1 Ausgangslage
Jede Professorin und jeder Professor an einer staatlichen Hochschule in Baden-Württemberg ist verpflichtet, Dienstaufgaben in der Forschung, in der Lehre und in der Selbstverwaltung der Hochschule wahrzunehmen.
Der vorgeschriebene Umfang der Dienstaufgaben im Bereich der Lehre wird durch das Landeshochschulgesetz und die auf seiner Grundlage erlassene Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) definiert. Weitere Konkretisierungen sind in den einschlägigen Verwaltungsvorschriften des Wissenschaftsministeriums enthalten, das in diesem Bereich die Fachaufsicht über die Hochschulen wahrnimmt.
Nach § 1 Absatz 1 Nummer 2 LVVO beträgt die Lehrverpflichtung eines Professors an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften regelmäßig 18 Lehrveranstaltungsstunden.
Diese Regellehrverpflichtung kann für die Vorstandsmitglieder der Hochschule vom Ministerium ermäßigt werden. Der Vorstand selbst kann einzelnen Professoren der Hochschule für die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben in den Fakultäten, von besonderen Aufgaben in der Hochschulverwaltung und von Aufgaben in Forschung und Entwicklung Ermäßigungen ihrer Lehrverpflichtung gewähren. Die insoweit einschlägigen Vorschriften der §§ 6 ff. LVVO definieren für jede dieser Fallgruppen kollektive und individuelle Obergrenzen, die bei der Gewährung von Ermäßigungen zu beachten sind. § 8 LVVO ermöglicht den Hochschulen für angewandte Wissenschaften Ermäßigungen bis zur Höhe von 7 Prozent des Gesamtumfangs der Lehrverpflichtungen der hauptberuflichen Lehrpersonen der Hochschule. Diese Norm wenden die Vorstände der Hochschulen für angewandte Wissenschaften seit vielen Jahren differenziert auf verschiedene Fallgruppen an und gleichen dadurch Mehrbelastungen durch Sonderaufgaben an der Hochschule aus.
Außerdem kann sich die individuelle Lehrverpflichtung durch die Zuweisung besonderer Aufgaben nach § 46 Absatz 1 Satz 3 Landeshochschulgesetz vermindern, wenn innerhalb der zuständigen Lehreinheit für einen angemessenen Ausgleich gesorgt wird.
§ 2 LVVO bestimmt differenziert, wie die einzelnen Arten von Lehrveranstaltungen, Betreuungsleistungen und die Mitwirkung an Auswahlverfahren auf die Lehrverpflichtung angerechnet werden.
Das Ministerium hat 2005 und 2009 in zwei Erlassen auf Anregung des Rechnungshofs bestimmt, dass die individuelle Erfüllung der Lehrverpflichtung jeweils nach Abschluss des Semesters durch eine eigenhändige Erklärung jedes zur Lehre verpflichteten Hochschulangehörigen zu dokumentieren ist. In dieser Erklärung ist die (gegebenenfalls durch Ermäßigungen reduzierte) Lehrverpflichtung zu benennen und nachvollziehbar zu erklären, durch welche Lehrleistungen der Erklärende seine individuelle Lehrverpflichtung im abgelaufenen Semester erfüllt hat. Die Hochschulvorstände sind gehalten, die pünktliche und inhaltlich korrekte Abgabe dieser Erklärungen zu überwachen beziehungsweise durch die Dekane der Fakultäten überwachen zu lassen.
Die Finanzkontrolle hat 2012 die Hochschulen für angewandte Wissenschaften Esslingen, Furtwangen, Offenburg, Pforzheim und Stuttgart (Technik) geprüft und dabei typische Fehler bei der Anwendung der LVVO und der einschlägigen Erlasse des Ministeriums festgestellt.
2 Prüfungsergebnisse
Die Prüfung an den fünf genannten Hochschulen hat ergeben, dass sich die Hochschulvorstände bemühen, den Vorgaben der LVVO und der einschlägigen Erlasse gerecht zu werden. Die Mehrzahl der Professorinnen und Professoren an den geprüften Hochschulen hat ihr Deputat ordnungsgemäß erfüllt. Der Anteil dieser Professoren reichte bei den erhobenen Stichproben von 72 Prozent an der Hochschule Offenburg bis zu 95 Prozent an der Hochschule Stuttgart.
Schwerwiegende Mängel zeigten sich insbesondere bei der Dokumentation der individuellen Erfüllung der Lehrverpflichtung und bei der Handhabung der Vorschriften über die Ermäßigung der Lehrverpflichtung und die Anrechnung von Lehrveranstaltungen und Betreuungsleistungen.
2.1 Dokumentation der Erfüllung der individuellen Lehrverpflichtung
Obwohl die Regeln über die Dokumentation der Erfüllung der individuellen Lehrverpflichtung seit 2005 gelten, sind diese an drei der fünf geprüften Hochschulen nicht angemessen umgesetzt. An diesen drei Hochschulen lagen nicht von allen zur Lehre verpflichteten Hochschulangehörigen die notwendigen Erklärungen vor.
Die von den Professoren - oft verspätet - vorgelegten Deputatsnachweise enthielten in vielen Fällen nicht alle notwendigen Angaben. Die verwendeten Formulare und Vordrucke unterschieden sich teilweise von Fakultät zu Fakultät. An einigen Fakultäten wurden - wie vor 2005 gebräuchlich - kollektive Erklärungen abgegeben, die keine individuelle Prüfung der Deputatserfüllung ermöglichen.
Bei komplexeren Anrechnungen (z. B. bei der Betreuung von Studienabschlussarbeiten oder bei Exkursionen) fehlten häufig die für die Überprüfung des Umfangs der Anrechnung notwendigen Grundlagen.
An einer der Hochschulen wurde zur Dokumentation der Deputatserfüllung ein IT-Verfahren angewendet, das es der Hochschulverwaltung ermöglichte, die Erklärungen nachträglich zu ändern und zu ergänzen, sodass zu keiner Zeit verbindlich abgeschlossene Erklärungen vorlagen.
An einer anderen Hochschule konnte trotz IT-Unterstützung weder eine belastbare Übersicht über die abgegebenen Erklärungen erstellt werden noch war eine Kontrolle möglich. Außerdem war nicht nachzuvollziehen, wer die Eintragungen in die jeweiligen Listen verantwortlich vorgenommen hatte.
2.2 Ermäßigungen der Lehrverpflichtung
An zwei der fünf geprüften Hochschulen wurden den Fakultätsvorständen Ermäßigungen ihrer Lehrdeputate gewährt, die die in der LVVO explizit festgesetzte Höchstgrenze überschritten. Nicht immer nachvollziehbar war, nach welchen Kriterien der Vorstand der Hochschule die Freistellungspauschale auf die einzelnen Fakultätsvorstände verteilte.
Ähnliches gilt für die in § 8 LVVO vorgesehene Ermäßigung für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben und für besondere Aufgaben in der Hochschulverwaltung. Auch hier wurden an zwei der geprüften Hochschulen sowohl die kollektive Obergrenze als auch die individuell zu beachtende Obergrenze nach der LVVO überschritten.
In manchen Fällen fehlte die nach der LVVO im besonderen Einzelfall erforderliche Entscheidung des Wissenschaftsministeriums über die Bewilligung der Ermäßigung.
Die an zwei der geprüften Hochschulen praktizierte Ermäßigung der Lehrverpflichtung für neu berufene Professoren findet in der LVVO keine Rechtsgrundlage. Denkbar wäre allenfalls, dass Minderdeputate der neu berufenen Professoren durch Mehrleistungen der übrigen Professoren der Fakultät nach Maßgabe des § 4 LVVO ausgeglichen werden. Das war aber in den genannten Fällen nicht geschehen.
2.3 Anrechnung von besonderen Lehrveranstaltungen und Betreuungsleistungen
Als besonders fehleranfällig erwies sich - wie schon bei der Prüfung bei Universitäten und Pädagogischen Hochschulen - auch an den geprüften Hochschulen für angewandte Wissenschaften die Anrechnung besonderer Lehrveranstaltungen und die Anrechnung von Betreuungsleistungen für Studienabschlussarbeiten.
So beachteten einige Fakultäten die in der LVVO vorgesehene Obergrenze für die Anrechnung der Betreuung von Studienabschlussarbeiten (höchstens zwei Lehrveranstaltungsstunden) nicht. An drei der geprüften Hochschulen wurde entgegen dem eindeutigen Wortlaut der LVVO und der dazu ergangenen Hinweise des Wissenschaftsministeriums die Betreuung von Studien- und Projektarbeiten, die während des Studiums gefertigt wurden (also keine Studienabschlussarbeiten), auf die Lehrverpflichtung angerechnet.
Eine der geprüften Hochschulen gewährte bei besonders gut besuchten Lehrveranstaltungen ohne jede Rechtsgrundlage Zeitzuschläge von bis zu 30 Prozent.
Als fahrlässige Verstöße sind die in einzelnen Fakultäten ungleichmäßig praktizierten und von den Vorgaben des Ministeriums abweichenden Anrechnungen von kompakt gehaltenen Veranstaltungen (z. B. Blockseminaren) zu bewerten.
2.4 Ausgleich von Deputatsübererfüllungen und Minderleistungen
Die LVVO sieht vor, dass Übererfüllungen der Lehrdeputate und Minderleistungen in einzelnen Semestern innerhalb von drei Studienjahren ausgeglichen werden können. Dabei sind die in der Verordnung bestimmten Maßgaben zu beachten.
Diese Ausgleichsregelung wurde an vier der geprüften Hochschulen nicht korrekt angewendet. Sowohl Mehr- als auch Minderleistungen wurden über den Dreijahreszeitraum hinaus fortgeschrieben, wodurch bei einzelnen Professoren beachtliche offene Deputatssalden, in einem Fall bis zur Höhe von mehr als vier Regellehrverpflichtungen entstanden. Einzelne Professoren erbrachten in einzelnen Semestern weniger als die Hälfte ihrer Regellehrverpflichtung.
Ein Ausgleich von Deputatsübererfüllungen und Minderleistungen setzt im Übrigen eine genaue Dokumentation voraus, die - wie unter Punkt 2.1 erwähnt - nicht an allen Hochschulen vorhanden ist.
2.5 Bedeutung der Lehrverpflichtungsverordnung
Die Regelungen der LVVO stellen einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Anspruch des Landes und damit letztlich der Studierenden auf eine umfassende Lehrleistung der Professoren einerseits und der an einer arbeitsteilig organisierten Hochschule unabdingbar notwendigen Flexibilität des individuellen Lehrdeputats andererseits dar.
Für die Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben dabei die seit vielen Jahren bewährten, in hohem Maße anpassungsfähigen Ermäßigungsregeln der §§ 6a und 8 LVVO eine besondere Bedeutung.
Es handelt sich bei den Regeln der LVVO und den vom Wissenschaftsministerium dazu erlassenen Richtlinien nicht um „soft law“, sondern um eine rechtlich verbindliche Definition der Dienstaufgaben der Professoren und der übrigen zur Lehre verpflichteten Mitarbeiter der Hochschule.
3 Empfehlungen
Die Hochschulvorstände und die Fakultätsvorstände müssen die Einhaltung der Lehrverpflichtung sorgfältig überwachen und gewährleisten. Dies ist auch im Interesse der Mehrheit der Professoren geboten, die ihre Lehrverpflichtung akkurat erfüllen.
Dazu bedarf es einer zeitnahen und korrekten Dokumentation der individuellen Lehrleistung, wie es die Erlasse des Wissenschaftsministeriums aus den Jahren 2005 und 2009 vorsehen.
Die Rückstände bei der Deputatserfüllung müssen nachgeleistet werden.
Das Ministerium sollte im Rahmen der ihm obliegenden Fachaufsicht dafür Sorge tragen, dass auch alle Hochschulen für angewandte Wissenschaften eine belastbare Dokumentation der individuellen Lehrleistungen und die Erfüllung der Lehrverpflichtungen sicherstellen, sodass Abweichungen von den Regeln der LVVO nach Möglichkeit unterbleiben.
4 Stellungnahmen des Ministeriums und der Rektorenkonferenz
4.1 Stellungnahme des Ministeriums
Das Wissenschaftsministerium erhebt keine Einwendungen gegen den Denkschriftbeitrag des Rechnungshofs.
Es teile die Einschätzung des Rechnungshofs und werde auch die von den Prüfungen nicht unmittelbar betroffenen Hochschulen im Rahmen seiner Fachaufsicht auf die Feststellungen des Rechnungshofs hinweisen. Eine Überprüfung der Einzelvorgänge obliege den Rektoren und den Dekanen, die für die Überwachung der Einhaltung der Lehrverpflichtung zuständig sind. Das Ministerium werde die Hochschulen bitten, bei unberechtigten Ermäßigungen und Anrechnungen dafür zu sorgen, dass dadurch entstandene Rückstände bei der Deputatserfüllung zeitnah nachgeleistet werden.
4.2 Stellungnahme der Rektorenkonferenz
Der Vorsitzende der Rektorenkonferenz der Hochschulen für angewandte Wissenschaften und die Rektoren der Hochschulen Esslingen und Stuttgart weisen darauf hin, dass es sich bei der Nichterfüllung des Lehrdeputats allenfalls um Einzelfälle handle und dass im Übrigen ein signifikanter Teil der Professorinnen und Professoren ihr individuelles Deputat deutlich übererfülle. In diesem Zusammenhang regen sie an, den Ausgleich von geleisteter Mehrarbeit über den bisher geltenden Dreijahreszeitraum hinaus zuzulassen.
Sie teilen die Auffassung des Rechnungshofs, dass eine zeitnahe und korrekte Dokumentation der individuellen Lehrleistung erfolgen muss. Sie melden allerdings Zweifel an, ob die LVVO in ihrer geltenden Fassung den tatsächlichen Verhältnissen an der Hochschule noch gerecht wird. Die Arbeitsbelastung der Professorinnen und Professoren habe in den letzten Jahren massiv zugenommen. Dies komme - vor dem Hintergrund eines gesenkten Grundgehalts - einer verdeckten Deputatserhöhung gleich.
Die Rektoren weisen auf Unsicherheiten hin, die sich bei der Anwendung der Regeln der LVVO ergeben: So sei die Anrechnung von Kompaktkursen und Blockseminaren unzureichend geregelt. Auch werde die LVVO der unterschiedlichen Belastung, die sich aus der Größe der Studierendengruppen ergebe, nicht gerecht.
Notwendig seien eine Novellierung der LVVO, die den gewandelten Verhältnissen an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften Rechnung trage, und eine Klarstellung, welche Erlasse und Verwaltungsvorschriften des Wissenschaftsministeriums noch gelten und bei der Anwendung der LVVO zu beachten sind.