Das Land sollte das bisher nur in der Landeshaushaltsordnung enthaltene Verschuldungsverbot in der Landesverfassung verankern. Es sollte durch ein Ausführungsgesetz hinreichend konkretisiert werden.
1 Ausgangslage
1.1 Öffentliche Haushalte konsolidierungsbedürftig
Die öffentlichen Haushalte, auch der Landeshaushalt von Baden-Württemberg, sind seit Jahrzehnten defizitär. Politische Absichtserklärungen und Sparprogramme konnten nicht verhindern, dass die Schulden - mit ganz wenigen Ausnahmen - Jahr für Jahr gestiegen sind. Mittlerweile besteht ein breiter Konsens darüber, dass diese Finanzpolitik einer immer höheren Verschuldung so nicht fortgesetzt werden darf. Die Erkenntnis setzte sich durch, dass für eine Haushaltskonsolidierung gesetzliche Maßnahmen erforderlich sind.
1.2 Europäische Union
Nach dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU)
- ihr jährliches Haushaltsdefizit auf 3 Prozent und
- den Stand ihrer öffentlichen Verschuldung auf 60 Prozent
ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzen. Im Falle einer übermäßigen Neuverschuldung kann ein Defizitverfahren eingeleitet werden.
Vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise wurden diese Vorgaben im Herbst 2011 durch ein Gesetzespaket ergänzt. Dieses bekräftigt, dass sich die Mitgliedstaaten mittelfristige Haushaltsziele setzen müssen. Das jährliche Haushaltsdefizit darf demnach konjunkturbereinigt (strukturell) lediglich 1 Prozent des BIP betragen. Die Obergrenze für den Gesamtschuldenstand bleibt unverändert, jedoch kann künftig auch aufgrund eines zu hohen Altschuldenstandes ein Defizitverfahren eingeleitet werden. Hiervon wird abgesehen, wenn der Gesamtschuldenstand jährlich im Durchschnitt um ein Zwanzigstel des überschießenden Betrags reduziert wird.
Die fiskalpolitischen Stabilitätskriterien sind in ein sich entwickelndes System wirtschaftspolitischer Steuerung eingebettet. Zentraler Bestandteil ist das europäische Semester: Dieses Verfahren verpflichtet die Mitgliedstaaten, der EU-Kommission Eckdaten der Haushaltsentwürfe sowie nationale Reformprogramme zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorzulegen. Die Kommission bewertet die gemeldeten Daten mittels länderspezifischer Empfehlungen, die vom Europäischen Rat förmlich verabschiedet werden.
1.3 Grundgesetz
Den Empfehlungen der Föderalismuskommission II folgend sieht Artikel 109 Absatz 3 Grundgesetz vor, dass Bund und Länder ihre Haushalte ab 2011 grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten ausgleichen müssen. Übergangsfristen laufen für den Bund bis 2016, für die Länder bis 2020.
Im Gegensatz zum Bund gilt für die Länder anschließend ein striktes Neuverschuldungsverbot. Allerdings können auch die Länder „Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen […] vorsehen“ (Artikel 109 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz). Sollte die Ausnahmeregelung in Anspruch genommen werden, ist ein entsprechender Tilgungsplan vorzusehen.
Das Grundgesetz fordert die Länder auf, die nähere Ausgestaltung der grundgesetzlichen Vorgaben für den Zeitraum ab 2020 im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen durch landesrechtliche Bestimmungen (neu) zu regeln. Für den Zeitraum bis 2020 gilt, dass neue Einnahmen aus Krediten zulässig sind, wenn landesrechtliche Regelungen bestehen, die vom Neuverschuldungsverbot des Artikels 109 Absatz 3 Grundgesetz abweichen (Artikel 143 d Absatz 1 Satz 3 Grundgesetz).
1.4 Landesrecht Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg ist eine Neuverschuldung nach gegenwärtiger Rechtslage nur in engen Grenzen zulässig. Auf der Ebene des einfachen Rechts hat Baden-Württemberg bereits 2007 in § 18 Landeshaushaltsordnung eine Regelung eingeführt, die eine weitere Erhöhung des Schuldenstands verhindern soll. Neben einem grundsätzlichen Neuverschuldungsverbot definiert sie auch eine absolute nominelle Schuldenobergrenze: den Ende 2007 erreichten Stand der Gesamtverschuldung am Kreditmarkt (41,7 Mrd. Euro).
Neue Kredite sind nur zur Abwehr einer ernsthaften und nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausnahmsweise zulässig. Auch in diesem Fall dürfen die Kredite die Summe der Investitionen weiterhin nicht übersteigen (Artikel 84 Landesverfassung). Zudem fordert § 18 Absatz 4 Landeshaushaltsordnung einen verbindlichen Tilgungsplan für neue Schulden. Diese Kredite müssen innerhalb von höchstens sieben Jahren getilgt werden.
Ein Ansteigen der Gesamtverschuldung am Kreditmarkt über den am 31.12.2007 erreichten Betrag hinaus ist nur zulässig, wenn die Steuereinnahmen des Landes um mindestens 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgehen oder eine andere außergewöhnliche Belastung des Haushalts, zum Beispiel durch eine Naturkatastrophe, bewältigt werden muss.
Artikel 84 Landesverfassung sieht weiterhin lediglich die an der früheren Fassung des Grundgesetzes orientierte Regelung vor, wonach die Neukreditaufnahme die Summe der Investitionen nicht überschreiten darf. Diese Regelung wird nach Ablauf der Übergangsfrist 2020 grundgesetzwidrig sein und enthält zudem keine Regelungen im Sinne des Artikels 109 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz. Eine Anpassung des baden-württembergischen Verfassungsrechts ist daher angezeigt.
1.5 Aktuelle Entwicklungen: Fiskalpakt und Länderebene
Unter dem anhaltenden Druck der Finanzmärkte sowie einer maßgeblich von Deutschland angestoßenen Debatte um nationale Schuldenbremsen wurde im März 2012 ein völkerrechtlicher Vertrag von den Euro-Staaten sowie acht weiterer EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet. Der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ (Fiskalpakt) tritt in Kraft, sobald zwölf Euro-Staaten den Vertrag ratifiziert haben. Zieldatum ist der 01.01.2013.
Der Fiskalpakt setzt neue rechtliche Maßstäbe. Die Vertragsstaaten müssen seine Vorgaben innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten durch „verbindliche und dauerhafte - vorzugsweise verfassungsrechtliche - Bestimmungen oder durch Bestimmungen, deren Beachtung im gesamten einzelstaatlichen Haushaltsverfahren anderweitig gewährleistet ist“ (Artikel 3 Absatz 2 Satz 1) umsetzen. Falls der Vertrag wie geplant in Kraft tritt, muss er bereits ab 2014 durch eine im Rang über dem Haushaltsgesetz stehende Norm in deutsches Recht implementiert werden.
Inhaltlich legt der Fiskalpakt die Grenze für das jährliche strukturelle Haushaltsdefizit auf 0,5 Prozent des BIP fest. Defizitverfahren werden automatisch eingeleitet, sofern nicht eine Mehrheit dagegen stimmt. Die Umsetzung wird von der Europäischen Kommission überwacht und kann auf Antrag eines Vertragsstaates vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden.
Somit normiert der Fiskalpakt zwar inhaltlich keine strengere Verschuldungsregel als das Grundgesetz. Seine Vorgaben werden jedoch früher Geltung erlangen. Dies wird zumindest mittelbar auf die Haushaltspolitik der Länder wirken. Die Stabilitätskriterien beziehen sich auf die gesamtstaatliche Verschuldung Deutschlands und damit auch auf die Länder. Innerstaatlich wird sich der Druck auf die Länder erhöhen, bereits 2014 die Vorgaben des Fiskalpakts einzuhalten. Zudem wirkt der normative Appell zur verfassungsrechtlichen Verankerung auch auf Länderebene.
Die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein haben anlässlich der Grundgesetzänderung bereits 2010 bzw. 2011 eine Schuldenbremse in ihre Landesverfassung aufgenommen und zugleich die im Grundgesetz vorgesehenen Ausnahmeregelungen aufgegriffen. Ausführungsgesetze sind in Vorbereitung. In Hessen wurde der Landtagsbeschluss einer verfassungsrechtlichen Schuldenbremse am 27.03.2011 durch eine Volksabstimmung bei 70 Prozent Zustimmung bestätigt. Dagegen gibt es in Baden-Württemberg und vier weiteren Ländern bislang lediglich eine Schuldenbremse auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts.
2 Landeshaushalt
2.1 Entwicklung bis 2007
Bis 2007 konnte der Landeshaushalt bis zur Höhe der Investitionsausgaben durch die Aufnahme von Krediten ausgeglichen werden. Diese Möglichkeit wurde regelmäßig genutzt.

Abbildung 1 zeigt, dass die Soll-Neuverschuldung jeweils unter den Soll-Investitionsausgaben lag. Auf eine ausnahmsweise noch höhere Neuverschuldung wurde verzichtet.
Das Problem der damaligen Schuldenregel lag weder daran, dass man sie nicht eingehalten hätte, noch in ihrer fehlenden Sinnhaftigkeit. Betriebs- und volkswirtschaftlich lässt sich gut begründen, dass die Summe der Investitionen eine sinnvolle Obergrenze der Verschuldung in einem Haushaltsjahr darstellt. Dieser Begründung liegt aber die Prämisse zugrunde, dass diese Schulden in Höhe der Abschreibung der Investitionen, also entsprechend ihrer Wertentwicklung getilgt werden. Eben dies passiert aber bei den meisten (kameralistisch buchenden und denkenden) öffentlichen Körperschaften nicht. Dort wurden und werden Jahr für Jahr bis zur Höhe der jeweiligen neuen Investitionen neue Schulden aufgenommen, ohne dass die alten Schulden entlang der Abschreibungen zurückgeführt wurden. Hier liegt das Dilemma zwischen betriebswirtschaftlich sinnvoller „alter“ Schuldengrenze und dem haushaltsrechtlichen Prinzip der „Gesamtdeckung“, das eben nicht auf die einzelne Investition abstellt.
Die Neuverschuldung wurde stets damit begründet, dass die regelmäßigen Einnahmen nicht ausreichten, die Ausgaben zu decken. Dabei kommt den vom BIP abhängigen Steuereinnahmen besondere Bedeutung zu. In Abbildung 2 ist dargestellt, wie sich die Steuereinnahmen und das preisbereinigte BIP entwickelt haben.

Die Steuereinnahmen haben sich angelehnt an die Schwankungen des BIP entwickelt. Bei guter Wirtschaftslage nahmen die Steuereinnahmen zum Teil deutlich zu, bei schlechter Wirtschaftslage stagnierten sie oder nahmen sogar ab. Bei dieser Betrachtung wurde nicht unterschieden, welchen Einfluss Rechtsänderungen auf die Steuereinnahmen hatten.
In Abbildung 3 ist dargestellt, wie sich die Neuverschuldung und die bereinigten Einnahmen entwickelt haben.

Tatsächlich zeigt Abbildung 3 fast keine Korrelation zwischen der Veränderung der bereinigten Einnahmen und der Neuverschuldung als Anteil an den Ausgaben. Auch in Haushaltsjahren mit deutlich höheren bereinigten Einnahmen als im Vorjahr wurden immer neue Schulden aufgenommen. Eine gute Wirtschaftslage hat nicht automatisch dazu geführt, dass die Neuverschuldung nachhaltig zurückging. Der Korrelationskoeffizient für den Zeitraum 1990 bis 2007 erreichte nur einen Wert von -0,1, was eine nicht vorhandene Korrelation anzeigt.
2.2 Entwicklung seit 2008
Baden-Württemberg hat 2007 eine klar definierte Schuldenobergrenze eingeführt. Seit 2008 dürfen nur noch in eng begrenzten Ausnahmefällen neue Schulden aufgenommen werden. In 2008 und 2009 gelang es auch ohne Neuverschuldung auszukommen. Allerdings mussten in diesen Jahren für den Haushaltsausgleich insgesamt 1,85 Mrd. Euro Rücklagen u. a. verwendet werden. Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wurden 2010 jedoch 1,6 Mrd. Euro neue Kredite aufgenommen. Hierfür wurde ein Tilgungsplan in der Mittelfristigen Finanzplanung des Landes vorgesehen, der eine Tilgung dieser Kredite ab 2016 vorsieht. Aus dieser Planung ergibt sich auch, ob die Einnahmen die Ausgaben in 2012 bis 2015 voraussichtlich decken werden. Diese Daten und die Ist-Daten 2008 bis 2011 sind in Abbildung 4 dargestellt.

2011 wurden keine neuen Schulden aufgenommen, obwohl nach der ersten Planung für 2011 noch 2,1 Mrd. Euro Kreditaufnahmen vorgesehen waren. Auch für 2012 sind keine neuen Schulden geplant. Dies ist insbesondere auf die stark gestiegenen Einnahmen zurückzuführen. Das BIP stieg 2011 geschätzt um mehr als 3 Prozent. Darüber hinaus wurden 2011 1,8 Mrd. Euro Rücklagen und Überschüsse verwendet, um den Haushalt auszugleichen. 2012 sollen hierfür 1,6 Mrd. Euro Rücklagen und Überschüsse genutzt werden.
Ob nach Abschluss des Haushaltsjahres 2012 weitere Rücklagen zum Haushaltsausgleich vorhanden sind, ist fraglich. Zu erwarten ist, dass sowohl die ab 2013 nach Planung vorhandenen Deckungslücken als auch die vorgesehene und rechtlich gebotene Tilgung nicht vollständig durch reguläre Einnahmen gedeckt werden können. Die Mittelfristige Finanzplanung umfasst die Jahre 2011 bis 2015. Ohne strukturelle Einschnitte bei den Ausgaben dürften die Deckungslücken ab 2016 jedoch in ähnlicher Höhe fortbestehen.
2.3 Kein strukturelles Haushaltsdefizit zulässig
Der Landeshaushalt musste in den vergangenen Jahrzehnten grundsätzlich durch die Aufnahme neuer Schulden ausgeglichen werden, auch in Jahren mit hohen Steuereinnahmen. Lediglich in 2008, 2009 und 2011 konnte auf neue Schulden verzichtet werden. Auch für 2012 ist keine Neuverschuldung geplant, allerdings werden die geplanten Ausgaben mit 38,8 Mrd. Euro den höchsten Stand erreichen. Die deutliche Steigerung gegenüber den Vorjahren ist auch auf neue Aufgaben wie beispielsweise bei der Kinderbetreuung und höhere Personalausgaben durch neue Stellen zurückzuführen. Dies führt nach aller Erfahrung zu dauerhaften Ausgaben. Dagegen wurden keine namhaften Aufgabenbereiche abgebaut.
Die Haushalte des Landes sind künftig grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen, Artikel 109 Grundgesetz. Lediglich bei schlechten Wirtschaftslagen darf ein konjunkturell bedingtes Haushaltsdefizit mit neuen Schulden gedeckt werden. Diese müssen im anschließenden konjunkturellen Aufschwung getilgt werden. Strukturelle, das heißt konjunkturunabhängige Haushaltsdefizite sind nicht mehr erlaubt. Daher ist es erforderlich, die Landeshaushalte dahin gehend zu analysieren, ob strukturelle Defizite vorhanden sind.
Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat basierend auf der EU-weit vereinbarten Methodik für alle Länder das strukturelle Defizit für die Jahre 2001 bis 2008 errechnet. Für Baden-Württemberg ist es in Abbildung 5 dargestellt.

Die Abbildung zeigt, dass der Landeshaushalt von 2001 bis 2006 strukturell defizitär war. Nur 2007 und 2008 hatte der Landeshaushalt nach Auffassung des RWI kein strukturelles Defizit. Für 2009 hat das RWI das strukturelle Haushaltsdefizit nicht errechnet, für 2010 liegt es bei 0,3 Mrd. Euro. Auf der Basis der vorläufigen Haushaltszahlen 2011 dürfte es auf mehr als 1 Mrd. Euro gestiegen sein. Dies zeigt, dass das Land weiterhin einen strukturellen Konsolidierungsbedarf hat.
2.4 Haushaltsrisiken
Dem Land drohen in den kommenden Jahren verschiedene finanzielle Risiken, die das Defizit erhöhen können.
Die Zinsausgaben für das Land sind in den letzten Jahren nahezu konstant geblieben. Dies liegt zum einen an den gegenläufigen Effekten steigender Schulden und sinkender Zinssätze. Zum anderen hat das Land die Zinsen für relativ lange Zeiträume festgeschrieben, was das mittelfristige Planungsrisiko verringert. Gleichwohl besteht ein Haushaltsrisiko bei steigenden Zinssätzen. Falls die Zinssätze für Refinanzierungen in den kommenden Jahren jährlich um 1 Prozent über das derzeit durchschnittlich zu zahlende Zinsniveau von 4 Prozent steigen würden, ergäbe sich für das Land nach drei Jahren eine um rund 500 Mio. Euro höhere Zinsbelastung im Jahr. Auch wenn aktuell keine deutlich steigenden Zinsen zu erwarten sind, sollte dieses Risiko nicht ausgeblendet werden.
Auch bei der Mittelfristigen Finanzplanung bestehen erhebliche Risiken. Die Ist-Werte weichen erfahrungsgemäß erheblich von den Planwerten ab.
Das größte Haushaltsrisiko besteht jedoch in der schwierig zu prognostizierenden Wirtschaftsentwicklung. Auch künftig wird es gute und schlechte Wirtschaftsentwicklungen geben. Für phasenweise zurückgehende Einnahmen muss das Land Vorsorge treffen. Gerade bei schlechten Wirtschaftslagen drohen dem Land auch Finanzierungslasten aus seinen übernommenen Risiken für Bürgschaften und Garantien. Hervorzuheben sind hierbei die Garantien für öffentliche Unternehmen mit 23,5 Mrd. Euro. Diese resultieren hauptsächlich aus Verpflichtungen für die Garantie Portfolio GmbH & Co KG zur Absicherung der LBBW (12,7 Mrd. Euro) und den Erwerb von Anteilen der EnBW AG über die NECKARPRI GmbH (4,9 Mrd. Euro). Falls deren Geschäfte wesentlich schlechter laufen als geplant, werden künftig auch Kosten für die garantierten Kredite vom Land zu tragen sein. Zusätzlich zu den Bürgschaften und Garantien haftet das Land als Gewährträger insbesondere für seine Anstalten des öffentlichen Rechts.
3 Handlungsbedarf
Die unter Nr. 1 und 2 dargestellte rechtliche Ausgangslage und die Haushaltslage zeigen, dass das Land handeln muss. Die in der Landesverfassung enthaltene Schuldenregelung ist durch die Grundgesetzänderung überholt. Für eine Änderung der Landesverfassung sprechen auch andere Gründe.
Für namhafte Haushaltsbereiche gibt es keine natürliche Sättigungsgrenze. Daher hat der Rechnungshof Anfang 2011 eine absolute Ausgabengrenze von 37 Mrd. Euro bis Ende der neuen Legislaturperiode vorgeschlagen. Dies hätte gegenüber dem Haushalt 2010 immerhin einer Steigerung von 1 Mrd. Euro entsprochen. Bereits mit dem Haushalt 2012 wurde diese Ausgabengrenze um mehr als 1 Mrd. Euro überschritten.
Politische Absichtserklärungen, Ausgaben beschränken zu wollen und Mahnungen des Rechnungshofs bleiben in der Praxis zu oft ohne Konsequenzen. Auch die Regelungen in der Landeshaushaltsordnung entfalten bisher nicht die gebotene Wirkung. Die Landeshaushaltsordnung hat nur einfachgesetzliche Qualität; Änderungen der Landeshaushaltsordnung sind mit einfacher Mehrheit des Landtags möglich. Der Rechnungshof hat daher bereits in seinen Denkschriften 2006 und 2008 gefordert, ein Verschuldungsverbot in der Landesverfassung zu verankern.
Wie wichtig eine über einfachrechtlichem Gesetz stehende Regelung ist, zeigt beispielsweise die Argumentation bei der parlamentarischen Behandlung des Gesetzes zum 4. Nachtragshaushalt 2011 am 27.07.2011. Der Minister für Finanzen und Wirtschaft und die Berichterstatter des Ausschusses haben die Bestimmung der Landeshaushaltsordnung zum Schuldenverbot mit entgegengesetzten Schlussfolgerungen interpretiert. Der Rechnungshof hat seine Auffassung hierzu im Finanz- und Wirtschaftsausschuss dargelegt. Die Parlamentsmehrheit ist dieser Auffassung nicht gefolgt.
4 Bisherige parlamentarische Initiativen
In der Vergangenheit haben sich die Regierungs- und Oppositionsfraktionen regelmäßig blockiert, wenn es um schuldenbegrenzende gesetzliche Regelungen ging. Herauszuheben ist allerdings die Ausnahme des Verschuldungsverbots in § 18 Absatz 3 Landeshaushaltsordnung. Dieses wird aber in der Praxis als disponibel betrachtet. Ansonsten scheiterten Initiativen für Verschuldungsverbote jeweils an den Mehrheitsfraktionen im Landtag.
Am 19.04.2010 hat die Fraktion der SPD die damalige Landesregierung über den Landtag um Auskunft gebeten, „ob, wann und in welcher Form die Schuldenbremse für das Land nach ihrer Auffassung in die Landesverfassung aufgenommen werden soll.“ Die von den Fraktionen der CDU und FDP/DVP getragene Landesregierung hat am 10.05.2010 geantwortet, dass eine Änderung der Landesverfassung nicht vordringlich sei. Vor einer Änderung sollte die weitere wirtschaftliche Entwicklung abgewartet werden.
Die Fraktion der FDP/DVP hat am 16.09.2011 einen Gesetzentwurf mit dem Ziel einer Aufnahme eines Verschuldungsverbots in die Landesverfassung in den Landtag eingebracht. Dieser Entwurf orientierte sich an der Schuldenbremse im Grundgesetz. Auch die CDU-Fraktion hat am 29.09.2011 einen Gesetzentwurf mit gleicher Zielsetzung in den Landtag eingebracht.
Diese Gesetzentwürfe wurden am 10.11.2011 im Landtag behandelt. Zwar haben die im Landtag vertretenen Fraktionen übereinstimmend festgestellt, dass der Landeshaushalt konsolidiert werden muss. Über die konkrete Aufnahme eines Schuldenverbots in der Landesverfassung wurde jedoch keine Einigung erzielt. Die Gesetzentwürfe wurden zur weiteren Behandlung an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft und federführend an den Ständigen Ausschuss überwiesen.
5 Empfehlungen
5.1 Verschuldungsverbot in die Landesverfassung aufnehmen
Eine strukturelle Neuverschuldung ist den Ländern durch die Regelungen im Grundgesetz ab 2020 verboten. Dies gilt unmittelbar, einer Implementierung in das Landesrecht bedarf es nicht. Die im Grundgesetz vorgesehenen Ausnahmetatbestände können jedoch nur genutzt werden, wenn sie im Landesrecht verankert sind.
Die Landesverfassung enthält Regelungen zur Neuverschuldung, die ab 2020 nicht mehr der Rechtslage nach der Grundgesetzänderung 2009 entsprechen. Zur Klarstellung und Vermeidung von Auslegungsfragen muss die Landesverfassung geändert werden. Dabei bietet sich an, die Regelungen des Grundgesetzes möglichst wortgleich zu übernehmen.
Bereits nach der aktuellen Rechtslage gilt nach Auffassung des Rechnungshofs für das Land ein Verschuldungsverbot. Das Land sollte bei seiner bisherigen Linie bleiben und die Übergangsfrist bis 2020 nicht nutzen. Ein Sachgrund, diese gesetzgeberische Entscheidung aufzuschieben oder die derzeitige Regelung aufzuweichen, ist für den Rechnungshof nicht erkennbar.
Mit der Aufnahme in die Landesverfassung erhält das Verbot, neue Schulden aufzunehmen, eine höhere Verbindlichkeit. Die dafür notwendige verfassungsändernde Mehrheit könnte zum Ausgangspunkt werden für einen nachhaltigen und auf einen breiteren Konsens gestützten Konsolidierungskurs bei der Aufstellung künftiger Haushalte.
5.2 Eindeutiges Ausführungsgesetz erforderlich
Damit die Schuldenbremse im politischen Alltag und im Haushaltsalltag wirken kann, müssen die grundsätzlichen Regelungen in der Landesverfassung durch ein Ausführungsgesetz praxistauglich ergänzt werden. So kann erreicht werden, dass die Ausnahmetatbestände restriktiv ausgelegt und Umgehungen vermieden werden. Im Sinne größtmöglicher Transparenz sollten die bereits jetzt erkennbaren Problembereiche umfassend und klar geregelt werden.
- Die zu berücksichtigenden Einnahmen, Ausgaben und Kreditaufnahmen müssen klar definiert sein.
- Das Land muss festlegen, welches Konjunkturbereinigungsverfahren es für alle Haushaltsberechnungen anwenden will.
- Das strukturelle Haushaltsdefizit ist zu ermitteln und zu beseitigen.
- Kassenkredite dürfen wie bisher nur temporär zulässig sein.
- Kreditermächtigungen sollten nur noch bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres in Anspruch genommen werden können. Bei fortbestehendem Bedarf muss durch Gesetz neu entschieden werden.
- Außergewöhnliche Notsituationen sollten eingrenzend beschrieben werden. Kreditaufnahmen in diesen Fällen müssen zusätzlich zu konjunkturellen Ausgleichen in einem angemessenen Zeitraum getilgt werden.
- Tilgungspläne sollten durch spezielle Tilgungsgesetze eine hohe formale Verbindlichkeit erhalten.
- Erreichte Tilgungen müssen erhalten bleiben; sie dürfen kein Spielraum für spätere Verschuldungen sein.
- Verbesserte Haushaltslagen im Vollzug müssen zu Haushaltsüberschüssen und damit Tilgungen führen und dürfen nicht für Ausgabenerhöhungen verwendet werden.
- Die Bewertungen des Stabilitätsrats über die Haushaltslage des Landes sind in die Haushaltsplanungen einzubeziehen.
6 Stellungnahme des Ministeriums
Das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft sieht in der grundgesetzlichen Schuldenbremse ein strategisch wichtiges Thema für Baden-Württemberg und einen maßgeblichen Baustein für eine nachhaltige Finanzpolitik. Die Landesregierung und die Regierungsfraktionen hätten daher im Landtag einen fraktionsübergreifenden Dialog zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts angestoßen, der im Mai 2012 beginne. In diesem Dialog sollen die Empfehlungen des Rechnungshofs intensiv erörtert werden.
Aus Sicht des Ministeriums berücksichtigt der Rechnungshof nicht die aktuelle finanzielle Situation des Landes, wenn er einen Verzicht auf die Übergangsfrist des Grundgesetzes bis 2020 fordert. Die strukturelle Belastung des Haushalts lasse sich nur Schritt für Schritt abbauen. Auch der europäische Fiskalpakt sehe die Möglichkeit von Übergangsfristen vor. Die Erarbeitung eines Gesamtkonzepts für den Zeitraum bis 2020 setze daher u. a. eine vertiefte Prüfung der Erfahrungen und Wirkungen der derzeitigen Regelungen des Landes zur Kreditaufnahme sowie eine Einschätzung der budgetären und ökonomischen Rahmenbedingungen für die nächsten Jahre voraus. Diese Prüfung nehme man derzeit auch mithilfe externen Sachverstands vor.
7 Schlussbemerkung
In Baden-Württemberg wurde 2007 ein Verschuldungsverbot in der Landeshaushaltsordnung normiert. Bereits damals hätte das Land diesem richtigen Schritt mit einer Verankerung in der Landesverfassung eine stärkere Bedeutung geben müssen. Das Verschuldungsverbot des Grundgesetzes gibt erneut Anlass, dies zu tun. Wer den Landeshaushalt nachhaltig konsolidieren will, darf diesen Weg nicht fürchten. Die Zeit für allgemeine, wenig verbindliche Absichtsbekundungen ist abgelaufen.