Erhebung von Studiengebühren an den Hochschulen des Landes [Beitrag Nr. 22]

Die gesetzlichen Regelungen über die Erhebung von Studiengebühren weisen bei der Geschwisterregelung, der Befreiung wegen besonderer Begabung und der Ausgestaltung der Studienkredite Schwächen auf.
Der Studienfonds Baden-Württemberg ist aufzulösen, sein Vermögen und seine bisherigen Aufgaben sind auf die Landesoberkasse zu übertragen.

1 Ausgangslage

Die baden-württembergischen Hochschulen erheben seit dem Sommersemester 2007 von ihren Studierenden allgemeine Studiengebühren. Rechtsgrundlage ist das Landeshochschulgebührengesetz, in dem weitgehend einheitliche Vorgaben für die Erhebung und Verwendung der Studiengebühren an allen Hochschulen vorgesehen sind.

Die Höhe der Studiengebühren ist im Gesetz für alle Hochschulen und alle Studiengänge auf 500 Euro je Semester festgesetzt. Eine Entscheidung der einzelnen Hochschule, ob und in welcher Höhe sie Studiengebühren erheben will, ist weder erforderlich noch möglich. Neben den allgemeinen Studiengebühren erheben die Hochschulen von jedem Studierenden einen Verwaltungskostenbeitrag in Höhe von 40 Euro je Semester, außerdem ziehen die Studentenwerke die Studierenden zu Semesterbeiträgen heran.

Mit der Einführung der allgemeinen Studiengebühren im Jahr 2007 entfielen im Gegenzug die bis dahin erhobenen Langzeitstudiengebühren, aus deren Ertrag die baden-württembergischen Hochschulen nach einem vom Wissenschaftsministerium festgelegten Schlüssel bis 2007 durchschnittlich 10 Mio. Euro jährlich zugewiesen bekamen.

Das Aufkommen, das den baden-württembergischen Hochschulen aus Studiengebühren zugeflossen ist, betrug bis 2008 jährlich 185 Mio. Euro. Durch die weitreichende Neufassung der Geschwisterregelung im Jahr 2009 reduzierte sich dieser Betrag auf landesweit 136 Mio. Euro jährlich.

Das Gesetz gibt den Hochschulen vor, die von ihnen eingenommenen Gebühren nur für Zwecke von Studium und Lehre zu verwenden. Über die konkrete Verwendung der Gebühren ist im Benehmen mit Studierendenvertretern zu entscheiden.

Der Rechnungshof hat 2010 und 2011 die Erhebung und Verwendung der Studiengebühren durch landesweite Erhebungen und exemplarisch an sechs Pädagogischen Hochschulen und zwei Universitäten geprüft. Außerdem wurde der Studienfonds Baden-Württemberg einer Prüfung unterzogen.

Die Erkenntnisse, die sich aus der Prüfung der Verwendung der Studiengebühren ergeben haben, sind Gegenstand eines weiteren Denkschriftbeitrags (Nr. 26).

2 Prüfungsergebnisse

2.1 Erhebung einfach und weitgehend unbürokratisch

Es hat sich gezeigt, dass die Erhebung der Studiengebühren von den Hochschulen gut und effizient organisiert und praktiziert wird.

Ein beachtlicher und bei besserer Vorbereitung vermeidbarer Mehraufwand wurde 2009 durch die Umstellung der Geschwisterregelung verursacht, als es für die Hochschulverwaltungen galt, in kurzer Zeit eine große Zahl von Befreiungsanträgen zu bescheiden.

Durch die landesweit einheitliche Festsetzung der Studiengebühr von 500 Euro je Semester ist der in anderen Ländern teilweise zu beobachtende erhebliche Umsetzungsaufwand (etwa bei der Vorbereitung und Durchsetzung der notwendigen Gremienentscheidungen) vermieden worden.

2.2 Ausnahmen und Befreiungen

Die Mehrzahl der vom Gesetzgeber vorgesehenen Ausnahme- und Befreiungstatbestände machte in der Praxis keine Probleme (Betreuung eigener Kinder, Behinderung, Praxissemester, erfolgreiches Studium). Die Einnahmeverluste durch diese Befreiungstatbestände sind maßvoll und können von den Hochschulen geplant und verkraftet werden.

Als problematisch erwiesen sich allerdings zwei Befreiungstatbestände: die Geschwisterregelung und die Befreiung wegen besonderer Begabung.

2.2.1 Neue Geschwisterregelung

In der ab 2007 geltenden Fassung des Landeshochschulgebührengesetzes war vorgesehen, dass von der Zahlung von Studiengebühren zu befreien ist, wer zwei Geschwister hat, die Studiengebühren bezahlen oder bezahlt haben. Der Anteil der aufgrund dieser Regelung gewährten Befreiungen lag damals landesweit unter 1 Prozent.

Mit einer am 01.03.2009 in Kraft getretenen Novelle wurde dieser für Studierende aus kinderreichen Familien geltende Befreiungstatbestand massiv erweitert. Seither ist jeder Studierende, der zwei Geschwister hat, die noch nie eine Studiengebührenbefreiung in Anspruch genommen haben, auf Antrag von Studiengebühren zu befreien. Diese Regelung gilt ohne Rücksicht auf das Alter des Studierenden und seiner Geschwister und die Dauer des Studiums.

Abgesehen von einem enormen Verwaltungsaufwand bei der Einführung der Regelung und der Prüfung ihrer Tatbestandsmerkmale hat diese Regelung mehrere evidente Nachteile:

  • Entgegen den Erwartungen des Gesetzgebers sind durch diese weitgehende Befreiungsregelung an einigen Hochschulen mehr als ein Drittel der Einnahmen aus Studiengebühren weggebrochen. Zahlreiche Maßnahmen, die erfolgreich zur Verbesserung von Studium und Lehre umgesetzt waren, mussten wieder zurückgenommen werden.
  • Die Befreiung wird auch Studierenden gewährt, die darauf nicht angewiesen sind, weil sie

  • nur ältere, längst wirtschaftlich selbständige Geschwister haben, die die Leistungsfähigkeit der betreffenden Familien nicht einschränken,

  • selbst bereits im fortgeschrittenen Alter und wirtschaftlich für sich selbst verantwortlich sind.

Die seit vielen Jahren durch Langzeitstudiengebühren vermittelte Motivation, das Studium innerhalb der Regelstudienzeit zu Ende zu bringen und nicht aus ausbildungsfremden Gründen an der Hochschule zu verbleiben, ist mit der Geschwisterregelung für die davon Betroffenen entfallen. Vor allem an den Universitäten schreiben sich seit Inkrafttreten der Geschwisterregelung wieder Studierende ein, die allein aus sachfremden Gründen immatrikuliert sind und bleiben wollen, ohne sich an den Kosten der Hochschulen zu beteiligen.

Der Gesetzgeber hätte auf eine Geschwisterregelung ganz verzichten können. Durch die Möglichkeit, voraussetzungslos einen Kredit in Anspruch zu nehmen, wird der wirtschaftlichen Belastung bereits angemessen entgegengewirkt.

Seine familienpolitische Zielsetzung hätte der Gesetzgeber gezielter erreichen können, wenn er nur noch in jenen Fällen eine Befreiung gewährt hätte, in denen der Studierende zwei kindergeldberechtigte Geschwister hat und dies der Hochschule durch amtliche Bescheinigungen nachweist.

Eine vergleichbare Regelung im bayerischen Hochschulgebührengesetz ist nach Auskunft der bayerischen Hochschulen sehr praktikabel, sorgt für deutlich geringere Ausfälle beim Gebührenaufkommen und wird wegen ihrer höheren Zielsicherheit von den Studierenden als gerecht akzeptiert.

2.2.2 Befreiung wegen besonderer Begabung

Als problematisch haben sich Befreiungen erwiesen, die, ohne an erbrachte Studienleistungen anzuknüpfen, wegen Hochbegabung gewährt worden sind.

Sie stehen in Konkurrenz zu den vielfältigen Stipendienangeboten, die für Hochbegabte zur Verfügung stehen, und machen sowohl bei der Konzeption als auch bei der Umsetzung Schwierigkeiten.

Einzelne Hochschulen scheiterten mit den in ihren Satzungen gewählten Anknüpfungstatbeständen (z. B. dem Intelligenzquotient) vor dem Verwaltungsgericht, andere trafen wenig sachgerechte Regelungen.

So hat der Rechnungshof an einer Hochschule festgestellt, dass diese Befreiung auch bei schlechten Abiturnoten (in einem Fall Durchschnittsnote 3,4) dann gewährt wurde, wenn ein Stipendium daran scheiterte, dass der Stipendiengeber die Gewährung von Stipendien versagte, weil er sich nicht mittelbar an Studiengebühren beteiligen wollte.

Die Mehrzahl der geprüften Hochschulen hat ohnehin generell von Befreiungen wegen Hochbegabung abgesehen.

Sachgerecht erscheinen dagegen Befreiungen, mit denen die Hochschulen eine maßvoll bemessene Zahl von Studierenden wegen besonderen Studienerfolgs von der Zahlung von Studiengebühren befreien. Solche Befreiungen sind ein plausibles Instrument, um Leistungsanreize für Studierende zu schaffen.

2.3 Studienkredite

2.3.1 Gesetzgeberische Motive

Die Studienkredite wurden vom Gesetzgeber eingeführt, um der verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgabe gerecht zu werden, dass das Studium keinesfalls an unüberwindbaren wirtschaftlichen oder finanziellen Hindernissen scheitern dürfe. Die Regelung des Gesetzes, die die Kreditaufnahme nicht an Voraussetzungen knüpft, überlässt dem Studierenden die Entscheidung, ob er seinen Beitrag zu den Kosten von Studium und Lehre sofort erbringt oder - entsprechend dem alternativen Konzept der nachlaufenden Studiengebühr - erst nach Abschluss der Ausbildung leisten will.

Tatsächlich haben seit der Einführung der allgemeinen Studiengebühren nur rund 9.800 Studierende den Studiengebührenkredit in Anspruch genommen. Die Anzahl war nach der Einführung der Geschwisterregelung weiter rückläufig. Prognostiziert war eine Darlehensquote von 40 Prozent. Im Sommersemester 2010 wurden nur 2,5 Prozent des Gebührenaufkommens durch Kredite finanziert.

Um die Rückzahlungsverpflichtung auch im Ausland problemlos durchsetzen zu können und um einen sofortigen Zufluss der kreditierten Beträge an die Hochschulen zu ermöglichen, entschied sich der Gesetzgeber für eine privatrechtliche Ausgestaltung der Studienkredite als standardisierte Darlehen. Das in anderen Verwaltungsbereichen bewährte Modell der öffentlich-rechtlichen Stundung wurde deshalb vom Gesetzgeber verworfen.

Um eine möglichst niedrige Verzinsung zu gewährleisten und eine Bonitätsprüfung durch die kreditgewährende Bank zu vermeiden, wird die Rückzahlung der Studienkredite durch den gemeinsamen Studienfonds der Hochschulen garantiert. Bleibt die fristgerechte Rückzahlung eines Studienkredits aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen aus, kauft der Studienfonds die Rückzahlungsforderung zum Nennwert auf und übernimmt damit das gesamte Ausfallrisiko und den zur Durchsetzung erforderlichen Aufwand.

Die zweite Funktion des Studienfonds besteht darin, das hochschultypische Ausfallrisiko solidarisch auf alle Hochschulen zu verteilen.

2.3.2 Bewertung der Studienkredite

Die für die Gewährung der Studienkredite gewählte gesetzgeberische Lösung erweist sich in der Praxis als unnötig kompliziert und verursacht einen hohen Regelungs- und Verwaltungsaufwand bei allen Beteiligten. Dieser Aufwand ist umso weniger zu rechtfertigen, als durch die geringe Inanspruchnahme der Kredite das Risiko von Ausfällen bei der Rückzahlung der Kredite von den Hochschulen getragen werden kann, ohne dass es eines solidarisch getragenen, bürokratisch aufwendigen Studienfonds bedarf.

2.3.3 Studienfonds problematisch und ineffizient

Der als Anstalt des öffentlichen Rechts eingerichtete Studienfonds setzt gegenwärtig zwei teilzeitbeschäftigte Angestellte ein, die für den Ankauf und die Geltendmachung der von den kreditgebenden Banken als notleidend angedienten Forderungen zuständig sind.

Neben der Geschäftsführerin gibt es noch einen Verwaltungsrat und einen Finanzausschuss.

Außerdem hat er durch Umlagen bei den Hochschulen ein beachtliches Geldvermögen angesammelt, das auf der Grundlage der Beratung durch private Anlageberater kurz- und mittelfristig angelegt wird. Zugleich wird den Hochschulen unnötig Liquidität entzogen.

2.3.4 Alternative: Die öffentlich-rechtliche Stundung der Studiengebühren durch die einzelne Hochschule

Um den gesetzgeberischen Intentionen Rechnung zu tragen, hätte es genügt, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, eine öffentlich-rechtliche Stundung der Studiengebühren bei der eigenen Hochschule zu beantragen, die von dieser ohne nähere Prüfung zu bewilligen ist.

Bei Fälligkeit (nach Abschluss des Studiums und eigener wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der ehemaligen Studierenden) hätte jede Hochschule ihre Gebührenforderungen bei ihren eigenen Absolventen einzuziehen. Dass dabei im Ausland möglicherweise keine Zwangsvollstreckung der Forderungen möglich ist, wäre angesichts der Forderungshöhe hinnehmbar gewesen.

Der Zinssatz hätte im Landeshochschulgebührengesetz so bemessen werden können, dass er die Studierenden wirtschaftlich nicht überfordert, andererseits aber auch keinen zusätzlichen Anreiz zur Inanspruchnahme der Kredite geboten hätte.

2.3.5 Auflösung des Studienfonds

Bei einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung der Studienkredite wäre der Studienfonds zur Absicherung des Kreditrisikos nicht erforderlich gewesen. Die solidarische Verteilung des Ausfallrisikos unter den Hochschulen ist angesichts des geringen Volumens in Anspruch genommener Kredite ebenfalls nicht geboten.

Die öffentlich-rechtliche Anstalt Studienfonds kann zeitnah aufgelöst und das angesammelte Geldvermögen dem Landeshaushalt zugeführt werden. Im Gegenzug könnte die Landesoberkasse, die auch mit der Durchsetzung privatrechtlicher Forderungen vertraut ist, die Abwicklung der Altfälle übernehmen.

3 Fazit und Empfehlungen

Die Prüfung des Rechnungshofs hat ergeben, dass sich die vom Gesetzgeber getroffenen Regelungen über die Erhebung von Studiengebühren als weitgehend praxisgerecht erwiesen haben. Verbesserungspotenziale haben sich bei der ab 2009 geltenden Geschwisterregelung, der Befreiung wegen besonderer Begabung und bei der Ausgestaltung der Studienkredite gezeigt.

Der Rechnungshof empfiehlt, bei künftigen Regelungen über die Erhebung von Studiengebühren die in Punkt 2 beschriebenen Erkenntnisse und Bewertungen des Rechnungshofs zu berücksichtigen.

Sollte sich der Gesetzgeber entschließen, auf die Erhebung allgemeiner Studiengebühren zu verzichten, empfiehlt der Rechnungshof,

  • den Studienfonds (Anstalt des öffentlichen Rechts) aufzulösen, das dort angesammelte Geldvermögen in den Landeshaushalt zu überführen und die Aufgaben des Studienfonds auf die Landesoberkasse zu übertragen,
  • Langzeitstudierende, die die geltende Regelstudienzeit deutlich überschreiten, entsprechend der bis 2007 geltenden Regelung durch Gebühren an der Finanzierung ihrer Hochschule zu beteiligen.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Wissenschaftsministerium unterstreicht, dass die Einführung der Studiengebühren zu einer tatsächlichen Verbesserung der Studienbedingungen geführt hat. Studiengebühren tragen nach Auffassung des Ministeriums entscheidend dazu bei, dass Baden-Württemberg bundesweit in der Betreuungsrelation an Universitäten und an Fachhochschulen auf dem ersten Platz liege.

Das Ministerium teilt die Auffassung des Rechnungshofs, dass die Geschwisterregelung wegen der in der Praxis zahlreich aufgetretenen atypischen Fälle und der dadurch verursachten deutlichen Einnahmeeinbußen bei den Hochschulen überprüfungsbedürftig ist.

Eine Streichung der Möglichkeit, wegen Hochbegabung Gebührenbefreiung zu gewähren, lehnt das Ministerium ab. Den Hochschulen solle weiterhin die Möglichkeit eröffnet bleiben, eigene Konzepte zu entwickeln, um hochbegabte Studierende zu fördern.

Das Ministerium weist darauf hin, dass ein Stundungsmodell bereits im Gesetzgebungsverfahren umfassend geprüft wurde. Es räumt jedoch ein, dass die tatsächliche Inanspruchnahme der Studiengebührendarlehen zahlenmäßig weit unter den Annahmen liegt. Allerdings müsse sich eine Alternativlösung an dem zwischenzeitlich erreichten Stand der Wirtschaftlichkeit des Darlehensmodells messen lassen. Der Studienfonds habe sich etabliert und werde mit geringem Aufwand (Personalkosten jährlich 52.000 Euro) geführt, wobei noch nicht berücksichtigt sei, dass die Beschäftigten des Studienfonds bei vorhandener Arbeitskapazität und gegen Erstattung auch an anderer Stelle im Hochschulbereich eingesetzt werden.