Festsetzung von Hinterziehungszinsen [Beitrag Nr. 12]

Die Arbeitsqualität der Finanzämter beim Festsetzen von Hinterziehungszinsen ist unzureichend. Selbst bei einer vorsichtigen Schätzung ist davon auszugehen, dass landesweit Zinsausfälle in zweistelliger Millionenhöhe eingetreten sind. Um die Arbeitsqualität zu verbessern, sollten die Veranlagungsstellen geschult und die IT-Unterstützung optimiert werden.

1 Ausgangslage

Hinterzogene Einkommensteuern sind nach § 235 Abgabenordnung zu verzinsen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige strafrechtlich belangt wird oder gegenüber dem Finanzamt mit strafbefreiender Wirkung Selbstanzeige erstattet. Der Zinssatz beträgt für jeden vollen Monat 0,5 Prozent der hinterzogenen Steuern. Der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Steuerverkürzung. Er endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern.

Hinterziehungszinsen sind sowohl auf die hinterzogenen Jahressteuern als auch auf hinterzogene Vorauszahlungen festzusetzen. Anzurechnen sind die Nachzahlungszinsen nach § 233a Abgabenordnung, soweit sie für denselben Zeitraum festgesetzt werden. Solche Zinsen fallen an, wenn Einkommensteuern mehr als 15 Monate nach Ablauf eines Veranlagungszeitraums nachgezahlt werden.

Auch hinterzogene Solidaritätszuschläge sind zu verzinsen.

Bei früheren Prüfungen hatte die Finanzkontrolle immer wieder festgestellt, dass Finanzämter hinterzogene Steuern nicht oder unzutreffend verzinst hatten. Der Rechnungshof untersuchte deshalb 2016 zusammen mit den staatlichen Rechnungsprüfungsämtern landesweit, wie die Steuerverwaltung Hinterziehungszinsen festsetzte.

Wir haben bei neun Finanzämtern insgesamt 167 Fälle geprüft, in denen zwischen 2012 und 2014 Einkommensteuern von mindestens 25.000 Euro hinterzogen wurden.

2 Prüfungsergebnisse

2.1 Festsetzung von Hinterziehungszinsen

In der nachfolgenden Tabelle sind die Zahl der geprüften und der beanstandeten Fälle, die Fehlerquote sowie der Zinsausfall dargestellt. Sie gliedert zudem die Beanstandungen in Fehler bei der Verzinsung der Vorauszahlungen und bei der Verzinsung der Jahresbeträge auf.

Beitrag 12 Tabelle

In allen untersuchten 167 Fällen war die Festsetzung der Hinterziehungszinsen zu beanstanden. Der dadurch eingetretene Zinsausfall beträgt 1,3 Mio. Euro.

In diesen Fällen versäumten die Finanzämter fast ausnahmslos, Zinsen auf hinterzogene Vorauszahlungen festzusetzen. Der Ausfall beträgt insoweit 1,1 Mio. Euro. In mehr als 60 Prozent der untersuchten Fälle hatten die Finanzämter auch die hinterzogenen Jahresbeträge an Einkommensteuern und an Solidaritätszuschlägen überwiegend nicht und im Übrigen fehlerhaft verzinst. Der dadurch eingetretene Zinsausfall beträgt 0,2 Mio. Euro. Falsche Zinsfestsetzungen beruhten überwiegend auf unzutreffend ermittelten Zinszeiträumen oder auf der fehlerhaften Anrechnung von Nachzahlungszinsen.

2.2 IT-Unterstützung

Zinsen auf hinterzogene Einkommensteuern und Solidaritätszuschläge müssen regelmäßig für bis zu zehn Veranlagungszeiträume ermittelt werden. Die Berechnung ist aufwendig. Den Finanzämtern steht hierfür keine hinreichende IT-Unterstützung zur Verfügung.

Für Hinterziehungszinsen gibt es zwar ein elektronisches Formular. Die für die Zinsberechnung erforderlichen umfangreichen Daten müssen aber von den Bediensteten weitgehend selbst ohne technische Unterstützung ermittelt und eingegeben werden.

Durch ein weiteres elektronisches Formular wird seit Mai 2016 die Berechnung der anzurechnenden Nachzahlungszinsen unterstützt. Aber auch die hierzu notwendigen Daten müssen vom Bearbeiter ermittelt und eingegeben werden.

Eines der geprüften Finanzämter setzt eine selbstentwickelte elektronische Arbeitshilfe ein. Mit dieser können Hinterziehungszinsen sowohl auf hinterzogene Jahresbeträge als auch auf hinterzogene Vorauszahlungen weitgehend maschinell berechnet werden.

2.3 Maßnahmen der Oberfinanzdirektion Karlsruhe

Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe thematisierte die Festsetzung von Hinterziehungszinsen gegenüber den Finanzämtern mehrfach. Sie wies in verschiedenen Niederschriften und Verfügungen auf die geltende Rechtslage hin und erörterte mögliche Fallkonstellationen. Flächendeckende Schulungen der Bediensteten fanden bisher jedoch nicht statt.

2.4 Informationsaustausch zwischen Straf- und Bußgeldsachenstellen und Veranlagungsstellen

Die Straf- und Bußgeldsachenstellen informieren die Veranlagungsstellen mittels elektronischer Vordrucke, wenn sie ein Strafverfahren einleiten oder ein solches abschließen. Diese Vordrucke enthalten standardmäßig einen Textbaustein mit dem Hinweis, dass Hinterziehungszinsen festzusetzen sind.

In zahlreichen Fällen hatten die Straf- und Bußgeldsachenstellen diesen Textbaustein aus dem Vordruck entfernt. So erhielten die Veranlagungsstellen lediglich in zwei Dritteln der von uns hierzu untersuchten Fällen überhaupt einen solchen Hinweis.

Der entsprechende Textbaustein weist nur allgemein auf Hinterziehungszinsen hin. Dass solche Zinsen auch auf hinterzogene Vorauszahlungen festzusetzen sind, ist nicht ausdrücklich erwähnt. Zur Verzinsung der Solidaritätszuschläge sieht lediglich der Vordruck über die Einleitung des Strafverfahrens einen Hinweis vor.

2.5 Landesweite Bedeutung der Ergebnisse

Zwischen 2010 und 2014 haben sich bei den Finanzämtern in Baden-Württemberg zahlreiche Steuerpflichtige selbst angezeigt. Allein wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Kapitalanlagen in der Schweiz und in Liechtenstein gingen landesweit mehr als 26.000 Selbstanzeigen ein. Das Ministerium für Finanzen schätzt die in diesen Fällen hinterzogenen Steuern auf mehr als 600 Mio. Euro.

In den geprüften 167 Fällen hatten die Steuerpflichtigen Einkommensteuern und Solidaritätszuschläge von insgesamt 19,8 Mio. Euro hinterzogen. Die in diesen Fällen nicht festgesetzten Hinterziehungszinsen beliefen sich auf 1,3 Mio. Euro.

Das finanzielle Ergebnis unserer Prüfung lässt sich zwar nicht im Wege einer Hochrechnung auf alle Fälle mit Steuerhinterziehung übertragen. Vor dem oben dargestellten Hintergrund ist dennoch - selbst bei einer vorsichtigen Schätzung - davon auszugehen, dass landesweit Zinsausfälle in zweistelliger Millionenhöhe eingetreten sind.

3 Empfehlungen

Der Rechnungshof empfiehlt, bei hinterzogenen Steuern die gesetzlich vorgesehenen Hinterziehungszinsen vollständig und richtig zu erheben. Im Einzelnen sollte die Steuerverwaltung folgende Maßnahmen ergreifen.

3.1 Zinsfestsetzung in nicht verjährten Fällen prüfen

Aufgrund der zu erwartenden hohen finanziellen Auswirkung sollte in allen noch nicht verjährten Fällen geprüft werden, ob noch Hinterziehungszinsen festzusetzen sind. Bestehende Zinsansprüche sollten die Finanzämter rechtzeitig vor Eintritt der Festsetzungsverjährung realisieren.

3.2 Bedienstete der Veranlagungsstellen schulen

Die Bediensteten der Veranlagungsstellen sollten zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen, insbesondere hinsichtlich Vorauszahlungen, geschult werden. Die Thematik sollte außerdem in einem Leitfaden zusammenfassend dargestellt werden.

3.3 IT-Unterstützung optimieren

Die Berechnung und Festsetzung der Zinsen sollte weitestgehend automatisiert werden. Grundlage hierfür könnte die von einem Finanzamt bereits entwickelte elektronische Arbeitshilfe sein.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Ministerium für Finanzen erhebt gegen die Feststellungen und Empfehlungen des Rechnungshofs keine Bedenken.

Es teilt mit, die Finanzämter seien im November 2016 angewiesen worden, verjährungsbedrohte Fälle noch vor Ablauf 2016 zu erledigen.

Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe arbeite kontinuierlich daran, bei den Finanzämtern die Bedeutung der Hinterziehungszinsen hervorzuheben. Geplant sei, die Festsetzung von Hinterziehungszinsen bei den Fachbesprechungen 2017 als Themenpunkt fortzubilden.

Das von einem Finanzamt verwendete Tabellenkalkulationsprogramm soll noch optimiert und anschließend bei sämtlichen Finanzämtern eingesetzt werden.

Die Vordrucke zum Informationsaustausch zwischen Straf- und Bußgeldsachenstellen und Veranlagungsstellen seien optimiert worden. Sie werden den Finanzämtern zum nächstmöglichen Termin zur Verfügung gestellt.