Leistungen an gesetzliche Krankenkassen bei Schwangerschaftsabbrüchen [Beitrag Nr. 17]

Das Land trägt nahezu für alle Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung die Kosten. Durch Abrechnungspauschalen ließen sich die Verfahren vereinfachen und die Erstattungen an die gesetzlichen Krankenkassen um jährlich 1,4 Mio. € verringern.

1 Ausgangslage

Die Kosten für einen rechtswidrigen aber straffreien Abbruch der Schwangerschaft nach der sogenannten Beratungsregelung sind grundsätzlich von der Frau zu tragen. Soweit sich Frauen in einer schwierigen wirtschaftlichen Notlage befinden, werden die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch zunächst von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Das Land erstattet diesen die verauslagten Kosten. Im Jahr 2006 betrug die Kostenerstattung des Landes 5,2 Mio. €.

Das Bundesverfassungsgericht wies darauf hin, dass der Gesetzgeber aufgrund seiner Schutzpflicht für ungeborenes Leben dafür verantwortlich sei, dass das Gesetz tatsächlich einen angemessenen und wirksamen Schutz vor Schwangerschaftsabbrüchen erziele. Es hat dem Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht bzw. bei Bedarf eine Korrektur- oder Nachbesserungspflicht aufgetragen.

2 Entwicklung und Höhe der Erstattungsquote

Die Erstattungsquote des Landes errechnet sich aus dem Anteil der vom Land bezahlten Schwangerschaftsabbrüche an den jährlich dem Statistischen Bundesamt gemeldeten Schwangerschaftsabbrüchen von Frauen mit Wohnsitz in Baden-Württemberg.

Die Entwicklung der Erstattungsquote sowie die Höhe der Erstattungen für die Jahre 1996 bis 2006 zeigt die Tabelle.

2008-B017-Tab.jpg

Diese vom Land ermittelten Erstattungsquoten sind interpretationsbedürftig, weil die Zeitbezüge der erhobenen Daten des Statistischen Bundesamtes und des Landes nicht identisch sind. Auch werden teils Schwangerschaftsabbrüche mehrfach gezählt, wenn Gynäkologen und Anästhesisten zu unterschiedlichen Abrechnungszeitpunkten ihre Rechnungen einreichen und jede Forderung eine andere Ordnungsnummer erhält. Landesweit hochgerechnet betrug die Erstattungsquote beispielsweise 2006 statt 101,5 % nur 91,8 %.

3 Einkommensverhältnisse und Vermögen der Frauen

Eine Betrachtung der Einkommensverhältnisse ergab, dass lediglich 31 % der erfassten Frauen laut eigenen Angaben überhaupt über ein Einkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis verfügen. Die Auswertungsergebnisse der Antragsunterlagen verdeutlichen überdies, dass nur wenige Frauen über Einkommen verfügen, das die Mindesteinkommensgrenze erreicht, ab der die Kosten selbst zu tragen sind.

Frauen haben ihr kurzfristig verwertbares Vermögen, das über der Vermögensfreigrenze liegt, zur Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs einzusetzen. Bei 1.420 ausgewerteten Anträgen waren nur in neun Fällen Vermögen zwischen 200 € und 800 € angegeben.

Die Höhe der Kostenerstattung des Landes könnte möglicherweise reduziert werden, wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse korrekt ermittelt werden.

4 Verfahren

Die derzeitige gesetzliche Regelung hat zur Folge, dass

  • von den örtlichen Krankenkassen nicht beurteilt werden kann, ob die von den Antragstellerinnen angegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse der Wahrheit entsprechen, da Belege nicht zwingend vorgelegt werden müssen,
  • eine Täuschung nicht auszuschließen ist, weil für den Antrag auf Kostenübernahme kein Identitätsnachweis erbracht werden muss,
  • ausschließlich dem Arzt oder der Einrichtung, die den Schwangerschaftsabbruch vornimmt, bekannt ist, ob die Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 Strafgesetzbuch - wonach mindestens drei Tage vor dem Eingriff eine Schwangerschaftskonfliktberatung stattgefunden haben muss und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sein dürfen - erfüllt sind,
  • nicht sichergestellt ist, dass das Land nur die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1 Strafgesetzbuch erstattet, da eine entsprechende Bestätigung von den Ärzten bzw. den Einrichtungen nicht gefordert wird und
  • sich die Prüfung des Kostenerstattungsanspruches durch das Regierungspräsidium lediglich auf Plausibilitätskontrollen beschränken kann, da das Abrechnungsverfahren anonymisiert durchgeführt wird.

5 Beobachtungspflicht des Gesetzgebers

Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung im Jahr 1992 u. a. ausgeführt hat, dass das ungeborene Leben von Verfassung wegen geschützt sei und insbesondere der Schwangerschaftsabbruch nicht ein Instrument der Familienplanung sein dürfe, werden bis heute statistische Daten zu wiederholten Schwangerschaftsabbrüchen einer Frau nicht gefordert.

Von den 8.039 vom Rechnungshof erfassten Frauen, die im Jahr 2006 einen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen, erfolgte bei 182 (2,3 %) Frauen ein Abbruch insgesamt zweifach und bei 4 Frauen dreifach im selben Jahr. Betrachtet man den Zeitraum von 2000 bis 2006, haben aus diesem Personenkreis 1.407 Frauen mehrfach, in Einzelfällen bis zu neunmal, Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen. Insgesamt 18,8 % der Frauen haben innerhalb von sieben Jahren mehr als einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, für den das Land aufkam.

6 Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs

Im Jahr 2006 betrug die Kostenerstattung des Landes, einschließlich der Verwaltungskosten der Krankenkassen, 5,2 Mio. €. Die durchschnittlichen Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs lagen bei 445 €. Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch in Baden-Württemberg sind deutlich höher als im Freistaat Bayern. Die dortige Kostenpauschale von durchschnittlich 322 € auf Baden-Württemberg übertragen, ergäbe eine Kostenerstattung von nur 3,8 Mio. € und somit ein Einsparungspotenzial von 1,4 Mio. €.

Nicht alle für einen Schwangerschaftsabbruch vom Land erstatteten Kosten entfallen auf Leistungen, die unmittelbar die Vornahme des Abbruchs betreffen. Teilweise sind die abgerechneten Leistungen und Kosten nicht plausibel, weil z. B. die Ultraschalluntersuchung oder der Ordinations- und Konsultationskomplex nicht unmittelbar dem Schwangerschaftsabbruch zugeordnet werden können. Außerdem fordert das derzeitige Abrechnungssystem von allen Beteiligten einen hohen Verwaltungsaufwand.

7 Empfehlungen

Die Untersuchungsergebnisse geben Anlass zu Änderungen im Abrechnungssystem und im Verfahren. Der Rechnungshof empfiehlt,

  • Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass den gesetzlichen Krankenkassen eine schlüssige Dokumentation über einen straffreien Schwangerschaftsabbruch vorzulegen ist, um die Rechtmäßigkeit ihrer Zahlung sowie die Kostenerstattung durch die Bundesländer prüfbar zu machen,
  • Mehrfachabbrüche der Antragstellerinnen als Erhebungsmerkmal in § 16 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz aufzunehmen, um der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht zu genügen und
  • auf dem Verhandlungsweg eine Pauschale für die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs festzulegen, um den Verwaltungsaufwand der Ärzte, der gesetzlichen Krankenkassen und der Kosten erstattenden Stelle zu vermindern. Bei Festlegung einer solchen Pauschale wäre insbesondere zu berücksichtigen, dass nur solche Leistungen einbezogen werden, die unmittelbar dem Schwangerschaftsabbruch zuzuordnen sind. Dies könnte nach dem Bayern-Modell landesintern gelöst werden. Die Chancen einer bundeseinheitlichen Lösung sollten abgeklärt werden.

8 Stellungnahme des Ministeriums

Das Ministerium für Arbeit und Soziales betonte, dass ihm an einer möglichst zielgenauen Abrechnung der Erstattungsfälle gelegen sei. So habe es bereits erste Gespräche gegeben, um mögliche Verfahrensoptimierungen auszuloten. In einem nächsten Schritt wolle das Ministerium mit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg und Vertretern aus der Ärzteschaft Gespräche über die Vereinbarung von Pauschalen führen. Allerdings könnten die Ärzte nach geltendem Recht nicht verpflichtet werden, pauschal abzurechnen. Die Akzeptanz einer Pauschale sei nur zu erwarten, wenn sich die Höhe der Vergütung an dem orientiere, was der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) für die Vergütung medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbrüche vorsehe. Die Kostenerstattung ließe sich nicht auf das in Bayern festgelegte finanzielle Niveau ausrichten, da die dort festgelegten Punktwerte deutlich niedriger als in Baden-Württemberg seien. Demzufolge werde es nicht gelingen, ein deutliches Einsparpotenzial zu erzielen. Selbst wenn die bayerische Pauschale in Baden-Württemberg durchsetzbar wäre, ergäbe sich ein hypothetisches Einsparpotenzial von knapp 600.000 €. Auch sehe das Ministerium keine Möglichkeit, auf die Erhebungsmerkmale für die statistische Auswertung Einfluss zu nehmen (Erhebung der Mehrfachabbrüche). Eine Gesetzesänderung könne nur durch den Bund erfolgen.

9 Schlussbemerkung

Der Rechnungshof teilt aufgrund seiner Prüfungsergebnisse nicht die Einschätzung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, dass eine Pauschalierung der Vergütung für einen Schwangerschaftsabbruch zu keinem deutlichen Einsparpotenzial führen würde.

Durch eine Pauschalierung könnte vielmehr nicht nur das Verfahren vereinfacht, sondern auch die Kosten gesenkt werden.