BOS-Digitalfunk Baden-Württemberg [Beitrag Nr. 6]

Einführung und Betrieb des BOS-Digitalfunks kosten Baden-Württemberg nach einer Kostenberechnung der Finanzkontrolle bis 2021 mindestens 637 Mio. Euro. Ab 2022 muss mit jährlichen Folgekosten von durchschnittlich 50 Mio. Euro gerechnet werden.

Die ursprünglich im Haushalt veranschlagten Projektkosten von 400 Mio. Euro waren von Anfang an kleingerechnet und wurden erst sehr spät dem tatsächlichen Bedarf angepasst.

1 Ausgangslage

Bund und Länder bauen für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) ein gemeinsames Digitalfunknetz auf. Es soll das veraltete BOS-Analogfunknetz ablösen. Ziel ist es, bundesweit eine abhörsichere, störungsfreie und schnelle Kommunikation zwischen den BOS zu ermöglichen. Zur Planung und Durchführung des Projekts in Baden-Württemberg gründete das Land die Projektorganisation „BOS-Digitalfunk Baden-Württemberg“. Für das Projekt wurde im Doppelhaushalt 2005/2006 eine Verpflichtungsermächtigung von 400 Mio. Euro veranschlagt.

Seit 2004 wird das Vorhaben von einem Lenkungsausschuss gesteuert, in dem der Rechnungshof seit 2008 beratend vertreten ist. In der 16. Sitzung im Juni 2011 wurden um 160 Mio. Euro höhere Ausgaben genannt als ursprünglich geplant. Das war Anlass für unsere Prüfung. Sie soll die vollständigen Kosten für Einführung und laufenden Betrieb des BOS-Digitalfunks in Baden-Württemberg aufzeigen. Ferner soll sie die Folgekosten für den Betrieb sowie den notwendigen technischen Refresh ab 2022 abschätzen.

2 Prüfungsergebnisse

2.1 Zuständigkeiten und Finanzierung

Der BOS-Digitalfunk basiert auf einer komplexen technischen Infrastruktur. Aufbau und Betrieb verursachen enorme Kosten und erfordern eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Die zentrale Steuerung des Projekts wurde der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) übertragen. Zuständigkeiten für Errichtung, Betrieb sowie Finanzierung des Projekts und der BDBOS sind in umfangreichen Abkommen und Vereinbarungen zwischen den Beteiligten geregelt.

Der Bund finanziert Teilbereiche des BOS-Digitalfunks in Baden-Württemberg mit, die Hauptlast trägt jedoch das Land.

2.2 Projektorganisation

Die Projektorganisation „BOS-Digitalfunk Baden-Württemberg“ ist als Stabsstelle im Innenministerium - Landespolizeipräsidium eingerichtet. Sie wird von einem Gesamtprojektverantwortlichen geleitet. Alle beteiligten Behörden und Organisationen (Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste) sind in die Projektorganisation integriert. Der Gesamtprojektverantwortliche wird von einem Projektstab unterstützt. Teile der Projektorganisation sind u. a. die Autorisierte sowie die Koordinierende Stelle für den Digitalfunk Baden-Württemberg (ASDBW/KSDBW). Die ASDBW ist die zentrale technische Betriebsstelle aller BOS in Baden-Württemberg. Die KSDBW fungiert als übergeordnete Schnittstelle zum Bund, zur BDBOS und zu den übrigen Ländern mit Zuständigkeit für BOS- sowie BOS-übergreifende strategische und administrative Aufgaben. Ab 2014 werden ASDBW und KSDBW im Rahmen der Polizeistrukturreform in das neu zu schaffende Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei integriert.

Der künftige Personalbedarf beider Stellen im Regelbetrieb ist noch nicht endgültig ermittelt. Insbesondere steht noch nicht fest, ob sich mit wachsender Betriebserfahrung die bisher geltend gemachten Stellenanforderungen reduzieren lassen.

Von den 68 Mitarbeitern des Projekts sind insgesamt 38 aus der Landespolizei zum Projekt abgeordnet, viele davon für ein bis zwei Jahre. Die ständige Fluktuation des Personals führte zu einem Know-how-Verlust. Letztlich konzentrierte sich das Wissen über Projektverlauf und -zusammenhänge von Beginn an auf wenige Personen, insbesondere auf die Gesamtprojektverantwortlichen.

2.3 Projekt- und Regelbetriebskosten bis 2021

Das tatsächliche Ausmaß der Projektkosten blieb dem Haushaltsgesetzgeber lange Zeit verborgen.

2001 erbrachte eine Grobschätzung im Rahmen des Interessenbekundungsverfahrens Gesamtkosten von 8 Mrd. Euro auf Bundesebene für Aufbau und Betrieb für einen Zeitraum von 13 Jahren. Die Finanzministerkonferenz sah keine Möglichkeit, eine so hohe Summe bereitzustellen. Daraufhin hat eine Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz 2002 Mindeststandards gewählt, die unterhalb des Interessenbekundungsverfahrens und der Funkversorgungsgüte GAN 0 lagen (idealisiertes Topologiemodell). Die Gesamtkosten sollten danach nur noch 3,5 Mrd. Euro betragen. Auf Baden-Württemberg wären Ausgaben von 400 Mio. Euro entfallen. Weitere 75 Mio. Euro für die Erstbeschaffung der polizeilichen Endgeräte waren gesondert ausgewiesen.

Im Doppelhaushalt 2005/2006 wurden 1,3 Mio. Euro und eine Verpflichtungsermächtigung von 400 Mio. Euro für den Landesanteil veranschlagt.

Die Landesregierung hat sich 2005 für den 100 Mio. Euro teureren Standard GAN 2 entschieden.

2007 aktualisierte das Bundesministerium des Innern den Landesanteil an den Projektkosten auf 510 Mio. Euro basierend auf der Funkversorgungsgüte GAN 0.

Schon bei der Kabinettsvorlage des Innenministeriums im März 2007, spätestens aber bei Vorlage der Planrechnung 2008 des Finanzcontrollings der Projektorganisation im April 2008, gab es ernst zu nehmende Gründe, die Haushaltsvorsorge anzupassen.

Die Kostensteigerungen für den Standard GAN 2 blieben unberücksichtigt. Darüber hinaus waren die Einsparpotenziale, welche die Projektorganisation zur Rettung der Kostenobergrenze von 400 Mio. Euro erschließen wollte, nicht realistisch. Ferner wurden die Kosten für die Objektversorgung (Funkversorgung von einsatztaktisch wichtigen Gebäuden und Bauwerken) im Landeshaushalt ausgeklammert. Gleiches galt für die Kostenbeteiligung des Bundes, für die das Land zunächst vorzuleisten hat.

Die nachfolgenden Planrechnungen bestätigten eine stärkere Belastung des Landeshaushalts. Aber erst die Zahlen der Planrechnung 2011 veranlassten das Innenministerium zu einer Anpassung im Haushalt 2012. Das führte zu einer Erhöhung der Verpflichtungsermächtigung um 253 Mio. Euro. Damit sind nunmehr der Landesanteil mit 572 Mio. Euro (einschließlich Objektversorgung) sowie der vorzufinanzierende Bundesanteil von 81 Mio. Euro, insgesamt Ausgaben von 653 Mio. Euro, bis 2021 haushaltsrechtlich abgedeckt.

Neuere Zahlen aus der Planrechnung 2012 gehen für den Landesanteil bei einer Best Case-Prognose von 516 Mio. Euro und einer Worst Case-Prognose von 561 Mio. Euro (jeweils einschließlich Objektversorgung) aus.

2.4 Vollständige Kostenberechnung 2007 bis 2021

Bei den unter Punkt 2.3 genannten Kosten handelt es sich nicht um die vollständigen Kosten für den BOS-Digitalfunk. Die Berechnungen des Finanzcontrollings des Projekts sind deshalb im Wesentlichen um Folgendes zu ergänzen:

  • Interne Personalkosten,
  • Einnahmen von nichtpolizeilichen BOS,
  • geringere Risikozuschläge sowie
  • Sachkosten außerhalb der für den BOS-Digitalfunk geschaffenen Titelgruppe 70.

In Tabelle 1 ist die Kostenberechnung des Rechnungshofs der Planrechnung 2012 gegenübergestellt.

2013-B06-Tab1.jpg

Nach der vollständigen Kostenberechnung des Rechnungshofs belastet der BOS-Digitalfunk den Landeshaushalt bis 2021 mit 637 Mio. Euro (Best Case) bis 648 Mio. Euro (Worst Case). Hinzukommen der vorzufinanzierende Bundesanteil und die Kosten für den Weiterbetrieb des Analogfunks.

2.5 Folgekosten des BOS-Digitalfunks von 2022 bis 2031

Die Einführung des BOS-Digitalfunks wird nach 2021 zwangsläufig zu erheblichen Folgekosten führen. Damit ergibt sich eine Vorbelastung der jeweiligen Haushalte. Wir haben die Folgekosten deshalb in einer Modellrechnung geschätzt. Wir unterstellen, dass sich die verwendete Technik und die Kostenverteilung zwischen Bund und Land nicht grundlegend verändern. Basis sind die aktuellen Mengengerüste aus der Planrechnung 2012. Für die Betriebskosten werden die Berechnungen aus der Planrechnung 2012 fortgeschrieben, für die Personalkosten der Personalbedarf für den Regelbetrieb ab 2014 berücksichtigt.

Tabelle 2 zeigt die voraussichtlichen Ausgaben, die vom Land von 2022 bis 2031 zu tragen sind.

2013-B06-Tab2.jpg

Insgesamt wird das Land nahezu 500 Mio. Euro in diesem Zeitraum bereitstellen müssen. Die durchschnittliche jährliche Haushaltsbelastung dürfte sich auf rund 50 Mio. Euro belaufen.

3 Empfehlungen

3.1 Dem Landtag realistische Kostenschätzung vorlegen

Beim BOS-Digitalfunk in Baden-Württemberg sind nicht die ursprünglich prognostizierten Kosten aus dem Ruder gelaufen. Vielmehr wurden die ersten Kostenschätzungen als nicht finanzierbar eingestuft. Um das Projekt im Land zu retten, wurden nicht realisierbare Einsparungen gegengerechnet. In der Folge wurden unzureichende Haushaltsmittel beantragt und ausgewiesen. Dem Haushaltsgesetzgeber blieb die tatsächliche Haushaltsbelastung lange Zeit vorenthalten, obwohl das Innenministerium die Situation spätestens ab 2008 richtig einschätzen konnte.

Wie bereits in der Denkschrift 2012, Beitrag Nr. 17 (Landtagsdrucksache 15/1917), Landesmesse Stuttgart, empfiehlt die Finanzkontrolle, bei Großprojekten, deren Planung und Realisierung sich über mehrere Jahre erstrecken, dem Landtag von Anfang an realistische, vollumfängliche Kostenschätzungen vorzulegen. Dabei sind Risiken, Preissteigerungen, insbesondere durch Projektverzögerungen, und Folgekosten zu kalkulieren sowie auch ein Worst-Case-Szenario zu erstellen.

Der Haushaltsgesetzgeber ist darüber hinaus bei Großprojekten unverzüglich zu informieren, wenn der von ihm vorgegebene Rahmen überschritten würde.

3.2 Projektorganisation effizient gestalten

Das Land sollte außerdem bei Großprojekten eine effiziente Projektorganisation sicherstellen. Dazu gehört auch ein gewisses Mindestmaß an Personalkontinuität. Erfahrungs- und Projektwissen darf nicht verloren gehen, wenn maßgebliche oder eine Vielzahl von Mitarbeitern aus dem Projekt ausscheiden.

Der Personalbedarf der ASDBW und KSDBW sollte spätestens ein Jahr nach Beginn des Regelbetriebs neu bewertet werden.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Innenministerium und das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft halten die Verpflichtungsermächtigung von 400 Mio. Euro und das Beibehalten bis 2011 für sachgerecht.

Das Innenministerium sieht zwar die Projektorganisation als effizient an, habe aber zwischenzeitlich Maßnahmen ergriffen, um für mehr Personalkontinuität zu sorgen.

Das Innenministerium weist daraufhin, dass Aussagen zu den Folgekosten nach 2021 rein spekulativ seien.

5 Schlussbemerkung

Nach Auffassung des Rechnungshofs hätte spätestens nach Vorlage der Planrechnung 2008 die Haushaltsvorsorge angepasst werden müssen.

Die Folgekosten werden zwangsläufig nach 2021 hoch sein. Unsere Modellrechnung basiert auf bereits heute bekannten Mindestannahmen, berücksichtigt aber nicht alle Risiken.