Das Defizit im Justizhaushalt ist seit 2003 um 87 Mio. Euro gestiegen. Statt die Einnahmen um 7 Mio. Euro zu verbessern, brachte das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zusätzliche Ausgaben von 34 Mio. Euro. Der Bundesgesetzgeber sollte die Gerichtsgebühren erhöhen und die Auslagen in Rechtssachen begrenzen.
1 Entwicklung des Justizhaushalts
Der Rechnungshof hat die Entwicklung des Justizhaushalts seit 2003 analysiert. Das Ergebnis ist in Tabelle 1 dargestellt.

Das jährliche Defizit stieg zwischen 2003 und 2008 um 87 Mio. Euro. Der Deckungsgrad sank von 55 % auf 51 %.
2 Gebühren
Die Justiz erhebt für ihre Dienstleistungen grundsätzlich Gebühren.
Der Rechnungshof hat in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten untersucht, ob die Kosten von den Gebühren gedeckt werden können. Außer Betracht blieben der Justizvollzug und der Notariats- und Grundbuchbereich.
Gebühren sollen regelmäßig die Kosten decken. Dabei ist der verfassungsrechtliche Justizgewährungsanspruch zu beachten. Danach hat der Einzelne einen Anspruch darauf, seine Rechte durch unabhängige Richter feststellen zu lassen. Die Prozesskostenhilfe ermöglicht mittellosen Betroffenen den Gang vor ein Gericht. Sie sichert damit auch den Justizgewährungsanspruch.
Die Gebühren dürfen nach dem Äquivalenzprinzip in keinem Missverhältnis zu der vom Staat gebotenen Leistung stehen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, die Gebühren nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Rechtsuchenden unterschiedlich auszugestalten.
Gerichtsgebühren sind, wie die Rechtsanwaltsgebühren, im Grundsatz Wertgebühren. Sie steigen mit dem Streitwert. Die Abbildung zeigt den Vergleich zwischen den Gebühren nach dem Gerichtskostengesetz und den Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.

Die Gebühren der Rechtsanwälte liegen bei Streitwerten bis 500.000 Euro höher als die vom Staat erhobenen Gebühren. Bis zu einem Streitwert von 50.000 Euro steigen die Gerichtsgebühren wesentlich geringer als die Anwaltsgebühren. Der Bundesgesetzgeber könnte die Gerichtsgebühren den Rechtsanwaltsgebühren annähern, ohne den Justizgewährungsanspruch zu verletzen.
Die Gebühren sind je nach Verfahren unterschiedlich hoch. Die Justiz erhebt bei Zivilverfahren mit einem Streitwert von bis zu 300 Euro eine Gebühr von 75 Euro. In Familiensachen beträgt die entsprechende Gebühr 50 Euro. Die Gebührentabelle wurde zuletzt zum 01.07.1994 angepasst. Mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz wurden zum 01.07.2004 lediglich ausgewählte Gebühren erhöht.
3 Gerichtsgebühren in einzelnen Bereichen
In den untersuchten Bereichen hat der Rechnungshof unterschiedliche Defizite und Deckungsgrade festgestellt (siehe Tabelle 2).

Ein Deckungsgrad von 100 % wurde in keinem Bereich erreicht. Die Prozesskostenhilfe verursacht nur einen Teil des Defizits.
Der Rechnungshof sieht in folgenden Bereichen Handlungsbedarf:
- In Zivilsachen wurde ein Deckungsgrad von 69 % erreicht. Das Defizit betrug 41 Mio. Euro.
- Die Gerichtsgebühren für Bußgeldverfahren in Verkehrssachen deckten 12 % der Kosten. Die Gebühren betragen derzeit 10 % der Geldbuße. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid wird häufig zurückgenommen. Bis zur Hauptverhandlung ist die Rücknahme gebührenfrei.
- Bei den Gerichtsvollziehern ergab sich ein Defizit des Landes von 26 Mio. Euro.
- In der Sozialgerichtsbarkeit besteht weitgehende Kostenfreiheit. Der Deckungsgrad betrug 13 %. Mehrere Gesetzesinitiativen des Bundesrats zur Einnahmeverbesserung waren bislang erfolglos.
- Die Gerichtsgebühren in der Arbeitsgerichtsbarkeit sind niedriger als in Zivilverfahren. Die Mindestgebühr für ein Gerichtsverfahren beträgt 50 Euro. Die Verfahren endeten zu 62 % mit einem Vergleich. Bei Vergleichen entstehen keine Gerichtsgebühren.
- In der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit lag der Deckungsgrad der Gerichtsgebühren bei 19 % bzw. 20 %. In der Finanzgerichtsbarkeit fallen keine Gebühren an, wenn die Klage Erfolg hat. Eine Kostendeckung wird auch ohne Berücksichtigung dieser Verfahren nicht erreicht.
4 Auswirkungen des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes
Die Höhe der Gerichtsgebühren hängt fast vollständig von Bundesgesetzen ab. Bei den Justizausgaben werden die Auslagen in Rechtssachen bundesgesetzlich geregelt. Das sind beispielsweise die Prozesskostenhilfe sowie die Ausgaben für Pflichtverteidiger, Sachverständige, Dolmetscher, Zeugen und Betreuer. Die Auslagen in Rechtssachen machen 16 % der Justizausgaben aus. Ein Teil dieser Auslagen wird dem Land von den Kostenschuldnern erstattet.
Der Bundesgesetzgeber hat die Gerichtsgebühren und die Auslagen in Rechtssachen zum 01.07.2004 mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz teilweise angepasst. Mit diesem Gesetz sollte die Finanzsituation der Länder um 55 Mio. Euro verbessert werden. Die Länder forderten im Gesetzgebungsverfahren deutlich höhere Einnahmeverbesserungen, konnten diese aber nicht durchsetzen.
Die Bundesregierung hat im Gesetzgebungsverfahren eine Überprüfung der vorausberechneten Auswirkungen angekündigt. Das Bundesministerium der Justiz hat 2006 eine Länderumfrage durchgeführt. Eine Auswertung der Umfrage liegt dem Justizministerium Baden-Württemberg nicht vor.
Ein Vergleich der dem Rechnungshof vorliegenden Einzelmeldungen von 14 der 16 Länder zeigt, dass sich das Defizit 2005 gegenüber 2003 um 177 Mio. Euro erhöht hat. Per saldo ergab sich gegenüber der Prognose bei diesen Ländern ein Finanzierungsdefizit von 232 Mio. Euro. In Baden-Württemberg erhöhte sich das Defizit um 34 Mio. Euro. Gegenüber den prognostizierten Mehreinnahmen von 7 Mio. Euro ergibt sich per saldo ein Fehlbetrag von 41 Mio. Euro. Es sind bislang keine Initiativen ersichtlich, diese Fehlentwicklung zu korrigieren.
5 Auslagen des Landes in Rechtssachen
Die Auslagen in Rechtssachen sind stark gestiegen:
- Die Ausgaben für die Prozesskostenhilfe sind in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zwischen 1981 und 2007 von 9 Mio. Euro auf 47 Mio. Euro gestiegen.
- Im gleichen Zeitraum erhöhten sich die Ausgaben für die Beratungshilfe von 0,1 Mio. Euro auf 9,3 Mio. Euro.
- Die Betreuerausgaben sind von 1992 bis 2007 von 0,3 Mio. Euro auf 41 Mio. Euro gestiegen. Dazu trug auch die Betreuungsrechtsreform 2005 bei. Eine Evaluation der Reform steht an.
- Die Ausgaben für Pflichtverteidiger und in Strafverfahren beigeordnete Rechtsanwälte stiegen zwischen 2003 und 2007 von 7,8 Mio. Euro auf 16,5 Mio. Euro.
Der Bundesgesetzgeber hat bei den Auslagen in Rechtssachen Initiativen der Länder (noch) nicht umgesetzt, mit denen die Ausgaben begrenzt werden sollen:
- Der Bundesrat hat im Mai 2006 den Entwurf eines Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetzes in den Bundestag eingebracht. Eine abschließende Behandlung im Bundestag steht noch aus.
- Der Bundesrat hat 2008 den Gesetzentwurf zur Kostenbegrenzung in der Beratungshilfe in den Bundestag eingebracht. Der Bundestag hat bislang nicht darüber beraten.
Andere Gesetzesänderungen, die beschlossen sind oder noch beraten werden, lassen höhere Ausgaben erwarten:
- Beim Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind Ausgabensteigerungen nicht auszuschließen.
- Das Gesetz zur Neuordnung der Entschädigung von Telekommunikationsunternehmen für die Heranziehung im Rahmen der Strafverfolgung lässt weitere Ausgabensteigerungen befürchten.
- Die Sachverständigengebühren nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz werden derzeit überprüft. Ausgabensteigerungen sind nicht auszuschließen.
6 Empfehlungen des Rechnungshofs
Der Rechnungshof fordert, das Defizit im Justizhaushalt deutlich zu reduzieren. Das Land sollte sich auf Bundesebene mit Nachdruck dafür einsetzen, dass Gebühren erhöht und Ausgaben bei den Auslagen in Rechtssachen begrenzt werden. Dabei sollte mindestens das Finanzvolumen erreicht werden, das dem durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz verursachten zusätzlichen
Defizit entspricht. Dieses Defizit summiert sich bei 14 der 16 Länder auf 232 Mio. Euro, siehe Punkt 4, letzter Absatz.
Im Einzelnen schlägt der Rechnungshof vor:
- Die Wert- und Festgebühren in der Justiz sollten allgemein angehoben werden. Dem steht der Justizgewährungsanspruch nicht entgegen.
- Die Gebühren in Zivilverfahren sollten die Kosten decken. Lediglich die durch Prozesskostenhilfe entstehenden Defizite sind hinzunehmen. Prozesskostenhilfe wird nur in 5 % der Verfahren bewilligt.
- Die Gebühren in Bußgeldverfahren sind deutlich zu erhöhen. Wenn ein Einspruch vor der Hauptverhandlung zurückgenommen wird, sollte eine Gebühr erhoben werden. Insbesondere in Verkehrssachen sind kostendeckende Gebühren zu erheben.
- Die zuletzt 2001 festgesetzten Gebühren der Gerichtsvollzieher sollten erhöht werden.
- Die Kostenfreiheit in der Sozialgerichtsbarkeit sollte entsprechend den vom Bundesrat beschlossenen Gesetzentwürfen aufgegeben werden.
- In der Arbeitsgerichtsbarkeit sollte die Gebührenabsenkung beseitigt und die völlige Gebührenfreiheit bei Vergleichen aufgehoben werden.
- Der Deckungsgrad in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit ist zu erhöhen.
- Die Gesetzentwürfe zur Kostenbegrenzung in der Prozesskostenhilfe und der Beratungshilfe sollten weiter verfolgt werden.
- Im Betreuungsrecht sind Kosten dämpfende Maßnahmen zu beschließen.
- Ein weiterer Anstieg der Auslagen in Rechtssachen muss vermieden werden.
7 Stellungnahme des Ministeriums
Das Justizministerium führt aus, es stimme mit dem Rechnungshof überein, dass die Finanzlage des Justizhaushalts verbessert werden sollte. Es habe bereits in der Vergangenheit gegenüber dem Bundesgesetzgeber zahlreiche Initiativen hierzu ergriffen.
8 Schlussbemerkung
Die Länder unternehmen erhebliche Anstrengungen, ihre Haushalte zu konsolidieren. Gleichwohl räumt Baden-Württemberg einer leistungsfähigen Justiz einen hohen Stellenwert ein und hat die Justiz - im Gegensatz zu anderen Bereichen - von weiteren Personaleinsparungen weitgehend ausgenommen. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Länder stößt aber dann an ihre Grenze, wenn die Gebühreneinnahmen in der Justiz nicht angemessen erhöht werden und die Auslagen in Rechtssachen weiter explodieren. In Baden-Württemberg ist durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz gegenüber der Prognose ein Finanzierungsdefizit von 41 Mio. Euro entstanden. Dieser Betrag entspricht den Kosten von fast 500 Richterstellen, berechnet auf Basis der Verwaltungsvorschrift des Finanzministeriums VwV-Kostenfestlegung.
Wenn der Bundesgesetzgeber eine leistungsfähige Justiz erhalten will, müssen die Vorschläge der Länder in den Gesetzgebungsverfahren angemessen berücksichtigt werden. Das Justizministerium sollte zudem eine Initiative auf Bundesebene ergreifen, um das durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz entstandene Finanzierungsdefizit auszugleichen.