1 Ausgangslage
Der Rechnungshof prüfte 2011/2012 gemeinsam mit den staatlichen Rechnungsprüfungsämtern die im Veranlagungszeitraum 2009 als Werbungskosten abgezogenen Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung.
Solche Aufwendungen entstehen einem Arbeitnehmer, wenn dieser außerhalb seines Wohnorts aus beruflichen Gründen einen weiteren Hausstand unterhält. Abzugsfähig sind im Wesentlichen die Kosten für eine angemessene Zweitwohnung, für wöchentliche Familienheimfahrten und die Verpflegungsmehraufwendungen der ersten drei Monate.
Die Steuerverwaltung hat durch zahlreiche Maßnahmen versucht, die zutreffende Besteuerung in diesem Bereich zu gewährleisten. Gleichwohl hatten die turnusmäßigen Prüfungen der Finanzkontrolle bei den Finanzämtern weiterhin zu zahlreichen Beanstandungen geführt. Vor diesem Hintergrund haben wir den Abzug von Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung landesweit untersucht.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Finanzielle Bedeutung
Im Veranlagungszeitraum 2009 hat die Steuerverwaltung in 46.041 Fällen Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung von insgesamt 227,5 Mio. Euro anerkannt. Dadurch wurde die festgesetzte Steuer um 73,9 Mio. Euro gemindert.
Für die Prüfung haben wir Steuerbescheide des Veranlagungszeitraums 2009 ausgewählt, bei denen
- Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung von mindestens 5.000 Euro als Werbungskosten abgezogen wurden und
- das zu versteuernde Einkommen mehr als 15.668 Euro (doppelter Grundfreibetrag) betrug.
Diese Auswahlkriterien erfüllten 17.633 Fälle. Das sind 38,3 Prozent der 46.041 Fälle mit Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung. Sie betreffen allerdings 65 Prozent der Mehraufwendungen und 73 Prozent der gesamten steuerlichen Auswirkung.
2.2 Kennziffern bei den Basisdaten zu wenig differenziert
Die Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung werden in der Anlage N der Einkommensteuererklärung nach den einzelnen Aufwendungsarten getrennt erfragt. Die einzelnen Angaben sind jedoch nicht für eine maschinelle Verarbeitung mit Kennziffern versehen (verkennziffert). Vielmehr wird für die maschinelle Verarbeitung der Gesamtaufwand in einer einzigen Kennzahl abgebildet. Daher stehen für das maschinelle Risikomanagement weder die einzelnen Aufwendungsarten noch deren Basisdaten zur Verfügung. Aus diesem Grund musste sich das Risikomanagement in den geprüften Fällen auf pauschale Prüfhinweise beschränken.
2.3 Beanstandungsquote und finanzielles Ergebnis
Die Finanzkontrolle hat 822 Steuerbescheide untersucht. Davon wurden 386 Steuerbescheide beanstandet. Dies entspricht einer Beanstandungsquote von 47 Prozent. Das finanzielle Ergebnis je geprüftem Steuerbescheid belief sich auf 496 Euro.
Würde diese Fehlerquote landesweit unterstellt, ergäben sich Steuerausfälle in einer Größenordnung von jährlich 9 Mio. Euro. Weitere Steuerausfälle könnten bei den nicht untersuchten Fallkategorien (rund 26.000 Fälle) entstanden sein.
2.4 Fehlerschwerpunkte
In den 386 beanstandeten Steuerbescheiden wurden insgesamt 480 Fehler festgestellt. In nahezu allen beanstandeten Fällen hatte das Risikomanagementsystem pauschale Prüfhinweise ausgegeben. Die geltend gemachten Werbungskosten waren daher personell zu überprüfen.
76,7 Prozent der Fehler und mehr als zwei Drittel des Fehlervolumens (67,7 Prozent) sind auf den Ansatz der Unterkunftskosten und der Aufwendungen für Familienheimfahrten einschließlich Firmenwagennutzung zurückzuführen. Weitere rund 7 Prozent der Fehler und 6 Prozent des Fehlervolumens entfallen auf den Ansatz der Mehraufwendungen für Verpflegung. Prüfungsfeststellungen zum eigenen Hausstand oder zum Lebensmittelpunkt führten insgesamt zu rund 10 Prozent der Fehler und zu knapp 20 Prozent des Fehlervolumens.
2.4.1 Unterkunftskosten
Als Unterkunftskosten sind nur die Aufwendungen für eine angemessene Wohnung abziehbar. Nach höchstrichterlicher Finanzrechtsprechung gelten Aufwendungen bis zu der ortsüblichen Miete für eine bis zu 60 Quadratmetern große und nach Lage und Ausstattung durchschnittliche Wohnung als angemessen. In vielen Fällen war der geltend gemachte Mietaufwand für eine Wohnung unangemessen. In einigen Fällen wurden zu Unrecht Mietaufwendungen für Garagen und Stellplätze als Werbungskosten anerkannt. Die Größe der Wohnung als grundlegender Basiswert für die Kosten der Unterkunft am Arbeitsort ist in der Anlage N bislang nicht anzugeben. Daher konnte sich insoweit bei der Veranlagung kein offensichtlicher Prüfungsansatz ergeben.
2.4.2 Familienheimfahrten
Aufwendungen für Familienheimfahrten können jeweils nur für eine Heimfahrt wöchentlich mit der Entfernungspauschale abgezogen werden. Aufwendungen für Familienheimfahrten mit einem dem Steuerpflichtigen unentgeltlich überlassenen Firmenwagen können nicht berücksichtigt werden. In einer Vielzahl von Fällen trafen wir Prüfungsfeststellungen bei der Anzahl der Familienheimfahrten und insbesondere bei der angesetzten Entfernung. Zudem haben wir oftmals Fälle beanstandet, in denen die Heimfahrten mit einem Firmenwagen durchgeführt wurden.
2.4.3 Mehraufwendungen für Verpflegung
Mehraufwendungen für Verpflegung sind nur für die ersten drei Monate der doppelten Haushaltsführung abzugsfähig. Oftmals wurde von den Finanzämtern Verpflegungsmehraufwand für längere Zeiträume anerkannt, insbesondere wenn der geltend gemachte Zeitraum einen Jahreswechsel umfasste und damit zwei Veranlagungszeiträume betraf.
2.4.4 Eigener Hausstand und Mittelpunkt der Lebensinteressen
Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung sind abziehbar, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Außerdem muss sich am Ort des eigenen Hausstands der auf Dauer angelegte Mittelpunkt der Lebensinteressen befinden. Bei nicht verheirateten Arbeitnehmern haben wir mehrfach beanstandet, dass kein eigener Hausstand außerhalb des Beschäftigungsorts vorlag, insbesondere bei einem Zimmer in der elterlichen Wohnung. Zudem unterließen es die Finanzämter oftmals, bei einer länger andauernden doppelten Haushaltsführung zu prüfen, ob sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen noch am Ort des eigenen Hausstands befand.
2.5 Bewertung
Trotz verschiedener Maßnahmen ist es der Steuerverwaltung bisher nicht gelungen, eine befriedigende Bearbeitungsqualität bei den Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung zu erreichen. Wir halten dafür den Erklärungsvordruck, das Risikomanagementsystem und die begrenzten Personalressourcen für ursächlich.
3 Empfehlungen
3.1 Basisdaten konkretisieren und verkennziffern/Risikomanagement verbessern
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft sollte sich auf Bundesebene dafür einsetzen, die Anlage N anzupassen und das Risikomanagement so bald wie möglich zu verbessern. Auch der Bundesrechnungshof und der Rechnungshof Rheinland-Pfalz haben erhebliche Mängel beim Abzug der Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung festgestellt und ähnliche Vorschläge gemacht.
Wir empfehlen, in der Anlage N 2013 die Größe der Wohnung und die Nutzung eines Firmenwagens zusätzlich zu erfragen. Sämtliche erfragten Daten sollten zudem maschinell verwertbar dargestellt und verkennziffert werden. Bei einer derart verbesserten Datenbasis wäre das Risikomanagementsystem in der Lage, die erklärten Besteuerungsgrundlagen zu plausibilisieren, die risikobehafteten Fälle zu erkennen und nur noch diese zur Bearbeitung auszusteuern. Dadurch könnten die begrenzten Personalressourcen entlastet und die Autofallquote positiv beeinflusst werden.
Mit den jeweils vollständigen Adressdaten zum Beschäftigungsort und zum Hausstand am Lebensmittelpunkt wäre es dem Bearbeiter zudem einfacher möglich, in den als risikobehaftet ausgesteuerten Fällen auch die Entfernungskilometer zu überprüfen. In diesen Fällen ergäbe sich eine deutliche Arbeitserleichterung, da die für den Einsatz eines Routenplaners notwendigen Angaben nicht zeitintensiv ermittelt werden müssten.
3.2 Vorhandene Hinweise um Fehlerschwerpunkte erweitern
Falls die vorstehenden Empfehlungen nicht zeitnah realisiert werden können, sollten als Sofortmaßnahme die bereits vorhandenen Hinweise zur doppelten Haushaltsführung konkreter formuliert werden. Die häufigsten Fehlerschwerpunkte - Angemessenheit der Wohnung, Anzahl der Familienheimfahrten, Entfernungskilometer und Dreimonatszeitraum - sollten den Bearbeitern klar benannt werden.
3.3 Landesweites Prüffeld konzipieren
Sehr gute Erfahrungen machte die Steuerverwaltung mit dem landesweiten Prüffeld „Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung“. Es zeigte sich, dass die Finanzämter die Vermietungseinkünfte in diesen Fällen weitgehend fehlerfrei veranlagten. Zudem konnten auch Folgewirkungen für künftige Veranlagungen erzielt werden.
Da doppelte Haushaltsführungen oftmals über Jahre bestehen, empfehlen wir, die Thematik zum Gegenstand eines landesweiten Prüffelds zu machen.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft erhebt keine Einwendungen zu den getroffenen Feststellungen und Empfehlungen. Es teilt mit, dass mit den Erklärungsvordrucken 2012 die Anlage N bereits auf dreistellige Kennzahlen umgestellt worden sei. Dies ermögliche eine tiefere Verkennzifferung. Für die Erklärungsvordrucke 2013 könne voraussichtlich den Empfehlungen des Rechnungshofs entsprochen werden.
Darüber hinaus führt das Ministerium aus, dass eine kurzfristige Ergänzung der Hinweise im bundeseinheitlichen Verfahren Konsens nicht möglich sei. Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe habe jedoch die Finanzämter auf die Fehlerschwerpunkte hingewiesen. Das Ministerium beabsichtige zudem, die Mehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung im Jahr 2015 zu einem landesweiten Prüffeld zu machen.
Das Ministerium weist im Übrigen auf eine aktuelle Gesetzesänderung hin, die ab 2014 die abzugsfähigen Unterkunftskosten auf 1.000 Euro je Monat begrenzt. Damit entfalle die bisher notwendige Angemessenheitsprüfung.
5 Schlussbemerkung
Der Rechnungshof hält es für sinnvoll und richtig, dass die Oberfinanzdirektion Karlsruhe bereits erste Maßnahmen ergriffen hat und die Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung zudem als landesweites Prüffeld konzipiert werden sollen.
Der Rechnungshof erwartet, dass durch die verbreiterte Datenbasis das Risikomanagementsystem baldmöglichst optimiert wird und in der Folge die Bearbeitungsqualität signifikant steigt. Enthält die Anlage N zudem sämtliche notwendigen Adressdaten, dürfte sich der Prüfungsaufwand zusätzlich reduzieren.
Sofern die Anlage N 2013 entsprechend geändert wird, hält es der Rechnungshof im vorliegenden Fall für hinnehmbar, dass Hinweistexte nicht konkretisiert werden können. Grundsätzlich sollte die Finanzverwaltung aber auch bei bundeseinheitlichen Verfahren in der Lage sein, bestehende Texte kurzfristig anzupassen, da solche Hinweise besonders wirksame direkte Hilfestellungen bei der Fallbearbeitung sind.