1 Ausgangslage
Die duale berufliche Ausbildung findet in den Ausbildungsbetrieben und in den Berufsschulen statt. Ergänzend dazu bieten die Kammern ein Programm überbetrieblicher Fachkurse (überbetriebliche Ausbildung) an. Damit sollen ein hohes Niveau gewährleistet und Lücken vermieden werden, die sich durch die Spezialisierung der Ausbildungsbetriebe und den schnellen technischen Fortschritt ergeben können. Ausbildungsumfang und -inhalt werden für die jeweiligen Fachrichtungen bundesweit festgelegt. Jeder Auszubildende muss die Kurse absolvieren. Die Kurse werden in überbetrieblichen Berufsbildungsstätten der Kammern durchgeführt. In Baden-Württemberg ist das Netz dieser Berufsbildungsstätten nahezu flächendeckend.
Land und Bund fördern die überbetriebliche Ausbildung als Daueraufgabe im Wege der Mittelstandsförderung. Gefördert werden der Bau, die Unterrichtsmodule und die Modernisierung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten (Ausstattung, Geräte usw.). Wir haben geprüft, wie die Modernisierung gefördert wird.
Der Bund fördert Maßnahmen nach seinen gemeinsamen Richtlinien für die Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten (ÜBS) und ihre Weiterentwicklung zu Kompetenzzentren. Die Bundesrichtlinie vom 01.07.2009 (Bundesanzeiger Nr. 100, S. 2353) legt die Voraussetzungen für die Förderung fest. Dabei ist der Bedarf der beantragten Maßnahmen durch ein Gutachten nachzuweisen. Eine Koförderung durch das Land ist ebenfalls Voraussetzung.
Die Förderrichtlinien des Landes vom 01.01.2005 (GABl. 2005, S. 821) verlangen, dass das Vorhaben dazu dient, ein bedarfsgerechtes und ausgewogenes Netz überbetrieblicher Aus- und Fortbildungsstätten bzw. der Weiterentwicklung fachlicher Schwerpunkte in bestehenden Bildungszentren zu erhalten oder zu entwickeln. Die Gesamtfinanzierung des Vorhabens muss gesichert sein.
Der Bund fördert die Maßnahmen mit 45 Prozent, das Land förderte bis 2013 mit 30 Prozent. Das Land wandte für die Modernisierung der Ausstattung in den Bildungsstätten von 2008 bis 2010 insgesamt 5,6 Mio. Euro auf. 3,2 Mio. Euro stammen aus Kapitel 0710 und 2,4 Mio. Euro aus Mitteln der Zukunftsoffensive III.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Berechnung der Auslastung
Der Bund verlangt nach seiner Richtlinie eine Auslastung der Bildungsstätte von 75 Prozent (Nr. A 5.5). Nach der Landesrichtlinie Nr. 2.1.1 muss die ausreichende Auslastung gewährleistet sein. Die Auslastung wird durch den Gutachter berechnet, der sich zum Bedarf der Maßnahme äußert. Bund und Land verwenden jeweils dasselbe Gutachten für ihre Entscheidung. Das Land übernimmt damit die Anforderung des Bundes an die Auslastung. Der Rechnungshof untersuchte, wie die Auslastung berechnet wird.
Um die Auslastung zu berechnen, stellen die Gutachten zunächst für jedes einzelne Fach die Kapazität in Teilnehmerstunden fest und vergleichen sie mit der tatsächlichen Belegung in Teilnehmerstunden. Die Summe für alle Fächer ergibt die Auslastung der gesamten Bildungsstätte.
Die Kapazität jedes Fachs wird als Produkt aus der Anzahl der Kurse, der Anzahl der Plätze je Kurs und der Jahresstunden je Platz berechnet. Als Zahl der Plätze je Kurs wird jedoch nicht die Zahl der tatsächlich verfügbaren Plätze, sondern eine Mindestplatzzahl berücksichtigt. Diese entnehmen die Gutachter meist den Vorgaben, die das Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik (HPI) für die Kurse entwickelt hat. Bei einigen Gutachten wurde von dieser Vorgehensweise jedoch abgewichen.
Als Zahl der jährlich verfügbaren Stunden je Platz legt das HPI 1.600 Stunden zugrunde. Dies beruht auf der Annahme, dass in 40 Wochen im Jahr, an fünf Tagen je Woche und acht Stunden je Tag Kurse stattfinden können.
Die Belegung wird nach der tatsächlichen Teilnehmerzahl und nach den tatsächlichen Kurswochen im Jahr berechnet. Dies gilt auch, soweit die Bildungsstätte in den einzelnen Fächern erheblich mehr Teilnehmerplätze hat und belegt sowie mehr als 40 Wochen im Jahr Unterricht durchführt. Die errechneten Auslastungszahlen der Gutachten entsprechen nicht den tatsächlichen Verhältnissen.
Werden statt der theoretischen Mindestkapazität je Kurs die tatsächlich vorhandenen Werkstattplätze und die tatsächlich genutzten 46 Jahreswochen zugrundelegt, ist die Auslastung der Kurse teilweise sehr schlecht.
Wir haben bei sechs von etwa hundert Bildungsstätten Einzelförderungen überprüft. Für zwei große Bildungsstätten haben wir die tatsächliche Auslastung der Fächer berechnet. Von 21 Fächern waren zehn nur unter 75 Prozent ausgelastet.
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft wies darauf hin, dass die Auslastung auch unabhängig von der jeweiligen Teilnehmerzahl bzw. Mindestteilnehmerzahl der einzelnen Übungseinheiten berechnet wird. Die Berechnungsbasis bilden dann nicht die Teilnehmerstunden je Jahr, sondern die Gruppenwochenstunden je Jahr. Diese Berechnungsweise lässt gar nicht mehr erkennen, wie die Bildungsstätte tatsächlich ausgelastet ist. Ein mit fünf Teilnehmern durchgeführter Wochen-Kurs stellt danach genauso eine Gruppenwoche dar wie ein mit 18 Teilnehmern voll belegter Wochen-Kurs.
Die derzeit verwendete Berechnung zeigt die tatsächlich vorhandene Kapazität bei Weitem nicht auf. Sie lässt nicht zu, die Auslastung zu beurteilen.
Es ist zudem zweifelhaft, ob die Auslastung der Bildungsstätte im Ganzen ein geeigneter Maßstab sein kann. Weder die Unterrichtswerkstätten noch die Geräteausstattung können fachübergreifend genutzt werden. Die derzeitig praktizierte Berechnungsweise der Gesamtauslastung einer Bildungsstätte stellt somit keinen ausreichenden Indikator für eine Förderentscheidung dar.
2.2 Landesweite Betrachtung der Auslastung
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft erhält keine Hinweise, wie sich die Auslastung der Fächer landesweit entwickelt. Es erhebt die entsprechenden Daten auch nicht auf anderem Weg. Sie sind jedoch von großer Bedeutung, um Entscheidungen zur Weiterentwicklung der Förderung zu treffen. Einzelne Fächer werden zwar nur einmal im Land angeboten. Die meisten werden jedoch an mehreren Standorten unterrichtet.
Bei Standortentscheidungen und auch bei der Modernisierung der Ausstattung in vorhandenen Einrichtungen ist bedeutsam, wie die Fächer landesweit ausgelastet sind.
2.3 Demografische Entwicklung
Standortentscheidungen benötigen zeitlichen Vorlauf. Daher ist es wichtig, auch einzubeziehen, wie sich die Zahl der Auszubildenden voraussichtlich entwickeln wird.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat sich in seinem Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2012 mit der demografischen Entwicklung befasst. Alle dort angegebenen Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Zahl der Auszubildenden, die an der überbetrieblichen Ausbildung teilnehmen werden, rückläufig ist. Der Berufsbildungsbericht 2013 der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 17/13650) bestätigt die zu erwartende Entwicklung.
- Die Zahl der 15- bis 19-jährigen ist von 2005 bis 2011 um mehr als 16 Prozent zurückgegangen.
- Für die Zahl der Schulabgänger ohne Studienberechtigung, die die Hauptgruppe der hier infrage kommenden Auszubildenden stellen, wird von 2012 bis 2020 mit einem Rückgang um etwa 13 Prozent gerechnet.
Bei gleichbleibendem Angebot an Ausbildungsplätzen gehe die Zahl der potenziellen Nachfrager nach dualer Ausbildung von 2012 bis 2015 um 23,3 Prozent zurück. Hier sind potenzielle Nachfrager mit Studienberechtigung noch eingerechnet. Im Bereich Handwerk ist ihr Anteil jedoch gering. Der Rückgang dürfte deshalb in diesem Bereich noch stärker zu Buche schlagen. Hinzu kommt, dass seit Jahren betrieben wird, den Anteil der Studierenden eines Jahrgangs zu erhöhen. Dies geht zulasten des Ausbildungssegments der beruflichen Ausbildung.
Auch weitere Untersuchungen zur demografischen Entwicklung im Bereich der dualen Ausbildung gehen davon aus, dass die Ausbildungszahlen weiter zurück gehen. So weist z. B. das Statistische Landesamt Baden-Württem-berg „Indikatoren zum Thema Bildung und Kultur 2013“ einen Rückgang von 30 Prozent von 2010 bis 2030 aus. Die Modellrechnung des Statistischen Landesamts von 2007 zur künftigen Nachfrage nach Ausbildungsplätzen geht davon aus, dass der seit 2007 bestehende Rückgang bei der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen bis 2020 anhält. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge sinkt danach von 2010 bis 2020 um 14,5 bis 15 Prozent.
Auch das HPI weist darauf hin, dass zur überbetrieblichen Ausbildung Strukturentscheidungen anstehen. In seinem Jahresbericht 2012 führt es zum Thema „Bedarfsgutachten“ aus, dass die Gutachter wegen der demografischen Entwicklung, der knapper werdenden Fördermittel und der sich ändernden Nachfrage nach Bildungseinrichtungen bzw. -angeboten differenziertere Aussagen zum künftigen Bedarf an Bildungseinrichtungen innerhalb eines Kammerbezirks machen müssen. Immer häufiger führe das Ergebnis eines entsprechenden Prüfverfahrens zur Empfehlung, dezentral vorhandene Einrichtungen mit Schwerpunktaufgaben zu erhalten oder mehrere Standorte von Bildungsstätten zu konzentrieren. Die dazu erforderlichen Analysen und Auswertungen seien komplex und aufwendig, jedoch vor dem Hintergrund der Zukunftssicherung der Bildungsinfrastruktur erforderlich.
2.4 Entscheidung bei knappen Mitteln
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft rechnet in den nächsten Jahren aufgrund der Altersstruktur der Bildungsstätten und zunehmender baulicher Anforderungen mit stetig hohem Antragsvolumen. In Baden-Württemberg lagen Mitte 2013 Förderanträge für Bau-Investitionen und Ausstattungen von mehr als 74 Mio. Euro vor. Um alle Maßnahmen fördern zu können, müsste das Land 22 Mio. Euro aufwenden. Jährlich stehen jedoch nur 6 Mio. Euro zur Verfügung. Deshalb wird es besonders wichtig sein, die Strukturen so zu entwickeln, dass keine Kosten für nicht ausgelastete Bereiche entstehen.
3 Empfehlungen
3.1 Landesweit die Auslastung nach Fächern erfassen
Grundlage für Strukturentscheidungen müssen realistische Auslastungsberechnungen sein. Diese dürfen sich nach Auffassung des Rechnungshofs nicht nur auf die Ebene der Kammerbezirke beschränken, sondern müssen die Ausbildungsfächer landesweit betrachten.
3.2 Über die Weiterentwicklung der Struktur der geförderten Bildungsstätten entscheiden
Zusammen mit den Trägern sollte entschieden werden, wie das Angebot an Ausbildungsplätzen sichergestellt werden kann. Dabei ist darauf zu achten, dass längerfristig keine Bereiche vorgehalten werden, die nicht ausgelastet sind. Die demografische Entwicklung und die Veränderung zwischen den Ausbildungssegmenten sind dabei zu berücksichtigen.
3.3 Stringentere Praxis bei Auslastung bundesweit durchsetzen
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft sollte in den entsprechenden Bund-Länder-Arbeitskreisen bzw. -Ausschüssen darauf hinwirken, dass die tatsächliche Auslastung für die einzelnen Förderentscheidungen maßgeblich ist.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft senkte ab 2014 auf Vorschlag des Rechnungshofs die Förderung von 30 auf 25 Prozent. Damit werde bereits die Eigenverantwortung des Trägers erhöht und Fehlallokationen entgegengewirkt. Das Ministerium wendet sich dagegen, die Auslastung in den Bildungseinrichtungen landesweit zu erfassen. Dies sei kaum leistbar. Es hält die Beurteilung der Auslastung durch die im Verfahren beauftragten Gutachter für ausreichend, die künftig die Auslastung anhand der Belegung der Gruppenwochenstunden beurteilen werden. Dies sei wegen der unterschiedlichen Zielgruppen und Nutzungsstrukturen der jeweiligen Bildungsstätten aussagefähiger.
Eine zentrale Steuerung durch das Land bedeute einen erheblichen Eingriff in die Selbstverwaltungsautonomie der Kammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts.
Das Ministerium wird in den Bund-Länder-Arbeitsbesprechungen auf die Ergebnisse des Rechnungshofs hinweisen.
5 Schlussbemerkung
Der Rechnungshof fordert, die Bildungseinrichtungen aufgrund tatsächlicher Auslastungszahlen zu fördern. Er hält die Kürzung des Fördersatzes nicht für ausreichend. Dadurch können die anstehenden Probleme der einzelnen Berufsbildungsstätten, z. B. aufgrund des demografischen Wandels, nicht gelöst werden.
Die Berechnungsgrundlage für eine Förderentscheidung sollte teilnehmerbezogen und nicht gruppenbezogen bleiben. Die gruppenbezogene Betrachtung lässt keine Aussage über die Auslastung zu. Die Förderung der Lehrgänge beruht ebenfalls auf teilnehmerbezogenen Daten. Der Verwendungsnachweis über die Lehrgangsförderung enthält bereits heute wesentliche Angaben für die Berechnung der Auslastung.
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft erhält dadurch ohne unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand eine wesentlich bessere Übersicht über die Auslastung der Lehrgänge. Anhand dessen kann es die zu den Standorten notwendigen strukturellen Entscheidungen treffen.