Die von der Leitstelle für Arzneimittelüberwachung erhobenen Gebühren sind nicht kostendeckend. Durch eine zutreffende Gebührenfestsetzung und organisatorische Maßnahmen könnten Mehreinnahmen von jährlich mehreren Hunderttausend Euro erzielt werden.
Bei Auslandsdienstreisen der Mitarbeiter sollte einer latenten Korruptionsgefahr durch geeignete Maßnahmen vorgebeugt werden.
1 Ausgangslage
Das Staatliche Rechnungsprüfungsamt Tübingen prüfte die Gebühreneinnahmen der Leitstelle Arzneimittelüberwachung Baden-Württemberg (Leitstelle) beim Regierungspräsidium Tübingen. Untersucht wurde auch, inwieweit die Beschlüsse des Ministerrats aus dem Jahr 2000 zur Einrichtung einer landesweit zuständigen Leitstelle beim Regierungspräsidium Tübingen umgesetzt wurden.
2 Errichtung der Leitstelle und Umsetzung der Ministerratsbeschlüsse
2.1 Errichtung der Leitstelle
Für Baden-Württemberg ist die pharmazeutische Industrie ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. In rd. 400 Unternehmen, die zusammen einen Jahresumsatz von mehr als 8 Mrd. € erzielen, sind rd. 35.000 Mitarbeiter beschäftigt. Mit einem Exportvolumen von 3,4 Mrd. € steht die pharmazeutische Industrie in Baden-Württemberg bundesweit an der Spitze.
Die Unbedenklichkeit der Herstellung von Arzneimitteln muss staatlich testiert werden, damit die Pharmaunternehmen ihre Produkte herstellen dürfen. Ende der Neunzigerjahre waren für diese sogenannte Herstellerüberwachung noch alle vier Regierungspräsidien des Landes zuständig.
Veränderte Rahmenbedingungen, wie
- erhöhte Anforderungen an die Sicherheit von Arzneimitteln, Medizinprodukten, Blut und Blutprodukten,
- zunehmende europäische und internationale Unternehmensverflechtungen sowie
- die Umsetzung neuer Gesetze (wie z. B. die Novellierung des Arzneimittelgesetzes und des Medizinproduktegesetzes) und die Intensivierung der Überwachungsaufgaben,
machten es jedoch notwendig, die Überwachungsstrukturen neu zu ordnen.
Auf der Basis einer entsprechenden Kabinettsvorlage des Ministeriums für Arbeit und Soziales beschloss der Ministerrat am 18.01.2000 die Neuordnung der Arzneimittelüberwachung. Hierzu sollten u. a.
- die bisherigen Stellen des höheren Dienstes für die Herstellerüberwachung der vier Regierungspräsidien bei der neu geschaffenen Leitstelle beim Regierungspräsidium Tübingen zusammengeführt,
- drei neue Stellen des höheren Dienstes zur Intensivierung der Überwachungsaufgaben gegen Stellenwegfall an anderer Stelle geschaffen sowie
- drei Stellen des gehobenen Dienstes - zunächst ohne Stellenübertragung - der Leitstelle beim Regierungspräsidium Tübingen unterstellt
werden.
2.2 Umsetzung der Ministerratsbeschlüsse und Auswirkung auf die Aufgabenerledigung
Die vom Ministerrat beschlossenen Personalmaßnahmen sind nur für den höheren Dienst umgesetzt worden. Im gehobenen Dienst verfügt die Leitstelle beim Regierungspräsidium Tübingen hingegen nach wie vor nur über eine Personalstelle zur Erledigung der Verwaltungsaufgaben. Das bisherige Verwaltungspersonal bei den übrigen Regierungspräsidien ist mittlerweile mit anderen Aufgaben befasst.
Die Leitstelle und das Ministerium für Arbeit und Soziales haben wiederholt angeregt, auch die Stellen des gehobenen Dienstes auf das Regierungspräsidium Tübingen zu übertragen, was von den übrigen Regierungspräsidien abgelehnt wurde. Zwar verständigten sich das Innenministerium und das Ministerium für Arbeit und Soziales darauf, Personalengpässe im Verwaltungsbereich der Leitstelle durch Aufgabenverlagerung auf die übrigen Regierungspräsidien zu überbrücken. Die Leitstelle hat jedoch bislang auf einen solchen Abruf von Arbeitskapazitäten verzichtet, weil eine dezentrale Erledigung der fraglichen Tätigkeiten weder praktikabel noch wirtschaftlich sei.
Die zuvor dezentral von Bediensteten des gehobenen Dienstes erledigten Verwaltungsaufgaben müssen deshalb auch von den Arzneimittelinspekteuren des höheren Dienstes wahrgenommen werden. Hierzu gehören beispielsweise die Ausfertigung von weit über tausend Erlaubnissen und Zertifikaten oder die Ermittlung der Grundlagen für die Gebührenerhebung. Die Belastung der Arzneimittelinspekteure durch Verwaltungsaufgaben hat u. a. zur Folge, dass der gesetzlich vorgegebene zweijährige Prüfungsturnus für Regelinspektionen nicht mehr eingehalten werden kann.
3 Feststellungen zu den Gebühreneinnahmen
Die Leitstelle erhebt für Inspektionen bei Unternehmen im In- und Ausland, für die Erteilung von Zertifikaten und Erlaubnissen sowie für allgemeine Überwachungsaufgaben Gebühren nach dem Landesgebührengesetz. Die einzelnen Gebührentatbestände sind in der Gebührenverordnung des Ministeriums für Arbeit und Soziales geregelt.
3.1 Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit der Gebührenerhebung
Die Gebühren wurden häufig mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen festgesetzt; Zinsausfälle waren die Folge. Nach Feststellung der jeweiligen Tatbestände vergingen bis zum Erlass von Gebührenbescheiden im Durchschnitt 98 Tage. Außerdem waren sieben Fälle des Jahres 2005 nicht abgerechnet worden. Ohne entsprechende Hinweise des Staatlichen Rechnungsprüfungsamts Tübingen hätte das Land rd. 20.000 € weniger eingenommen.
Für solche Gebührenausfälle und Zinsverluste sind vor allem fehlende Kontrollmechanismen und eine unzureichende Standardisierung von Arbeitsabläufen verantwortlich. Wäre der Verlagerung der Arzneimittelüberwachung auf das Regierungspräsidium Tübingen auch das entsprechende Verwaltungspersonal der übrigen Regierungspräsidien gefolgt, hätten die Festsetzungsverfahren beschleunigt werden können. Dann verbliebe den Arzneimittelinspekteuren die erforderliche Zeit für ihre Kernaufgaben mit der Folge, dass zusätzliche Gebühreneinnahmen auch ohne neue Stellen des höheren Dienstes erzielt werden könnten.
3.2 Kostendeckungsgrad
Für die Bemessung der Gebühren gelten die Grundsätze des § 7 Landesgebührengesetz. Die Leitstelle hat jedoch das darin festgelegte Kostendeckungsgebot nicht ausreichend berücksichtigt. In der Tabelle sind die Gebühreneinnahmen der Leitstelle dem Personalaufwand der Arzneimittelinspekteure, einschließlich der Gemeinkostenzuschläge für Raum- und Sachkosten , gegenübergestellt. Der Aufwand für gebührenpflichtige Tätigkeiten wurde anhand der Angaben und Aufzeichnungen der Leitstelle hochgerechnet. Hiernach ergibt sich ein Kostendeckungsgrad von 56 %.

Gegenüber dem gebührenpflichtigen Personalaufwand weisen die Ist-Einnahmen eine Unterdeckung von mehr als 400.000 € aus. Die wichtigsten Gründe dafür sind:
- Der Gebührenrahmen wird selten ausgeschöpft. Einige der von der Leitstelle erhobenen Pauschalgebühren liegen in der unteren Hälfte des gesetzlichen Gebührenrahmens.
- Ein seit 2002 speziell für Regelinspektionen angewendetes Gebührenmodell führte in den Jahren 2004 und 2005 zu Mindereinnahmen von 55.000 €.
- Für bestimmte Arbeiten fehlt der Ansatz des personellen Zeitaufwands oder er ist unzureichend bemessen, und zwar
- für die Nachbereitung von Inspektionen im Umfang von 50.000 €,
- für besondere Qualifizierungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Prüfungsberechtigung der Arzneimittelinspekteure im Umfang von 110.000 € und
- für die Gebührenberechnung und -festsetzung durch Mitarbeiter der Verwaltung im Umfang von 41.000 €.
Die Leitstelle hat teilweise bereits auf die Prüfungsergebnisse der Finanzkontrolle reagiert und das Gebührenmodell in Abstimmung mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales überarbeitet.
Die neuen Gebührensätze müssen jedoch noch auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der Kostenstrukturen mit Blick auf entsprechende Deckung der Personal- und Sachkosten überprüft werden. Das gesamte Gebührenaufkommen muss auf die Deckung des Gesamtaufwands des betreffenden Leistungszweigs ausgerichtet und beschränkt sein.
3.3 Kostenrechnung und Personalbedarf
Die derzeitige Kostenrechnung der Leitstelle lässt keine Aussage über den Aufwand für die einzelnen Tätigkeitsfelder der Arzneimittelinspekteure zu, weil nur ein Globalprodukt „Leitstelle“ bebucht wird. Die erhobenen Gebühren beruhen teilweise auf Zeitschätzungen für den tätigkeitsbezogenen Aufwand. Der Leitstelle fehlen damit steuerungsrelevante Informationen und Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung des zur Aufgabenerledigung notwendigen Personals.
Dem Regierungspräsidium Tübingen wird deshalb empfohlen, in der Kostenrechnung für die Leitstelle unterschiedliche Produkte - entsprechend den einzelnen Aufgaben der Arzneimittelinspekteure - zu bilden und mit den angefallenen Personal- und Sachkosten zu bebuchen. Die Ermittlung dieser Datenbasis setzt allerdings eine Überprüfung der derzeitigen Arbeitsabläufe unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten voraus, damit nur der notwendige Aufwand in die Gebührenfestsetzung einfließt.
Die durch umgeschichtetes Verwaltungspersonal sowie optimierte Strukturen und Abläufe frei werdenden Prüferkapazitäten sind zu ermitteln. Erst dann kann über das von der Leitstelle und vom Ministerium für Arbeit und Soziales geforderte zusätzliche Prüferpersonal entschieden werden.
4 Korruptionsverhütung
Die Arzneimittelinspekteure führen jährlich auf Antrag der Pharmaunternehmen Inspektionen bei Herstellern im Ausland durch, beispielsweise in Südostasien oder Amerika. Bisher haben die Pharmaunternehmen die komplette Abwicklung der hierzu erforderlichen Auslandsdienstreisen der Landesbediensteten übernommen und die Kosten unmittelbar getragen. Ein Nachweis des Reiseverlaufs, der Beförderungsmittel, der Unterbringungs- und der Verpflegungskosten wurde gegenüber dem Regierungspräsidium nicht erbracht.
Da die Kosten der Reise vom Auftraggeber zu tragen sind, mag eine solche Vorgehensweise zwar unbürokratisch erscheinen, sie kann jedoch so nicht fortgesetzt werden.
Für die Pharmaunternehmen wie auch für die ausländischen Hersteller ist das Testat über die Unbedenklichkeit der Produktionsstätten und -verfahren zur Herstellung von Arzneimitteln existenziell. Diese Konstellation gibt Anlass, der Gefahr unzulässiger Vorteilsgewährung zu begegnen. Schon der Anschein einer unzulässigen Vorteilsgewährung ist zu vermeiden.
Auch wenn sich das Regierungspräsidium bei Auslandsdienstreisen der Arzneimittelinspekteure von dem Auftraggeber, der die örtlichen Verhältnisse in der Regel besser kennt, unterstützen lässt, muss das Regierungspräsidium diese Aufgaben eigenverantwortlich wahrnehmen. Zur Vermeidung von Verstößen gegen gesetzliche Regelungen sollte das Regierungspräsidium die Dienstreisen genehmigen, die Reisekosten festsetzen und die Auszahlung über den Landeshaushalt anordnen. Dementsprechend sind die Auslagen für die Dienstreise im Gebührenbescheid auszuweisen und beim Auftraggeber zu erheben.
Außerdem empfiehlt die Finanzkontrolle, die Rotation der Arzneimittelinspekteure, ähnlich der Vorgehensweise bei Jahresabschlussprüfungen von landesbeteiligten Unternehmen, zu erwägen.
5 Gemeinsame Stellungnahme des Innenministeriums und des Ministeriums für Arbeit und Soziales
Das Innenministerium wendet sich gegen eine Übertragung von Stellen des gehobenen Dienstes auf das Regierungspräsidium Tübingen und verweist auf Personalkapazitäten im Umfang von 1,2 Vollzeitäquivalenten, welche bei den übrigen Regierungspräsidien dezentral für Verwaltungsaufgaben der Arzneimittelüberwachung zur Verfügung stünden. Nach Auffassung beider Ministerien ist es nicht gerechtfertigt, in die Gebührenrechnung sämtliche Aufwendungen der Leitstelle einfließen zu lassen, weil deren Aufgaben und Ziele auch dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung dienten. Dennoch müsse ein höherer Kostendeckungsgrad erreicht werden. Das Ministerium für Arbeit und Soziales will zudem eine Gebührenanpassung zur besseren personellen Ausstattung der Leitstelle nutzen.
6 Schlussbemerkung
Die Finanzkontrolle bleibt bei ihrer Auffassung. Sie betont noch einmal, dass einer Personalverstärkung bei den Arzneimittelinspekteuren die Optimierung der bisherigen Strukturen vorausgehen muss.
Die Stellungnahme der beiden Ministerien zur Korruptionsverhütung ist sehr unverbindlich: Die Finanzkontrolle sieht hier Handlungsbedarf.
Der Brisanz des Themas wird nach Auffassung der Finanzkontrolle möglicherweise nur unzureichend Rechnung getragen. Das Regierungspräsidium Tübingen sollte das Verfahren eigenverantwortlich steuern und deshalb die Vorschläge der Finanzkontrolle umsetzen.