Kernstadtumgehung Neckargemünd [Beitrag Nr. 19]

Das Vorhaben wurde von der Straßenbauverwaltung nicht sorgfältig genug geplant. Der Förderantrag wurde nicht hinreichend geprüft. Die Zuwendungen für die verkehrlich wenig bedeutsame und nur 600 m lange Umgehung erhöhten sich von 15,2 Mio. Euro auf 37,2 Mio. Euro. Die Straßenbauverwaltung muss Kosten-Nutzen-Relationen stärker beachten.

1 Ausgangslage

1.1 Entwicklung der Baukosten und Zuwendungen

Mit der Umgehung soll die Kernstadt von Neckargemünd vom Durchgangsverkehr entlastet werden. Vorhabensträger der Kreisstraße ist der Rhein-Neckar-Kreis. Die Umgehung ist 599 m lang. Davon verlaufen 389 m in einem Tunnel. Das Vorhaben wird nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (jetzt Entflechtungsgesetz) mit einem Fördersatz von 80 Prozent gefördert. Ausgehend von dem Förderantrag von 1993 stiegen die Bauausgaben bis 2010 von 19,8 Mio. Euro auf 50,8 Mio. Euro. Die Zuwendungen erhöhten sich von 15,2 Mio. Euro auf 37,2 Mio. Euro.

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Die Zuwendungen sind um 22 Mio. Euro gestiegen. Das sind 145 Prozent. Dies nahm der Rechnungshof zum Anlass, das Förderverfahren zu beleuchten.

1.2 Ablauf des Förderverfahrens

Das Innenministerium genehmigte 1989 die Aufnahme des Vorhabens in das Förderprogramm. Grundlage war die vom früheren Straßenbauamt Heidelberg aufgestellte Vorplanung. Bis zur Verwaltungsstrukturreform 2005 plante die Straßenbauverwaltung des Landes auch kommunale Straßenbauvorhaben. Das Straßenbauamt hatte vier Varianten untersucht. Letztlich entschied es sich für die teuerste Variante mit dem längsten Tunnel und der geringsten verkehrlichen Wirkung. Die Stadt Neckargemünd hatte sich zuvor für diese Variante ausgesprochen, da diese städtebauliche Vorteile versprach.

Im Mai 1993 legte der Rhein-Neckar-Kreis den Förderantrag vor. Das Verkehrsministerium genehmigte ihn im Juli 1994 auf der Grundlage des vom Straßenbauamt Heidelberg aufgestellten Genehmigungsentwurfs. Basierend auf einem Gutachten des damaligen Geologischen Landesamts Baden-Württemberg sollte der Tunnel in offener (189 m) und in bergmännischer Bauweise (200 m) gebaut werden.

Der Planfeststellungsbeschluss wurde Anfang 1998 bestandskräftig und danach das Vorhaben baureif geplant. Im Oktober 2000 wurde der erste Erhöhungsantrag eingereicht und im April 2001 bewilligt. Die Detailuntersuchungen ergaben vor allem beim Tunnelbau höhere Kostenansätze. Mit Fortschreiten der Bauarbeiten für die Tunnelbauwerke waren laut Straßenbauamt Heidelberg noch weitere umfangreiche Erkundungsmaßnahmen erforderlich, die „nochmals die Detailplanung und damit die Bauausgaben beeinflussen können“.

Die dem ersten Erhöhungsantrag zugrunde liegende Detailplanung musste überarbeitet werden, da Ende 2006 ein neues geologisches Gutachten vorlag. Der Rhein-Neckar-Kreis legte daraufhin im Februar 2008 den zweiten Erhöhungsantrag vor, den das Innenministerium im August 2009 genehmigte. Gegenüber dem ursprünglichen Förderantrag erhöhten sich die Ausgaben für den Tunnelbau von 9 Mio. Euro auf fast 27 Mio. Euro.

Die Bauausgaben werden nach Angaben des Rhein-Neckar-Kreises vom Juni 2010 um weitere 3 Mio. Euro steigen. Der Rhein-Neckar-Kreis plant, die Kernstadtumgehung Mitte 2011 für den Verkehr freizugeben.

2 Prüfungsergebnisse

2.1 Antragsprüfung

Der Förderantrag ist gemäß der Verwaltungsvorschrift zu § 44 der Landeshaushaltsordnung in fachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu prüfen. Die Straßenbauverwaltung ist dem beim Fördervorhaben „Kernstadtumgehung von Neckargemünd“ nicht hinreichend nachgekommen. Die Antragsunterlagen wurden von der Bewilligungsstelle - Regierungspräsidium Karlsruhe bzw. zuständigem Ministerium - nicht sorgfältig genug geprüft. Die nach Förderantrag sehr hohen Bauausgaben von 33.400 Euro je Meter Baulänge wurden nicht hinterfragt. Der Förderantrag wurde bewilligt, bevor das Rechtsverfahren abgeschlossen war.

2.2 Variantenwahl

Die Bewilligungsstelle hat nicht - jedenfalls nicht hinreichend - geprüft, ob der Förderzweck auch mit geringerem Aufwand erreichbar war. Das Innenministerium akzeptierte bereits mit der Programmaufnahme die teuerste Variante. Eine angemessene Kosten-Nutzen-Untersuchung der anderen Varianten fand nach der frühzeitigen Festlegung der Stadt Neckargemünd nur eingeschränkt statt.

2.3 Qualität der Planung

Die Bauausgaben für den Tunnel waren nur grob geschätzt. Die im Gutachten des Geologischen Landesamts teilweise als sehr ungünstig bezeichneten geologischen Verhältnisse wurden zunächst nicht hinreichend berücksichtigt. Dies betraf für die geotechnischen Untersuchungen sowie für die direkte Lage neben dem bestehenden Eisenbahntunnel und dem Neckar. Auch hätte eine Rückfrage bei der Deutschen Bahn als Bauherrin des Eisenbahntunnels die geologischen Verhältnisse klären helfen können. Die Mängel und Versäumnisse der Vorplanung wirkten sich über das gesamte Zuwendungsverfahren belastend aus. Dies gilt nicht nur für den Tunnelbau. Beispielsweise mussten die Ansätze für die Tunnelausstattung bislang auf 5,3 Mio. Euro korrigiert werden. Die Tunnelausstattung war im Förderantrag von 1993 mit weniger als einer halben Million Euro aufgeführt. Allerdings sind zwischenzeitlich auch die Sicherheitsanforderungen gestiegen.

2.4 Durchführung des Fördervorhabens

Die Straßenbauverwaltung thematisierte nicht, dass sich die Bauzeit immer länger hinzog. In den Förderakten wurden weder der schleppende Fortgang des Vorhabens infrage gestellt noch Erhöhungen kritisch betrachtet. Immerhin ist das Land bei einem Fördersatz von 80 Prozent Hauptfinanzier. Die Straßenbauverwaltung übernahm keine Initiative und Verantwortung als klar war, dass die ersten Kostenberechnungen lückenhaft und mit dem ersten Erhöhungsantrag bei Weitem noch nicht alle Kostenrisiken des Tunnelbaus gedeckt waren. Sie hätte die Qualität der Kostenansätze überprüfen und gegebenenfalls steuernd eingreifen müssen.

3 Empfehlungen

3.1 Förderentscheidungen sind auf gesicherter Grundlage zu treffen

Um Kostensteigerungen zulasten des Landes zu vermeiden, muss für die Bewilligung von Vorhaben Kostensicherheit gewährleistet sein. Nur dann kann die Bewilligungsstelle valide Kosten-Nutzen-Abwägungen sowie die gebotenen umfassenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchführen. Die Antragsteller sind deshalb gefordert, Detailplanungen und aussagekräftige Kostenermittlungen vorzulegen. In diesem Zusammenhang wäre für die Zukunft zu prüfen, ob Anteile von Planungsleistungen der Antragsteller, die der Kostensicherung dienen, als zuwendungsfähig anerkannt werden können.

3.2 Das Controlling und die Steuerung der Fördermittel sind zu verbessern

Neben der umfassenden Antragsprüfung ist für die Bewilligungsstellen eine Steuerung der Fördermittel im Verlauf des Zuwendungsverfahrens unabdingbar. Mit ihr kann geklärt werden, ob beispielsweise ein höherer Mitteleinsatz nach Erhöhungsanträgen gerechtfertigt ist, um die Förderziele zu erreichen. Auch können zeitliche Vorgaben stärker überwacht werden. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Steuerung durch den Vorhabensträger.

3.3 Festbetragsfinanzierungen sind vermehrt anzuwenden

In verschiedenen Denkschriftbeiträgen (u. a. Denkschrift 2002, Beitrag Nr. 22) hatte der Rechnungshof angeregt, stärker von Festbetragsfinanzierungen ohne Aufweichungsklauseln Gebrauch zu machen. Der vorliegende Fall unterstreicht, wie wichtig deren tatsächliche Anwendung ist. Denn auch bei lokalpolitisch bedeutenden Vorhaben kann nicht jeder Aufwand als gerechtfertigt akzeptiert werden.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat mitgeteilt, dass die Kernstadtumgehung Neckargemünd die Verkehrsverhältnisse vor Ort nachhaltig verbessere.

Das Ministerium merkt an, dass die komplexe Großmaßnahme nicht mit herkömmlichen Umgehungen vergleichbar sei. Im Tunnelbau würden die Ausgaben zwischen Planung und Bauausführung stark divergieren. Wegen der variierenden Randbedingungen (geologische Verhältnisse, Drücke, Grundwasser usw.) könnten die Bauausgaben einer Tunnelröhre unter Umständen stark vom „Normalfall“ abweichen. Eine Tunnelmaßnahme könne daher erheblich teurer werden, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse als grundlegend anders herausstellen als die in der Planung angenommenen.

5 Schlussbemerkung

Der Rechnungshof hält bei der Kernstadtumgehung Neckargemünd vor allem die unzulängliche Aufgabenerfüllung der Straßenbauverwaltung verantwortlich dafür, dass die Ausgaben derart aus dem Ruder liefen. Die Preissteigerungen im Tunnelbau waren nicht in dem Umfang ausschlaggebend für die bis 2010 um mehr als 30 Mio. Euro gestiegenen Bauausgaben und die um 22 Mio. Euro höheren Zuwendungen des Landes. Sie sind vielmehr auf von vorneherein unvollständige oder zu niedrige Kostenansätze für den Tunnelbau zurückzuführen.

Die Straßenbauverwaltung muss nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit handeln und nicht - quasi prüfungslos - Wünsche der kommunalen Vorhabensträger aus ihren Stadtentwicklungsprojekten erfüllen.