1 Ausgangslage
Die vier Landespolizeidirektionen (Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart und Tübingen) wurden im Zusammenhang mit der Verwaltungsstrukturreform 2005 als Abteilung 6 in die Regierungspräsidien eingegliedert. Der Rechnungshof Baden-Württemberg hat in den letzten Jahren bei den Regierungspräsidien umfassende Organisations- und Personalbedarfsprüfungen durchgeführt. Mit der Prüfung der Abteilungen 6, der Landespolizeidirektionen, haben wir diese Prüfungsserie fortgesetzt. Während der Prüfung wurde die Polizeistrukturreform beschlossen. Dies haben wir bei der Prüfung berücksichtigt: Da die bisher von den Landespolizeidirektionen wahrgenommenen Aufgaben nicht vollständig wegfallen werden, hat der Rechnungshof die Untersuchung mit reduzierten Untersuchungszielen fortgeführt. Zusätzlich wurden die Folgen der Polizeistrukturreform für spezifische Aufgaben untersucht und hierfür Empfehlungen ausgesprochen.
Die Aufgaben der Landespolizeidirektionen werden in sechs Referaten (Landespolizeidirektion Karlsruhe zusätzlich Referat Wasserschutzpolizei) wahrgenommen. Die Landespolizeidirektionen sind das Bindeglied zwischen der polizeilichen Basis und dem Landespolizeipräsidium im Innenministerium. Sie steuern und koordinieren die Aufgabenwahrnehmung der derzeit 34 Polizeidirektionen und 3 Polizeipräsidien. Des Weiteren sind sie als Dienstleister für den polizeilichen Technikbereich zuständig und unterstützen die Polizeidienststellen vor Ort.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Querschnitts- und Fachaufgaben
Die Finanzkontrolle hat die Aufgabenerledigung in den Referaten 62 Polizeirecht, 64 Führung und Einsatz und 65 Kriminalitätsbekämpfung näher untersucht. In einem iterativen Prozess wurde ein detaillierter Aufgabenkatalog mit den verantwortlichen Mitarbeitern aller vier Landespolizeidirektionen erstellt.
Im Prüfungszeitraum waren 952 Personen im Umfang von 899 Vollzeitäquivalenten beschäftigt. 104 Mitarbeiter nahmen außerhalb der Referate 62, 64 und 65 einzelne, im Aufgabenkatalog definierte Tätigkeiten wahr. Hierfür verbuchten sie Mitarbeiterkapazitäten von 44 Vollzeitäquivalenten. Aus Vereinfachungsgründen werden diese Aufgaben generell als Aufgaben des Referats 62 bezeichnet.
Wir haben bei insgesamt 1.056 Mitarbeitern mit der Methode der Selbsteinschätzung den Ressourceneinsatz erhoben. Mit Ausnahme der Landespolizeidirektion Tübingen, 11 Prozent, liegt der Querschnittsanteil der anderen Landespolizeidirektionen auf fast gleichem Niveau von 15 respektive 16 Prozent. Für eine Fachabteilung - ohne klassische Verwaltungsaufgaben wie Haushalt und Personal - ist dieser Querschnittsanteil sehr hoch.
Im Fachbereich haben sich folgende Hauptaufgaben herauskristallisiert:
Tabelle 1 zeigt, dass bei den Landespolizeidirektionen das Mobile Einsatzkommando mit einem Anteil von 19 Prozent die meisten Personalressourcen erfordert. Auf fünf weitere Kernaufgaben, Führungs- und Lagezentrum, Wirtschaftsdelikte, Organisierte Kriminalität, Kriminaltechnische Untersuchungsstelle und Verkehr, entfallen Anteile von 10 bis 5 Prozent. Für die übrigen fünf Hauptaufgaben werden mit Ausnahme der Datenstationen jeweils 2 respektive 3 Prozent der Gesamtpersonalressourcen eingesetzt.
2.2 Benchmarking
Aus den Ergebnissen der Mitarbeiterbefragung wurden Kennzahlen gebildet und je nach Sachverhalt realistische Zielwerte für einen Benchmarkvergleich zwischen den vier Landespolizeidirektionen festgelegt. Dabei wurde nicht immer der niedrigste Ressourceneinsatz berücksichtigt. Dadurch werden spezifische Besonderheiten einzelner Landespolizeidirektionen aufgegriffen und atypische Einflüsse auf das Ergebnis weitgehend ausgeschlossen.
Das Optimierungspotenzial von insgesamt 71 Vollzeitäquivalenten bezieht sich auf eine Organisationsstruktur in Auflösung und wird sich bei den Landespolizeidirektionen nicht mehr realisieren lassen. Dies bedeutet, dass die Stellen für bereits jetzt entbehrliches Personal in Abgang gestellt und nicht mehr in die Polizeistrukturreform einfließen dürfen. Im Einzelnen geht es um folgende Bereiche:
2.2.1 Querschnittsaufgaben
Der Rechnungshof hat bei seinem Benchmarking im Querschnittsbereich Hauptaufgaben mit einem Ressourceneinsatz von 93,6 Vollzeitäquivalenten berücksichtigt. Dies entspricht 71,5 Prozent des gesamten Ressourceneinsatzes für Querschnittsaufgaben. Hieraus ergibt sich ein Optimierungspotenzial von insgesamt 19,4 Vollzeitäquivalenten. Würde dieses Optimierungspotenzial realisiert, reduzierte sich der Querschnittsanteil auf - für reine Fachabteilungen - immer noch hohe 12,4 Prozent.
2.2.2 Fachaufgaben
Bei den Fachaufgaben wurden vom gesamten Ressourceneinsatz von 812 Vollzeitäquivalenten Hauptaufgaben im Umfang von 605 Vollzeitäquivalenten beim Benchmarking berücksichtigt. Damit wurden 75 Prozent des Ressourceneinsatzes einem Benchmarking unterzogen. Für die anderen Aufgaben war ein Benchmarking nicht zielführend. Das Optimierungspotenzial von 51,7 Vollzeitäquivalenten verteilt sich auf die Fachaufgaben wie folgt:
2.3 Polizeistrukturreform
Der Rechnungshof hat die bislang von den Landespolizeidirektionen unter dem Dach der Regierungspräsidien wahrgenommenen Aufgaben auch im Kontext der neuen Polizeistruktur näher untersucht. Der größte Teil der Aufgaben der Referate 62 - sowie zwei (Teil-) Aufgaben der Referate 64 stellen keine „klassischen“ Polizeiaufgaben dar. Für diese Aufgaben werden bei den Landespolizeidirektionen bisher 95,8 Vollzeitäquivalente (Referate 62: 88,5 und Referate 64: 7,3) eingesetzt. Fachaufgaben mit einem Personalbedarf von 77 Vollzeitäquivalenten sollten in den Regierungspräsidien verbleiben. Dann könnte ein neues Referat gebildet und einzelne Aufgaben in der bestehenden Struktur zusammengeführt werden. Eine Aufgabenkritik ist durchzuführen.
Der Großteil der bisher von den Landespolizeidirektionen erledigten Fachaufgaben wird künftig in den neu zu bildenden Präsidien wahrgenommen. Eine vollständige Dezentralisierung dieser Aufgaben, wie sie die Polizeistrukturreform vorsieht, könnte für einzelne Aufgaben zu vermeidbarem Personalmehrbedarf führen.
Derzeit nehmen 16 Vollzeitäquivalente des höheren nichttechnischen Verwaltungsdienstes die Aufgaben Haushalt, Personal und Polizeirecht für die Landespolizeidirektionen und den nachgeordneten Bereich wahr. Wenn zukünftig alle Polizeipräsidien mit juristischem Personal ausgestattet werden, würde sich für diese Aufgabe ein erhöhter Personaleinsatz ergeben. Für die Aufgabe Schadensrecht setzen die Landespolizeidirektionen bisher rund 10 Vollzeitäquivalente ein. Den 12 beziehungsweise 15 künftigen Polizeipräsidien stünden weniger als 1 Vollzeitäquivalent für diese Aufgabe zur Verfügung.
Die Landespolizei sollte den umfangreich angelegten Umsetzungsprozess der Polizeistrukturreform nutzen, um ineffiziente Strukturen zu verändern und Optimierungspotenziale im Personaleinsatz auszuschöpfen. Die Polizeistrukturreform bietet die Chance, den operativen Bereich der Polizei zu stärken und daneben einen Beitrag zur dringend notwendigen Konsolidierung des Landeshaushalts zu leisten.
2.4 Projektcontrolling und Statistik
Das Projektcontrolling sowie die Fallstatistik der Landespolizeidirektionen weisen in vielen Bereichen erhebliche Defizite auf. Bei der Polizei Baden-Württemberg ist der Funktionsumfang II der Neuen Steuerungsinstrumente, insbesondere die kostenträgerorientierte Zeit- und Mengenerfassung, nicht eingeführt worden. Daher ist derzeit eine sachgerechte Zuordnung des Personaleinsatzes auf die einzelnen Produkte/Fälle nicht möglich.
3 Empfehlungen
Durch die Polizeistrukturreform sollen die Aufgaben und Personalressourcen der Landespolizeidirektionen auf die neu einzurichtenden 15 Polizeipräsidien verteilt werden. Der Rechnungshof erwartet, dass dabei das für die Landespolizeidirektionen ermittelte Optimierungspotenzial der Referate 64 und 65 von 65,5 Vollzeitäquivalenten in Abgang gestellt wird. Diese Stellen sollten tatsächlich eingespart und nicht ins angestrebte Verstärkungspotenzial der Polizeistrukturreform einfließen.
Das Optimierungspotenzial im Querschnitts- und Fachbereich des Referats 62 von 5,5 Vollzeitäquivalenten ist bei den Regierungspräsidien zu realisieren.
Bei der Umsetzung der Polizeistrukturreform ist bei allen zu verlagernden Aufgaben zu prüfen, ob und inwieweit aus wirtschaftlichen Gründen Vor-Ort-Zuständigkeiten eingerichtet werden können. Jedenfalls sollte beim Polizeipräsidium Technik, Logistik, Service ein Justiziariat u. a. für Schadensrecht eingerichtet werden.
Durch die Polizeistrukturreform wird aus einer dreistufigen eine zweistufige Verwaltungsorganisation. Die Leitungsspanne des Innenministeriums wird durch den künftigen Wegfall der Landespolizeidirektionen deutlich ausgeweitet. Infolgedessen ist ein funktionsfähiges, für Steuerungszwecke und für Leistungsvergleiche verwertbares internes Controlling unerlässlich. Um eine gesicherte Datenbasis zu erhalten und eine bedarfsorientierte Personalverteilung durchführen zu können, sollte die kostenträgerorientierte Zeit- und Mengenerfassung entsprechend des Funktionsumfangs II der Neuen Steuerungsinstrumente zeitnah etabliert werden.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Innenministerium bezweifelt, dass durch die Ermittlungsmethoden des Rechnungshofs (Selbsteinschätzung der Mitarbeiter) eine sachgerechte Erhebung des Ressourceneinsatzes möglich sei. Ferner seien regionale Besonderheiten in den Organisationen und in den jeweiligen Zuständigkeiten nicht vollständig beachtet worden. Dadurch dürften dem Benchmarking des Rechnungshofs unzutreffende Vergleichswerte zugrunde liegen. Über das bei der Polizeistrukturreform ermittelte Verstärkungspotenzial von insgesamt 860 Vollzeitäquivalenten hinaus existiere daher kein weiteres Optimierungspotenzial.
Das Ministerium habe die Einrichtung eines Kompetenzzentrums (Justiziariat) ausgiebig - auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft - und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass juristischer Sachverstand vor Ort nicht durch eine zentrale Servicestelle ersetzbar sei.
Das Ministerium beabsichtige, die bislang von den Personalvertretungen abgelehnte Einführung der kostenträgerorientierten Zeit- und Mengenerfassung entsprechend des Funktionsumfangs II der Neuen Steuerungsinstrumente nach dem Start der Polizeistrukturreform nochmals anzugehen.
5 Schlussbemerkung
Der Rechnungshof bleibt bei seinen Empfehlungen. Er hat bei der gemeinsamen Bewertung der Ergebnisse alle bekannten regionalen Besonderheiten berücksichtigt. Die Aufgaben der Landespolizeidirektionen sind mit einem um 71 Vollzeitäquivalente reduzierten Personaleinsatz leistbar.