Krankheitsvertretungsreserve an den öffentlichen Schulen des Landes [Beitrag Nr. 8]

Das Kultusministerium kann auf Ressourcen von bis zu 191 Mio. Euro jährlich zurückgreifen, um die Unterrichtsversorgung zu sichern. Inwieweit dies gelingt, ist vor allem eine Frage der sachgerechten Steuerung der Krankheitsvertretungsreserve und der für Vertretungen verfügbaren Haushaltsmittel.

1 Ausgangslage

Die Unterrichtsversorgung zu verbessern, zählt das Kultusministerium zu den wichtigsten Aufgaben der Bildungspolitik. Zur Sicherung der Unterrichtsversorgung für das Schuljahr 2012/13 wurden 200 zusätzliche Deputate als Krankheitsvertretungsreserve bereitgestellt. Insgesamt sind für alle Schularten landesweit 1.466 Deputate als Krankheitsvertretungsreserve, die sogenannte feste Lehrerreserve, ausgewiesen. Neben dieser festen Lehrerreserve und den im Staatshaushaltsplan ausgewiesenen Mitteln für Vertretungslehrkräfte zur Sicherung der Unterrichtsversorgung von jährlich 75 Mio. Euro gibt es weitere Ressourcen, um Unterrichtsausfälle zu vermeiden (z. B. Mehrarbeit der Lehrkräfte, variabler Einsatz Regelstundenmaß).

Unterrichtsausfall ist in der bildungspolitischen Diskussion zu einem Kampfbegriff für echte oder vermutete Defizite an den Schulen geworden. Jeder kennt den Begriff Unterrichtsausfall, aber nicht immer ist auch dasselbe gemeint. Für die sachliche Darstellung ist eine präzise Definition dieses Begriffes dringend geboten. Die Allgemeinheit zählt jede nicht gemäß dem Stundenplan von der regulären Lehrkraft in der Klasse gehaltene Unterrichtsstunde zum Unterrichtsausfall. Neben einem solchen „situativen“ Unterrichtsausfall gibt es den „strukturellen“ Unterrichtsausfall. Dieser liegt vor, wenn aufgrund generell fehlender Personalressourcen, z. B. Fachlehrermangel, der Unterricht von vornherein nicht eingeplant werden kann.

Das Kultusministerium ermittelt ausschließlich den situativen Unterrichtsausfall im Pflichtbereich. Nach Definition des Ministeriums liegt dieser vor, wenn bei Abwesenheit der Lehrkraft Unterricht im Pflichtbereich nicht durch Vertretungsmaßnahmen aufgefangen werden kann. Der Pflichtbereich umfasst die Erfüllung des Pflicht- und Wahlpflichtunterrichts der jeweiligen Stundentafel. Die über den Pflichtbereich hinausgehenden Stunden bilden den Ergänzungsbereich. Die Untersuchung geht von dieser Definition aus.

Das Ministerium hat im Laufe der Jahre im Wesentlichen drei Säulen zur Vermeidung von Unterrichtsausfall entwickelt: die feste Lehrerreserve, die Haushaltsmittel für Vertragskräfte und Mehrarbeitsvergütungen sowie personelle und schulorganisatorische Maßnahmen auf Schulebene.

2 Prüfungsergebnisse

2.1 Stichproben des Kultusministeriums

Das Kultusministerium ermittelt jährlich die Unterrichtssituation an den öffentlichen Schulen und wählt aus den mehr als 4.000 öffentlichen Schulen bis zu 632 Schulen für die Stichprobe aus. Diese Erhebungen erfassen die Situation einer Unterrichtswoche im November (Stichwoche).

Im Mittel der letzten fünf Schuljahre (Betrachtungszeitraum von 2008 bis 2012) betrug der rechnerische Unterrichtsausfall im Pflichtunterricht nach Abzug der Vertretungsmaßnahmen über die Schularten (ohne Gemeinschaftsschule) 3 Prozent. An den Grundschulen fiel am wenigsten Unterricht aus, an den allgemeinbildenden Gymnasien am meisten.

2012 lag der Durchschnitt aller Schularten bei 2,9 Prozent. Bei den Grundschulen waren es 0,7 Prozent, bei den allgemeinbildenden Gymnasien 4,8 Prozent.

Im Betrachtungszeitraum war der häufigste Grund für den Vertretungsbedarf die Krankheit von Lehrkräften mit durchschnittlich 57 Prozent. An zweiter Stelle lagen mit 18 Prozent die Fortbildungsmaßnahmen. Es folgen mit deutlichem Abstand und wechselnder Platzierung die übrigen Abwesenheitsgründe wie außerunterrichtliche Veranstaltungen, dienstliche Aufgaben, Prüfungsteilnahme, Mutterschutz/Elternzeit und sonstige Gründe.

2.2 Feste Lehrerreserve

Die feste Lehrerreserve wird aus den vorhandenen Lehrerressourcen entnommen. Auch bei der Erhöhung der Krankheitsvertretungsreserve wurde auf vorhandene Lehrerstellen zurückgegriffen. Neue Stellen für Vertretungen wurden nicht geschaffen. Dieses Vorgehen ist ressourcenschonend und belastet den Personalhaushalt nicht zusätzlich.

In der Schulpraxis ist diese Reserve eine wesentliche Maßnahme, um die Unterrichtsversorgung zu sichern. Ihre Wirksamkeit hängt von der jeweiligen Schulart ab. Bei den fächerspezifischen Schularten (z. B. Gymnasium) kann die in der festen Lehrerreserve eingeplante Lehrkraft die Fachvertretung oft nicht leisten, da sie nicht über die entsprechende Fachausrichtung verfügt.

Bei den Grund-, Haupt- und Werkrealschulen ist der Einsatz der festen Lehrerreserve sachgerecht. Die Stichwochenergebnisse erhärten dies. Bei den beruflichen Schulen und den Sonderschulen wird die feste Lehrerreserve überwiegend für den Unterricht und nicht für Vertretungen eingesetzt. Das Kultusministerium verweist dabei auf das strukturelle Defizit in diesen Schularten. An diesen Schulen wird daher die feste Lehrerreserve im Allgemeinen zweckfremd eingesetzt.

Im Übrigen haben große mehrzügige Schulen bessere Möglichkeiten, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen.

2.3 Vertretungspotenzial

Neben der festen Lehrerreserve und den im Staatshaushaltsplan ausgewiesenen Mitteln für Vertretungen gibt es zusätzliche Ressourcen zur Vermeidung von Unterrichtsausfällen im Pflichtbereich. Hierzu gehören die unbezahlte Mehrarbeit der Lehrkräfte und der variable Einsatz der Regelstundenmaße bei den beruflichen Schulen und den allgemeinbildenden Gymnasien. Dies ergibt zusammen ein rechnerisches Potenzial von bis zu 3.319 Lehrerstellen und entspricht einem Finanzvolumen von 191,8 Mio. Euro. Das sind 4 Prozent der im unmittelbaren Schuldienst eingesetzten 83.898 Lehrerstellen. Hinzu kommen vielfältige unterrichtsorganisatorische und pädagogische Vertretungsmaßnahmen, die schwer quantifizierbar sind.

Die Tabelle zeigt die Aufteilung des Vertretungspotenzials.

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2.4 Datenlage

An den Schulen gibt es reichlich Daten zur Unterrichtssituation, zur Abwesenheit von Lehrkräften und zu Vertretungsmaßnahmen. Diese Informationen werden in verschiedenen Medien analog oder digital vorgehalten, sind aber für eine effiziente Auswertung nicht erschlossen; steuerungsrelevante Kennzahlen fehlen. So ist die Schulverwaltung auf gesonderte Datenerhebungen angewiesen, um die Zahl der langzeiterkrankten Lehrkräfte zu ermitteln, obwohl für jede Lehrkraft ein detailliertes Abwesenheitsblatt an den Schulen geführt wird. Diese Sondererhebungen werden zu Schuljahresbeginn als Vollerhebung durchgeführt. Im Gegensatz dazu werden die bedeutsameren jährlichen Erhebungen der Unterrichtssituation des Kultusministeriums lediglich stichprobenweise vorgenommen.

An den meisten Schulen gibt es professionelle Stundenplanprogramme, die neben der Unterrichtsplanung auch die Vertretungsplanung unterstützen können. Manche dieser Planungstools können bei der konkreten Personaleinsatzsteuerung helfen sowie Auswertungen und Statistiken zur Unterrichtssituation liefern.

Diese Schul-IT-Lösungen haben eines gemeinsam: Es sind Werkzeuge, die meistens der Schulträger zur Verfügung stellt und die mit den Softwarelösungen der staatlichen Schulverwaltung nicht verbunden sind.

Bei den Schulaufsichtsbehörden zeigt sich ebenfalls kein einheitliches Bild. So gibt es Schulämter, die ihre feste Lehrerreserve mit ausgefeilten, selbstentwickelten Datenbanklösungen verwalten, während andere klassische Tabellenkalkulationsprogramme verwenden. Ähnlich ist die Situation bei der Verwaltung der Mittel in den oberen Schulaufsichtsbehörden.

2.5 Bewertung

Die Sicherstellung der Unterrichtsversorgung ist eine komplexe Aufgabe und eine organisatorische Herausforderung für alle Beteiligten. Vor allem die Schulleitungen und Lehrkräfte an den Schulen sorgen neben der Schulverwaltung durch ihr tägliches Engagement dafür, eine geordnete Unterrichtsversorgung sicherzustellen.

Das Kultusministerium stützt sich bei seinen Aussagen zur Unterrichtssituation hauptsächlich auf die Erhebungen einer Stichwoche im November eines jeden Schuljahres. Diese Erhebungen bilden die Schulwirklichkeit nicht ausreichend ab. So können z. B. keine konkreten Daten zum tatsächlichen Einsatz der festen Lehrerreserve gewonnen werden, weil diese gemeinsam mit den Vertragskräften erhoben werden. Zudem fehlen Informationen zu Abwesenheit der Lehrkräfte wegen Mutterschutz und Elternzeit. Ebenfalls werden Kurz- und Langfristerkrankungen nicht differenziert aufgeführt. Fraglich ist, ob die Stichproben die Unterrichtssituation realistisch abbilden und die gewonnenen Informationen belastbar sind. Steuerungsrelevante Informationen wie Lehrerreserve, Nebenlehrkräfte (Vertragskräfte), Mutterschutz und Elternzeit sollten getrennt erfasst werden. Die Stichprobenerhebung und die Sondererhebung Langzeiterkrankte sollten zusammengefasst und als Vollerhebung ausgeführt werden.

Um die Unterrichtsversorgung zu verbessern, ist der zielgerichtete und sachgerechte Einsatz der Ressourcen vor Ort ausschlaggebend. Die Erhebungen an den Schulen bestätigten dies. Das Organisationsgeschick der Schulleitung und das Engagement des Lehrerkollegiums bestimmen im Wesentlichen die Wirksamkeit der Vertretungsmaßnahmen.

Die Datenlage insgesamt ist zur Ressourcensteuerung nicht ausreichend. Zwar sind im System Schule viele Daten analog und digital vorhanden, aber für eine effiziente Auswertung nicht erschlossen. Außerdem besteht Handlungsbedarf bei der Optimierung der Steuerungsprozesse. Insbesondere bei der Ermittlung der notwendigen Steuerungsdaten und der einheitlichen Handhabung der Verwaltungsprozesse (IT-Lösungen, Workflows) kann die Kultusverwaltung nachbessern. Gute und geeignete Lösungen gibt es bereits im System. „Best-Practice-Beispiele“ könnten helfen, praxistaugliche Werkzeuge zur Datenermittlung und Steuerung weiter zu entwickeln. Gute und praktikable IT-Lösungen sollten flächendeckend angeboten werden. Hier ist die zentrale IT-Administration der Schulverwaltung gefordert.

Mittelfristig sollten von jeder Schule steuerungsrelevante Kennzahlen (z. B. direkte Vertretungsquote, Krankenstand) zur Unterrichtssituation vorliegen. Dann kann mit Benchmarking-Prozessen von den besten Schulen gelernt werden.

Überdacht werden sollte der Einsatz der festen Lehrerreserve bei den fächerspezifisch ausgerichteten Schularten. Es bietet sich an, bei Bedarf die Fachvertretungen frühzeitig, gegebenenfalls schon zu Beginn des Schuljahres, durch Vertragskräfte zu sichern.

In der Praxis haben große schulische Einheiten mit mehrzügigem Aufbau naturgemäß bessere Möglichkeiten, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen. Bei den Planungen zur regionalen Schulentwicklung gilt es, diesen Aspekt zu berücksichtigen.

Die derzeit vorhandenen personellen und finanziellen Mittel sowie der schulorganisatorische Handlungsspielraum reichen grundsätzlich aus, die Unterrichtsversorgung im Pflichtbereich sicherzustellen. In der Gesamtbetrachtung ist die Sicherung des Unterrichts durch Vertretungsmaßnahmen vor allem eine Frage der sachgerechten Steuerung der vorhandenen Ressourcen und weniger ein Mengenproblem.

3 Empfehlungen

Der Rechnungshof empfiehlt,

  • die jährliche Erhebung zur Unterrichtssituation mit der Sondererhebung Langzeiterkrankte zu verbinden und zu einer differenzierten Vollerhebung auszubauen;
  • bereits vorhandene geeignete Lösungen zur Datenermittlung und Steuerung im Rahmen von „Best-Practice“ zu erschließen;
  • mittelfristig an allen Schulen steuerungsrelevante Kennzahlen zur Unterrichtsversorgung vorzuhalten;
  • bei den beruflichen Schulen und den Sonderschulen mit Blick auf deren strukturellen Defizite keine feste Lehrerreserve auszuweisen;
  • den Einsatz der festen Lehrerreserve bei fächerspezifisch ausgerichteten Schularten zu überdenken und die Fachvertretungen bei Bedarf vermehrt und möglichst frühzeitig durch Vertragskräfte zu sichern;
  • in der regionalen Schulentwicklungsplanung den Vertretungsaspekt zu berücksichtigen und die Vorteile schulischer Einheiten mit mehrzügigem Aufbau zu nutzen.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Kultusministerium merkt an, dass verschiedene Versuche, die vielfältige Schulverwaltungssoftware durch Schnittstellen medienbruchfrei zugänglich zu machen, in der Vergangenheit gescheitert seien. Derzeit werde eine einheitliche Schulverwaltungssoftware entwickelt. Auch unterstütze das Ministerium eine mehrfach im Jahr durchgeführte zentrale Abfrage über die Unterrichtssituation. Allerdings müsse dafür ein geeignetes IT-Programm entwickelt werden. Zur Ressourcensteuerung werde derzeit das Projekt Vertretung-Online entwickelt. Mit einem solchen IT-Projekt könnten viele Prozesse vereinheitlicht und mehr Daten erhoben werden als bisher. Bezüglich der festinstallierten Lehrerreserve könne das Ministerium die Problematik bei den mehr fachspezifisch orientierten Schularten nachvollziehen.

Bei den Empfehlungen könne das Ministerium „generell mitgehen“.