Die auf der bisherigen Datengrundlage dem Landtag zur Verfügung gestellten Produktinformationen sind fehlerhaft und letztlich unbrauchbar. Der Haushalt soll künftig verstärkt über Produktinformationen (Produkthaushalt) aufgestellt und gesteuert werden. Hierzu muss zwingend eine solide, stimmige Datenbasis geschaffen werden.
1 Ausgangslage
Die Landesverwaltung hat von 2000 bis 2004 landesweit die Software SAP eingeführt, um Ressourcen integriert zu planen und zu bewirtschaften. Sie ist ein Element der Neuen Steuerungsinstrumente (NSI), mit denen die Arbeitsabläufe und die Qualität der Leistungen verbessert werden sollen.
In den Haushalt 2007/2008 wurden erstmals produktorientierte Informationen aufgenommen. Sie sollen einen Überblick über wesentliche Aufgaben und Leistungen sowie Ziele der Verwaltung geben. Zudem soll das Haushaltsbudget stärker an den Leistungen und Wirkungen des Verwaltungshandelns ausgerichtet werden können.
Grundlagen für den produktorientierten Haushalt bilden die Erlös- und Kosteninformationen für die Fach- und Servicebereiche. Diese sind der landesweiten Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) entnommen. Die KLR liefert somit wesentliche Daten für das Controlling als behördeninternes und behördenübergreifendes Informationssystem.

2 Prüfungsergebnisse
Der Rechnungshof hat erstmals in einem Ressort umfassend alle Daten aus den im SAP-System vorhandenen Informationen der NSI ausgewertet. Die KLR des Sozialministeriums wurde im Hinblick auf Ressourceneinsatz, Produktinformationen und Datenqualität untersucht. Sie besteht aus folgenden Elementen:
- Kostenartenrechnung: Sie zeigt den Verbrauch der Ressourcen, wie z. B. Personal- und Sachkosten auf,
- Kostenstellenrechnung: Sie ordnet den Ressourcenverbrauch den jeweiligen Verantwortungsbereichen zu und
- Kostenträgerrechnung: Sie ordnet den Ressourcenverbrauch einzelnen Produkten zu.
Die Kostenträger sind in einem landesweiten Produktkatalog gegliedert. Der landesweite Produktkatalog bildet sämtliche Aufgaben der Landesverwaltung in Fachbereichen ab und zeigt, was die Erledigung der Aufgaben das Land kostet. Sechs Fachbereiche bilden das Aufgabenfeld des Sozialministeriums:
- Arbeit,
- Soziale Sicherungssysteme,
- Soziales,
- Gesundheit,
- Frauen, Familie, Kinder und Jugendliche und
- Prüfungswesen in der Sozialversicherung.
Die Fachbereiche gliederten sich 2009 in 229 behördeninterne Produkte für Fachaufgaben und Förderprogramme.
Das Sozialministerium verfügte gemäß der Landeshaushaltsrechnung für 2007 bis 2009 im Einzelplan 09 über ein Haushaltsvolumen von jeweils knapp 2 Mrd. Euro. 2009 entfielen davon 1,3 Mrd. Euro auf Förderprogramme.
Bei diesem Haushaltsvolumen wurden Fehlbuchungen (Pkt. 2.1, 2.2 und 2.4) in
- 2007 von 279 Mio. Euro,
- 2008 von 213 Mio. Euro und
- 2009 von 134 Mio. Euro festgestellt.
Damit wurden jährlich im Durchschnitt 11 Prozent des Haushaltsvolumens in der KLR falsch gebucht.
2.1 Fehlbuchung von Zuschüssen
Von 2007 bis 2009 wurden jährlich zwischen 8 und 13 Mio. Euro Fördermittel- und Transferausgaben (Zuschüsse) auf Kostenstellen statt auf Kostenträger (Produkte) gebucht. Die Zuschüsse wurden über die Umlage der Kostenstellen auf die Produkte verteilt und damit in den Auswertungen als Verwaltungskosten ausgewiesen. Dadurch waren viele Auswertungsergebnisse nicht verwertbar.
So wurden z. B. von den zehn kostenintensivsten Produkten allein sieben Produkte nur wegen der Fehlbuchung dieser Zuschüsse als besonders kostenintensiv ausgewiesen.
2.2 Buchung mit falschen Kostenarten
Im Zusammenhang mit den im Haushalt 2007/2008 aufgenommenen produktorientierten Informationen wurde die landesweite Kostenartenhierarchie umstrukturiert. Hierbei hat sich die Zuordnung von Kostenarten zu Erlösen, Verwaltungskosten, Fördermittel- und Transfereinnahmen und Fördermittel- und Transferausgaben geändert. Dies wurde den Ministerien im August 2006 bekannt gegeben.
Das Sozialministerium hat die Änderung der landesweiten Kostenartenhierarchie nicht beachtet beziehungsweise den beteiligten Regierungspräsidien, den Stadt- und Landkreisen und dem Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg nicht mitgeteilt. Dadurch wurden ab 2007 teilweise Fördermittel- und Transferausgaben als Verwaltungskosten sowie Fördermittel- und Transfereinnahmen als Erlöse gebucht. Dies führte 2007 bis 2009 zu Fehlbuchungen von insgesamt 460 Mio. Euro. Hiervon entfallen 250 Mio. Euro auf das Sozialministerium.
Bei den Regierungspräsidien beziehungsweise Stadt- und Landkreisen lagen die Fehlbuchungen bei 210 Mio. Euro.

Ein erheblicher Teil der Fehlbuchungen wird trotz der Korrekturen durch den Landesbetrieb Competence Center (siehe Pkt. 2.3) jährlich wiederholt. Die Auswertungen, insbesondere aus den Web-Berichten im landesweiten Fördercontrolling, waren nicht verwertbar.
2.3 Korrekturen durch den Landesbetrieb Competence Center
Um die Ergebnisse des produktorientierten Haushalts zutreffend darstellen zu können, hat der Landesbetrieb Competence Center nachträglich für 2007 und 2008 den überwiegenden Teil der Buchungen mit falschen Kostenarten (siehe Pkt. 2.2) korrigiert. Die mit dem Sozialministerium abgestimmten Korrekturen wurden erst sechs bis zehn Monate nach Jahresende vorgenommen. Für 2007 wurde ein Volumen von 210 Mio. Euro und für 2008 von 168 Mio. Euro berichtigt. Die Daten für 2009 wurden erst in der 2. Jahreshälfte 2010 korrigiert.
2.4 Zuordnung von Fördermittel- und Transferleistungen bei Fachaufgaben
Im Zeitraum 2007 bis 2009 wurden Fördermittel- und Transferausgaben mit insgesamt 131 Mio. Euro bei Fachaufgaben statt bei einem Förderprogramm gebucht. Dadurch sind diese Ausgaben bei keinem Förderprogramm berücksichtigt. Die Ergebnisse der Web-Berichte des landesweiten Fördercontrollings werden um diesen Betrag zu gering ausgewiesen und sind somit unvollständig. So wurden z. B. Zuschüsse für Fahrtkosten von behinderten Menschen bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel 2007 bis 2009 mit insgesamt 102 Mio. Euro bei einer Fachaufgabe anstatt beim angelegten Förderprogramm „Erstattung von Fahrgeldausfällen“ gebucht.
2.5 Personalkosten
Die kostenträgerorientierte Zeit- und Mengenerfassung über das SAP-Modul CATS wurde seit April 2007 durch die auf Planleistungen fußende indirekte Leistungsverrechnung ersetzt. Im Dezember 2008 wurden aufgrund falsch gepflegter Planleistungen 36.000 Stunden, dies entspricht 21 Vollzeitäquivalenten, fiktiv im SAP-System erzeugt und auf Produkte abgerechnet. Diese versehentliche Erhöhung wirkte sich auf die Ergebnisse gravierend aus, wurde aber nicht bemerkt.
2.6 Kennzahlen für Steuerungszwecke
Vom Sozialministerium wurden von 2006 bis 2009 jährlich durchschnittlich 338 Kennzahlen im SAP-System gepflegt. Für 2008 wurden nur die Kennzahlen für den Produktorientierten Haushalt zeitnah erfasst. Die übrigen Kennzahlen wurden erst im Frühjahr 2010 aktualisiert. Somit war ein Steuern mit diesen Kennzahlen nur bedingt möglich.
2.7 Auswirkungen der mangelnden Datenqualität
Im Sozialministerium wurden Controllingberichte weder erstellt noch von Führungskräften nachgefragt. Die mangelhaften Daten und Zahlen der KLR wurden deshalb bis zur Untersuchung der Finanzkontrolle gar nicht beziehungsweise erst sehr spät bemerkt. Wegen der schlechten Datenqualität wären weder eine Steuerung noch fundierte Zeitreihenvergleiche möglich gewesen.
Die mangelhafte Datenqualität wirkt sich nicht nur auf die internen Ressortberichte und die Web-Berichte im landesweiten Fördercontrolling, sondern auch auf das Landescontrolling sowie den Produktorientierten Haushalt aus. So zeigen sich z. B. im Fachbereich Gesundheit Abweichungen von bis zu 83 Mio. Euro bei den dargestellten Erlös- und Kosteninformationen des Produktorientierten Haushalts.
3 Empfehlungen
3.1 Datenqualität der Kosten- und Leistungsrechnung verbessern
Die buchungsberechtigten Regierungspräsidien sowie die Stadt- und Landkreise müssen über Änderungen, wie z. B. in der Kostenartenhierarchie, informiert werden. Das Buchungsverhalten muss durch periodische Berichte überwacht werden. Entstandene Fehlbuchungen können so zeitnah erkannt und korrigiert werden.
Sofern der Landesbetrieb Competence Center künftig Korrekturen durchführt, müssen die betroffenen Dienststellen sofort über notwendige Änderungen informiert werden. Dadurch werden ständig wiederkehrende Fehlbuchungen vermieden. Der jährliche Korrekturaufwand des Landesbetriebs Competence Center und des Sozialministeriums muss reduziert werden.
Das Ministerium hat darauf zu achten, dass künftig Fördermittel- und Transferausgaben nicht mehr der Kostenstelle, sondern dem jeweiligen Kostenträger (Produkt) belastet werden. Sonst ist ein Großteil der Auswertungsergebnisse falsch und nicht verwertbar.
Die Personalkosten bilden den bedeutendsten Ausgabenblock am gesamten Haushaltsvolumen. Diese Kosten sind daher möglichst genau den Kostenträgern zuzuordnen. Hierbei ist auf eine richtige Pflege der Vollzeitäquivalente auf den Kostenstellen als auch der Planleistungen zu achten. Um sicherzustellen, dass die geänderten Werte korrekt sind und vom System richtig verarbeitet werden, sollte das Sozialministerium geeignete Prüfmechanismen einführen (z. B. Kostenstellenberichte).
3.2 Datenqualität im Fördercontrolling verbessern
Die maßgeblichen Kostenarten für Fördermittel- und Transferleistungen müssen richtig ausgewählt und zutreffend den Förderprogrammen in der SAP-Software zugeordnet werden. Für eine laufende Kontrolle könnten Kostenarten für Fördermittel- und Transferleistungen, die bei Fachaufgaben gebucht wurden, monatlich ausgewertet werden.
3.3 Neue Steuerungsinstrumente für Berichtswesen nutzen
Führungskräfte müssen die vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten der NSI verstärkt nachfragen und mit den Ergebnissen steuern. Sollten sie diese Auswertungsmöglichkeiten nicht brauchen, ist entweder deren Führung oder aber das Steuerungssystem verbesserungsbedürftig.
Für eine verbesserte Datenqualität und eine optimierte Nutzung der KLR ist ein gezielt auf die Steuerung ausgerichtetes Berichtswesen aufzubauen.
Nur laufende, mit den Abteilungen abgestimmte Auswertungen und eine zeitnahe Umsetzung von Korrekturen ermöglichen die notwendige effektive und effiziente Steuerung. Geschieht dies nicht, sind die für die KLR und das Führungsinformationssystem aufgewendeten Finanzmittel wertlos und damit unwirtschaftlich.
3.4 Informationsstrukturen für ein nachhaltiges Controlling legen
Für ein wirksames Controlling ist eine verlässliche Datengrundlage sowie ein zielgerichtetes Berichtswesen mit gültigen Informationsstrukturen unabdingbar. Laufende strukturelle Anpassungsprozesse oder Korrekturen in den SAP-Systemen führen dazu, dass fundierte Zeitreihenvergleiche unmöglich und damit Fehlentwicklungen nicht erkennbar sind. Für laufende Anpassungen in den SAP-Systemen muss ein strenger Maßstab angelegt werden.
3.5 Kennzahlen für Steuerungszwecke anpassen
Unabhängig von der Art beziehungsweise der inhaltlichen Qualität von Kennzahlen hat sich gezeigt, dass mit einer sehr hohen Anzahl von Kennzahlen nicht gesteuert werden kann. Dies gilt vor allem dann, wenn Kennzahlen nicht zeitnah gepflegt beziehungsweise jährlich in erheblichem Umfang geändert werden. Um künftig das Kennzahlensystem effektiv nutzen zu können, muss das Sozialministerium wenige steuerungsrelevante Kennzahlen festlegen.
4 Stellungnahme des Ministeriums
Das Sozialministerium wendet ein: Die vom Rechnungshof festgestellten Mängel bei der Datenvalidität betreffen ausschließlich das interne Rechnungswesen und keine haushaltswirksamen Finanzpositionen. Sie sind mit auf einen Personalabbau in der Kopfstelle Controlling zurückzuführen und konnten durch steuernde Maßnahmen nicht hinreichend vermieden werden.
Die beanstandeten Fehlbuchungen wurden zu einem großen Teil korrigiert. Die Datenqualität wird weiter verbessert. Hierzu sollen künftig periodische Berichte erstellt und den Fachabteilungen zur Verfügung gestellt werden. Den Regierungspräsidien und den kommunalen Dienststellen wurden aktuelle Kontierungshinweise zur Beachtung übersandt. Eine vollständige Überprüfung der Buchungspraxis im Bereich des Einzelplans 09 sei jedoch mit den vorhandenen Personalkapazitäten nicht zu leisten.
Ferner macht das Sozialministerium darauf aufmerksam, dass die Buchungspraxis, wonach die Regierungspräsidien, der Kommunalverband für Jugend und Soziales, die kommunalen Dienststellen und die Zentren für Psychiatrie entweder direkt in SAP oder indirekt über die Landesoberkasse auf den Einzelplan 09 buchen, sich als große „Fehlerquelle“ auswirke.
Bei den Förderprogrammen sei in vielen Fällen ein intensiver fachlich-politischer Diskurs über Förderentscheidungen zu führen. Dabei stünden die Daten aus dem Fördercontrolling - auch bei hoher Datenvalidität - selten im Vordergrund.
Für das Sozialministerium steht außer Frage, dass die KLR an Bedeutung gewinnt, wenn die Doppik eingeführt wird. Dies würde ein stärkeres Augenmerk auf die Datenqualität erfordern. Für die Qualitätssicherung im Haushalt und in der KLR würden jedoch zukünftig zusätzliche Personalressourcen notwendig sein.
5 Schlussbemerkung
Der Rechnungshof anerkennt, dass das Sozialministerium seine Hinweise konstruktiv aufgenommen und zeitnah umfangreiche Korrekturen durchgeführt hat.
Die Untersuchung des Rechnungshofs zeigt, dass die NSI eine Vielzahl von Informationen zur Steuerungsunterstützung bereitstellen können. Die KLR und die darauf aufbauenden Führungsinformationssysteme können hierbei die Grundlage für ein zielgerichtetes Controlling sein. Die Datenqualität der KLR und eine sich an der jeweiligen Steuerungsebene orientierende Informationsaufbereitung in den dafür vorgesehenen SAP-Systemen sind jedoch von entscheidender Bedeutung.
Mit einer mangelhaften Datenqualität kann das Landes- und Ressortcontrolling seiner Aufgabe nicht gerecht werden. Nach nahezu zehn Jahren internem Rechnungswesen sollte es möglich sein, valide Daten zu generieren. Nur dann sind die Mittel, die für das Controlling aufgewendet wurden und im laufenden Betrieb anfallen, gerechtfertigt.