Die Bonus-/Malusregelungen in den Verträgen zum Schienenpersonennahverkehr haben sich nicht bewährt. Die Qualität der Verkehrsleistungen kann damit nicht ausreichend gesteuert werden. Der Rechnungshof empfiehlt, in den künftigen Ausschreibungen und Verkehrsverträgen die Qualitätsziele strenger zu definieren und Vertragsstrafen für nicht eingehaltene Qualitätsstandards aufzunehmen.
1 Ausgangslage
Das Land schloss 2003 einen Generalvertrag mit der DB Regio AG (DB) über Leistungen im Schienenpersonennahverkehr ab. Der Vertrag endet 2016. In § 3 des Generalvertrags wird die Qualität der von der DB geschuldeten Verkehrsleistungen geregelt.
Um zu bewerten, ob die definierten Qualitätsstandards eingehalten werden, wurde von den Vertragsparteien ein Qualitätsmesssystem erarbeitet. Erfasst werden objektiv mess- und beobachtbare sowie subjektiv durch die Kunden zu bewertende Qualitätsmerkmale. Wesentliche Qualitätsmerkmale sind Pünktlichkeit und Anschlusssicherheit sowie Sitzplatzangebot, Sauberkeit, Sicherheit und Fahrgastinformationen in den Zügen. Die Qualitätsmerkmale haben Toleranzfelder, die mit ihrer Unter- und Obergrenze festlegen, innerhalb welcher Bandbreite die vereinbarte Qualität zu leisten ist. Die Ober- und Untergrenzen sind so definiert, dass sie Störeinflüsse Dritter wie höhere Gewalt berücksichtigen.
Anhand des Messsystems werden die Bonus- bzw. Malusbeträge je Jahr ermittelt. Sie setzen sich zu 70 Prozent aus objektiv gemessenen und zu 30 Prozent aus subjektiven Qualitätsmerkmalen zusammen. Sie werden für das Kalenderjahr ermittelt.
Von 2003 bis 2006 wurden Malusbeträge der DB von bis zu 1,3 Mio. Euro je Jahr ermittelt. Ab 2007 ergaben sich Bonusbeträge für die DB von bis zu 1 Mio. Euro je Jahr. Die Malusbeträge der ersten Vertragsjahre gehen überwiegend auf die mangelnde Pünktlichkeit sowie unzureichende Fahrgastinformationen zurück. Die Bonusbeträge beruhen auf den Qualitätsmerkmalen Beschwerdemanagement und Sicherheit im Zug. Außerdem verbesserte die DB einzelne Qualitätsmerkmale seit 2003 so, dass deren Werte sich stets innerhalb der vorgegebenen Toleranzfelder bewegten.
Der Rechnungshof hat sich mit dem Qualitätsmesssystem des Generalvertrags befasst.
2 Prüfungsergebnisse
2.1 Qualitätsmerkmale
Die objektiv und subjektiv gemessenen Werte für das Qualitätsmerkmal Pünktlichkeit gehen seit 2004 deutlich auseinander. Zwar mag die Sensibilität der befragten Kunden bei der Pünktlichkeit der Züge sehr ausgeprägt sein. Dennoch betrachtet der Rechnungshof dies als einen Hinweis, dass das Toleranzfeld der objektiv gemessenen Pünktlichkeit zu weit gefasst ist.
2.2 Bonus-/Malusregelungen
Die Bonus-/Malusregelungen im Schienenpersonennahverkehr werden als positive bzw. negative Anreize verstanden. Nach Auffassung des Rechnungshofs erfüllt das Anreizsystem des Generalvertrags keinerlei Steuerungsfunktion. Bonus- und Malusbeträge werden im Zeitraum eines Jahres miteinander verrechnet. Die DB kann durch ein geschicktes Austarieren der Bonus- und Malusbeträge ihrerseits steuern, auf welche Qualitätsstandards sie die Hauptanstrengungen konzentriert, um insgesamt kein negatives Ergebnis zu erzielen.
Nach Umfang und Qualität ohnehin vertraglich geschuldete Leistungen müssen bei zielgerichteter Gestaltung der Pönaleprogramme vom Land gegebenenfalls nochmals honoriert werden. Etwaige Bonusbeträge werden vom Land zusätzlich zu den Zahlungen für den Generalvertrag aus den Regionalisierungsmitteln finanziert. Üblicherweise ist es Ziel von Bonus-/Malusregelungen „zu belohnen“ oder „zu bestrafen“. Bei dem Qualitätsmesssystem des Generalvertrags werden in Form der Toleranzfelder jedoch bereits pauschale Qualitätsabstriche akzeptiert, da beispielsweise Störungseinflüsse Dritter nicht der DB angelastet werden. Der Rechnungshof ist der Ansicht, dass sich die Bonuszahlungen wegen der vielfältigen Verrechnungsmöglichkeiten und auftragnehmerfreundlicher Toleranzfelder nicht bewährt haben.
2.3 Fristen für die Berechnung der Bonus-/Malusbeträge
Die jährlichen Bonus- bzw. Maluszahlungen können vom Land erst berechnet werden, wenn die Schlussabrechnung der DB zur Verfügung steht. In der Schlussabrechnung hat die DB u. a. die wegen ausgefallener Zugleistungen und nicht eingehaltener Qualitätsstandards zu mindernden Zahlungen auszuweisen. Die DB hat die Schlussabrechnung nach Generalvertrag bis spätestens Ende April jedes Jahres für das vorangegangene Fahrplanjahr zu erstellen.
Bislang wurde in keinem Jahr der Laufzeit des Generalvertrags von der DB die Frist (Ende April) zur Vorlage der Schlussabrechnung eingehalten. Das Ministerium hat nun acht Jahre nicht auf die vertraglich vereinbarten Fristen bestanden und die deutlich verspäteten Schlussabrechnungen der DB nicht reklamiert. In der Folge sind Pönalen nicht zeitnah erhoben worden.
2.4 Pönaleprogramme
Die Bonus-/Malusbeträge sind zweckgebunden dafür einzusetzen, qualitätshemmende Faktoren zu überwinden. Fristen, in denen die Pönaleprojekte umzusetzen sind, sieht der Generalvertrag nicht vor. Bisher wurde nur ein Pönaleprogramm 2006 vereinbart und mit den Malusbeträgen der Jahre 2003 bis 2005 von 2,2 Mio. Euro umgesetzt. Das Programm enthielt 13 Fahrgastinformationsanlagen und sieben Baumaßnahmen, um die Pünktlichkeit zu erhöhen. Die Maßnahmen waren bis 2006 fertigzustellen, sie wurden aber erst Ende 2009 in Betrieb genommen. Die Schlussabrechnung zog sich bis Dezember 2010 hin. Wie die Malus- bzw. Bonusbeträge von 2006 bis 2009 zu verwenden sind, war bis Ende 2011 noch nicht zwischen den Vertragspartnern verhandelt worden.
Das Pönaleprogramm wurde sehr schleppend durchgeführt. Ob sich die Maßnahmen für die Fahrgäste positiv auswirken, wurde nicht untersucht. Die Auswahl der Maßnahmen wurde nur mit hoher Priorität begründet. Es ist nicht auszuschließen, dass mit ihnen von der DB selbst zu tragende Regelarbeiten unterstützt wurden.
3 Empfehlungen
3.1 Vorgaben des geltenden Generalvertrags
Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur hat darauf zu achten, dass die DB die Fristen zur Vorlage der Schlussabrechnung einhält. Die noch offenen Pönaleprogramme und weitere in den Folgejahren sind zügig umzusetzen. Die für das Programm ausgewählten Maßnahmen sind einer Erfolgskontrolle zu unterziehen.
3.2 Qualitätssicherung in künftigen Verkehrsverträgen
3.2.1 Vertragsstrafen
Der Rechnungshof hält die Bonusbeträge für Qualitätsmerkmale für intransparent und nicht zielführend. In die kommenden Ausschreibungen und Verkehrsverträge sollten nur noch Vertragsstrafen aufgenommen werden. Zu sanktionieren sind dabei vom Verkehrsunternehmen nicht erbrachte Verkehrsleistungen und nicht erfüllte Qualitätsstandards. Die Vertragsstrafen sind monatlich mit den Verkehrsunternehmen abzurechnen. Die Qualität des Angebots wird dadurch zeitnah gesteuert.
3.2.2 Toleranzfelder der Qualitätsmerkmale
Die Toleranzfelder aller Qualitätsmerkmale sind auf den Prüfstand zu stellen. Ziel muss eine 100-prozentige Vertragserfüllung sein. Bei allen Qualitätsmerkmalen sind eventuelle Störungseinflüsse Dritter klar zu definieren und von der Vertragsleistung abzugrenzen. Für die Ausschreibung der Verträge ist beim Qualitätsmerkmal objektive Pünktlichkeit zu hinterfragen, in welchem Umfang Störungseinflüsse Dritter realistisch bemessen sind. Die Toleranzfelder sind für jede Ausschreibung erneut auf ihre Praktikabilität hin zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu justieren.
3.2.3 Verwendung der Vertragsstrafen
Die Pönaleprogramme haben sich nicht bewährt. Der Rechnungshof empfiehlt, dass das Land die Vertragsstrafen künftig einbehält. Mit dem Geld aus den Vertragsstrafen können ergänzende Verkehre bestellt oder vom Land festgelegte Pilotprojekte finanziert werden, die den Fahrgästen direkt zugutekommen. Darüber entscheidet dann ausschließlich das Land als Auftraggeber. Diese Projekte sollten grundsätzlich ausgeschrieben werden.
3.2.4 Das Qualitätsmesssystem ist auszubauen
Der Rechnungshof regt an, ein öffentliches Qualitätsranking der Wettbewerbsnetze einzuführen, wie es in anderen Ländern schon praktiziert wird. Damit würde ein Anreiz für die Verkehrsunternehmen geschaffen, ihre eigenen Leistungen kontinuierlich zu steigern.
Der Rechnungshof verkennt nicht, dass die skizzierte Qualitätssicherung hohe Anforderungen an das Personal stellt. Angesichts des finanziellen Volumens der Verkehrsverträge von derzeit 700 Mio. Euro je Jahr und dem berechtigten Interesse der Fahrgäste an einer angemessenen Qualität der bestellten Schienenverkehre sollte das Ministerium die Aufgaben „Ausschreibungen und Controlling der bestellten Verkehrsleistung“ als einen Schwerpunkt seiner Arbeit definieren.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur bestätigt, dass die Bonus-/Maluszahlungen nicht innerhalb der im Generalvertrag vorgegebenen Fristen berechnet wurden. Ebenso räumt es ein, dass sich die Pönaleprogramme verzögern. Das Ministerium werde mehr Augenmerk darauf legen, die Fristen einzuhalten. Außerdem werde es mit der DB wegen eines neuen Pönaleprogramms verhandeln.
Das Ministerium führt aus, dass vorgesehen sei, in künftigen Ausschreibungen die Qualitätsziele schärfer zu formulieren. Vorstellbar sei ferner, die Pönalemittel für qualitätsverbessernde Maßnahmen zu verwenden; das Pönale zahlende Eisenbahnunternehmen soll dabei nicht mitbestimmen. Offen steht das Ministerium einem erweiterten Qualitätsranking gegenüber. Sowohl das Qualitätsmesssystem als auch die Zustimmung der Eisenbahnunternehmen zur Veröffentlichung der Ergebnisse sollen in den neuen Verkehrsverträgen verankert werden.
Die Abschaffung der Boni hält das Ministerium für nicht zielführend. Sie würden dem Eisenbahnunternehmen beispielsweise ermöglichen, gute Leistungen medial herauszustellen. Im Übrigen würden Vertragsstrafen für Einzelfallverfehlungen (z. B. Fahrzeugeinsatz) in die künftigen Ausschreibungen aufgenommen. Nach Ansicht des Ministeriums ist aber nicht auszuschließen, dass erwartete Vertragsstrafen in die Angebotspreise einkalkuliert werden. Eine monatliche Abrechnung hält das Ministerium ebenfalls nicht für sinnvoll. Pünktlichkeits- und Sauberkeitswerte würden im Jahresverlauf deutlich schwanken. Pönalen in einzelnen Monaten wären kaum zu vermeiden und würden von den Bietern einkalkuliert.
5 Schlussbemerkung
Der Rechnungshof bleibt bei seiner Forderung, Bonuszahlungen für Qualitätsmerkmale nicht in die neuen Verkehrsverträge aufzunehmen. Erfüllen die Eisenbahnunternehmen die vertraglich vereinbarten Qualitätsstandards, sind sie nicht zusätzlich zu honorieren.
Der Rechnungshof hält es für dringend erforderlich, dass die dargelegten modifizierten Elemente der Vergütung, der monatlichen Leistungsabrechnung und Qualitätssicherung in die geplanten Ausschreibungen und die künftigen Verkehrsverträge aufgenommen werden.