Berufliche Schulen und duale Ausbildung [Beitrag Nr. 8]

Der Bedarf an Plätzen in der ein- und zweijährigen Berufsfachschule wird auf Dauer zurückgehen.

Jugendliche, die primär einen mittleren Bildungsabschluss anstreben, sollten auch zu anderen Bildungswegen als der zweijährigen Berufsfachschule hingeführt werden.

1 Ausgangslage

Die Berufsbiografie vieler Fachkräfte beginnt mit der dualen Ausbildung im Ausbildungsbetrieb und in der Berufsschule. Immer noch gelingt zu wenig Jugendlichen ein reibungsloser Übergang von der allgemeinbildenden Schule in eine berufliche Ausbildung. Folgende Herausforderungen kennzeichnen die Situation:

  • Jugendliche, die noch nicht die notwendige Ausbildungsreife haben,
  • Ausbildungsreife junge Menschen, die aber noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben,
  • Jugendliche, die auf dem Weg über eine berufliche Ausbildung höhere Schulabschlüsse erwerben wollen.

Zu berücksichtigen ist ferner der Trend zu höheren Qualifikationsanforderungen für die berufliche Ausbildung. Rund zwei Drittel der Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz erwerben, haben mindestens einen mittleren Bildungsabschluss oder Hochschulreife.

Die Anforderungen an den Übergangsbereich sind heterogen. Das „Bündnis zur Stärkung der beruflichen Ausbildung und des Fachkräftenachwuchses in Baden-Württemberg 2010 - 2014“ hat am 09.11.2013 das Ziel für den Übergangsbereich wie folgt formuliert: „Vorrang hat der unmittelbare Einstieg der Schülerinnen und Schüler in das duale Ausbildungssystem vor schulischen und anderen Übergangsmaßnahmen. Es bietet die besten Voraussetzungen, sowohl den Qualifizierungsbedürfnissen der Wirtschaft als auch einer gelingenden Integration Jugendlicher in Arbeit und Gesellschaft gerecht zu werden.“

Mehr als 40 Prozent der Auszubildenden absolviert zwischen dem Abschluss der allgemeinbildenden Schule und der dualen Ausbildung einen Vollzeitbildungsgang an einer beruflichen Schule. Diese berufsorientierten Vorqualifikationen rechnen die Ausbildungsbetriebe nicht in allen Fällen auf die duale Ausbildung an. Dadurch sind diese Jugendlichen länger im schulischen System.

Im Schuljahr 2012/13 besuchten 55.020 Schüler solche vorgeschalteten beruflichen Vollzeitbildungsgänge. Dies sind vor allem einjährige gewerbliche Berufsfachschulen (1BFS), zweijährige zur Fachschulreife führende Berufsfachschulen (2BFS) und bestimmte Berufskollegs (BK), die nach zwei Jahren zur Fachhochschulreife führen.

Wir untersuchten, inwieweit diese vorgeschalteten beruflichen Vollzeitbildungsgänge noch erforderlich sind und ob Kosten eingespart werden können. Dazu haben wir eine Umfrage zu ausgewählten 21 Berufen durchgeführt. Es wurden alle 230 beruflichen Schulen einbezogen, die mindestens einen der ausgewählten Berufe dual beschulen. Dabei haben wir Angaben zu den Berufsschülern abgefragt, die 2013 ihre Abschlussprüfung ablegten.

2 Prüfungsergebnisse

2.1 Duale Ausbildung nach Abschluss der einjährigen gewerblichen Berufsfachschule

Die 1BFS deckt inhaltlich das erste Ausbildungsjahr der dualen Ausbildung ab. Seit dem Wegfall der Anrechnungsverordnung 2009 werden Ausbildungsverkürzungen nur noch freiwillig gewährt. Abbildung 1 zeigt bei vier relevanten Berufen (Friseur, Anlagenmechaniker, Elektroniker Energie- und Gebäudetechnik, Tischler), wie viele Prüflinge unmittelbar vor ihrer dualen Ausbildung die 1BFS absolviert hatten und wie häufig die Ausbildungszeit vorab um 12 Monate verkürzt wurde.

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Die 1BFS wird von Friseuren mit 29 Prozent weit weniger besucht als von den Tischlern mit 81 Prozent. Obwohl eine Vorab-Verkürzung von 12 Monaten möglich wäre, wurde diese nicht durchgängig gewährt.

Dem Vergleich in Abbildung 2 haben wir die vier oben genannten Berufe zugrunde gelegt.

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Der Vergleich zwischen den Handwerkskammerbezirken zeigt deutlich, dass der vorgeschaltete Besuch der 1BFS bei den ausgewerteten Berufen große Unterschiede aufweist. Im Bezirk Heilbronn-Franken absolvierten 77 Prozent der Prüflinge im Vorfeld ihrer dualen Ausbildung eine 1BFS, im Bezirk Freiburg waren es nur 19 Prozent.

2.2 Duale Ausbildung nach Abschluss der zweijährigen Berufsfachschule

Bei der 2BFS steht nach Einschätzung der Schulen nicht die Ausbildungsverkürzung im Vordergrund. Es gehe um den mittleren Bildungsabschluss und um die berufliche Grundbildung. Damit sollen die Chancen auf einen Ausbildungsplatz erhöht werden. Mit dem Schuljahr 2012/13 wurden die Aufnahmebedingungen für die 2BFS herabgesetzt. Zum Beispiel ist anstelle des Notendurchschnitts von 3,0 in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik beim Hauptschulabschluss nur noch der „Hauptschulabschluss“ erforderlich.

Nach Besuch der 2BFS könnten bei der dualen Ausbildung 12 Monate als erstes Ausbildungsjahr angerechnet werden. Deshalb fragten wir, wie viele Prüflinge überhaupt eine Ausbildungsverkürzung erhielten und welchen zeitlichen Umfang die Ausbildungsverkürzung hatte. Wir beschränkten die Auswertung auf die vier Berufe (Industriekaufmann, Industriemechaniker, Kaufmann für Bürokommunikation, Elektroniker Energie- und Gebäudetechnik), bei denen die 2BFS am häufigsten als vorgeschalteter Vollzeitbildungsgang auftritt. Das Ergebnis ist in Tabelle 1 dargestellt.

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Bei keinem Beruf wurde die mögliche 12-monatige Verkürzung je Prüfling ausgeschöpft. Die tatsächlichen Verkürzungen liegen zwischen 13,6 und 61,0 Prozent. Nur beim Beruf Elektroniker Energie- und Gebäudetechnik ist die Ausbildungsverkürzung quantitativ von Bedeutung.

2.3 Kostenvergleich

Die Schüler der BFS werden in Vollzeit unterrichtet. In der 1BFS werden für eine Klasse durchschnittlich 50 Lehrerwochenstunden, in der 2BFS 38 Lehrerwochenstunden verwendet. Die Schüler der Berufsschulen werden in Teilzeit unterrichtet. Für eine Klasse werden durchschnittlich 15 Lehrerwochenstunden eingesetzt. Dieser Sachverhalt führt zu unterschiedlichen Kosten je Schüler. In Tabelle 2 ist die Berechnung der durchschnittlichen Kosten der Lehrkräfte je Schüler und Jahr dargestellt.

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2.4 Wertung

Die Ausbildungsplatzsituation hat sich ungeachtet von Passungsproblemen/Matching in den letzten Jahren tendenziell verbessert. Daher werden vorgeschaltete Vollzeitbildungsgänge immer weniger benötigt, um die Ausbildungsplatzchancen zu erhöhen und um Leerzeiten zwischen Schule und Ausbildung zu überbrücken.

Das allgemeinbildende Schulwesen sollte grundsätzlich dazu führen, dass eine duale Ausbildung ohne vorgeschalteten Vollzeitbildungsgang erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Die Vermittlung einer systematischen, breit angelegten beruflichen Grundbildung ist insbesondere für kleinere Ausbildungsbetriebe kaum zu leisten. Sie kann oft nur durch eine überbetriebliche Ausbildung oder durch den Besuch einer Berufsfachschule vermittelt werden. Wird ein solcher Bildungsgang durchlaufen, sollte der Mehrwert dieser Beschulung dessen Mehrausgaben rechtfertigen.

3 Empfehlungen

3.1 Anzahl der einjährigen gewerblichen Berufsfachschulen reduzieren, Anrechnungspflicht wieder einführen

Nur für Berufe, bei denen weder die Ausbildungsbetriebe noch die überbetriebliche Ausbildung die praktischen und berufsfachlichen Ausbildungsinhalte vermitteln können, sollte die 1BFS fortgeführt werden. Entsprechend sollte die Kapazität reduziert werden.

Das Kultusministerium sollte prüfen, die naheliegende durchgängige volle Anrechnung dieses Bildungsgangs zukünftig wieder einzuführen.

3.2 Alternativen zur zweijährigen Berufsfachschule verstärkt nutzen, berufliche Grundbildung anrechnen

Auf dem Weg zu einem mittleren Bildungsabschluss, den die 2BFS vermittelt, gibt es allerdings gleichwertige und teilweise kostengünstigere Alternativen.

Dabei wird unterstellt, dass der mittlere Bildungsabschluss nicht zwingend für die angestrebte duale Ausbildung vorausgesetzt wird.

Mit der sogenannten 9+3-Regelung wird mit Abschluss der dualen Ausbildung und einem erforderlichen Notenschnitt ein dem Realschulabschluss gleichwertiger Bildungsstand zuerkannt. Dieser Weg ist wirtschaftlicher als über die 2BFS.

Daneben könnte - analog zum Schulversuch „Berufsschule mit Zusatzqualifikation Fachhochschulreife“ - ein Schulversuch „Berufsschule mit Zusatzqualifikation mittlerer Bildungsabschluss“ oder eine vergleichbare Maßnahme gegebenenfalls mit einer verlängerten Ausbildung eingeführt werden.

Nicht zuletzt führt auch die Werkrealschule mehr praktisch orientierte Jugendliche zu einem mittleren Bildungsabschluss.

Jugendliche, die primär einen mittleren Bildungsabschluss anstreben, sollten ihren Fähigkeiten entsprechend auch zu anderen Bildungswegen als der 2BFS hingeführt werden.

Die bereits in der 2BFS vermittelte berufliche Grundbildung sollte von den Ausbildungsbetrieben anerkannt werden.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Kultusministerium weist darauf hin, dass vor allem spezialisierte Handwerksbetriebe ohne die 1BFS als Ausbildungsbetriebe wegfallen würden. Diese könnten die im ersten Jahr erforderliche Ausbildungsbreite nicht gewährleisten. Eine Aufhebung des Bildungsgangs sei deshalb im Einzelfall wie bisher sorgfältig zu prüfen. Sie erfordere als regionaler Schulentwicklungsprozess einen Beschluss des Schulträgers, der möglichst im Einvernehmen mit der Wirtschaft erfolgen sollte.

Aufgrund der Anrechnungspraxis sehe auch der Landesausschuss für Berufsbildung derzeit keinen Handlungsbedarf, eine Anrechnungspflicht für die 1BFS wieder einzuführen. Grundsätzlich sei eine Anrechnung vorgeschalteter beruflicher Vollzeitbildungsgänge auf die duale Ausbildung nur auf freiwilliger Basis möglich.

Die 2BFS biete gerade denjenigen Schülern eine Chance zur Erlangung eines mittleren Bildungsabschlusses, die zunächst keinen Ausbildungsplatz in dem angestrebten Ausbildungsberuf erhalten. Der erfolgreiche Abschluss der 2BFS erhöhe die Wettbewerbsfähigkeit der Schüler beim Weg in die duale Ausbildung.