Pauschale Erstattung von Ausgaben für Asylbewerber [Beitrag Nr. 10]

Die vorläufige Unterbringung von Asylbewerbern ist aufgrund rückläufiger Zugangszahlen in ihrer derzeitigen Form nicht mehr wirtschaftlich. Das Land sollte bei der Anpassung der Ausgabenerstattung berücksichtigen, dass Stadt- und Landkreise die Aufgabe auch gemeinsam wahrnehmen können.

1 Ausgangslage

Seit dem 01.04.2004 erstattet das Land den Stadt- und Landkreisen auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz die Ausgaben für die im Rahmen der vorläufigen Unterbringung nach dem Asylverfahrensgesetz aufzunehmenden Personen durch eine einmalige Gesamtpauschale für jede zugeteilte und übernommene Person.

Mit dieser Pauschale in Höhe von zunächst 7.845 €/Person werden notwendige Ausgaben für personellen und sächlichen Verwaltungsaufwand zur Durchführung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, für Beratung und Betreuung, für Krankenhilfeleistungen, für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Bundessozialhilfegesetz, für liegenschaftsbezogene Ausgaben der Stadt- und Landkreise sowie für Kosten der Gemeinden im Rahmen der Anschlussunterbringung erstattet.

Die Pauschale erhöht sich jährlich um 1 % und betrug im Jahr 2007 somit 8.083 €.

2 Prüfungsanlass und Prüfungsziel

Das Flüchtlingsaufnahmegesetz sieht in § 9 Abs. 6 vor, dass das Innenministerium die Pauschale durch Rechtsverordnung jeweils zum 1. Januar eines Jahres neu festsetzen kann, wenn und soweit dies aufgrund einer Überprüfung der tatsächlichen Aufwendungen erforderlich ist. Zu diesem Zweck hat sich das Innenministerium im Jahr 2006 von den Stadt- und Landkreisen über die in den ersten zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes angefallenen Ausgaben berichten lassen. Die für den Erhebungszeitraum vom 01.04.2004 bis 31.03.2006 gemeldeten Ausgaben bildeten jedoch noch keine ausreichend aussagekräftige Grundlage für eine Anpassung der Pauschalen.

Die staatlichen Rechnungsprüfungsämter Stuttgart und Tübingen haben ergänzende örtliche Erhebungen bei 14 Stadt- und Landkreisen mit dem Ziel durchgeführt, die gemeldeten Zahlen zu überprüfen, belastbare Aussagen zur Auskömmlichkeit der Ausgabenerstattung des Landes zu treffen und Wirtschaftlichkeitspotenziale bei der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber durch die Stadt- und Landkreise aufzuzeigen.

3 Feststellungen

Die Prüfung hat ergeben, dass die der Pauschale nach § 9 Abs. 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz vom Innenministerium zugrunde gelegten Ausgaben und die geschätzte durchschnittliche Verweildauer in der vorläufigen Unterbringung von 20 Monaten aus damaliger Sicht sachgerecht waren.

Seit der Novellierung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes im Jahr 2004 haben sich jedoch vor allem die Zugangszahlen und die Verweildauer der Asylbewerber derart verändert, dass Anpassungen bei der pauschalen Ausgabenerstattung notwendig werden.

3.1 Entwicklung der Asylbewerberzahlen in Baden-Württemberg

Wie die Abbildung zeigt, ist die Zahl der Asylbewerber seit dem Jahr 2002 um mehr als 80 % gesunken.

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Es ist davon auszugehen, dass bei jährlich rd. 1.600 neuen Asylsuchenden eine gewisse Untergrenze erreicht ist. Vorsichtigerweise rechnet das Innenministerium bei seinen Planungen mit jährlich 2.000 Personen.

3.2 Entwicklung der Verweildauer in der vorläufigen Unterbringung

Die Verweildauer in der vorläufigen Unterbringung beträgt derzeit durchschnittlich 32 Monate. Davon entfallen 18 Monate auf das Asylverfahren; die übrigen 14 Monate betreffen die Zeit nach der bestandskräftigen Ablehnung des Asylantrags.

Während die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren in Baden-Württemberg in den letzten Jahren durchweg bei rd. 20 Monaten lag (rd. 2 Monate davon verbringt ein Asylbewerber in der Landesaufnahmestelle in Karlsruhe), ist die Verweildauer nach Abschluss des Asylverfahrens deutlich angestiegen. Zu Beginn des Jahres 2004 hatte das Innenministerium bei seinen Berechnungen noch einen Zeitraum von fünf Monaten zugrunde gelegt; zurzeit beträgt dieser im Durchschnitt schon 14 Monate.

Die Gründe für die längere Verweildauer liegen zum einen in einer Gesetzesänderung. So kann seit der Novellierung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes im Jahr 2004 das bislang auf maximal 12 Monate nach Abschluss des Asylverfahrens begrenzte Nutzungsverhältnis für die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft nach § 7 Abs. 5 Flüchtlingsaufnahmegesetz ausnahmsweise verlängert werden, wenn die begründete Aussicht besteht, dass der Aufenthalt der betreffenden Person in absehbarer Zeit beendet werden kann. Das gleiche gilt, wenn der Aufenthalt aus Gründen nicht beendet werden kann, welche die vorläufig untergebrachte Person zu vertreten hat (z. B. Nichtmitwirkung bei der Passbeschaffung).

Die längere Verweildauer in Gemeinschaftsunterkünften ist aber auch auf folgenden Umstand zurückzuführen: Den Stadt- und Landkreisen war es bisher nicht möglich, dem Rückgang der Asylbewerberzahlen mit einem entsprechenden Abbau von Unterkünften zu folgen, woraus hohe Leerstände resultieren. Der wegen mangelnder Kapazitäten noch vor Jahren existierende Druck, die vorläufig untergebrachten Personen zügig in die kommunale Anschlussunterbringung zu überführen, fehlt deshalb mittlerweile. Zudem ist die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften in der Regel kostengünstiger als die Anschlussunterbringung.

3.3 Bedarf an Unterbringungskapazitäten

Mit den drastisch gesunkenen Zugangszahlen ist auch der Bedarf an Unterbringungsplätzen für die Asylbewerber deutlich zurückgegangen. Die Tabelle zeigt die Entwicklung der von der Landesaufnahmestelle für die Erstaufnahme und von den Stadt- und Landkreisen für die vorläufige Unterbringung insgesamt vorgehaltenen Plätze, deren Belegung und den Leerstand.

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Bei Zugangszahlen von höchstens 2.000 Personen je Jahr, einer Aufenthaltsdauer von 32 Monaten und unter Berücksichtigung einer Reserve von 10 % ergibt sich ein Bedarf von 6.000 Unterbringungsplätzen, welche von den Stadt- und Landkreisen vorzuhalten sind. Hinzu kommen 500 Plätze in der Erstaufnahme.

Somit sind vom obigen Bestand rd. 5.500 Plätze verzichtbar. Diese Überkapazitäten sollten zügig abgebaut werden.

3.4 Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit der vorläufigen Unterbringung

Bei Zugängen von jährlich 2.000 Personen und einer Verweildauer in vorläufiger Unterbringung von 32 Monaten sind künftig nur noch 5.300 Asylbewerber von den 43 Stadt- und Landkreisen in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Dies bedeutet im Durchschnitt lediglich 120 Personen je Stadt- oder Landkreis. Der Betrieb von Unterkünften lässt sich bei einer solchen kleinteiligen Unterbringungsstruktur auf Dauer aber nicht mehr wirtschaftlich bewerkstelligen. Das hat sich ganz deutlich bei einigen kleineren Stadt- und Landkreisen gezeigt, welche weniger als 100 Personen unterzubringen haben.

Rückschlüsse auf die richtige Größe von Unterbringungseinrichtungen lassen sich hingegen aus den Zahlen der Stadt- und Landkreise ziehen, welche im Erhebungszeitraum noch über vergleichsweise kostengünstige Strukturen verfügten. Hiernach müssten je Stadt- oder Landkreis etwa 400 bis 800 Plätze vorgehalten und diese zu rd. 80 % ausgelastet werden, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu gewährleisten. Dies wurde von mehreren Stadt- und Landkreisen bestätigt.

Das Land sollte deshalb in den Verhandlungen über eine Anpassung der pauschalen Ausgabenerstattung besonders darauf achten, dass kommunale Kooperationen gemäß § 13 a Landesverwaltungsgesetz mit dem Ziel zustande kommen, größere, gemeinsam betriebene Unterbringungseinheiten auf Kreisebene zu schaffen. Der Grundsatz, die dem Land zugewiesenen Asylbewerber auf alle Stadt- und Landkreise zu verteilen, bliebe davon unberührt.

3.5 Ausgaben für die vorläufige Unterbringung

Die Erhebungen für den Zeitraum vom 01.04.2004 bis 31.03.2006 lassen den Schluss zu, dass die damaligen Berechnungen des Innenministeriums zur Ermittlung der Pauschale im Wesentlichen zutreffend waren. Ein Vergleich zwischen Erstattungspauschale und tatsächlichen Ausgaben der Stadt- und Landkreise - bezogen auf den Zeitraum eines Jahres - zeigt, dass je vorläufig untergebrachter Person per saldo Mehrausgaben von durchschnittlich 331 € (6 %) anfielen. Kostenunterdeckungen beruhten im Wesentlichen darauf, dass die Stadt- und Landkreise im Liegenschafts- und Personalbereich noch nicht angemessen auf die rückläufigen Unterbringungszahlen reagiert haben.

Ein ganz anderes Bild in Bezug auf die Auskömmlichkeit der Erstattungsleistungen des Landes ergibt sich freilich, wenn die aktuelle Verweildauer von 32 Monaten in der vorläufigen Unterbringung (davon 18 Monate im Status Asylbewerber) und die bestehenden Überkapazitäten in die Betrachtung einbezogen werden. Dann ergeben sich deutlich höhere Ausgaben der Stadt- und Landkreise, die überschlägig berechnet bis zu 12.500 € je Asylbewerber betragen könnten.

3.6 Einsparmöglichkeiten

In den derzeitigen Ausgaben der Stadt- und Landkreise steckt allerdings erhebliches Einsparpotenzial (Abbau von Leerständen, Anpassung des Verwaltungs- und Betreuungspersonals an die gesunkenen Asylbewerberzahlen, Einnahmeoptimierung, Optimierung der Unterbringungsstrukturen usw.). Es ist dem Land nicht zuzumuten, dass es unwirtschaftliche Strukturen der Stadt- und Landkreise, die alle in den Durchschnittsbetrag mit eingeflossen sind, finanziell abgilt. Maßgeblich für den als „entstanden“ abzugeltenden Aufwand können deshalb nur diejenigen Ausgaben sein, die für die Aufgabenerfüllung bei pauschalierender und typisierender Betrachtungsweise unter dem Blickwinkel der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit objektiv erforderlich sind.

Abhängig vom jeweiligen Grad der Ausschöpfung der Einsparpotenziale wären nach verschiedenen Modellberechnungen der Finanzkontrolle Pauschalen von maximal 10.800 € und günstigstenfalls von 10.000 € je zugewiesener Person ausreichend, um die derzeitigen Ausgaben der Stadt- und Landkreise zu decken. Die Pauschale je Asylbewerber fiele allerdings noch geringer aus, wenn für deren Berechnung beispielsweise die gesetzliche Regelverweildauer gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz in Höhe von 12 Monaten zugrunde gelegt wird.

4 Stellungnahme des Ministeriums

Das Innenministerium hat gegen die Darstellung der Finanzkontrolle keine Einwendungen.

5 Schlussbemerkung und Resümee

Das Land sollte die Verhandlungen über die Höhe der künftigen Ausgabenerstattung an die Stadt- und Landkreise nutzen, um auf die Ausschöpfung möglichst hoher Einsparpotenziale bei der vorläufigen Unterbringung von Asylbewerbern hinzuwirken. Die Möglichkeit für die Stadt- und Landkreise, diese Aufgabe auch gemeinsam zu erfüllen, sollte dabei besonders betont werden.