1 Ausgangslage
Zur Konsolidierung des Landeshaushalts müssen die Personalkosten gesenkt werden (siehe Denkschrift 2013, Beitrag Nr. 3, Landtagsdrucksache 15/3803 und Denkschrift 2012, Beitrag Nr. 4, Landtagsdrucksache 15/1904). Nach Auffassung der Landesregierung muss der notwendige Personalabbau mit einer Aufgabenkritik einhergehen. Gleichzeitig hat die Polizei wiederholt einen Personalmehrbedarf von 1.000 Stellen geltend gemacht. Dies hat die Finanzkontrolle veranlasst, 2012 in einem eng begrenzten Bereich eine aufgabenkritische Prüfung im Polizeihaushalt vorzunehmen und die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landespolizeiorchesters zu prüfen.
Das Landespolizeiorchester versteht sich als „Guter Ton der Polizei“. Es soll landesweit als Repräsentant der Polizei durch sein künstlerisches und musikalisches Niveau Öffentlichkeitsarbeit leisten.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Organisation
Als klassisches Blasorchester setzt sich das Landespolizeiorchester zusammen aus Blech- und Holzbläsern und einer Schlagzeuggruppe. Die 36 Orchestermitglieder sind ausgebildete Musiker und werden ausschließlich im musikalischen Dienst eingesetzt. Weitere drei Mitarbeiter betreuen das Orchester administrativ.
Das Landespolizeiorchester verursacht jährliche Ausgaben von mehr als 2 Mio. Euro. Dem stehen nur geringe Einnahmen gegenüber.
Das Polizeipräsidium Stuttgart ist für Führung, Einsatz und Verwaltung des Orchesters zuständig. Die künstlerische Ausrichtung steuert seit 2010 im Innenministerium das Landespolizeipräsidium. Seinen Sitz hat das Landespolizeiorchester bei der Bereitschaftspolizei in Böblingen.
Die Verteilung der Zuständigkeiten auf zwei Dienststellen ist nicht zielführend und erschwert den ordnungsgemäßen Ablauf des Dienstbetriebs.
2.2 Aufgaben und Aufgabenerfüllung
Das Landespolizeiorchester soll durch öffentliche Auftritte Imagewerbung für die Polizei betreiben. Dafür gibt es weder eine Konzeption, in die sich das Orchester überzeugend einordnen ließe, noch wurde je der Effekt dieser Imagewerbung evaluiert und etwa mit Alternativen verglichen.
2.2.1 Öffentlichkeitsarbeit durch polizeiinterne und externe Auftritte
Das Landespolizeiorchester tritt als Gesamtorchester oder mit einem Kammerensemble auf. 2010 trat es 70-mal und 2011 insgesamt 55-mal auf.
Abbildung 1 zeigt, wie sich die Auftritte auf die Anlässe 2010 und 2011 verteilen.
Auftritte aus originär polizeilichen Anlässen waren beispielsweise Amtsleiterwechsel, Beerdigungen oder Gewerkschaftsveranstaltungen. Dabei handelte es sich überwiegend um polizeiinterne Einsätze, die der breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Das Landespolizeiorchester leistete hier keine Öffentlichkeitsarbeit, sondern kulturellen Innendienst für die Polizei.
Die Auftritte bei Behördenveranstaltungen, wie die Amtseinführung eines Amtsgerichtsdirektors, ließen fast ausnahmslos keinerlei Polizeibezug erkennen. Andere Berufs- oder Freizeitmusikorchester hätten diese Auftritte ebenso bestreiten können. So wurde z. B. die Feier anlässlich des Präsidentenwechsels beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart vom ehrenamtlichen OLG-Chor musikalisch umrahmt.
Mehr als 50 Prozent aller Auftritte waren Benefizkonzerte. Nur durchschnittlich 8 Prozent dieser Benefizkonzerte wurden mit oder im unmittelbaren Interesse der Polizei durchgeführt. Bei 67 Prozent lagen die Benefizzwecke überwiegend oder ausschließlich im Interesse des Konzertveranstalters. Hier unterstützte die Polizei beispielsweise Musikvereine, um für deren eigene Jugendkapellen Geld zu sammeln. Die oftmals nur geringen Zuhörerzahlen und Spendenerlöse stehen in einem gewissen Widerspruch zu dem hohen Ansehen, welches die Polizei ihrem Orchester beimisst.
Sonstige öffentlichkeitswirksame Auftritte waren Veranstaltungen Dritter, bei denen das Landespolizeiorchester kostenfrei oder gegen geringes Honorar engagiert wurde. Ein polizeiliches Interesse an der Durchführung derartiger Veranstaltungen war überwiegend nicht zu erkennen.
Im Prüfungszeitraum waren dem polizeilichen Auftrag des Landespolizeiorchesters im engeren Sinne nur jeweils 15 Auftritte zuzuordnen. Diese standen in keinem akzeptablen Verhältnis zu den Ausgaben, die der Polizei für das Berufsorchester entstanden.
Für solche Veranstaltungen könnten auch die Freizeitmusikkorps der Polizei eingesetzt werden, die ohnehin bereits erfolgreich Öffentlichkeitsarbeit leisten. Sie erzielen oft eine beeindruckende Resonanz in der Bevölkerung. Im Einzelfall wären auch Kooperationen mit anderen Landespolizeiorchestern denkbar.
2.2.2 Auslastung
Das Landespolizeiorchester war 2010 und 2011 bei Weitem nicht ausgelastet. Die Einsätze waren stark rückläufig. 2011 waren es nur noch 55 Einsätze. Dies ist für ein eingespieltes Orchester deutlich zu wenig.
Auch im Vergleich der großen Flächenländer war das Landespolizeiorchester im Land unterdurchschnittlich präsent. Die Orchester der anderen Länderpolizeien traten durchschnittlich dreimal häufiger auf.
2.2.3 Landesweite Streuung der Auftritte
Für die überregionale Öffentlichkeitsarbeit ist eine angemessene landesweite Streuung der Auftrittsorte notwendig.
Die Auftritte 2011 konzentrierten sich - wie auch in den Jahren zuvor - auf den Großraum Stuttgart. Die anderen Landesteile waren deutlich unterrepräsentiert. Damit kam das Landespolizeiorchester seinem Auftrag der landesweiten Öffentlichkeitsarbeit nur unzureichend nach.
2.2.4 Öffentlichkeitsarbeit durch CD-Produktionen
Das Landespolizeiorchester spielte bisher 35 CDs ein. Dabei handelte es sich weit überwiegend um Verlagsproduktionen. Musikverlage engagieren zu diesem Zweck Orchester gegen Honorar für das Einspielen von Noten. Ein messbarer Nutzen dieser CD-Aufnahmen für die Polizei ist nicht zu erkennen. Nur neun CDs, die als Öffentlichkeitsarbeit gewertet werden könnten, produzierte das Landespolizeiorchester im eigenen Interesse.
Zwei Eigenproduktionen konnte das Landespolizeiorchester nur über Kredite der Polizeistiftung Baden-Württemberg realisieren. Diese Vorfinanzierungen stellen verdeckte Kreditaufnahmen dar. Sie waren - wie auch die Zinszahlungen - haushaltsrechtlich unzulässig.
2.3 Personal
Das Landespolizeiorchester beschäftigte bis Mitte der Neunzigerjahre ausschließlich Beamte. In den Siebzigerjahren wurden gesonderte Anforderungen an Bewerber für den Polizeimusikdienst eingeführt. Die Musiker erhielten eine reduzierte Polizeiausbildung. Sie wurden zu Polizeivollzugsbeamten ernannt, ohne für den Polizeivollzugsdienst vollwertig einsetzbar zu sein oder je eingesetzt zu werden.
Nach einer Organisationsuntersuchung änderte sich die Beschäftigtenstruktur des Landespolizeiorchesters. Fortan wurden Musiker nur noch als Tarifbeschäftigte eingestellt.
Im Prüfungszeitraum befanden sich von den 36 Musikern noch 19 in einem Beamtenverhältnis.
2.3.1 Beamte im Polizeimusikdienst
Die verbeamteten Musiker sind Polizeivollzugsbeamten vollumfänglich gleichgestellt. Sie
- erhalten die Zulage für Beamte mit vollzugspolizeilichen Aufgaben, haben aber nur eine eingeschränkte polizeiliche Ausbildung und werden ausschließlich im Musikdienst eingesetzt;
- haben auch ein vorgezogenes Pensionseintrittsalter, waren aber nie der außerordentlichen Belastung eines Polizeivollzugsbeamten ausgesetzt;
- beziehen Heilfürsorgeleistungen, mit denen den Erschwernissen des Vollzugsdienstes Rechnung getragen werden soll;
- absolvieren Laufbahnaufstiege, ohne sich je auf einem Dienstposten des gehobenen Polizeivollzugsdienstes bewährt zu haben.
2.3.2 Arbeitszeit, Mehrarbeit und Überstunden
Die Orchestermusiker nahmen vormittags dienstplanmäßig an gemeinsamen Proben am Dienstort teil. Daneben konnten ihnen noch bis zu drei Stunden täglich für Einzelproben zu Hause als Arbeitszeit angerechnet werden. Das führte häufig zu einer Überschreitung der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit. Auch wurde regelmäßig die Mittagspause als Arbeitszeit berücksichtigt. Dadurch häufte sich die Zahl der Überstunden.
Die Auftritte des Landespolizeiorchesters waren zumeist an Abenden und Wochenenden. Demnach fielen Mehrarbeit und Überstunden an. Ein Teil der Musiker erhielt Mehrarbeits- bzw. Überstundenvergütung. Andere Musiker konnten solche Stunden im laufenden Orchesterbetrieb mit Freizeit ausgleichen. Einheitliche Regelungen im Umgang mit der Mehrarbeit und deren Erfassung bestehen nicht.
Musiker des Landespolizeiorchesters betrieben regelmäßig Dienst- bzw. Betriebssport. Die dafür verwendeten Zeiten erfassten sie bisher nicht elektronisch einheitlich und nachprüfbar. Dadurch wurden beim Betriebssport teilweise die Zeiten für die Fahrtwege und die Vor- und Nachbereitung als Arbeitszeit anerkannt.
2.3.3 Interessenkollision von Orchestertätigkeit und Nebentätigkeit
Fast alle Mitglieder des Orchesters übten Nebentätigkeiten aus. Kam es dabei zu zeitlichen Überschneidungen, ordnete das Landespolizeiorchester seine dienstlichen Belange wiederholt den Interessen der Musiker an ihren Nebentätigkeiten unter. Die Musiker erhielten trotz dienstlicher Verpflichtungen dienstfrei; sie mussten lediglich einen Aushilfsmusiker organisieren und finanzieren. Die dienstlichen Pflichten wurden damit nicht ordnungsgemäß erfüllt.
Außerdem hat das Landespolizeiorchester Benefizkonzerte zugunsten von Musikvereinen gespielt, in denen Mitglieder des Landespolizeiorchesters eine entgeltliche Nebentätigkeit ausübten. Das Landespolizeiorchester darf sich für solche Interessen seiner Mitglieder nicht instrumentalisieren lassen.
2.3.4 Viele Aushilfsmusiker sichern die Spielfähigkeit
2011 hatte das Landespolizeiorchester 126 Aushilfen engagiert, um die Spielfähigkeit bei seinen 55 Auftritten und für die fünf CD-Produktionen zu sichern.
2.4 Investitionsbedarf für die Beschaffung von Instrumenten
Das Landespolizeiorchester beschaffte nur unregelmäßig und nicht bedarfsorientiert Instrumente. Dies führte zu einem Investitionsstau von nunmehr 160.000 Euro. Eine bedarfsgerechte Ausstattung würde eine mehrjährige deutliche Erhöhung des Sachmittel-Budgets bedeuten, welches derzeit 68.000 Euro beträgt.
2.5 Nutzung und Auslastung der Dienstfahrzeuge
Drei Fahrzeuge waren dem Landespolizeiorchester zugewiesen. Zwei Kleintransporter befinden sich im Landeseigentum; ein Personenkraftwagen ist geleast.
Alle Fahrzeuge waren bei Weitem nicht ausgelastet. Die geringen Einsatztage rechtfertigen nicht die alleinige Nutzung der Fahrzeuge durch das Landespolizeiorchester.
3 Empfehlungen
3.1 Auflösung des Landespolizeiorchesters
Das Landespolizeiorchester ist ein professionelles sinfonisches Blasorchester. Es leistet damit einen kulturellen Beitrag. Die Polizei hat aber keinen Kulturauftrag. Sie sollte sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Musizieren gehört nicht dazu. Auch andere große Berufsgruppen im Landesdienst haben keine eigenen Klangkörper für die Öffentlichkeitsarbeit. Es gibt weder ein professionelles Landesschulorchester noch ein Landesjustizorchester.
Das Landespolizeiorchester sollte umgehend aufgelöst werden. Dafür spricht auch, dass beim Landespolizeiorchester höhere Sachausgaben als bisher anstehen. Die Stellen sollten eingespart werden.
Alle verbeamteten Musiker sollten aus dem Orchester herausgelöst und in den Polizeivollzugsdienst integriert werden, für den sie besoldet werden. Alternativ sollten Möglichkeiten für einen Laufbahnwechsel geschaffen werden.
3.2 Notwendige Maßnahmen in der Übergangszeit
Bis zur vollständigen Auflösung müssen die Ausgaben reduziert und die Einnahmen deutlich erhöht werden. Dabei sollten folgende Empfehlungen beachtet werden:
Die organisatorischen und fachlichen Zuständigkeiten für das Landespolizeiorchester sind zu bündeln. Die bestehenden Regelungen zum Dienstbetrieb sollten ergänzt und zu einer Dienstvereinbarung zusammengefasst werden.
Das Landespolizeiorchester sollte seine Aufgaben präzisieren und priorisieren. Bei den Auftritten des Landespolizeiorchesters muss bis zur vollständigen Auflösung die Einnahmenerzielung im Vordergrund stehen.
Da CD-Produktionen für Musikverlage weder zu den Aufgaben des Orchesters gehören noch wirtschaftlich sind, sollte darauf verzichtet werden.
Das Verlassen des Dienstgebäudes sollte stets am Zeitterminal quittiert werden. Für eine Teilnahme am Betriebssport dürfen nur 30 Minuten auf die Arbeitszeit angerechnet werden.
Die Arbeitszeitregelung sollte so angepasst werden, dass künftig keine Überstunden mehr entstehen können. Durch eine konsequente Dienstplangestaltung und -umsetzung, die Einhaltung der Pausenregelungen sowie die Kontrolle der Arbeitszeitaufschreibungen werden zukünftig Mehrarbeits und Überstundenvergütungen nahezu entbehrlich.
Bei der Konzertakquise muss sorgfältig geprüft werden, ob ein Musiker sich dadurch persönliche Vorteile verschafft. Um jeden Anschein der persönlichen Vorteilnahme zu vermeiden, sollte in Zweifelsfällen keine Zusage erteilt werden.
Die Dienstfahrzeuge sollen in einen Fahrzeugpool eingegliedert werden.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Innenministerium ist nicht bereit, das Landespolizeiorchester aufzulösen. Es sieht in ihm einen wichtigen imagebildenden Werbefaktor und musikalischen Botschafter der Polizei. Gleichwohl erkennt es an, dass verschiedene Aspekte kritisch zu hinterfragen sind, in letzter Konsequenz auch die Notwendigkeit des Landespolizeiorchesters selbst. In einem ersten Schritt soll der Klangkörper um 15 auf maximal 21 Mitglieder verkleinert werden. Für die nicht mehr benötigten beamteten Musiker sollen andere Verwendungsmöglichkeiten im Polizeivollzugsdienst geprüft werden. Diese Maßnahmen will das Ministerium in einem Jahr evaluieren. Dabei will es auch prüfen, ob die Einnahmen, die Zahl der Auftritte und die Zuschauerzahlen erhöht werden konnten.
Der Empfehlung, die Benefizkonzerte auf Einzelfälle zu beschränken und auf behördeninterne Auftritte zu verzichten, wird nicht gefolgt. Das Ministerium betrachtet diese Auftritte wegen ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit als vertretbar. Außerdem hält es an seiner bisherigen Zuständigkeit für das Landespolizeiorchester fest.
Im Übrigen hat das Innenministerium die Hinweise des Rechnungshofs bereits weitgehend umgesetzt.
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft hat sich im Prüfungsverfahren dafür ausgesprochen, dass die Option einer vollständigen Auflösung des Landespolizeiorchesters erhalten bleiben muss.