Erhöhungsanträge bei Infrastrukturvorhaben des öffentlichen Personennahverkehrs [Beitrag Nr. 8]

Förderanträge für große Infrastrukturvorhaben im öffentlichen Personennahverkehr wurden häufig nicht ausreichend geprüft. Zahlreiche Erhöhungsanträge waren die Folge.
Im Hinblick auf den wirtschaftlichen Einsatz knapper Fördermittel und zur Verwaltungsvereinfachung regt der Rechnungshof qualifizierte Antragsprüfungen und Anteilsfinanzierungen mit Höchstbetragsbegrenzung an. In einem Einzelfall kann damit die Förderung um 8 Mio. € reduziert werden.

1 Vorbemerkung

Das Land fördert nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) schwerpunktmäßig den Ausbau der Straßen- und Stadtbahnsysteme durch

  • Streckenneu- und -ausbauten (einschließlich Haltepunkten) und
  • Neubauten von Betriebshöfen und zentralen Werkstätten.

Für die Förderung standen in den vergangenen Jahren jährlich bis zu 200 Mio. € zur Verfügung; infolge von Einsparauflagen ging der Betrag inzwischen auf rd. 65 Mio. € zurück. Außerdem wurde der Fördersatz der Anteilsfinanzierung im Zuge einer Übergangsregelung 2004 von maximal 85 % auf maximal 75 % abgesenkt. Danach gilt der höhere Fördersatz nur noch bei Vorhaben, für die bis zum 30.11.2003 ein Förderantrag auf eine erstmalige Bewilligung vorlag und die noch vor dem 30.06.2004 begonnen wurden.

Der RH hat bei 21 Vorhaben, deren jeweiliges Fördervolumen von rd. 10 Mio. € bis zu mehr als 50 Mio. € reichte, den Verfahrensablauf insbesondere unter dem Aspekt der Erhöhungsanträge betrachtet.

Bei den genannten Infrastrukturvorhaben traten z. T. in erheblichem Umfang Erhöhungen der Bauausgaben auf. Nachfinanzierungen sind aber nur förderfähig, wenn Umstände vorliegen, die vom Antragsteller nicht zu vertreten sind. Hierzu gehören in erster Linie allgemeine Preissteigerungen oder nicht vorhersehbare Schwierigkeiten während der Bauausführung.

2 Anzahl der Erhöhungsanträge

Die geprüften Vorhaben wiesen - nach dem ersten Antrag zur GVFG-Förderung - zusammen 26 Erhöhungsanträge auf. Zu 12 der 21 Vorhaben lagen zum Zeitpunkt der Prüfung keine Erhöhungsanträge vor; bei den übrigen neun gab es bis zu zehn Erhöhungsanträge je Vorhaben.

Da die Mehrzahl der Vorhaben noch nicht schlussgerechnet ist, sind bei allen Vorhaben weitere Erhöhungen nicht ausgeschlossen, zumal das Ministerium dazu übergegangen ist, die Festsetzung der zuwendungsfähigen Ausgaben auf die Verwendungsprüfung nach Abschluss der Maßnahme zu verschieben und daher viele Vorhabensträger während der Bauausführung keine Erhöhungsanträge mehr vorlegen.

3 Umfang der Nachträge

Die Erhöhungen bewegten sich zwischen knapp 1 Mio. € und mehr als 15 Mio. €; bezogen auf die im ersten GVFG-Förderantrag angesetzten zuwendungsfähigen Ausgaben betrugen sie bis zu 90 %.

Die Erhöhungsanträge sowie die Zuwendungsfähigkeit der beantragten Mehrausgaben wurden von den Bewilligungsstellen nicht konsequent genug hinterfragt. Im Übrigen führten Planungsnachlässigkeiten sowie zu knapp kalkulierte Bauausgaben zu Beginn des Zuwendungsprozesses häufig dazu, dass das Ministerium das Vorhaben als wirtschaftlich und damit förderfähig einstufte. Verschlechtert sich die Wirtschaftlichkeit im Nachhinein jedoch durch die geradezu zwangsläufigen Erhöhungen, war und ist die Bewilligungsstelle aber nicht mehr in der Lage, den Bau einer Anlage zu stoppen.

4 Ursachen für Erhöhungsanträge

Im Wesentlichen sind die Gründe für die Erhöhungsanträge den in Übersicht 1 dargestellten Kategorien zuzuordnen.

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Die Begründungen der Antragsteller passten im Wesentlichen in das Schema akzeptabler Erhöhungen. Ausgelöst wurden sie aber in der Regel dadurch, dass die Bewilligungsstelle die Vorhaben eingangs nicht daraufhin geprüft hatte, ob sie technisch mit dem vom Antragsteller gewählten Kostenansatz überhaupt umsetzbar waren. Nur in einigen Fällen sah das Ministerium die eingereichten Erhöhungsanträge kritisch („Planungsfehler sind zu vermuten“); förderrelevante Konsequenzen wurden jedoch nicht gezogen.

Die Antragsteller konnten daher davon ausgehen, dass die Erhöhungsanträge - unabhängig von der jeweiligen Begründung - von der Bewilligungsstelle angenommen werden. Sie hatten insofern einen großen Spielraum, „kreativ“ mit den Erhöhungen umzugehen und Vorhaben nahezu beliebig auszuweiten und/oder zu ergänzen bzw. wenig solide Planungen erst im Verlauf der Bauausführung zu korrigieren.

5 Zeitliche Abwicklung

Erhöhungsanträge sind unverzüglich nach Bekanntwerden der Erhöhung, auf jeden Fall vor Ausführung der Bauleistung, der Bewilligungsstelle vorzulegen, damit diese den Antrag möglichst zeitnah zum Entstehen von Ausgabensteigerungen prüfen und aktiv das Förderverfahren und die finanziellen Auswirkungen für das Land steuern kann.

Bei den ausgewerteten Vorhaben zeigte sich allerdings, dass die meisten Erhöhungsanträge erst während oder nach der Bauausführung vorgelegt wurden. Der Bewilligungsstelle waren damit nahezu alle Prüfungs- und Steuerungsinstrumentarien aus der Hand genommen.

6 Verwendungsnachweise

Bei fast keinem der vom RH untersuchten Vorhaben wurden bislang die Verwendungsnachweise durch die Bewilligungsbehörden geprüft. Nachdem die Zeitpunkte der Inbetriebnahme (entspricht der Abnahme der Bauleistung) zwischen zwei und zehn Jahre zurückliegen, kann außerdem von einer fristgerechten Vorlage der Verwendungsnachweise (im Normalfall ein Jahr nach Inbetriebnahme) nicht die Rede sein (s. Übersicht 2).

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Eine in die Prüfung der abschließenden Verwendungsnachweise verlagerte Überprüfung von Erhöhungsanträgen wird, da gewachsenes Wissen über die Vorhaben fehlt, dann nicht nur zeit- und arbeitsintensiv; es wird auch nahezu unmöglich, berechtigte Absetzungen bei den zuwendungsfähigen Ausgaben gegenüber den Antragstellern durchzusetzen.

7 Empfehlungen

7.1 Sorgfältige Antragsprüfung

Die gründliche Antragsprüfung ist Voraussetzung für ein stimmiges Förderverfahren; Mängel und Versäumnisse während der Antragsprüfung wirken sich bis zum Ende belastend aus, da sie später nur mit hohem Personal- und Zeitaufwand zu beheben sind. Deshalb sollte die bisherige Vorgehensweise des Ministeriums, Erhöhungsanträge, und sogar die Prüfung des Förderantrags, in die Verwendungsprüfung zu verschieben, aufgegeben werden.

7.2 Prüfung der Verwendungsnachweise von Altfällen

Die verzögerte Verwendungsnachweisprüfung der Vorhaben bedeutet ein Risiko für die Bewilligungsstelle, da sich eine Ungewißheit über die endgültige Höhe der Zuwendungen aufbaut. Deshalb empfiehlt der RH für die Altfälle, dass die Bewilligungsstelle die betroffenen Zuwendungsnehmer bis zu einem festzulegenden Stichtag letztmalig zur Vorlage der Verwendungsnachweise auffordert, um dann über die Erhöhungsanträge zu entscheiden.

7.3 Vereinfachung des Förderverfahrens durch Höchstbetragsfinanzierung

Eine große Vereinfachung wäre die Anwendung der Höchstbetragsfinanzierung, bei welcher der Förderbetrag auf der Grundlage des geprüften Förderantrags verbindlich festgesetzt wird. Die Bewilligungsstelle ist hierbei gefordert, eine qualifizierte und umfassende Antragsprüfung durchzuführen. Die Sinnhaftigkeit der Höchstbetragsfinanzierung wird in dem nachfolgenden Beispiel verdeutlicht.

8 Anwendung der Höchstbetragsfinanzierung - Neubau eines Betriebshofs

Ein Verkehrsunternehmen stellte von 1999 bis 2005 für den beabsichtigten Bau eines Betriebshofs für Schienenfahrzeuge verschiedene Förderanträge nach dem GVFG. Das Gesamtvorhaben soll folgende Maßnahmen umfassen:

  • eine Werkstatt,
  • eine Abstellhalle für insgesamt 72 Schienenfahrzeuge,
  • Gebäude auf dem Betriebshofgelände (Kopfbau usw.),
  • Neu- und Ausbauten auf den Zulaufstrecken und
  • den Umbau der bestehenden Straßenbahnabstell- und Wartungshalle zu einer Busabstellhalle.

Die Abfolge der Förderanträge ist in Übersicht 3 dargestellt.

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Der Bauabschnitt 1b soll dann die restliche Abstellhalle sowie einen Kopfbau oder Querriegel umfassen, in dem Verwaltungspersonal untergebracht werden soll; der Zeitpunkt der Antragstellung sowie die zu veranschlagenden Bauausgaben hierfür sind derzeit nicht abschätzbar.

Die beantragten zuwendungsfähigen Ausgaben sind zwischen dem so genannten Hauptantrag (1999) und dem aktualisierten Förderantrag (2005) um rd. 30 Mio. € oder 57 % gestiegen; der letzte Anstieg wurde vor allem mit höheren Ausgaben für Bauwerke und bahntechnische Ausrüstungen begründet. Die bislang durchgeführte fachtechnische Prüfung des Ministeriums erbrachte (vorläufig) bereits Absetzungen bei den zuwendungsfähigen Ausgaben des Gesamtvorhabens von rd. 9 Mio. € und des Bauabschnitts 1a von 2,5 Mio. €.

Dennoch sind Erhöhungen in dem dann noch vorhandenen Umfang von rd. 40 % kaum nachvollziehbar und nur begrenzt durch allgemeine Preissteigerungen erklärbar. Deshalb dürfte 1999 eine Antragstellung auf der Grundlage nicht ausgereifter Planungen und vorläufiger Kostenschätzungen vorgelegen haben, die erst zu einem viel späteren Zeitpunkt auf eine realistischere Basis gestellt wurde. Prüfungserfahrungen zeigen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Verlauf der Abwicklung der Gesamtmaßnahme weitere Mehrausgaben hinzukommen werden.

Auch wenn die grundsätzliche Förderfähigkeit des Betriebshofs mit Werkstatt und Abstellhalle anerkannt wird, bleiben angesichts der Dauer von sechs Jahren bis zur Vorlage eines prüfbaren Antrags die Fragen nach der Dringlichkeit und des wirtschaftlichen, also förderfähigen, Umfangs des Vorhabens.

Wegen der bisherigen Ausgabenentwicklung und der für eine Förderung problematischen Punkte empfiehlt der RH eine Höchstbetragsfinanzierung, zumal weitere Erhöhungen nicht auszuschließen sind, da der Vorhabensträger bislang schon durch hohe und häufige Erhöhungen bei großen Infrastrukturvorhaben aufgefallen ist. Der Höchstbetrag für das eingangs dargestellte Vorhaben sollte maximal 33 Mio. € betragen.

9 Stellungnahme des Ministeriums

Das Ministerium verweist darauf, dass die Abwicklung von Projekten in der Regel iterativ erfolge und Vorhabensträger bereits in der Projektplanung erfahren wollen, ob ein Vorhaben gefördert werden könne und sich weitere Planungen lohnen. Es vertrete daher die Ansicht, dass Zuwendungen im öffentlichen Personennahverkehr nicht nur von der Höhe der tatsächlich anfallenden Ausgaben abhängen dürften, sondern primär vom Sinn und Zweck des zu realisierenden Vorhabens. Daher habe man sich in der Vergangenheit „auf das Wesentliche konzentriert“ und Bauanträge zur Verbesserung der Infrastruktur des öffentlichen Personennahverkehrs unterstützt, zumal man bei größeren Vorhaben nur in der Lage sei, die Angemessenheit einer vorgesehenen Lösung zu beurteilen und „Kostenausreißer“ nach oben zu hinterfragen.

Im Übrigen sei nur bei einigen wenigen Vorhaben die Festsetzung der zuwendungsfähigen Ausgaben erst im Zuge der Verwendungsprüfung erfolgt. Das Ministerium beabsichtige, auch zukünftig im Einzelfall Fristverlängerung für die Einreichung des Schlussverwendungsnachweises einzuräumen, weil Überschreitungen der Fristen ihre Ursachen u. a. in der Komplexität der Vorhaben und der Zuordnung von Ausgaben sowie in Streitigkeiten wegen offener Nachforderungen haben können. Auch sehe es keine Schwierigkeiten, berechtigte Absetzungen gegenüber dem Zuwendungsnehmer später noch durchzusetzen.

Die knapper werdenden Fördermittel hätten das Ministerium überdies bereits im Hj. 2005 veranlasst, vorrangig Altfälle zu finanzieren und nur noch in ganz besonders begründeten Ausnahmefällen einen vorzeitigen Baubeginn zuzulassen. Auch habe das Ministerium hinsichtlich der Erhöhungsanträge im Jahr 2004 bereits angemessen reagiert und den Fördersatz für Änderungsanträge von 80 % auf 60 % abgesenkt. Im Weiteren betont das Ministerium, dass die vom RH als Höchstbetragsfinanzierung bezeichnete „Deckelung“ der Zuwendungen keine Neuerung darstelle, sondern dass - allerdings bei kleineren Vorhaben - dies bereits in der Vergangenheit angewandt worden sei.

Im dargestellten Förderfall sehe das Ministerium die Ursache der Verzögerungen in nicht abgeschlossenen Rechtsverfahren und den sich hinziehenden Grundstücksverhandlungen. Ferner habe die Befassung des RH mit dem Vorhaben den Vorhabensträger verunsichert und zur Überprüfung seiner Planungen veranlasst.

Als Ergebnis des Bemühens, den Bauaufwand zu beschränken, sei das Ministerium vom Verkehrsunternehmen mit Schreiben vom 18.02.2006 darüber informiert worden, dass insbesondere der Bau von Teilen des Betriebsdienstgebäudes und eines Drittels der Abstellanlagen zurückgestellt würde. Auch sei beabsichtigt, die übrigen Bauphasen zunächst nicht weiter zu verfolgen und den Grunderwerb zugunsten einer Erbpacht zurückzustellen. Das IM halte das vorgelegte Planungskonzept mit Gesamtausgaben von 46,2 Mio. € für umsetzungsfähig. Die Prüfung durch das Ministerium habe zuwendungsfähige Ausgaben von 40,5 Mio. € ergeben. Entsprechend der Anregung des RH beabsichtige es nunmehr, das Vorhaben mit einem Höchstbetrag von 29,9 Mio. € zu fördern. Bei der Festsetzung der Zuwendung würden auch die neuen Förderkriterien berücksichtigt.

10 Schlussbemerkung

Im Hinblick darauf, dass sich die Mittelsituation im öffentlichen Personennahverkehr zusehends kritischer gestaltet, sollte nur das zur Erreichung des Förderziels unabdingbar Notwendige bezuschusst werden. Dies setzt aber zwingend voraus, dass die Bewilligungsstellen eine umfassende Prüfung der vollständigen Antragsunterlagen durchführen können. Hier sind also sowohl die Bewilligungsstellen als auch Antragsteller/Vorhabensträger gefordert, das bisherige Muster aus unzureichender Durchführung der Förderverfahren und nachlässigen, mit Mängeln behafteten Antragsunterlagen, die nachfolgend durch Erhöhungsanträge behoben wurden, zu durchbrechen.

Für das Land als Zuwendungsgeber ist eine aufwendige und teure Fördersituation entstanden, mit mittlerweile kaum mehr zu überschauenden finanziellen Folgen. Deshalb regt der RH an, konsequent die Altfälle abzuarbeiten, nur noch solche Förderanträge anzunehmen, die dem Zuwendungsrecht entsprechen, und verstärkt - durchaus bei allen, nicht nur kleineren Vorhaben - das Instrument der Höchstbetragsfinanzierung, wie an dem Beispiel des Betriebshofs verdeutlicht, einzusetzen.

So veranschaulicht gerade das sich über Jahre hinziehende Antragsverfahren für den Betriebshof, wie unerlässlich zuverlässige Planungen und seriöse Kostenansätze für das Land als Zuwendungsgeber sind. In Folge der frühzeitigen Befassung des RH mit diesem Vorhaben wurde die zwischenzeitlich beabsichtigte Lösung nochmals optimiert und in einzelnen Bestandteilen modifiziert. Die „Deckelung“ der Fördermittel auf nunmehr rd. 30 Mio. € stellt einen wichtigen Schritt in die aus Sicht des RH richtige Richtung dar. Angesichts verstärkter Finanzierungs- und Personalengpässe erleichtert eine solche Entwicklung die Arbeit der Bewilligungsstelle. Eine Höchstbetragsfinanzierung nutzt aber auch den Vorhabensträgern, da sie die Fördergrenze kennen und ihre eigene Finanzierung sowie die Bauausführung darauf ausrichten können. Zugleich zwingt die Höchstbetragsfinanzierung zu konsequenter Ausgabendisziplin. Schließlich können bei gegebenem Fördervolumen mehr Projekte realisiert werden.