Aufbaugymnasien mit Heim werden nicht mehr benötigt. Sie sollten in Gymnasien der Normalform überführt und der Internatsbetrieb eingestellt werden. Das Land könnte dadurch 2,9 Mio. Euro jährlich einsparen.
1 Allgemeines
Baden-Württemberg verfügt über vier staatliche Aufbaugymnasien mit Heim (Adelsheim, Künzelsau, Lahr und Meersburg). Sie unterscheiden sich in zwei wesentlichen Aspekten von den Gymnasien in der Normalform. Einerseits sollen vor allem Hauptschüler nach der Orientierungsstufe und Realschüler nach ihrem Abschluss die Möglichkeit erhalten, ins Gymnasium zu wechseln. Anderseits sollen Schüler, die schulortfern wohnen, im Internat untergebracht werden. Im Schuljahr 2007/08 besuchten 2.123 Schüler diese Aufbaugymnasien, davon wohnten 232 in den Internaten.
Die Aufbaugymnasien mit Heim wurden ursprünglich als schulisches Angebot für den ländlichen Raum eingerichtet. Sie ermöglichten den Wechsel von der Volksschule auf das Gymnasium und eröffneten den Jugendlichen auf dem Land zusätzliche Bildungschancen.
Wegen zurückgehender Schülerzahlen wurden in den Achtzigerjahren fünf Aufbaugymnasien mit Heim geschlossen und eines in kommunale Trägerschaft überführt. Verblieben ist in jedem Regierungsbezirk eine solche Schule.
2 Schulbetrieb
2.1 Nachfrage
Bei allen Aufbaugymnasien mit Heim stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich die Schülerzahl, seit dem Schuljahr 2001/02 um mehr als 42 %. Die Steigerung erklärt sich vor allem durch die Aufnahme von Schülern in die 5. Klassenstufe. Die Zahl der Internatsschüler stieg im selben Zeitraum lediglich um 18 %. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass das schulische Angebot der Aufbaugymnasien ein deutlich höheres Interesse findet als die Internatsplätze.
2.2 Neuaufnahmen
Im Schuljahr 2007/08 wechselten 344 Schüler von einer Grund-, Haupt- oder Realschule in ein Aufbaugymnasium mit Heim. Nahezu die Hälfte (48 %) dieser aufgenommenen Schüler wechselten von der Grundschule in die 5. Klasse und sind faktisch Gymnasiasten der Normalform.
Mehr als ein Drittel (35 %) sind Schüler, die nach dem Abschluss der Sekundarstufe I ins Aufbaugymnasium mit Heim wechselten.
Lediglich 17 % der Schüler kommen nach der Orientierungsstufe an das Aufbaugymnasium mit Heim. Die Untersuchung ergab, dass fast alle Schüler der Aufbauform von der Realschule kamen. Nur zwei Schüler kamen von der Hauptschule.
2.3 Schulträgerschaft
Grundsätzlich sind die Kommunen Schulträger der Gymnasien und tragen die sächlichen Schulkosten. Schulträger der Aufbaugymnasien mit Heim ist ausnahmsweise das Land. Es trägt deshalb neben den Personalkosten auch die sächlichen Kosten dieser Schulen.
Die kommunalen Schulträger erhalten als Ausgleich einen Sachkostenbeitrag nach dem Finanzausgleichsgesetz. Der Sachaufwand ist regelmäßig höher als der Sachkostenbeitrag. Deshalb kann dieser Sachkostenbeitrag als Orientierungsgröße für die Kosten des Landes verwendet werden. Der gymnasiale Sachkostenbeitrag lag 2007 bei 548 Euro je Schüler. 2007 besuchten 2.123 Schüler ein Aufbaugymnasium mit Heim. Die Sachkosten des Landes betrugen somit insgesamt mindestens 1,1 Mio. Euro.
3 Internatsbetrieb
3.1 Einzugsbereiche der Internate
Die Aufbaugymnasien mit Heim hatten ursprünglich einen überörtlichen Einzugsbereich. Viele Schüler waren deshalb auf das Internat angewiesen. Heute kommen jedoch die meisten Schüler aus dem näheren Umkreis. Im Schuljahr 2007/08 betrug der Anteil der Internatsschüler an der Gesamtschülerzahl nur noch 11 %. Auffallend ist, dass selbst bei diesem geringen Anteil nicht alle Internatsschüler wegen der zu großen Entfernung ihres Wohnortes auf einen Heimplatz angewiesen sind. So wohnt z. B. nahezu die Hälfte der Internatsschüler des Aufbaugymnasiums Meersburg weniger als 50 km von der Schule entfernt. Bezogen auf alle Aufbaugymnasien mit Heim wohnen 63 Internatsschüler (28 %) im Einzugsbereich bis 50 km.
3.2 Weitere Gründe für die Internatsunterbringung
Die Entfernung zum Wohnort ist heute nur ein Grund neben anderen für die Internatsunterbringung. Von den Schulen wurden überwiegend familiäre oder persönliche Gründe genannt wie z. B. gescheiterte Schulkarrieren, Erziehungsprobleme, schwierige Familienkonstellationen. Diese Gründe zeigen, dass heute nicht mehr die Entfernung zum Wohnort, sondern persönliche Gründe für die Internatsunterbringung entscheidend sind.
3.3 Gebühren
Schüler müssen für die Unterkunft und Verpflegung im Internat eine Gebühr entrichten. Die jährliche Gebühr beträgt derzeit 5.400 Euro. Sie kann aus sozialen Gründen bis auf 4.200 Euro ermäßigt werden. Gebühren sollen nach dem Landesgebührengesetz kostendeckend sein.
3.4 Kostendeckung der Internatsgebühren
Bei der Kostenberechnung blieben zusätzliche Angebote der Schulen oder die Kosten angegliederter Einrichtungen, die von der vorhandenen Infrastruktur profitieren, unberücksichtigt.
Die Internatsplätze verursachten an den einzelnen Standorten sehr unterschiedliche Vollkosten. Sie lagen 2007 zwischen 9.539 Euro und 19.378 Euro.
Tabelle 1 zeigt die Vollkosten eines Internatsplatzes der einzelnen staatlichen Aufbaugymnasien.

Die Internatsplätze an den vier Aufbaugymnasien mit Heim verursachten 2007 Gesamtkosten von 2,8 Mio. Euro. Die Gebühreneinnahmen betrugen 1,0 Mio. Euro. Sie deckten somit nur 35,7 % der Kosten.
Der Kostendeckungsgrad ist beim Aufbaugymnasium Adelsheim mit 22,3 % am geringsten und in Künzelsau mit 48,5 % am höchsten. Der gewichtete durchschnittliche Kostendeckungsgrad liegt bei 38,7 %.
In Tabelle 2 ist die Kostendeckung dargestellt.

Die Kostendeckung wird auch durch die soziale Staffelung der Internatsgebühren beeinflusst. Nahezu die Hälfte der Schüler zahlt nur die geringste Gebühr.
4 Bewertung
4.1 Schulbetrieb
Die staatlichen Aufbaugymnasien mit Heim wurden für einen bestimmten schulischen Bedarf konzipiert und eingerichtet. Kennzeichnend sind der Beginn der gymnasialen Laufbahn nach der Orientierungsstufe und die Internatsunterbringung. Fraglich ist, ob für dieses spezielle Angebot weiterhin ein Bedarf besteht.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Schülerzahlen der untersuchten Schulen entsprechend der allgemeinen Entwicklung stetig gestiegen sind. Dies gilt nicht für den Internatsbetrieb. Der Zuwachs der Internatsschüler blieb deutlich hinter dem der externen Schüler zurück.
Nahezu die Hälfte der Neuaufnahmen an den Aufbaugymnasien mit Heim kommt von der Grundschule und beginnt die gymnasiale Schullaufbahn in der 5. Klasse. Faktisch sind dies keine Schüler des Aufbaugymnasiums, sondern Schüler eines Gymnasiums der Normalform. Somit entwickeln sich die Aufbaugymnasien mit Heim zu Gymnasien der Normalform mit einem Aufbauzug. Darüber hinaus sind ein Drittel der Neuaufnahmen Absolventen der Sekundarstufe I. Diesen Schülern wird an 196 beruflichen Gymnasien (öffentliche und private) in allen Teilen des Landes ermöglicht, die allgemeine Hochschulreife in drei Jahren zu erreichen. Nur 17 % der Neueinsteiger der Aufbaugymnasien mit Heim kommen aus der 6. oder 7. Klasse einer anderen Schulart und sind Schüler, für die das Aufbaugymnasium ursprünglich konzipiert wurde.
Die Aufbaugymnasien mit Heim richteten sich ursprünglich an Schüler des ländlichen Raums. Sie hatten daher einen weiten Einzugsbereich. Aktuell wohnen 85 % der Schüler am Schulstandort oder im Landkreis. Der Einzugsbereich der Aufbaugymnasien mit Heim hat sich deutlich verkleinert.
4.2 Internatsbetrieb
Nur 11 % aller Schüler wohnen im Internat. Von diesen hat über ein Viertel den Wohnsitz im Einzugsbereich bis 50 km.
Der Kostendeckungsgrad des Internats liegt durchschnittlich bei 38,7 %. Somit subventioniert das Land in erheblichem Umfang die Internatsunterbringung.
4.3 Resümee
Es ist heute unbestritten, dass durch den Ausbau des Schulwesens für die Aufbaugymnasien mit Heim im ursprünglichen Sinn kein Bedarf mehr gegeben ist. In Baden-Württemberg besteht selbst im ländlichen Raum ein flächendeckendes Angebot an Gymnasien. Das spezielle Angebot, nach der Orientierungsstufe ins Aufbaugymnasium mit Heim zu wechseln, wird heute faktisch nicht mehr angenommen. Auch ist es wenig attraktiv, in einem Internat zu wohnen, wenn sich in der Nähe des Heimatorts ein gut erreichbares Gymnasium befindet. Weiterhin ist es nicht mehr notwendig, für die „Realschulaufsetzer“ (Absolventen der Sekundarstufe I) Aufbaugymnasien mit Heim vorzuhalten. Im Land gibt es eine Vielzahl beruflicher Gymnasien, die diesen Schülern die allgemeine Hochschulreife ermöglichen.
Die Aufbaugymnasien mit Heim wurden eingerichtet, um Schüler aus einem überörtlichen Einzugsgebiet aufzunehmen. Der weit überwiegende Teil musste deshalb im Internat wohnen. Dies ist nicht mehr notwendig. Beispielsweise ist am Aufbaugymnasium Adelsheim der Anteil der Internatsschüler von 98 % (Schuljahr 1974/75) auf heute nur noch 5 % (Schuljahr 2007/08) gesunken. Bemerkenswert ist, dass damals allein am Standort Adelsheim 303 Internatsschüler untergebracht waren und damit mehr als heute an allen vier Standorten zusammen.
Das Land ist Schulträger der Aufbaugymnasien mit Heim. Es hat daher - neben den Personalkosten - für den Schulbetrieb jährlich Sachkosten von mindestens 1,1 Mio. Euro zu tragen. Zusätzlich verursachen die nicht kostendeckenden Gebühren des Internatsbetriebs einen jährlichen Einnahmeausfall von 1,8 Mio. Euro. Somit entstehen dem Land als Schulträger der vier Aufbaugymnasien insgesamt zusätzliche Kosten von jährlich 2,9 Mio. Euro.
5 Empfehlungen
Der Rechnungshof empfiehlt dem Kultusministerium,
- die staatlichen Aufbaugymnasien mit Heim in Gymnasien der Normalform zu überführen,
- die Schulträgerschaft des Landes an einen öffentlichen oder privaten Schulträger abzugeben und
- den Internatsbetrieb einzustellen.
6 Stellungnahme des Ministeriums
Das Kultusministerium merkt an, dass die Zahl der Neuaufnahmen in die staatlichen Aufbaugymnasien mit Heim nicht richtig erfasst sei, weil in allen Klassenstufen Schüler aufgenommen würden.
Die Vollkostenrechnung sei in Bezug auf die Kostendeckung nicht nachvollziehbar. Es sei nicht genau ersichtlich, wie sich die Kostenbausteine für Unterkunftskosten und Verpflegungskosten zusammensetzen würden. Außerdem ergebe sich ein falsches Bild über die Kostendeckung der Internatsplätze, da die zusätzlich anfallenden Kosten für das Landesschulzentrum für Umwelterziehung auf die Internatsplätze umgelegt würden. Nach einer Gegenrechnung des Aufbaugymnasiums Adelsheim würden sich Internatskosten in etwa hälftiger Höhe ergeben.
Der Rechnungshof differenziere bei seinen Schlüssen nicht zwischen den Aufbaugymnasien. So werde beispielsweise das Aufbaugymnasium Künzelsau sehr gut angenommen und würde eine relativ gute Kostenstruktur aufweisen. Auch sei hier die räumliche Nähe zu einem beruflichen Gymnasium nicht gegeben.
Der als Kostenfaktor aufgeführte Sachkostenbeitrag in Höhe von 1,1 Mio. Euro müsste in jedem Fall vom Land aufgebracht werden, auch wenn die Aufbaugymnasien einen anderen Träger als das Land bekommen würden.
7 Schlussbemerkung
Der Rechnungshof bleibt bei seinen Empfehlungen.
Nahezu die Hälfte der in die staatlichen Aufbaugymnasien mit Heim aufgenommenen Schüler beginnen in der Klassenstufe 5. Daher entwickelten sich diese Schulen außer Künzelsau faktisch zu Gymnasien der Normalform. Schließlich verursachen die Heimunterbringung und die Schulträgerschaft hohe Kosten.
Die Argumente des Ministeriums widerlegen nicht die Prüfungsbewertung, wonach die staatlichen Aufbaugymnasien mit Heim mit ihrem ursprünglichen Konzept nicht mehr benötigt werden. Auch mit Blick auf die laufenden hohen finanziellen Belastungen des Landes ist eine Neuausrichtung zwingend geboten.