dienst aufsteigen. Aufstiegskandidaten sollten zumindest in zwei aufeinander folgenden Beurteilungszyklen überdurchschnittliche Leistungen nachweisen können. Damit würde neben dem Leistungsgedanken auch dem Wirtschaftlichkeitsgedanken Rechnung getragen.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Innenministerium macht in seiner Stellungnahme deutlich, dass es bereits fest einplane, einige Empfehlungen des Rechnungshofs innerhalb des Projekts Einstellungsoffensive anzugehen. Es weist jedoch darauf hin, dass die Realisierung der Einstellungsoffensive das zeitlich primäre Ziel sei und die Polizeiausbildung bereits vor große Herausforderungen stelle.
Vom Ministerium konkret angestrebt werde unter Berücksichtigung der Kapazitäten der Hochschule für Polizei, den Anteil der Polizeikommissaranwärter an den Neueinstellungen anzuheben. Auch die Empfehlungen des Rechnungshofs zur Vorausbildung für Polizeikommissaranwärter und zur Verkürzung des Aufstiegsstudiums sollen aufgegriffen werden. Die gegenwärtige Situation mache es jedoch erforderlich, zunächst an bewährten Strukturen und Abläufen festzuhalten. Dies gelte beispielsweise für die gegenwärtige Untersuchungspraxis des polizeiärztlichen Dienstes.
5 Schlussbemerkung
Aus Sicht des Rechnungshofs sollten die vorgeschlagenen Maßnahmen möglichst zügig umgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für jene Maßnahmen, die zu einer schnelleren Qualifizierung führen. So könnte dazu beigetragen werden, die Herausforderungen der Einstellungsoffensive zu bewältigen.