Teilprivatisierter Betrieb der Justizvollzugsanstalt Offenburg [Beitrag Nr. 10]

Der teilprivatisierte Betrieb der Justizvollzugsanstalt Offenburg hat in fünf Jahren gegenüber einer staatlichen Lösung einen finanziellen Nachteil von 0,5 Mio. Euro (2,2 Prozent des Vertragsvolumens). Bei der 2014 vorgesehenen Rückführung in einen rein staatlichen Betrieb kann auf die geforderten 37 zusätzlichen Stellen im Justizvollzug verzichtet werden, weil die Gefangenenzahlen landesweit deutlich gesunken sind. Das Haftplatzentwicklungsprogramm sollte fortgeschrieben und an die gesunkenen Gefangenenzahlen angepasst werden.

1 Ausgangslage

Das Land entschied im Juni 2005, rund 40 Prozent der betrieblichen Aufgaben in der neu zu bauenden Justizvollzugsanstalt Offenburg von einem privaten Dienstleistungsunternehmen erledigen zu lassen. Das Unternehmen sollte insbesondere Aufgaben in den Bereichen Arbeitsbetriebe, Verpflegung, Medizinische Versorgung, Sozialdienst, Psychologischer Dienst und Zentrale Hilfsdienste (Unterstützungsleistungen für Vollzugsbeamte) übernehmen.

Als Voraussetzung hat das Justizministerium festgelegt, dass der teilprivatisierte Betrieb gegenüber einem Betrieb durch das Land kostengünstiger und zumindest qualitativ gleichwertig sein muss. Das Ministerium ging 2005 davon aus, „dass die zu vergebenden Leistungen durch einen privaten Betreiber um 10 bis 15 Prozent kostengünstiger erbracht werden können, als dies bei staatlichem Betrieb möglich ist“.

Das Ministerium führte eine Ausschreibung durch. Es errechnete im November 2007 in einer abschließenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für das günstigste Angebot eines privaten Dienstleistungsunternehmens gegenüber einem staatlichen Betrieb einen Kostenvorteil von 3,84 Prozent. Daraufhin wurde im Februar 2008 ein Vertrag mit dem privaten Dienstleistungsunternehmen über einen teilprivatisierten Betrieb der neuen Justizvollzugsanstalt Offenburg geschlossen. Der Vertrag hat während der Laufzeit von fünf Jahren ein finanzielles Volumen von 23,5 Mio. Euro.

Die neu gebaute Justizvollzugsanstalt Offenburg wird seit Juni 2009 mit 440 Haftplätzen im Regelvollzug und 60 Haftplätzen in der Sozialtherapeutischen Abteilung als erste und einzige Justizvollzugsanstalt in Baden-Württemberg teilprivat betrieben. Das Ministerium setzte den Gesamtpersonalbedarf der Justizvollzugsanstalt Offenburg vor Betriebsbeginn mit 224 Stellen fest. Davon entfielen 123 Stellen auf den staatlichen Bereich und 101 Stellen auf den privatisierten Bereich.

Die Landesregierung hat im Juli 2012 beschlossen, den Vertrag mit dem privaten Dienstleistungsunternehmen zum 31.05.2014 zu kündigen.

Der Rechnungshof hat die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung des Ministeriums vom November 2007 überprüft und die bisherige Vertragsabwicklung beleuchtet. Für die Rückabwicklung bei Vertragsbeendigung wurden Empfehlungen erarbeitet.

2 Prüfungsergebnisse

2.1 Wirtschaftlichkeitsuntersuchung

Das Justizministerium erwartete 2005 einen finanziellen Vorteil einer Betriebsprivatisierung in der neu zu errichtenden Justizvollzugsanstalt Offenburg von 10 bis 15 Prozent. Nach der Ausschreibung errechnete das Ministerium in einer ersten Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zunächst einen Kostenvorteil des privaten Betriebs gegenüber einer staatlichen Eigenbesorgung von 8,22 Prozent. Nach inzwischen erhöhten Personalkostensätzen überarbeitete das Ministerium seine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung im November 2007. Der Kostenvorteil des Privatisierungsmodells gegenüber der staatlichen Aufgabenerfüllung betrug nun wegen der zwischenzeitlich erhöhten Personalkostensätze noch 3,84 Prozent.

Der Rechnungshof hat die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung des Ministeriums vom November 2007 nochmals im Detail überprüft. Die vom Ministerium angewandte Berechnungsmethode und die gewählten Einzelansätze erscheinen weitgehend plausibel. Der Rechnungshof hält lediglich kleinere Einzelansätze bei den Sachkosten und den Erlösen für die Arbeitsbetriebe für nicht sachgerecht. Weiter hat das Ministerium in der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung Transaktionskosten für Ausschreibungs- und Beratungskosten nicht berücksichtigt. Nach Korrektur dieser Ansätze reduziert sich der zu erwartende Kostenvorteil des Privatisierungsmodells auf 2,96 Prozent.

Der Rechnungshof erhebt gegen die nach damaligem Kenntnisstand getroffene Entscheidung des Ministeriums für eine Betriebsprivatisierung keine Einwendungen. Das Ministerium hat mit der teilweisen Betriebsprivatisierung einer Justizvollzugsanstalt Neuland betreten. Die operative Ebene im Ministerium hat das Privatisierungsprojekt - insbesondere das Vergabeverfahren und die Vertragsgestaltung - administrativ mit hohem Engagement und Sachverstand umgesetzt.

2.2 Vertragsabwicklung

Obwohl das Justizministerium vor Betriebsbeginn einen Personalbedarf von 123 Stellen für den staatlichen Bereich angenommen hatte, lag der tatsächliche Personaleinsatz bereits bei Betriebsbeginn 2009 bei 125,5 Stellen. In der Folgezeit wurden die staatlichen Stellen bis zum April 2012 schrittweise auf 139,5 Stellen erhöht.

Ein Teil der Personalaufstockung im staatlichen Bereich wurde damit begründet, dass die im Bereich der Zentralen Hilfsdienste tätigen 26,1 Bediensteten des privaten Dienstleistungsunternehmens einen staatlichen Mitarbeiter im allgemeinen Vollzugsdienst aus rechtlichen und strukturellen Gründen nur zu 80 Prozent ersetzen können. Die nicht abgedeckten Aufgaben mussten vom staatlichen Personal aufgefangen werden. Dies führte zu einem privatisierungsbedingten Mehraufwand des Landes von mindestens 5,22 Stellen. Über die Vertragslaufzeit von fünf Jahren ergibt sich ein Mehraufwand des Landes von mindestens 1,2 Mio. Euro.

Sieben Stellen der Personalaufstockung erhielt die Justizvollzugsanstalt Offenburg, weil das Land 2012 Aufgaben des privaten Dienstleistungsunternehmens in der Medizinischen Versorgung und bei den Zentralen Hilfsdiensten vorzeitig übernahm. Im Gegenzug wurde das Entgelt für das private Dienstleistungsunternehmen gekürzt.

Weiterer Mehraufwand des Landes von mindestens 50.000 Euro entstand bei Vertragsanpassungen und durch ein unzureichendes Vertragscontrolling bei den Kosten für Lebensmittel.

Wird dieser während der bisherigen Vertragslaufzeit entstandene Mehraufwand von mindestens 1,25 Mio. Euro berücksichtigt, ergibt sich bei der privaten Lösung nunmehr ein finanzieller Nachteil für das Land von 0,5 Mio. Euro oder 2,23 Prozent. Der vor Vertragsbeginn erwartete finanzielle Vorteil hat sich somit mehr als aufgezehrt.

Der Rechnungshof hält daher die von der Landesregierung im Juli 2012 beschlossene Kündigung des Vertragsverhältnisses zum 31.05.2014 wirtschaftlich für sinnvoll. Eine endgültige Bewertung der Betriebsprivatisierung kann jedoch erst stattfinden, wenn das Projekt 2014 beendet wurde.

2.3 Personalzuwachs der Justizvollzugsanstalt Offenburg bei Beendigung der Privatisierung

Das Justizministerium will das staatliche Personal in der Justizvollzugsanstalt Offenburg bei Beendigung der Privatisierung 2014 um 101 Stellen aufstocken. Dies entspricht dem 2008 vereinbarten Personalvolumen des privaten Dienstleistungsunternehmens.

Bei dieser Personalforderung ist nicht berücksichtigt, dass das staatliche Personal während der bisherigen Vertragslaufzeit gegenüber der Festlegung vor Betriebsbeginn um 16,5 Stellen erhöht wurde. Weiter fällt bei Beendigung der Privatisierung eine staatliche Stelle für die Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen dem Land und dem privaten Dienstleistungsunternehmen weg. Die Personalforderung des Ministeriums ist somit um bis zu 17,5 Stellen zu hoch.

Der genaue Umfang ist vom Ministerium noch zu ermitteln. Der privatisierungsbedingte Stellenzuwachs von mindestens 5,22 Stellen im Sicherheitsbereich und die für vorab übernommene Aufgaben des privaten Dienstleistungsunternehmens bereits zugegangenen 7 Stellen sind jedenfalls in Abzug zu bringen. Nach einer alternativen Berechnung des Rechnungshofs, die nur Personal des allgemeinen Vollzugsdienstes berücksichtigt, wäre der geltend gemachte Personalzuwachs um 10 Stellen zu reduzieren.

Der zusätzliche Personalbedarf der Justizvollzugsanstalt Offenburg vermindert sich bei Berücksichtigung dieser Faktoren um 10 bis 17,5 Stellen. Das Personal in der Justizvollzugsanstalt Offenburg muss somit statt um 101 nur um 83,5 bis 91 Stellen aufgestockt werden.

2.4 Stellenzuwachs im Justizvollzug

Das Justizministerium will bei Beendigung des teilprivatisierten Betriebs 2014 in der Justizvollzugsanstalt Offenburg zusätzliches staatliches Personal in einem Umfang einsetzen, der dem ursprünglichen Personaleinsatz des privaten Dienstleistungsunternehmens mit 101 Stellen entspricht. Durch die parallele Schließung der Außenstelle Heidenheim der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd und der Außenstelle Heidelberg der Justizvollzugsanstalt Mannheim soll ein Personalvolumen von 64 Stellen gewonnen werden. Die restlichen 37 Stellen wurden im Staatshaushaltsplan 2014 zusätzlich ausgebracht.

Die beiden Außenstellen Heidenheim und Heidelberg können geschlossen werden, weil die landesweiten Gefangenenzahlen in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken sind. Diese Entwicklung zeigt auch die Tabelle.

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Das 2007 beschlossene Haftplatzentwicklungsprogramm sah vor, bis 2015 per saldo 1.200 zusätzliche Haftplätze zu schaffen. Unwirtschaftliche „Kleinanstalten“ sollten geschlossen werden. Die landesweite Kapazität sollte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung auf 9.140 Haftplätze erhöht werden.

Die landesweite Höchstbelegung lag in 2009 bis 2012 dagegen lediglich bei 7.747 Gefangenen. Nach Auffassung des Rechnungshofs sollte angesichts der deutlich rückläufigen Gefangenenzahlen ein Personalzuwachs im Justizvollzug vermieden werden. Auf die maximal 37 zusätzlichen Stellen für die Justizvollzugsanstalt Offenburg könnte verzichtet werden, wenn eine weitere Vollzugseinrichtung in der Größenordnung von bis zu 80 Haftplätzen geschlossen würde.

3 Empfehlungen

Der Rechnungshof empfiehlt,

  • die Personalforderungen für die Justizvollzugsanstalt Offenburg ab 2014 zu überprüfen und um mindestens 10 Stellen zu reduzieren,
  • das Haftplatzentwicklungsprogramm fortzuschreiben und dabei die gesunkenen Gefangenenzahlen zu berücksichtigen,
  • die Inanspruchnahme der im Staatshaushaltsplan 2014 ausgebrachten 37 zusätzlichen Stellen durch Schließung weiterer unwirtschaftlicher Vollzugseinrichtungen zu vermeiden,
  • die Wirtschaftlichkeit der Betriebsprivatisierung nach Vertragsbeendigung zu evaluieren.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Justizministerium erhebt gegen die Sachdarstellung und die Wirtschaftlichkeitsberechnungen des Rechnungshofs keine Einwände.

Beim Personalbedarf der Justizvollzugsanstalt Offenburg habe sich nach Betriebsbeginn gezeigt, dass für den staatlichen Bereich statt der ursprünglich angenommenen 123 Stellen aus baulichen Gründen 139,5 Stellen erforderlich seien. Das Ministerium räumt ein, dass nach Beendigung des teilprivatisierten Betriebs von den zusätzlich geforderten 101 Stellen 6,22 Stellen für den privatisierungsbedingten Mehraufwand und den wegfallenden Koordinator in Abzug zu bringen seien.

Diese 6,22 Stellen könnten jedoch nicht gestrichen werden, sondern seien trotz der gesunkenen Gefangenenzahlen für den gestiegenen Aus- und Vorführaufwand in anderen Justizvollzugsanstalten erforderlich.

Das Ministerium beabsichtige, das Haftplatzentwicklungsprogramm fortzuschreiben. Bereits im Dezember 2012 sei entschieden worden, 2015 die Außenstelle Ellwangen der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd mit 36 Haftplätzen zu schließen. Die dort eingesetzten 16 Stellen würden jedoch für eine Erweiterung der Justizvollzugsanstalt Heilbronn um 60 Haftplätze benötigt. Weitere unwirtschaftliche Vollzugseinrichtungen könnten erst geschlossen werden, wenn die im Raum Rottweil vorgesehene neue Justizvollzugsanstalt in Betrieb genommen werde.

Die Wirtschaftlichkeit der Betriebsprivatisierung solle nach Vertragsbeendigung evaluiert werden.

5 Schlussbemerkung

Der Rechnungshof hält an seinen Empfehlungen fest:

  • Das Justizministerium will die ursprünglichen Personalforderungen für die Justizvollzugsanstalt Offenburg nur um 6,22 Stellen reduzieren. Auf die daneben zugegangenen 7 Stellen für vorab übernommene Aufgaben geht es in seiner Stellungnahme nicht ein.
  • Das Haftplatzentwicklungsprogramm ist zeitnah an die gesunkenen Gefangenenzahlen anzupassen. Anstelle von Einzelmaßnahmen sollte in einem Gesamtkonzept neben einer geringeren Haftplatzkapazität auch eine Personalreduzierung im Justizvollzug angestrebt werden.
  • Bis zur Vorlage dieses Gesamtkonzepts sollte auf die Inanspruchnahme der im Staatshaushaltsplan 2014 ausgebrachten 37 zusätzlichen Stellen verzichtet werden. Die in der Justizvollzugsanstalt Offenburg nicht benötigten 6,22 Stellen können unverzüglich wieder abgebaut werden. Auch bei der derzeitigen Anstaltsstruktur sollte angesichts der deutlich rückläufigen Gefangenenzahlen ein gestiegener Aus- und Vorführaufwand mit dem vorhandenen Personal aufgefangen werden können.

Der Landeshaushalt kann nur konsolidiert werden, wenn auch die Personalausgaben reduziert werden. Wenn - wie im Justizvollzug - die Aufgaben rückläufig sind, müssen Potenziale zum Stellenabbau konsequent genutzt werden. In dieser Situation ist es nicht zielführend, zunächst zusätzliche Stellen zu besetzen und diese danach - mit allen personalwirtschaftlichen Schwierigkeiten - wieder abzubauen.