1 Ausgangslage
Das Staatsministerium hat 2009 bis 2012 fünf Meinungsumfragen in Auftrag gegeben. Die Gesamtausgaben für die Umfragen betrugen 214.000 Euro. Im Prüfungszeitraum waren drei Ministerpräsidenten im Amt.
Nach § 6 Landeshaushaltsordnung dürfen Ausgaben nur dann getätigt werden, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben des Landes notwendig sind. Für Meinungsumfragen von Regierungen kann dabei nicht auf eine spezifische höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Zu Meinungsumfragen parteinaher Stiftungen entschied das Bundesverfassungsgericht 1986, dass sich „die Fragestellungen in ihren Wahluntersuchungen in dem durch die Zielsetzung ihrer wahlsoziologischen Forschung gezogenen Rahmen halten und sich nicht an einem aktuellen Informationsbedürfnis der Parteien vor Wahlen orientieren“ dürfen (BVerfGE 73,1 [32, 33]).
Der Rechnungshof befasste sich in seinen Prüfungen der Fraktionen im Landtag wiederholt mit Meinungsumfragen, zuletzt in der Beratenden Äußerung 2008 (Landtagsdrucksache 14/3531).
Der Bayerische Oberste Rechnungshof nahm in einer Beratenden Äußerung vom Januar 2011 zu den sogenannten Resonanzstudien der Bayerischen Staatsregierung Stellung. Die Resonanzstudien in Bayern und eine Repräsentativbefragung im Auftrag der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern veranlassten den Bundestagspräsidenten 2011, die Staatskanzleien aufzufordern, bei künftigen Repräsentativbefragungen den Anschein einer Verquickung staatlichen Regierungshandelns mit Aufgaben und Tätigkeiten einer politischen Partei zu vermeiden. Da die fraglichen Umfragen entweder veröffentlicht wurden oder eine exklusive Überlassung an eine Partei nicht festgestellt werden konnte, kam der Bundestagspräsident in seiner Würdigung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen das Parteiengesetz nicht vorlag.
Ob eine Meinungsumfrage des Staatsministeriums zulässig ist, muss der Rechnungshof anhand der ausgewählten Themen und der konkreten Fragestellungen im Einzelfall bewerten.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Inhalte der Meinungsumfragen
Die Meinungsumfragen befassten sich insbesondere mit der allgemeinen wirtschaftlichen Situation im Land, der Situation in bestimmten Politikbereichen, Zufriedenheit mit der Arbeit der Landesregierung, Zufriedenheit mit einer Partei in der Landesregierung, Lösungskompetenzen von Parteien, Beurteilung der Bundesregierung, Politikerbewertungen, Bewertung von Bundes-/Landesparteien, Parteisympathien und Koalitionspräferenzen.
Das Staatsministerium hat im Untersuchungszeitraum das Ergebnis der Sonntagsfrage einer Umfrage an die Fraktionsvorsitzenden weitergegeben. Es wurde auch in einer Pressemitteilung veröffentlicht. Eine spätere Umfrage hat das Staatsministerium in Auszügen der Öffentlichkeit vorgestellt.
Alle fünf Meinungsumfragen enthielten Fragen zu landespolitischen Themen, die einen aktuellen Bezug zur Arbeit der Landesregierung aufweisen. Der Rechnungshof hält Meinungsumfragen des Staatsministeriums zu solchen Themen für zulässig, soweit der Aufgabenbereich der Regierung nicht überschritten wird.
Vier Meinungsumfragen enthielten aber auch problematische Fragestellungen. Hierbei ging es insbesondere um:
- Fragen nach Parteipräferenz und Wahlabsichten
In drei Umfragen waren die Antworten auf alle oder einzelne Fragen nach der Parteipräferenz der Befragten gegliedert.
In zwei Umfragen wurden die Befragten nach ihren Wahlabsichten im Falle einer am kommenden Sonntag stattfindenden Landtagswahl gefragt (sogenannte Sonntagsfrage).
Beide Fragen sind nicht dem Funktionskreis der Regierung zuzurechnen.
- Fragen nach der Koalitionspräferenz
In einer Umfrage wurde nach den Koalitionspräferenzen der Befragten gefragt. Dabei wurden verschiedene denkbare Koalitionen abgefragt.
Die Bildung von Koalitionen ist Aufgabe der Parteien, die von den Bürgern bei den nächsten Wahlen gewählt werden. Sie ist keine Aufgabe der Landesregierung.
- Fragen nach Lösungskompetenzen der Parteien
- Fragen nach der Zufriedenheit mit der Bundesregierung, der Landesregierung und den Parteien
In vier Umfragen wurde nach der Zufriedenheit der Befragten mit der Landesregierung gefragt. In zwei Umfragen wurde weiter die Zufriedenheit mit der Bundesregierung abgefragt.
In einer Umfrage wurde die Zufriedenheit der Befragten mit den einzelnen Regierungsparteien in verschiedenen Politikbereichen erfragt. In einer anderen Umfrage wurde nur nach der Zufriedenheit mit der Landes- und Bundespartei des im Zeitpunkt der Umfrage amtierenden Ministerpräsidenten gefragt. In einer Umfrage wurden Aussagen über die Zufriedenheit mit den Oppositionsparteien eingeholt.
Nach Auffassung des Rechnungshofs kann die Landesregierung die Zufriedenheit der Bürger mit ihrer Arbeit im Allgemeinen sowie in einzelnen Sachfragen oder Politikfeldern eruieren. Fragen nach der Zufriedenheit mit einzelnen Regierungsparteien oder Oppositionsparteien sind nicht zulässig, da kein sachlich zulässiger Zusammenhang mit der Arbeit der Landesregierung besteht. Fragen nach Bundesparteien haben keinen Bezug zum Land. Solche Fragen sind in Meinungsumfragen des Staatsministeriums unzulässig.
Fragen nach der Zufriedenheit mit der Bundesregierung können im Einzelfall hingenommen werden, jedoch nur wenn sie eine Art Benchmark für die Zufriedenheit mit der Landesregierung darstellen.
- Fragen nach dem Bekanntheitsgrad, der Zufriedenheit, der Beliebtheit und dem Profil einzelner Politiker
Umfragen enthielten mehrfach Fragen nach dem Bekanntheitsgrad, der Zufriedenheit, der Beliebtheit und dem Profil einzelner Politiker. Die Bewertung solcher Fragen ist dabei differenziert zu beurteilen.
Eine Umfrage beinhaltete mehrere Fragen zu einzelnen Politikern. Darunter waren amtierende und frühere Ministerpräsidenten, Minister, Fraktionsvorsitzende aller Fraktionen, ehemalige Fraktionsvorsitzende, Landesvorsitzende der Oppositionsparteien und einer nicht im Landtag vertretenen Partei. Daneben wurde nach dem Einverständnis mit der Politik früherer Ministerpräsidenten gefragt. Weiter wurde im Hinblick auf den neuen Ministerpräsidenten gefragt, ob die Befragten den Wechsel begrüßen. In einer späteren Umfrage wurden die Befragten gebeten, die Arbeit des Ministerpräsidenten zu bewerten.
Die pauschale Bewertung der Arbeit von Politikern hat nach Ansicht des Rechnungshofs regelmäßig keinen konkreten Sachbezug zu den Aufgaben der Landesregierung. Fragen zu Mitgliedern der Landesregierung sind jedoch grundsätzlich zulässig.
Die Einbeziehung von Politikern außerhalb der Landesregierung hält der Rechnungshof in Meinungsumfragen des Staatsministeriums generell für unzulässig.
In einer Umfrage wurde nach dem Profil des Ministerpräsidenten und seines Vorgängers gefragt. Die Ergebnisse wurden in einer Auswertung miteinander verglichen. Außerdem wollten die Interviewer wissen, ob die Befragten glauben, dass der neue Ministerpräsident einen anderen Kurs einschlägt oder nicht. In der folgenden Umfrage wurde das Profil des Ministerpräsidenten nochmals abgefragt und mit den Werten aus der vorhergehenden Umfrage verglichen.
Fragen zum Profil des Ministerpräsidenten sind zulässig, nicht jedoch Fragen zu Profilvergleichen mit Amtsvorgängern.
2.2 Abstand der Meinungsumfragen zu Wahlen
Eine Umfrage lag zeitlich in der Vorwahlzeit von sechs Monaten vor der Landtagswahl.
Der Rechnungshof hat bei seinen bisherigen Prüfungen der Fraktionen schon mehrmals - zuletzt in der Beratenden Äußerung 2008 - den mangelnden Abstand von Meinungsumfragen zu Wahlen kritisiert. In der Wahlkampfphase sind das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot und die Verpflichtung zur Chancengleichheit im Wettbewerb der Parteien besonders zu beachten. Nach Auffassung des Rechnungshofs kommt diesen Verfassungsgeboten gerade auch bei Meinungsumfragen des Staatsministeriums besondere Bedeutung zu.
3 Empfehlungen
3.1 Meinungsumfragen auf Regierungsaufgaben begrenzen
Entscheidend für die Zulässigkeit von Meinungsumfragen der Landesregierung ist ihre Aufgabenstellung. Weiter ist auf eine klare Abgrenzung zur Parteiarbeit zu achten. Unzulässig sind daher Fragen nach:
- der Parteipräferenz der Befragten und die Gliederung der Antworten nach deren Parteipräferenz,
- Wahlabsichten und -aussichten,
- der Lösungskompetenz der Parteien,
- der Zufriedenheit mit einzelnen Regierungsparteien und mit Oppositionsparteien,
- der Zufriedenheit mit Bundesparteien,
- Bekanntheit, Beliebtheit, Kompetenz und Profil von Politikern, die nicht der Landesregierung angehören.
Zulässig sind hingegen insbesondere Fragen zu Sachthemen der Landespolitik und zur Einschätzung der Landesregierung und ihrer Arbeit, desgleichen Fragen zum Profil, der Kompetenz, der Leistung, dem Bekanntheitsgrad von Mitgliedern der Landesregierung.
Die erforderliche strikte Trennung der Interessen von Landesregierung und Partei verbietet es, dass das Staatsministerium in Meinungsumfragen parteipolitische Interessen verfolgt.
3.2 Meinungsumfragen nur außerhalb eines Sechs-Monats-Zeitraums vor Wahlen durchführen
Meinungsumfragen des Staatsministeriums dürfen nicht in engem zeitlichem Zusammenhang zu Wahlen durchgeführt werden. Sie dürfen auch nicht im Hinblick auf Wahlen erfolgen. In Anlehnung an die Rechtsprechung zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit hat sich in der Praxis ein Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl verfestigt. Diese Beschränkung gilt nicht nur in Bezug auf Landtagswahlen, sondern auch im Hinblick auf Kommunal- und Bundestagswahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament, soweit die Fragen konkrete Bezüge zu kommunal-, bundes- oder europapolitischen Themen haben.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Staatsministerium hat gegen die Prüfungsfeststellungen keine Einwendungen erhoben. Soweit der Rechnungshof Empfehlungen bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung von Meinungsumfragen ausspreche, werde das Ministerium diese bei künftigen Vorhaben berücksichtigen.