Grundlagenbescheide bei der Besteuerung natürlicher Personen [Beitrag Nr. 17]

Durch die fehlerhafte Auswertung von Grundlagenbescheiden entstehen jährlich Steuerausfälle in Millionenhöhe. Die in Grundlagenbescheiden festgestellten Einkünfte sollten den zuständigen Finanzämtern elektronisch übermittelt und dort maschinell ausgewertet werden. Bis eine entsprechende DV-Unterstützung zur Verfügung steht, ist das bestehende Verfahren zu optimieren.

1 Vorbemerkung

Die Auswertung von Grundlagenbescheiden ist in der Steuerverwaltung ein Massenverfahren, bei dem die StRPÄ in den letzten Jahren regelmäßig erhebliche Bearbeitungsmängel feststellten. Vor diesem Hintergrund hat die Finanzkontrolle die Thematik bei der Besteuerung natürlicher Personen nunmehr landesweit untersucht.

2 Ausgangslage

2.1 Rechtslage und Begriffsbestimmungen

Besteuerungsgrundlagen werden in bestimmten Fällen außerhalb der Einkommensteuerveranlagung ermittelt und durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt. Das betrifft insbesondere Einkünfte, an denen mehrere Personen beteiligt sind. Gesonderte Feststellungen sind daher regelmäßig für die Einkünfte von Personengesellschaften und Grundstücksgemeinschaften durchzuführen. Das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt (sog. Betriebsfinanzamt) entscheidet dabei durch Feststellungsbescheid über die Höhe der Besteuerungsgrundlagen und über deren Verteilung auf die Beteiligten. Über diese Entscheidungen wird das für die Besteuerung der Beteiligten zuständige Finanzamt, nachfolgend als Wohnsitzfinanzamt bezeichnet, durch Mitteilungen in Papierform - sog. ESt4B-Mitteilungen - unterrichtet.

Feststellungsbescheide sind Grundlagenbescheide für die Einkommensteuerbescheide der Gesellschafter. Sie sind rechtlich bindend, d. h., die Wohnsitzfinanzämter haben die festgestellten und in den ESt4B-Mitteilungen ausgewiesenen Besteuerungsgrundlagen ohne rechtliche Prüfung in die Einkommensteuerbescheide zu übernehmen. Um die Übernahme zu beschleunigen, sind die Wohnsitzfinanzämter angewiesen, eingehende ESt4B-Mitteilungen zeitnah auszuwerten. Die abweichenden Zuständigkeiten machen regelmäßig eine Abstimmung der Wohnsitzfinanzämter mit den Betriebsfinanzämtern erforderlich. Das entsprechende Verfahren wurde durch einen Erlass bundesweit einheitlich geregelt. Hiernach hat das Wohnsitzfinanzamt die Besteuerungsgrundlagen beim Betriebsfinanzamt unverzüglich zu erfragen, wenn beispielsweise in einer Steuererklärung negative Beteiligungseinkünfte geltend gemacht werden und insoweit noch keine ESt4B-Mitteilung vorliegt. Das Betriebsfinanzamt hat solche Anfragen umgehend zu beantworten.

2.2 Bedeutung der gesondert festgestellten Einkünfte

Den gesondert festgestellten Einkünften kommt eine erhebliche Bedeutung zu. So waren beispielsweise im Veranlagungszeitraum 2002 landesweit bei 175.000 Einkommensteuerfällen Beteiligungseinkünfte aus Gewerbebetrieb und bei 236.000 Fällen Beteiligungseinkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen. Da gerade in bedeutenderen Steuerfällen nicht selten mehr als zehn Beteiligungen vorkommen und für jede Beteiligung mindestens eine ESt4B-Mitteilung je Veranlagungszeitraum ergeht, dürfte die Zahl der jährlich von den Finanzämtern auszuwertenden Mitteilungen landesweit im Millionenbereich liegen. Die Übersicht 1 zeigt für die untersuchten Einkunftsarten die Entwicklung der Zahl der Fälle und die Höhe der bisher berücksichtigten (saldierten) Einkünfte ab dem Veranlagungszeitraum 1999.

2006-B017-Üb1.jpg

3 Prüfungsablauf, Prüfungsumfang

Die Untersuchung wurde vom RH gemeinsam mit den vier StRPÄ durchgeführt. Um repräsentative Ergebnisse zu erhalten, wurden insgesamt elf Finanzämter in die Erhebungen einbezogen. Geprüft wurden die Steuerakten von 702 natürlichen Personen. Die Prüfung erstreckte sich hierbei auf 2.246 Steuerbescheide. Neben der materiell-rechtlichen Fallprüfung wurden auch die jeweiligen Arbeitsabläufe analysiert sowie eine Mitarbeiterbefragung in den geprüften Finanzämtern durchgeführt.

4 Materiell-rechtliche Prüfungsfeststellungen

4.1 Gesamtergebnis

Die Prüfung von 702 Steuerfällen mit Beteiligungseinkünften führte zu insgesamt 138 Beanstandungen und damit zu einer Fehlerquote von 19,7 %. Bezogen auf die untersuchten 2.246 Steuerbescheide ergaben sich 203 Beanstandungen. Dies entspricht einer Quote von 9 %.

Das finanzielle Ergebnis der Untersuchung beläuft sich bei wirtschaftlicher Betrachtung, d. h. im Saldo von Mehr- und Mindersteuern, auf knapp 600.000 €. Unter den Aspekten der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung der Steuerbürger ergibt sich in der Summe dieser Beträge ein Fehlervolumen von rd. 900.000 €. Je geprüfter Steuerakte beträgt das durchschnittliche Fehlervolumen 1.313 €; bezogen auf die Zahl der geprüften Steuerbescheide ergibt sich ein Durchschnittswert von 411 €.

4.2 Ergebnis nach Einkunftsarten

Lagen Mitteilungen über Einkünfte aus Gewerbebetrieb vor, waren 7,6 % der untersuchten Steuerbescheide zu beanstanden, während bei Mitteilungen über Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung lediglich 4,7 % der Steuerbescheide fehlerhaft waren. Hinsichtlich des Fehlervolumens sind die Unterschiede noch deutlicher: Vom gesamten Volumen entfallen rd. 800.000 € auf die Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Bezogen auf die Zahl der geprüften Steuerbescheide je Einkunftsart entspricht das durchschnittliche Fehlervolumen bei gewerblichen Einkünften etwa dem Sechsfachen des Werts, der sich bei Vermietungseinkünften ergibt.

In den untersuchten Fällen wurde auch erhoben, an wie vielen Gesellschaften die Steuerbürger jeweils beteiligt waren. Dabei wurde festgestellt, dass bei beiden Einkunftsarten die Beanstandungsquote mit steigender Zahl der Beteiligungen deutlich zunahm. Die höchste Quote von 17 % wurde erreicht, wenn den Steuerbescheiden gewerbliche Einkünfte oder Vermietungseinkünfte aus mehr als zehn Beteiligungen zugrunde lagen. Das Ergebnis überrascht nicht. Es belegt, dass mit steigender Zahl der Beteiligungen die Steuerfälle immer komplexer werden und dadurch unabhängig von der Einkunftsart das Fehlerrisiko deutlich zunimmt.

4.3 Fehlerquellen

Die Übersicht 2 weist die festgestellten Fehlerquellen aus.

2006-B017-Üb2.jpg

Die Hälfte der Beanstandungen ist demnach darauf zurückzuführen, dass ESt4B-Mitteilungen unzutreffend ausgewertet wurden. Innerhalb dieser Kategorie entfallen knapp zwei Drittel der Fehler auf die Einkünfte aus Gewerbebetrieb, wobei dort der Ansatz von Einkünften vor (statt nach) Anwendung der Verlustabzugsbeschränkung gemäß § 15a Einkommensteuergesetz (EStG) den Beanstandungsschwerpunkt bildet. Diese gesetzliche Regelung verbietet in bestimmten Fällen die steuerliche Berücksichtigung handelsrechtlicher Verluste. Steuerlich relevant ist deshalb allein der mitgeteilte Wert „nach Anwendung des § 15a EStG“. Gleichwohl enthalten die Mitteilungen zumeist die Werte vor und nach § 15a EStG, was häufig zu Verwechslungen führt. Neben zahlreichen Rechenfehlern sowie dem doppelten Ansatz von Verlusten sind, insbesondere bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, vielfach Mitteilungen falsch ausgewertet worden, ohne dass sich eine konkrete Fehlerursache aus den Akten ergeben hat.

ESt4B-Mitteilungen enthalten gerade im gewerblichen Bereich neben den zuzurechnenden Einkünften zumeist noch weitere Besteuerungsgrundlagen, die bei der Einkommensteuerveranlagung zu berücksichtigen sind. Übersicht 2 verdeutlicht, dass die Finanzämter diese Angaben - z. B. anrechenbare Steuern - des Öfteren nicht übernahmen und die Mitteilungen daher unvollständig auswerteten.

Weitere Beanstandungsschwerpunkte waren die nicht zeitnahe Auswertung von Mitteilungen sowie das Verhalten der Wohnsitzfinanzämter bei fehlenden Mitteilungen. Die Prüfungsfeststellungen zu fehlenden Mitteilungen betrafen zum einen Fälle, bei denen hohe Verluste - z. T. über mehrere Jahre hinweg - ohne entsprechende Mitteilungen und ohne die gebotenen Rückfragen beim Betriebsfinanzamt anerkannt wurden. Aufgegriffen wurden daneben Fälle, bei denen die von der Finanzkontrolle veranlassten Ermittlungen ergaben, dass ausgefertigte Mitteilungen die Wohnsitzfinanzämter nach Aktenlage nicht erreicht hatten.

5 Organisatorische Prüfungsfeststellungen

5.1 DV-Unterstützung und Arbeitsmittel

Für den Informationsaustausch zwischen Betriebs- und Wohnsitzfinanzämtern besteht derzeit keine DV-Unterstützung. Die Betriebsfinanzämter stellen die Besteuerungsgrundlagen zwar regelmäßig mittels DV fest, d. h., das Ergebnis der dortigen Rechtsentscheidung ist in einem DV-Verfahren gespeichert. Zur datenmäßigen Umsetzung in die Einkommensteuerbescheide werden die Besteuerungsgrundlagen den Wohnsitzfinanzämtern jedoch als ESt4B-Mitteilung in Papierform übersandt. Die Wohnsitzfinanzämter wiederum geben die ausgedruckten Daten dann in ein anderes DV-Verfahren ein. Damit liegt ein klassischer Medienbruch vor. Dieser bewirkt, dass - von einer zeitnahen und zutreffenden Auswertung abgesehen - nicht einmal der Zugang der ESt4B-Mitteilungen beim zuständigen Wohnsitzfinanzamt gewährleistet werden kann. Hierzu eine Feststellung aus der Aktenprüfung:

Beispiel 1

Steuerbürger A war an einer Gesellschaft beteiligt, bei der im Jahr 2003 eine Betriebsprüfung für die Jahre 1996 bis 2000 durchgeführt wurde. ESt4B-Mitteilungen über geänderte Besteuerungsgrundlagen befanden sich nicht in den Einkommensteuerakten, obwohl sie von dem für die Gesellschaft zuständigen Arbeitsgebiet ausgefertigt worden waren. Der Verbleib der Mitteilungen konnte nicht festgestellt werden. Die Finanzkontrolle regte daher an, erneut entsprechende Mitteilungen zu versenden. Deren Auswertung führte zu Mehrsteuern von rd. 130.000 €.

Zur Ermittlung der Einkünfte bei mehreren Beteiligungen stehen im Textverarbeitungssystem der Finanzämter entsprechende Vorlagen zur Verfügung. Diese haben nach Auffassung des RH jedoch den Nachteil, dass eingetragene Einzelwerte nicht automatisch zusammengerechnet und in Summenspalten ausgewiesen werden. Durch eine solche Funktionalität ließen sich - bei konsequenter Nutzung der Vorlagen - Rechenfehler vermeiden, die mehrfach Ursache von Prüfungsfeststellungen waren. Einen weiteren Schwachpunkt sieht der RH darin, dass erstellte Übersichten nicht zentral gespeichert werden können und somit regelmäßig nur dem Verfasser der jeweiligen Übersicht und nicht jedem auf den Steuerfall Zugriffsberechtigten zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung stehen. Dadurch wird beispielsweise bei einem Bearbeiterwechsel regelmäßig nicht auf die Vorarbeit des letzten Bearbeiters zurückgegriffen. Vermeidbare Mehrarbeit ist die Folge.

5.2 Aufbau und Inhalt der ESt4B-Mitteilungen

Im Rahmen der örtlichen Erhebungen wurde festgestellt, dass Aufbau und Inhalt der ESt4B-Mitteilungen sehr unterschiedlich sind, was deren Auswertung nicht unerheblich erschwert. Daneben enthalten die Mitteilungen vielfach Angaben, die nach Auffassung des RH für die Einkommensteuerveranlagungen der Gesellschafter von keinerlei Bedeutung sind und stattdessen lediglich das Fehlerrisiko bei der Auswertung der Mitteilungen erhöhen. So beruhen viele Fehler bei der Auswertung von Mitteilungen im gewerblichen Bereich darauf, dass statt der Einkünfte nach Anwendung des § 15a EStG die in der Mitteilung überflüssigerweise enthaltenen Einkünfte vor Anwendung des § 15a EStG angesetzt werden (s. Pkt. 4.3). Diese Fehlerquelle entfiele, wenn die für die Veranlagung irrelevanten Werte nicht mehr in den Mitteilungen ausgewiesen würden.

Waren demnach die ESt4B-Mitteilungen einerseits mit unnötigen Angaben überfrachtet, so fehlten andererseits oftmals wichtige Zusatzinformationen. Beispielsweise werden bei Mitteilungen über geänderte Besteuerungsgrundlagen neben den neuen Werten weder die bisherigen Ansätze mitgeteilt noch wird in irgendeiner Weise kenntlich gemacht, ob sich bedeutende Abweichungen gegenüber den bisher festgestellten Werten ergeben. Die Veranlagungsstellen sind deshalb nicht in der Lage, allein aufgrund der Mitteilung zu entscheiden, ob die potenzielle steuerliche Auswirkung eine sofortige Auswertung erfordert. Des Weiteren fehlen in Fällen, bei denen sich der Firmenname oder das zuständige Finanzamt geändert hat, nicht selten die bisherigen Angaben. Dies führt bisweilen zu einer Doppelberücksichtigung von Besteuerungsgrundlagen.

5.3 Arbeitsabläufe bei den Veranlagungsstellen

Hat der Steuerbürger nur eine oder wenige Beteiligungen, werden neu eingehende Mitteilungen in der Regel sofort ausgewertet. Ist er hingegen an vielen Gesellschaften beteiligt, werden die Mitteilungen - unabhängig vom betroffenen Veranlagungszeitraum - regelmäßig in der Steuerakte gesammelt und erst bei der nächsten durchzuführenden Jahresveranlagung ausgewertet. Eine solche Organisation der Arbeitsabläufe bewirkt, dass sämtliche für die Bearbeitung von Steuererklärungen zuständigen Bediensteten sich im Rahmen der jeweils aktuellen Veranlagungen auch mit der Auswertung von Mitteilungen für zurückliegende Jahre befassen. Zentrale Zuständigkeiten haben sich selbst innerhalb größerer Arbeitseinheiten (sog. Großbezirke) bisher kaum gebildet.

Werden in einer Steuererklärung negative Beteiligungseinkünfte geltend gemacht und liegt insoweit noch keine ESt4B-Mitteilung vor, hat das Wohnsitzfinanzamt im Rahmen der Veranlagungsarbeiten die Besteuerungsgrundlagen beim Betriebsfinanzamt zu erfragen. Solche Anfragen wurden von den untersuchten Ämtern jedoch nur vereinzelt vorgenommen. Stattdessen wurden die Beträge regelmäßig, ohne Rücksprache mit den Betriebsfinanzämtern, wie vom Steuerbürger erklärt, bei der Veranlagung berücksichtigt. Zudem fand eine Überwachung des Eingangs der fehlenden Mitteilungen in diesen Fällen meist nicht statt. Die Arbeitsweise der Veranlagungsstellen führte im Ergebnis dazu, dass selbst in solchen Fällen Anfragen unterblieben, bei denen ohne Vorliegen einer entsprechenden Mitteilung hohe Beteiligungsverluste erstmalig oder bereits über mehrere Jahre hinweg geltend gemacht wurden. Beispiel 2 zeigt das Risiko einer solchen Arbeitsweise auf.

Beispiel 2

Bei der Einkommensteuerveranlagung 2002 wurden u. a. erklärte gewerbliche Verluste aus der Beteiligung an einer GmbH & Co. KG in Höhe von 51.100 € berücksichtigt. Diese Verluste gingen aus einem Schreiben des Steuerberaters der Gesellschaft hervor. Weder lag eine ESt4B-Mitteilung vor, noch wurden die Einkünfte beim Betriebsfinanzamt erfragt. Eine von der Finanzkontrolle veranlasste Anfrage ergab, dass der Steuerbürger an der Gesellschaft nicht beteiligt war. Der Aufgriff führte zu Mehrsteuern von 18.400 €.

Im Rahmen der Erhebungen wurde erörtert, warum von Anfragen nach Besteuerungsgrundlagen in der Regel abgesehen wird. Nach den Erkenntnissen des RH war hierfür neben der hohen Arbeitsbelastung der Bediensteten auch die Haltung mancher Betriebsfinanzämter verantwortlich, die bei Publikumsgesellschaften entsprechende Anfragen grundsätzlich nicht beantworten.

Die Aktenprüfung ergab, dass auch bei umfangreichen Steuerfällen mit vielen Beteiligungen die DV-Vorlagen für Beteiligungsübersichten nur selten verwendet wurden. Der RH führt dies zumindest teilweise auf die unter Pkt. 5.1 dargestellten Defizite der Vorlagen zurück. Des Öfteren waren jedoch überhaupt keine ordentlich geführten - d. h. auch keine manuell gefertigten - Übersichten vorhanden, aus denen die Zusammensetzung der im aktuellen Einkommensteuerbescheid berücksichtigten Werte eindeutig hervorging. Dadurch wird der Zeitaufwand für die Auswertung weiterer Mitteilungen immer größer, gleichzeitig nimmt das Fehlerrisiko erheblich zu.

6 Bewertung und Empfehlungen

Die Auswertung von ESt4B-Mitteilungen ist nichts anderes, als die datenmäßige Umsetzung einer vom Betriebsfinanzamt getroffenen Rechtsentscheidung, im Grundsatz also eine reine Routineangelegenheit. Vor diesem Hintergrund hält der RH die festgestellte Fehlerquote für zu hoch. Angesichts der hohen Fallzahlen (s. Pkt. 2.2) und der finanziellen Ergebnisse der Querschnittsuntersuchung ist allein in Baden-Württemberg von jährlichen Steuerausfällen in Millionenhöhe auszugehen. Das ist nicht hinnehmbar.

6.1 Beseitigung des Medienbruchs zwischen Grundlagen- und Folgebescheid

Die entscheidende Verbesserung brächte die Beseitigung des Medienbruchs zwischen Grundlagen- und Folgebescheid. Für den Informationsaustausch zwischen Betriebs- und Wohnsitzfinanzämtern besteht noch immer keine DV-Unterstützung, obwohl der Bundesrechnungshof bereits im Jahr 2001 eine solche gefordert hatte. Das Bundesministerium der Finanzen teilte damals dazu mit, dass ein automatisiertes Verfahren „derzeit“ nicht realisierbar erscheine, da in den Ländern erhebliche organisatorische und technische Unterschiede bestünden. Trotz dieser Unterschiede ist es der Verwaltung inzwischen jedoch z. B. gelungen, die elektronische Lohnsteuerbescheinigung und damit eine Übermittlung von Besteuerungsgrundlagen durch (private) Arbeitgeber an die Finanzverwaltung bundesweit einzuführen. Es erschließt sich dem RH daher nicht, warum ein entsprechendes Verfahren zum verwaltungsinternen Informationsaustausch nicht durchführbar sein soll.

Das Ziel, den Medienbruch zwischen Grundlagen- und Folgebescheid zu beseitigen und die festgestellten Besteuerungsgrundlagen automationsgestützt zu übermitteln und auszuwerten, muss nach Auffassung des RH dringend weiterverfolgt werden. In Anbetracht der Rahmenbedingungen (u. a. der zunehmenden Arbeitsbelastung der Veranlagungsstellen) kann allein auf diese Weise eine fehlerfreie Übernahme der Rechtsentscheidungen der Betriebsfinanzämter durch die Wohnsitzfinanzämter gewährleistet werden. Der RH regt daher an, die Thematik auf Bundesebene erneut aufzugreifen und mit Nachdruck zu verfolgen. Sollte sich mittelfristig keine bundesweite Lösung abzeichnen, sollte die erforderliche DV-Unterstützung innerhalb der Grenzen Baden-Württembergs realisiert werden.

6.2 Optimierung des bestehenden Verfahrens

Bis zu einer Beseitigung des Medienbruchs hält der RH eine Optimierung der bestehenden Verfahrensabläufe und der DV-Unterstützung für geboten. Die nachfolgenden Vorschläge sollten kurzfristig umgesetzt werden.

6.2.1 Verbesserung und konsequente Nutzung der DV-Vorlagen

Die derzeit zur Verfügung stehenden Vorlagen für die Beteiligungsübersicht und für die Anlage zum Steuerbescheid weisen die für die Veranlagung maßgeblichen Werte nicht in Summenspalten aus (s. Pkt. 5.1). Zur Vermeidung von Rechenfehlern empfiehlt der RH, eine entsprechende Funktionalität zu integrieren. Des Weiteren sollte die Möglichkeit geschaffen werden, die Übersichten künftig - verknüpft mit Steuernummer und Veranlagungszeitraum - zentral zu speichern. Dadurch wäre es jedem zugriffsberechtigten Bearbeiter möglich, die Übersichten aufzurufen und im Falle von Änderungen fortzuschreiben. Im Übrigen könnten solche Übersichten automatisch als Anlagen zu den Steuerbescheiden ausgefertigt und versandt werden. Die Umsetzung der Optimierungsvorschläge dürfte zu einer erhöhten Akzeptanz der DV-Vorlagen bei den Bearbeitern führen. Ergänzend sollte im Rahmen der Fachaufsicht auf eine konsequente Nutzung der Arbeitsmittel geachtet werden.

6.2.2 Optimierung von Aufbau und Inhalt der ESt4B-Mitteilungen

Um die Auswertung der ESt4B-Mitteilungen zu erleichtern und das Fehlerrisiko zu minimieren, regt der RH an, die Mitteilungen von überflüssigen - nicht selten irritierenden - Angaben zu entfrachten und künftig nur noch die bei der Einkommensteuerveranlagung zu berücksichtigenden Werte aufzuführen. Ergänzt werden sollten die Mitteilungen hingegen um wertvolle Zusatzinformationen, wie die bisherige Steuernummer oder den bisherigen Firmennamen, wenn sich insoweit Änderungen ergeben haben. In bestimmten Fällen sollte zudem die Empfehlung einer sofortigen Auswertung in die Mitteilung aufgenommen werden. Ein solcher Hinweis wäre insbesondere dann angezeigt, wenn die mitgeteilten Werte von den zuvor bereits festgestellten Besteuerungsgrundlagen gravierend abweichen.

Eine flächendeckende Verbesserung würde allerdings nur im Falle einer bundesweiten Umsetzung der Vorschläge eintreten. Die Thematik sollte deshalb in die entsprechenden Gremien auf Bundesebene eingebracht werden. Parallel dazu sollte im Land bereits mit der Umsetzung begonnen werden.

6.2.3 Informationsaustausch und Überwachung

Der Informationsaustausch mit den Betriebsfinanzämtern und die Überwachung des Eingangs fehlender ESt4B-Mitteilungen sind verbesserungsbedürftig. Zumindest in Fällen, bei denen Beteiligungsverluste erstmalig geltend gemacht werden und insoweit noch keine Mitteilungen vorliegen, sollten die Verluste nur nach Rücksprache mit den Betriebsfinanzämtern anerkannt werden. Werden für Folgejahre erklärte Beträge ohne Rücksprache angesetzt, muss der Eingang der fehlenden Mitteilungen konsequent überwacht werden. Hierzu regt der RH an, Hinweise in der Steuerakte anzubringen oder Eingaben im sog. internen Vermerk des DV-Systems vorzunehmen. Liegen die Mitteilungen bei der nächsten - spätestens jedoch bei der übernächsten - Veranlagung noch immer nicht vor, sind zwingend entsprechende Anfragen an die Betriebsfinanzämter zu richten.

Die Haltung mancher Betriebsfinanzämter, bei Publikumsgesellschaften Anfragen nach Besteuerungsgrundlagen generell nicht zu beantworten, ist vor diesem Hintergrund nicht akzeptabel. Das FM sollte deshalb auf Bundesebene darauf hinwirken, dass entsprechende Anfragen umgehend beantwortet werden und dies im Land durch geeignete Maßnahmen sicherstellen.

6.2.4 Überlegungen zur Einführung einer zentralen Auswertung

Die Auswertung von Grundlagenbescheiden ist ein Massenverfahren, dessen fehlerfreie Bewältigung nicht von vertieften Rechtskenntnissen der Bearbeiter, sondern im Wesentlichen von deren Arbeitsorganisation, Sorgfalt und Routine im Umgang mit den teilweise sehr komplexen Beteiligungsfällen geprägt ist. Die insoweit geforderten Voraussetzungen dürften sich umso stärker ausbilden, je öfter die entsprechende Tätigkeit ausgeübt wird. Daneben haben die Erfahrungen des RH aus der Aktenprüfung gezeigt, dass insbesondere Steuerbürger, die eine große Anzahl von Beteiligungen halten, oft an denselben Gesellschaften beteiligt sind. Damit könnten Bearbeiter, die Grundlagenbescheide zentral auswerten, im Einzelfall gewonnene Erkenntnisse über etwaige Besonderheiten auch bei anderen Steuerfällen verwenden. Einen weiteren Vorteil der zentralen Zuständigkeit sieht der RH darin, dass die Liegezeit der Mitteilungen für bereits veranlagte Jahre deutlich verkürzt werden könnte. Bei der derzeitigen Verfahrensweise kann diese Liegezeit, d. h. der Zeitraum zwischen Eingang der Mitteilung und Durchführung der nächsten Veranlagung, mehr als ein Jahr betragen.

Der RH hat gegenüber dem FM konkrete Vorschläge für den Ablauf einer zentralen Auswertung von Grundlagenbescheiden unterbreitet. Danach wäre sowohl eine zentrale Auswertung innerhalb der Großbezirke als auch die Bildung eines Auswertungsteams für den gesamten Veranlagungsbereich eines Finanzamts möglich.

Vor dem Hintergrund der seit Jahren bestehenden Bearbeitungsdefizite sollte die Verwaltung auch die zentrale Auswertung der ESt4B-Mitteilungen als Mittel zur Qualitätsverbesserung in Betracht ziehen und beide Varianten erproben.

7 Stellungnahme des Ministeriums

Nach Auffassung des FM geben die materiell-rechtlichen und organisatorischen Prüfungsfeststellungen des RH die derzeitige Situation in den Finanzämtern zutreffend und verallgemeinerungsfähig wieder.

Die Forderung des RH nach einer elektronischen Übermittlung und Auswertung der ESt4B-Mitteilungen sei fachlich und organisatorisch berechtigt. Allerdings könne aufgrund länderspezifischer Unterschiede eine bundesweite Realisierung erst im Rahmen des Vorhabens KONSENS (Koordinierte neue Softwareentwicklung der Steuerverwaltung) erfolgen. Das FM werde eine entsprechende Anforderung in das Vorhaben KONSENS einbringen.

Die empfohlene Verbesserung der DV-Vorlagen beabsichtigt das FM kurzfristig umzusetzen. Eine zentrale Speicherung von Falldokumenten sei hingegen im derzeitigen Verfahren technisch nicht realisierbar. Bis Ende des Jahres 2006 werde jedoch eine umfassende DV-Unterstützung für die Verwaltung und Auswertung von ESt4B-Mitteilungen zur Verfügung stehen. Damit werde gleichzeitig die maschinelle Übermittlung von Feststellungsdaten innerhalb von Baden-Württemberg ermöglicht.

Das FM hält die Forderung des RH, die ESt4B-Mitteilungen zu vereinheitlichen und von überflüssigen Informationen zu entfrachten, für richtig und wichtig. Allerdings sei hierüber schon vielfach und häufig ergebnislos auf Bundesebene diskutiert worden. Die geforderte Ergänzung von Mitteilungen um Zusatzinformationen lasse sich derzeit programmtechnisch nicht lösen, da z. B. im Grundinformationsdienst ein früherer Name nicht gespeichert sei. Zur Verbesserung des Informationsaustauschs und zur Überwachung fehlender Mitteilungen strebe das FM eine DV-Unterstützung mittels einer elektronischen Wiedervorlage an.

Gegen die Bildung von Auswertungsteams wendet das FM ein, dass eine weitere Atomisierung der Zuständigkeiten nicht sinnvoll erscheine. Zum einen wären in großem Umfang Aktentransporte notwendig, zum anderen dürfte es für die Motivation und Qualifikation der Bediensteten besser sein, wenn sie nicht nur mit reinen Auswertungsarbeiten betraut wären. Im Übrigen lasse die künftige Verbesserung der DV-Unterstützung einen erheblichen Fehlerrückgang erwarten, sodass eine zentrale Auswertung nicht erforderlich erscheine. Aus diesem Grund beabsichtige das FM, eine zentrale Auswertung auch innerhalb der Großbezirke nicht einzuführen.

8 Schlussbemerkung

Der RH hält die angekündigte Verbesserung der DV-Unterstützung für sinnvoll. Hinsichtlich der vom FM als richtig und wichtig erachteten Empfehlung, die ESt4B-Mitteilungen von überflüssigen Informationen zu entfrachten, geht der RH davon aus, dass das FM eine erneute Erörterung auf Bundesebene herbeiführt und sich dabei nachdrücklich für eine entsprechende Lösung einsetzt. Parallel dazu sollte im Land bereits mit der Umsetzung begonnen werden. Entsprechendes gilt für die Beantwortung von Anfragen nach Besteuerungsgrundlagen durch die Betriebsfinanzämter. Nachdem die Ergänzung der ESt4B-Mitteilungen um Zusatzinformationen derzeit programmtechnisch nicht möglich ist, bittet der RH, in den einschlägigen Fällen auf eine manuelle Ergänzung hinzuwirken.

Die vom FM dargelegten organisatorischen Probleme beim Einsatz von Auswertungsteams wurden nicht verkannt. Geeignete Lösungsansätze hat der RH dem FM bereits in seiner Prüfungsmitteilung aufgezeigt. So könnten die Teams ihre Tätigkeit auf freien Arbeitsplätzen (z. B. von Teilzeitkräften) direkt in den Bezirken ausüben. Gegen die Einrichtung des notwendigen Datenzugriffs bestehen aus Sicht des RH keine Bedenken. Auswirkungen auf die Motivation der in den Teams eingesetzten Bediensteten sieht der RH nicht. Er hält es vielmehr für möglich, geeignetes Personal zu gewinnen. Darüber hinaus gibt der RH zu bedenken, dass die aufgezeigten Vorteile der zentralen Auswertung auch nach Einführung der verbesserten DV-Unterstützung ungeschmälert zum Tragen kämen. Die Stellungnahme des FM setzt sich mit diesen Vorteilen nicht hinreichend auseinander. Im Ergebnis hält der RH daher an seiner Empfehlung fest, beide Varianten der zentralen Auswertung zu erproben.